Rückkehr zur alten Rechtschreibung unsinnig?
Herrn Wagners gewohnt gründlicher und sachkundiger Darstellung ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ein paar Ergänzungen möchte ich beitragen.
Regelungsgewalt
Bei allen Betrachtungen pro und kontra RSR darf man m. E. nicht die Grundsatzfrage aus dem Blick verlieren, ob dem Staat das Recht zugebilligt werden sollte, in die Sprachentwicklung einzugreifen sei es mit einem Sprachgesetz oder per KMK-Beschluß. Das verneine ich entschieden. Selbst wenn solchen Eingriffen vielleicht zunächst nachvollziehbare Motive zugrundeliegen staatliche Maßnahmen sind immer auch interessengelenkt (Parteien, Verbände, Lobbyisten ...), so daß die Gefahr des Mißbrauchs einer solcherart zugestandenen Regelungsgewalt (siehe Th. Ickler) gewissermaßen naturgesetzlich innewohnte. Wenn man zusätzlich bedenkt, welch handwerklicher Pfusch bei der kultusministeriell verfügten RSR-Einführung an Schulen und in staatlichen Einrichtungen passierte (und passiert), dann ist die Frage nach der Seriosität dieser Aktion doch schon beantwortet. Wer den RSR-Eingriff befürwortet, sollte sich fragen, ob nicht auch irgendwann einmal ein Sprachgesetz für notwendig erachtet werden könnte, das beispielsweise schreckliche Modewörter (überwiegend aus dem Englischen) eindämmen sollte. Was wäre das nächste? Fremdwörter? Bestimmte, der politischen Korrektheit zuwiderlaufende Aussagen? Nein danke, das überlasse man doch lieber der Selbstregulierung, letztendlich kann die das besser.(Was ja nicht heißt, daß man alles unwidersprochen hinnehmen muß.)
Fehlerreduzierung als Reformziel
Bei der Beurteilung dieses Grundanliegens der Reform kommt man um eine kritische Prüfung nicht umhin. Wo es um Fehler geht, die sich aus haarspalterischen und verbesserungsbedürftigen (Th. Ickler) Dudenauslegungen ergeben, ist das Anliegen in Ordnung. Geht es aber um allgemeine Schwierigkeiten, die Schüler mit der Rechtschreibung haben, dann wird es problematisch. Woher kommen diese Schwierigkeiten? Sind sie vielleicht Teil eines allgemeinen Problems junger Menschen mit der Sprache? Ist das Bildungswesen vielleicht nicht mehr in der Lage, diesem Problem entgegenzusteuern? Dann gäbe es doch immerhin noch zwei Möglichkeiten: Man kann versuchen, das Bildungswesen zu verbessern, damit die Schüler auf der Grundlage gewachsenen Könnens weniger Fehler machen. Oder man kann die Anforderungen zurückschrauben und Schulen wie Schülern die Mühen einer Verbesserung ersparen. Auf dem Papier sind die Ergebnisse gleich: weniger Fehler, bessere Noten. Welche weitreichenden Folgen der zweite Weg hat, darüber brauchen wir sicher nicht zu diskutieren. (Nebenbei: Hätte die Fehlerhäufigkeit nachweislich signifikant abgenommen, dann wären die Medien voll von Lobliedern über die RSR. Allein ich höre sie nicht, den Liedern fehlen schlicht die passenden Noten. Bestenfalls hat sich nichts geändert. Angesichts der hohen Kosten dieser Reform ein unverantwortlich mageres Ergebnis.)
Wie viele Schüler haben denn Probleme mit Mathematik? Quält das nicht alle Beteiligten? Ginge es nicht leichter? Es ginge. Wie wäre es denn, wenn nicht mehr Gleichungen gelehrt würden, sondern Ungleichungen? Die Addition von 3 und 2 zu einem Ungleich-Ergebnis hätte unendlich viele richtige, aber nur eine falsche Lösung. Das allgemeine Mathe-Niveau würde gewaltig angehoben, und lediglich in Leistungskursen könnte man sich den Gleichungen mit all ihren vielen falschen und nur wenigen richtigen Lösungen widmen. Absurd? Na ja etwas überzeichnet sicher schon, ein Vergleich mit der RSR würde aber mit Bravour bestanden, weil hier keinerlei Gesetze der Mathematik verletzt würden. Daß hingegen die RSR grammatisch Falsches nicht nur in Kauf nimmt, sondern sogar vorschreibt, wurde ja hinreichend belegt.
Sprachwandel
RSR-Gegnern wird gern vorgehalten, sie sträubten sich gegen Veränderungen. Solche mag es geben, ebenso wie es Leute gibt, denen alles Neue recht ist, unabhängig von dessen Qualität. RSR-Gegner, denen ich mich verbunden fühle, wollen gerade Veränderung in der Sprache und der Rechtschreibung. Sie wollen den Sprachwandel, wie er sich natürlich vollzieht, indem die Sprachgemeinschaft Altes in den Hintergrund drängt, Neues aufnimmt, so manches vereinfacht. Bei diesem Prozeß spielen Literatur und Medien die wohl wichtigste Rolle. Wörter werden zusammengefügt und erhalten neue Bedeutungen und dergleichen mehr. Dieser Wandel hat hervorragend funktioniert und hätte über kurz oder lang auch unsinnige Duden-Festlegungen überwunden. Wo war da ein umfassender Reformbedarf? Wo liegt der Vorteil neuer Regeln, die zu ellenlangen Wortlisten (positiv wie negativ) führen, weil eine durchgängige Anwendung offenbar nicht möglich ist?
Beispiel GZS
Was hat die RSR etwa auf dem Gebiet der Getrennt- und Zusammenschreibung zu bieten? Ungefähr das, was der Hufschmied mit seinen Pranken und seinen Werkzeugen in der Goldschmiedewerkstatt zustande brächte. Aber der Hufschmied gehörte immerhin noch einem ehrbaren Berufsstand an (kennte gewiß auch die Grenzen seines Handwerks), was ich von Kultusministern und ihren Zuträgern nicht uneingeschränkt behaupten würde.
Zum Schluß
Leider hörte ich von all jenen, die zwar die RSR auch kritisch bewerten, eine Rückkehr zur bewährten Schreibung aber als nicht machbar ablehnen, noch nichts, was mich überzeugt hätte, daß eine Fehlentwicklung nicht zurückgenommen werden könnte. Auch dazu gibt es einen Vorschlag von Herrn Ickler, der großzügige Übergangszeiten vorsieht. Was passiert, wenn per Augen zu und durch Fehlentwicklungen teils über Jahrzehnte hinweg geduldet oder gar gefördert werden, erleben wir gerade auf vielen sozialen und wirtschaftlichen Gebieten. Die Rechnungen erreichen irgendwann gigantische Ausmaße.
Aus Bremen grüßt
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Michael Krutzke
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