Änderung von § 36 im 4. Bericht
Ich knüpfe hier an die Beiträge von Herrn Wrase im Leitthema Amtschefs, vierter Bericht usw. an und beginne ein neues Leitthema, weil dieser Punkt einer gesonderten Betrachtung bedarf. Außerdem warne ich schonmal vor, daß es wieder recht kompliziert wird. (Ob's auch kasuistisch ist, mögen besser andere beurteilen...)
Die geplanten Erläuterungen zu § 36, bezeichnet als °E2(1) und °E2(2) (das Gradzeichen zeigt hier und im folgenden die erwogene Neuregelung an), bedeuten zusammen mit der Abschaffung von § 36 E1(1.2) nach dem jetzigen Stand meiner Überlegungen einen weitgehenden Zusammenbruch der reformierten GZS, wie sie in § 36 geregelt ist (Adjektive oder Partizipien als zweiter Bestandteil); ich bin aber immer noch nicht in der Lage, das volle Ausmaß der Konsequenzen dieser Änderung zu übersehen. Die Situation ist kompliziert; Herr Wrase hat bereits einige Widersprüche benannt.
Viel wichtiger und vor allem: etwas klarer ist aber, daß sich mit diesen Änderungen eine große Umwälzung im Regelwerk ergeben würde. Ob es sich letztlich um einen massiven Widerspruch oder lediglich ein erhebliches Interpretationsproblem des Regelwerkes handelt, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, daß ich heilfroh bin, nicht irgendwann einmal aufgrund dieses geänderten Regelwerkes ein Wörterbuch erstellen zu müssen, das für die Schule verläßlich sein soll.
Der grundlegende Konstruktionsfehler besteht hier darin, daß die bisherige Auswahlklausel § 36 E2 geändert wird, die bislang nur dann zum Tragen kommt, wenn für eine Fügung sowohl eines der Zusammen- als auch eines der Getrenntschreibungskriterien zutrifft, man sich also wirklich im Überlappbereich befindet. Dann hat man eine echte Wahlfreiheit, weil sowohl die Getrennt- als auch die Zusammenschreibung regelkonform ist wie bei dem bislang dafür angegebenen Beispiel, bei dem ich mir aber nicht sicher bin, ob sich das wirklich anhand der Regeln begründen läßt: nicht öffentlich (vermutlich nach § 36 E1[4]) bzw. nichtöffentlich (vermutlich nach § 36 [5], evtl. abstruserweise auch nach § 36 [1]: Weglassen von strikt bzw. ganz und gar).
Jetzt soll aber die Auswahlklausel nur noch in °§ 36 E2(1) gelten. Dagegen ist °§ 36 E2(2) von der Bedingung unabhängig, daß sowohl eines der Zusammen- als auch eines der Getrenntschreibungskriterien zutrifft; man achte genau darauf, was im 4. Bericht auf S. 24 unter welcher Ziffer steht! Wenn es also in °E2(2) heißt, daß neben der Getrenntschreibung nach § 36 E1(1) auch Zusammenschreibung möglich sein soll, dann ist das keine Erläuterung analog zu °§ 36 E2(1), sondern eine Ausnahmeregel zu § 36 E1(1) und gehört genau dort hin.
Aber halt, dort soll sich auch etwas ändern: § 36 E1(1.2) soll ja wegfallen! Das verbleibende § 36 E1(1.1) ist aber bezüglich °§ 36 E2(2) weitgehend irrelevant, es bezieht sich nur auf die nach § 35 mit sein getrennt zu schreibenden Verbindungen, d. h. hier gilt es für gewesen. Die unter °E2(2) angegebenen Beispiele alleinerziehende Mutter, ratsuchende Bürger betrifft das aber gar nicht. Es bliebe also zu prüfen, ob nach dem Wegfall von § 36 E1(1.2) überhaupt noch eine Regelung durch °§ 36 E2(2) neben (d. h. im Widerspruch zu) °§ 36 E1(1) auftritt. Wenn das so ist, stellt °§ 36 E2(2) eine eigene Zusammenschreibungsregel dar, die als weitere Ziffer unter die Hauptpunkte von § 36 (d. h. noch vor § 36 E1) gehört.
Dies wäre umso mehr aus dem Grund zu fordern, daß ja grundsätzlich die Getrenntschreibung der Normalfall und die Zusammenschreibung extra regelungsbedürftig sein soll. Das bedeutet, daß es eine Zusammenschreibung nur in den Fällen geben kann, die unter § 36 (1)(6) angegeben sind. Was nach § 36 (1)(6) nicht zusammengeschrieben werden kann, kann es auch nicht aufgrund einer nachfolgenden Erläuterung. Jede anderweitige Regelung bedeutet, daß die grundlegende Konzeption des Regelwerkes an dieser Stelle aufgegeben wird.
Die große Umwälzung, die die Zusammenschreibungsregel °§ 36 E2(2) aber in jedem Fall darstellt (und wovon ich zunächst dachte, daß es sich um einen massiven inneren Widerspruch des Regelwerkes handelt), ergibt sich aus dem 3. Kommissionsbericht. Dort heißt es auf der Seite 65: Während die Komparierbarkeit zu Schreibvarianten wie gewinnbringend vs. Gewinn bringend und schwerwiegend vs. schwer wiegend führt, lässt sich für nichtkomparierbare Fügungen aus dem amtlichen Regelwerk nur eine einzige Schreibung ableiten, also beispielsweise nur allein stehend (und nicht auch alleinstehend). Warum kam die Kommission im 3. Bericht zu diesem Fazit; wodurch ergibt sich die Getrenntschreibung in diesen Fällen? Aufgrund von § 36 E1(1.2)!!
Fazit: Nicht °§ 36 E2(2) ist revolutionär, sondern das Wegfallen von § 36 E1(1.2) es sei denn, daß das verbleibende § 36 E1(1) in seiner allgemeinen Formulierung, d. h. bevor wie bislang unter (1.1) auf § 35 Bezug genommen wird, weiterhin in dieser Allgemeinheit als gültig angesehen würde und sich also weiterhin auch auf die eigentlich mitsamt (1.2) weggestrichenen Fälle der Getrenntschreibung entsprechend § 34 E3(2) bis (6) bezieht; dann gäbe es in der Tat einen massiven Widerspruch innerhalb des Regelwerkes (genauer: innerhalb von § 36).
Hier tut sich ein neuer Interpretationsspielraum auf, zu dem die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt klarstellen kann, was denn die Intention des Regelwerkes eigentlich gewesen sein soll. In Wirklichkeit würde es sich dann aber um ein ganz anderes Regelwerk (zumindest um einen ganz anderen Paragraphen) handeln, und also... ach was, ich geb's auf.
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Jan-Martin Wagner
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