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1995, ein Jahr vor Denk
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Matthias Dräger
01.07.2004 09.41
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Michael Klett zur Rechtschreibreform, Oktober 1996 (Börsenblatt)

Zur Diskussion um die Rechtschreibreform

...wahnsinnig viel Geld


Seit auf der letzten Frankfurter Buchmesse wider Erwarten doch noch so richtig was los war, werden meine Kollegen und ich mit folgenden beiden Fragen belagert. Die eine: „Was halten Sie von der Rechtschreibreform?“ und die andere: „Ist es nicht so, daß Sie nun an der Reform ordentlich verdienen werden?“

Zur ersten Frage muß ich etwas ausholen. Seit die älteren Damen und Herren unter unseren Intellektuellen und Schriftstellern, die oft in der Vergangenheit nicht faul waren, die Deutschen über vieles eines Besseren zu belehren, aufgrund der Aktion von Herrn Denk aus ihrer Lethargie erwacht sind, geht es wieder los mit der Bekennerei, entringt sich den Abfragen ein müdes Lächeln, wenn ich mich als lesende und schreibende Privatperson, als literarischer und als Schulbuchverleger äußere. Das Rollenspiel in der modernen Welt ist aber nun mal eine Gegebenheit. Mich scheren die Frechheiten des „Spiegels“, der sich gerne auf Kosten der Zeitgenossen mästet, nicht, und ich bekenne, als Leser und Schreibender halte ich die Reform für unsinnig, als literarischer Verleger erst recht – und als Schulbuchverleger? Als solcher bin ich gezwungen, mir das Ding genauer anzusehen und muß sagen, was bringt sie für Kinder und Lehrer als Orthographiereform? Vielleicht ein paar Vereinfachungen, aber mindestens ebenso viele Komplikationen und als Übergang ein phantastisches Durcheinander und entsprechende Belastung für Lehrer, Schüler und Eltern. Was die Kommasetzung allerdings angeht, so nimmt sie ja doch Abschied von einer Reglementierung, die nur von Beckmessern und Amtsverpflichteten ernstgenommen wurde. Welcher vernünftige Mensch hat sich im Lauf seines Lebens je um die alte Kommasetzung geschert? Für die künftigen Generationen ist dies gut. Hätte man nur die Zeichensetzung reformiert, wäre das ein Gewinn.
Und jetzt zur zweiten Frage. Es ist interessant, daß die Dichter in ihrem Manifest plötzlich so kostenbewußt sind. Sie rechnen unter Punkt 10 ihres „Aufschreis“ den Schulbuchverlegern vor, sie hätten, zusammen mit den Lexikonverlegern, Gewinnchancen und reden zugleich von Einbußen bis zu 300 Millionen Mark. Das verstehe, wer will. Hans-Magnus Enzensberger zum Beispiel, einer der Unterzeichner, dem nicht der Ruf vorauseilt, er sei unbedachtsam, beißt im „Spiegel“ zwei Großverlage an, die nach dem Monopolgewinn „schnappen“. Enzensberger ist ja nun wirklich der originellste und gescheiteste Intellektuelle, den Deutschland seit dem Krieg hervorgebracht hat. Es lohnt sich, jede Zeile von ihm zu lesen, außer wenn er sich über Wirtschaftliches äußert.

Aber zurück zur zweiten Frage: Für einen literarischen Verlag spielt die Reform keine Rolle. Es wird gedruckt, was der Auto will, sogar, wenn er nach Duden lektoriert haben will. Also: kein Schaden, kein Gewinn. Anders ist es beim Schulbuch. Da verbreitet der Pasquillant im „Spiegel“ zunächst, „Michael Klett macht mit“ (Zitat), wohl weil er meint, das sei seiner Kasse bekömmlich oder weil er ihn auf die falsche Seite stellen will. Die Wahrheit ist, daß diese winzige Reform Geld kosten wird, unter Umständen sehr viel Geld, vielleicht sogar wahnsinnig viel Geld. Das hängt von dem nun allmählich sich zu einem unübersichtlichen Gesamtchaos entwickelnden Geschehen ab. Würde die Reform, wie ursprünglich angekündigt, über einen Zeitraum von sieben Jahren in den Schulen vollzogen werden können, mit exakt weitgehend verbindlichen Stufenplänen aller Bundesländer (die also etwa sagen: deutsche Spracherziehung in den nächsten beiden Jahren, Geschichte und Geographie zwei Jahre später, Englisch ab 2000, die Naturwissenschaften danach), dann ließe sich die Umstellung einigermaßen organisch vollziehen. Kostenlos wäre sie dennoch nicht.
Und nun kommen zwei Sachen auf den Plan, die die Geschichte wohl unvermeidlich teuer machen. Die eine, der deutsche vorauseilende Gehorsam, also geraffte Umstellungsabsichten der Kultusverwaltungen und Schulen, was allerdings für den Steuerzahler teuer würde, denn wenn man das wirklich wollte, müßte man die Schulen rasch neu ausstatten. Und das zweite ist die Wettbewerbsdynamik, die darin besteht, daß ein Mitbewerber reformierte Bücher anbietet und den anderen damit zwingt, vorzeitig nachzuziehen. Bei einer rasch sich vollziehenden Neuausstattung, sagen wir über einen Zeitraum von drei Jahren, wäre das schädlich, denn die alten Bücher müßten weggeworfen werden. Bücher, für die die Rechnungen an die Drucker längst bezahlt sind und deren Wert erst mit dem Verkauf eingebracht wird. Schulbücher bedürfen hoher Grundinvestitionen, die erst mit jahrelangen Verkäufen amortisiert werden. Lehrplangenehmigungen und andere ministerielle Vorschriften sichern den langfristigen Verkauf, jeder frühzeitige Abbruch ist teuer.
Die Schulbuchverlage sind auf jeden Fall bei dieser Sache geschädigt. Es kann nun aber noch schlimmer kommen. Sollte die Reform gestoppt werden, was ich als Leser und Schreiber wunderbar fände, so würde es erst richtig toll werden, denn dann müßten die bereits umgestellten Bücher wieder zurückgedreht werden, und das wirtschaftliche Chaos für die Schulbuchverlage wäre perfekt – vom Chaos im Schulbetrieb ganz zu schweigen.

Ist, so frage ich mich als moderner Vielrollenmensch, eine solche Reform überhaupt noch zu machen, in einer hochgezüchteten, komplizierten, modernen Industriewelt? Und wenn eine Reform doch nötig sein sollte, ist dann die hier angewandte Methode die richtige? Ist es richtig, daß minimalistisch orientierte Spezialisten, also Leute, die im allgemeinen die Regelwut in ihrem Charakter angelegt haben, die richtige Sorte sind, um Inhalt, Form und Anwendung einer solchen Reform zu bestimmen? Kann man so etwas einfach machen, ohne alle, die diese Sprache brauchen, teilhaben zu lassen?
Mir scheint, im völligen Scherz gesagt, es gar nicht falsch, eine Gerusia einzurichten, die im wesentlichen aus Leuten wie Martin Walser, Hans-Magnus Enzensberger, Ernst Jünger, Brigitte Kronauer, Hermann Lenz und so weiter besteht. Ein paar generalistische, gut schreibende Wissenschaftler brauchen da nicht zu fehlen. Und diese Gesellschaft, man sieht, ich blicke in ein Land, in dem die Könige und jetzt die Regierung mit Hilfe ihrer „Unsterblichen“ die Sprache immer auch gegen bürokratische Beckmesser im eigenen Land „geschützt“ haben, könnte Schreibweisen empfehlen, sich mit Neologismen befassen, neue Wortunsinnigkeit debattieren und so weiter – und dieses öffentlich machen, denn es fehlt in Deutschland an einer weitläufigen Debatte über unsere Sprache und über ihre Nuancen.
Es können, wie gesagt, wirklich ganz im Scherz gesagt, ja letzten Endes doch nur Schriftsteller und Dichter über unsere Sprache befinden, denn nur diese haben sie weitergebracht. Sie wären dann in der Pflicht und würden nicht einem obrigkeitlich bürokratisch verordneten Reförmchen hinterherbellen.

Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 85/22. Oktober 1996

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Matthias Dräger
29.06.2004 13.43
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Lübke, Regierungsschuldirektor, 21.12.1995

Ministerium für Kultus und Sport Baden Württemberg
70029 Stuttgart

Aktenzeichen: IV/5-6521-D/168

21. Dezember 1995


Herrn Matthias Dräger
Reichl Verlag
56329 St. Goar


Rechtschreibreform

Sehr geehrter Herr Dräger,

das Kultusministerium dankt Ihnen für Ihr Schreiben vom 4. Dezember 1995, in dem Sie Ihre mit Schreiben vom 26. Oktober 1995 geäußerten Einwände gegen die geplante Neuregelung der deutschen Rechtschreibung ergänzt haben. Das Staatsministerium Baden-Württemberg hat Ihr Schreiben an den Herrn Ministerpräsidenten mit der Bitte um zuständige Beantwortung ebenfalls an das Kultusministerium übersandt.

Das Kultusministerium hat bereits in seinem Schreiben vom 24. November 1995 zu Einzelheiten Ihrer Kritik an der vorgesehenen Reform Stellung genommen und dabei darauf hingewiesen, daß der jetzige Neuregelungsvorschlag das Ergebnis eines langjährigen Diskussionsprozesses ist, über den in den Medien vielfach berichtet worden ist und in dessen Zusammenhang 1993 eine öffentliche Anhörung durchgeführt worden ist. Im Rahmen dieser Anhörung ist auch das P.E.N.-Zentrum um eine Stellungnahme zu den Neuregelungsvorschlägen gebeten worden. Eine solche Stellungnahme ist seinerzeit weder schriftlich noch mündlich erfolgt.
Die am 28. November 1995 in der Zeitung „Die Welt“ erschienene Stellungnahme der Präsidentin des P.E.N.-Zentrums West wird nach Auffassung des Kultusministeriums dem Neuregelungsvorschlag nicht gerecht. Die Befürchtung, daß nach den neuen Regeln unterrichtete Kinder „später auch nur mit Befremden die Literatur ihres eigenen Landes lesen können“, ist sachlich nicht begründet. So wir etwa die Stellungnahme von Frau Bachér nach der vorgesehenen Neuregelung nur an sechs Stellen durch neue Schreibungen, die in der beigefügten Kopie markiert sind, zwingend verändert („Erlass, muss, dass, umso, dass, dass“). Darüber hinaus werden Schriftsteller auch künftig wie bisher die Freiheit haben – und diese auch nutzen-, sich über die geltenden Normen der Rechtschreibung und Zeichensetzung hinwegzusetzen.

Die in Ihrem Schreiben angesprochene Veränderung der Schreibung des s-Lautes ist nach Auffassung des Ministeriums ebenso wie die vorgesehene Trennungsregel mit dem Ziel einer Vereinfachung des Regelwerks zu begründen. Die Befürchtung, daß die veränderten Schreibweisen etwa zu Erschwerungen des Schreibvorganges führen könnten, teilt das Ministerium nicht. Die Schweiz, die auf den Buchstaben ß bereits seit langem gänzlich verzichtet, hat in den vergangenen Diskussionen keine Veranlassung für eine Rückkehr zur ß-Schreibung gesehen.

Mit freundlichen Grüßen
Lübke
Regierungsschuldirektor

Anlage: 1

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Matthias Dräger
29.06.2004 13.23
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Lübke, Regierungsschuldirektor / Stuttgart

Ministerium für Kultus und Sport Baden Württemberg
70029 Stuttgart

Aktenzeichen: IV/5-6521-D/168

28. November 1995


Herrn Matthias Dräger
Reichl Verlag
56329 St. Goar


Rechtschreibreform

Sehr geehrter Herr Dräger,

Frau Ministerin Dr. Schavan hat Ihre ausführliche Stellungnahme zur geplanten Neurelegung der deutschen Rechtschreibung erhalten und mich beauftragt, Ihnen dafür zu danken.

Wie Sie bei der Berichterstattung in den Medien entnehmen konnten, ist auf Veranlassung durch die Kultusministerkonferenz und die Ministerpräsidentenkonferenz der vorliegende Reformvorschlag einer nochmaligen Überprüfung unterzogen worden. In diesem Zusammenhang sind eine Reihe von vorgesehenen Änderungen der Rechtschreibung zurückgenommen worden. So wird beispielsweise auf die Schreibung „Packet“ verzichtet, im Bereich der Fremdwortschreibungen sind zahlreiche vorgesehene Schreibungen (darunter „Rytmus, Strofe, Alfabet, Atlet, Ortografie“) gestrichen worden. Auch die Schreibweise „Thron“ bleibt unverändert.

Weitergehende Änderungen des Neuregelungsvorschlages sind derzeit nicht abzusehen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei diesem Vorschlag um das Ergebnis eines annähernd zehnjährigen Diskussionsprozesses handelt, über den in dieser Zeit auch in den Medien mehrfach ausführlich berichtet wurde und dessen Zwischenergebnisse 1992 ebenfalls im Narr Verlag veröffentlicht wurden. 1993 hat die Kultusministerkonferenz eine öffentliche Anhörung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung veranstaltet, deren Ergebnisse in die weiteren Beratungen der wissenschaftlichen Arbeitskreise einbezogen wurden. In diesen Beratungen sind auch die von Ihnen angesprochenen Bereiche der Groß- und Kleinschreibung und der Getrennt- und Zusammenschreibung ausführlich erörtert worden. Im Hinblick auf die Zielsetzung, die Regeln der deutschen Rechtschreibung zu vereinfachen und damit leichter erlernbar zu machen, ist schließlich der nunmehr vorliegende Neuregelungsvorschlag verabschiedet worden.

Mit freundlichen Grüßen

Lübke
Regierungsschuldirektor

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Matthias Dräger
29.06.2004 12.50
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Ministerpräsident Beck / Staatskanzlei Mainz

Staatskanzlei
55116 Mainz


Aktenzeichen: 5000-10/88

25. Januar 1996

Herrn Mattias Dräger
Reichl Verlag
56329 St. Goar


Sehr geehrter Herr Dräger,
Sie hatten Herrn Ministerpräsident Beck Anfang Dezember auf Probleme bei der Reform der Rechtschreibung hingewiesen. Der Ministerpräsident bat mich, Ihnen für Ihr Schreiben zu danken und Ihnen mitzuteilen, daß Ihr Schreiben dem zuständigen Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Weiterbildung zugeleitet wurde.
Die intensive Diskussion der Rechtschreibreform hat gezeigt – und dies beweist auch Ihr Beitrag, – daß jede Veränderung nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Widerspruch, durchaus auch auf begründbaren Widerspruch gestoßen ist. Alle Einwände wurden in den Gremien der Fachleute geprüft und bewertet. Naturgemäß konnte nicht allen gefolgt werden, da sie zum Teil von genau gegensätzlicher Natur waren. Darüber hinaus ist zu bedenken, daß eine Einigung über die Rechtschreibreform nicht nur innerhalb den Ländern, sondern auch innerhalb Bund und Ländern sowie den anderen deutschsprachigen Staaten gefunden werden mußte. Daher mußten zwangsläufig alle zu Kompromissen bereit sein.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Karl Dangelmayer

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Matthias Dräger
29.06.2004 12.38
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Frau Ministerin Behler / Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
40190 Düsseldorf

28. November 1995

Aktenzeichen: II B 1. 36-22/2 Nr. 246/95

Herrn
Matthias Dräger
Reichl Verlag „Der Leuchter“
56329 St. Goar


Sehr geehrter Herr Dräger,

Frau Ministerin Behler dankt Ihnen für Ihren Brief zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung; Sie hat mich gebeten Ihnen zu antworten.

Ihr Brief belegt einmal mehr, wie emotional das Thema diskutiert wird. Wenn Sie von „unbedarften“ Experten reden, die der Rechtschreibung mit „ungeschlachten Händen“ zuleibe rücken, vergreifen Sie sich aber doch wohl im Ton. Vermutlich ist Ihnen nicht bekannt, daß der jetzt zur Entscheidung anstehende Neuregelungsvorschlag das Ergebnis eines fast zehnjährigen Entwicklungs- und Diskussionsprozesses ist, an dem sich 1993 über ein aufwendiges Anhörungsverfahren auch alle Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen beteiligt haben, die am Thema interessiert sind.

Ziel des Neuregelungsvorschlages ist die systematische Bearbeitung des Regelwerks von 1901 mit dem Ziel, mehr Regelhaftigkeit herzustellen, Ausnahmen und Ungereimtheiten dazubauen und auf diese Weise das Erlernen der deutschen Rechtschreibung ein wenig zu erleichtern.

Von diesem Grundanliegen ausgehend läßt sich zu jeder einzelnen der von Ihnen kritisierten Positionen sehr viel sagen. Ich muß mich hier beispielhaft auf die ß-Schreibung beschränken. Das stimmlose „s“ soll in Zukunft in allen Fällen, in denen wir es mit „ss-ß“-Schreibungen zu tun haben, nach kurzen Vokalen mit „ss“, nach langen Vokalen mit „ß“ markiert werden. Der für Schüler schwer zu erlernende Wechsel von „ß“ zu „ss“ („Faß“ zu „Fässer“, „fassen“ zu „er faßt“) entfällt damit. Das Beispiel mag Ihnen einen Hinweis darauf geben, daß manches am Neuregelungsvorschlag vielleicht durchdachter ist als es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Wenn Sie sich abschließend auf Jacob Grimm berufen, möchte ich doch daran erinnern, daß Grimm sich für Rechtschreibreformen – z.B. die „gemäßigte Kleinschreibung“ – eingesetzt hat, die das jetzt anstehende Änderungsvolumen bei weitem übertreffen.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Franz Niehl

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Matthias Dräger
29.06.2004 12.05
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Sehr geehrter Herr Zehetmair

Reichl Verlag „Der Leuchter“, St. Goar


Herrn Kultusminister
Hans Zehetmair
Salvatorstr. 2
80333 München

26. Oktober 1995


Sehr geehrter Herr Zehetmair,

in wenigen Wochen werden Sie über die Einführung einer Reform der Rechtschreibung entscheiden. Aus diesem Anlaß soll hier noch einmal auf einige gravierende Mängel des Reformvorschlages hingewiesen werden.
Sowohl Sprache als auch Schrift ist stets persönlichster Ausdruck des einzelnen; ich bitte daher um Verständnis, wenn die nachfolgenden Ausführungen von meinem persönlichen Eindruck gekennzeichnet sind. (Die Nennung der Abschnitte erfolgt nach „Deutsche Rechtschreibung. Regeln und Wörterverzeichnis. Vorlage für die amtliche Regelung, herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie, Günther Narr Verlag, Tübingen 1995.)
Da haben wir zum Beispiel den Reform-Vorschlag, substantivierte Adjektive und adjektivisch gebrauchte Partizipien groß zu schreiben (§ 55 bis § 57). Bei dieser Schreibweise erhalten einzelne Wörter oft eine Heraushebung, die ihrer Bedeutung nicht zukommt. (Schreibweise gemäß Reform-Vorschlag):
Daran hatten wir nicht im Entferntesten gedacht. Sie hat mir die Sache des Näheren erläutert. Wir haben alle des Langen und Breiten diskutiert. (So spricht und schreibt hierzulande übrigens kein Mensch, sondern verwendet die entsprechenden Adverbien: ... wir haben alles lang und breit diskutiert).
Ferner:
Bisher: ... du tust mir leid.
„Reform: ... du tust mir Leid.

Bisher: ... Vorsicht, gib acht!
„Reform“: ... Vorsicht, gib Acht!
Bisher: ... die notleidende Bevölkerung.
„Reform: ... die Not leidende Bevölkerung.
Bisher: ... ich nehme das in kauf.
„Reform: ... ich nehme das in Kauf.
Bisher: ... glaubst du, daß dies nottut?
„Reform: ... glaubst du, dass dies Not tut?
Die hier genannten Beispiele mußten übrigens nicht extra zusammengesucht werden, sondern entstammen alle dem Reform-Vorschlag. Für meine Begriffe sind dies klassische Gegenbeispiele, die uns vor den Folgen einer solchen Reform warnen müssen!
Als „gegen den Strich gekämmt“ sehe ich auch die Neuerung, bei substantivischen Wortgruppen, die zu festen Verbindungen geworden, aber keine Eigennamen sind, Adjektive kleinzuschreiben (§ 63). Das ist insofern unpraktisch und damit der falsche Weg, da gerade im substantivischen Adjektiv meist die Kernaussage des Begriffes steht und das folgende Substantiv oft nur noch im übertragenen Sinne zu verstehen ist. Nicht ohne Grund überwiegt bei diesen Wortverbindungen bisher die Großschreibung beider Wortteile, wie z.B. in der Goldene Schnitt, die Goldene Hochzeit, das Schwarze Brett, die Grüne Lunge, das Schwarze Schaf, der Blaue Brief. Schwarzes Brett ist ein feststehender Begriff, der übrigens auch dann verwendet wird, wenn dieses nicht mehr aus Holz ist und, wie heute so oft, auch noch nicht einmal mehr schwarz ist.
Bei Verbindungen von Adjektiv + Verb, Partizip + Verb und Verb (Infinitiv) + Verb sieht der Reform-Vorschlag hier Getrenntschreibung vor (§ 34). Das sähe folgendermaßen aus (derzeit werden diese Wörter mal auseinander, mal zusammen geschrieben; wir bringen daher in der linken Spalte zum Vergleich die Zusammenschreibung):

Adjektiv + Verb:
etwas festhalten etwas fest halten
ein gutgehendes Geschäft ein gut gehendes Geschäft
eine Erkenntnis nahebringen eine Erkenntnis nahe bringen
etwas schönreden etwas schön reden
etwas gutheißen etwas gut heißen

Partizip + Verb:
jemanden gefangennehmen jemanden gefangen nehmen
vorlorengehen verloren gehen

Verb (Infinitiv) + Verb:
jemanden kennenlernen jemanden kennen lernen
etwas liegenlassen etwas liegen lassen
in der Schule sitzenbleiben in der Schule sitzen bleiben

Bitte bilden Sie selbst einmal entsprechende Mustersätze, wie zum Beispiel: „Würdest du bitte einmal die Schaufel fest halten?“ Sie werden bald erkennen, daß der Satz mit neuer Schreibweise oft einen anderen Sinn erhält.
Die Forderung, bei Zusammensetzungen aus Adjektiv + Verb, Partizip + Verb oder Verb (Infinitiv) + Verb stets die Getrenntschreibung vorzuschreiben, erscheint mir überzogen, ja, verfehlt und dirigistisch, wo solches nicht notwendig wäre. Zudem würde ich durch eine Festlegung auf die Getrenntschreibweise eine jetzt noch bestehende Option – das heißt derartige Wortverbindungen sowohl getrennt als auch zusammen schreiben zu dürfen – und damit ein stilistisches Ausdrucksmittel ohne Not geopfert werden. Die Fehlerquote, die man ja eigentlich zu senken beabsichtigt, wird durch eine Festlegung auf eine Variante auf jeden Fall steigen.
Worttrennungen: Gemäß § 108 des Reform-Vorschlages sind in Folgen Vokal-Konsonant-Vokal auch Trennungen vor dem Konsonanten in der Form möglich, daß am Ende der ersten Zeile nur noch ein einzelner Buchstabe mit angehängtem Trennungsstrich steht. Das ergibt in erster Linie eine unschöne Typographie, kann aber auch beim Leser zur Hemmung des Leseflusses führen, da man gelegentlich nicht wissen kann, wie der Rest des Wortes lauten wird. Einige Beispiele, wie sie nach den neuen Regeln möglich wären: O- fen, E- sel, E- lefant, A- bend, A- bendland, A-sein, A- merika, A- meise, A- men.

„So trennt doch kein Mensch!“ entgegnete meine Frau, als ich ihr von diesen Plänen berichtete. Ja, das ist sicher richtig, und kein Deutschlehrer wäre je auf einen derartigen Gedanken verfallen, das „schafft“ nur eine Experten-Kommission in mehreren Fachtagungen...

Der Reformvorschlag, daß in dass zu verwandeln, ist mir unverständlich. Die Konjunktion daß ist angeblich das am häufigsten falsch geschriebene Wort im Deutschen. Dies ist aber doch wohl mehr eine Frage des Erkennens, daß hier überhaupt eine Konjunktion vorliegt; eine bloße Änderung in der Schreibweise bedeutet natürlich in dieser Hinsicht nicht die geringste Verbesserung.
Der ursprüngliche Plan der Reformer, die Schreibweise der Konjunktion daß mit dem Artikel das gleichzusetzen, ließe die Fehlerquote in diesem Bereich wohl gegen Null gehen – aber auch nur theoretisch, da sicher eine ganze Reihe von Leuten aus den verschiedensten Gründen bei ihrer bisherigen Schreibweise bleiben würden. Ein weiterer gravierender Nachteil dieser Lösung wäre, daß die Konjunktion für den Leser nicht mehr vom Artikel zu unterscheiden wäre.

Änderung der Schreibweise bei Wörtern: Tipp . . . was soll das sein? Ein einzelner Anschlag eines Typenhebels auf der Walze einer Schreibmaschine? Möglich. Jedenfalls ist das nicht der kurze, möglicherweise entscheidende Hinweis, für den es zu Recht das treffende Wort (-Bild) Tip gibt.
Das Verb schneuzen soll jetzt gemäß Neuregelung schnäuzen geschrieben werden, da ja offensichtlich von Schnauze herrührend. Muß das sein? Ein erhebender Gedanke? Ich stelle mir folgenden Satz vor: „An dieser Stelle des Vortrages holte die Gattin des verstorbenen Ministerialdirektors, Frau Margarethe Fischbein, ihr Taschentuch aus der Kostümjacke hervor und schnäuzte sich“. Ist das Wort in dieser Reform-Schreibweise nicht schlicht und einfach erledigt?
Verbleuen soll nach der Reform verbläuen werden. Warum, um Himmels Willen? Damit in den Schuldiktaten weniger Fehler gemacht werden? Mein Gott, wie entsetzlich unbedarft sogenannte „Experten“ doch sein können! Sprache, auch die geschriebene Schriftsprache, ist ein über die Jahrhunderte in tausenderlei Bezügen gewachsenes kostbares Gebilde, welches einen großen Teil des Überlieferungsschatzes einer Sprachgemeinschaft in sich aufnimmt. Wer hier ohne Not mit ungeschlachten Händen eingreift, stört auf das Empfindlichste; spätere Korrekturen werden die so entstandenen Schäden nicht beheben können!
Wo wollen wir denn bitteschön mit der ach so transparenten neuen Schreibweise haltmachen? Einbleuen muß dann selbstverständlich auch gleich zu einbläuen werden. Was soll hier die Simplifizierung ein Ende haben?
Faß soll nach der Reform, wie übrigens viele ähnliche Wörter auch, nur noch Fass geschrieben werden; aus der Facette soll die Fassette werden. Fassette? Ist das vielleicht ein Bestandteil des Fasses, vielleicht der Ring, der die „Faßdauben“ zusammenhält? Hier kommt es zu völlig neuen Verwandtschaften von Wortstämmen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. So entstehen „Kunstwörter“, die jeder Tradition einer über Generationen sich entwickelten Überlieferung bar sind und völlig abwegige Assoziationen ergeben. Das soll ein Fortschritt sein? Es wäre dies eine Maßnahme, die nicht nur ein Umlernen bei allen, die Deutsch schreiben, erfordert, sondern auch einen Austausch der vielfältig im PC-Bereich im Einsatz stehenden Rechtschreibprogramme.

Ich möchte hier abbrechen; es kann nicht Sinn dieser Ausführungen sein, an dieser Stelle die Mängel der Rechtschreibreform erschöpfend behandeln zu wollen. Etwas Grundsätzliches sollte aber noch gesagt werden:
Vor allzu dirigistischen Eingriffen in die Sprache sollte uns auch der Weitblick eines Jakob Grimm bewahren, der – immerhin Begründer der deutschen Philologie und auch Verfasser einer mehrbändigen Grammatik – äußerte: „Heißen Grammatik und Wörterbuch Absetzung und Festschmiedung einer Sprache, so sollte es lieber keine geben.“
Bei Jacob Grimm begegnen wir einer tiefen Ehrfurcht vor der natürlichen Gestalt der Sprache und ihrem inneren Weistum; eigenmächtige Eingriffe in den Wandel der Sprache, wie etwas durch Aufstellung künstlicher neuer Wörter oder Versuche, bei Umgangswörtern neue Schreibweisen ex cathedra einzubürgern, waren ihm ein Greuel.
Auch die Schriftsprache einer Gemeinschaft ist ein lebendiger Teil dieser und damit auch einem ständigen Wandel unterworfen. Sie gleicht damit einen Fluß, der das ihm gemäße Bett sich stets selber suchen muß. Versucht man, diesen Fluß durch dirigistische Eingriffe von außen zu kanalisieren, wird er seine Schönheit und seinen Reichtum verlieren. Das soll nicht geschehen!
Sehr geehrter Herr Zehetmair, ich möchte Sie herzlich darum bitten, verschonen Sie uns vor diesem Gesamtkunstwerk der „Reform“, lassen Sie Gnade vor neuer Rechtschreibung ergehen!

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Dräger


Ps: Dieser Brief erging an die Kultusminister der Länder. Einen fast gleichlautenden Brief erhielt auch der Vorstand des Verleger-Ausschusses des Börsenvereins für den Deutschen Buchhandel.

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gestur
28.06.2004 16.13
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Sächsische Staatskanzlei 28.12.95:

„Darüber hinaus werden bis zum 31.7.2005 neue und alte Schreibweisen in den einschlägigen Nachschlagewerken noch nebeneinander stehen.“
Daraus ist zu folgern: Danach nicht mehr.

Duden-, Bertelsmann- und Wahrig-Verlag sind zu befragen, ob sie danach zwei getrennte Rechtschreibwörterbücher, „Reformierte Rechtschreibung für Schulen“ und „Klassische Rechtschreibung für Privatschreiber“, herausgeben oder die klassische Rechtschreibung ganz löschen werden.
Im letzten Fall wäre der „Ickler“ das einzige Rechtschreibwörterbuch „Klassische Rechtschreibung für Privatschreiber“. Ein großer Markt und Anspruch.

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Matthias Dräger
28.06.2004 14.27
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Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern
19055 Schwerin

Matthias Dräger
Reichl Verlag Der Leuchter
56329 St. Goar

VII 201 / vom 8.1.1996


Sehr geehrter Herr Dräger,

im Auftrag von Frau Ministerin Marquardt danke ich Ihnen für Ihr Schreiben vom 4.12.1995 zur Reform der Deutschen Rechtschreibung.

In der Sache selbst kann ich Ihnen folgendes mitteilen:
Die noch gültige Rechtschreibung basiert auf dem Beschluß der Kultusministerkonferenz von 1955 „Regeln für die deutsche Rechtschreibung“.
Die Rechtschreibreform hat eine Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung zum Ziel.
Bei den 3. Wiener Gesprächen im November 1994 haben sich Wissenschaftler und Fachbeamte aller deutschsprachigen Länder auf einen Neuregelungsvorschlag verständigen können.
Alle am Thema interessierten Verbände und Organisationen hatten Gelegenheit, zum erarbeiteten Entwurf Stellung zu nehmen.
Am 1.12.1995 beschloß die Kultusministerkonferenz, die noch mal überarbeiteten Neuregelungen zum 1.8.1998 als verbindliche Grundlage für den Unterricht in allen Schulen einzuführen, wenn vorher die Ministerpräsidenten aller Bundesländer und der Bund zustimmen. Zudem muß vorher eine zwischenstaatliche Erklärung von Deutschland, Österreich und der Schweiz unterzeichnet werden.
Bis zum 31.7.2005 wird es im Falle der Einführung Übergangsregelungen geben.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Eichholz

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Matthias Dräger
28.06.2004 14.10
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Hessisches Kultusministerium vom 28. November 1995

Hessisches Kultusministerium
Postfach
Wiesbaden

Aktenzeichen VII A – 601/83 – 106
28. November 1995

Reichl Verlag
Herrn Mattias Dräger
56329 St. Goar

Betr.: Neuregelung der deutschen Rechtschreibung;
Hier: Vorschläge

Bezug: Ihr Schreiben vom 26. Oktober 1995

Sehr geehrter Herr Dräger,

für Ihr Schreiben an Herrn Staatsminister Holzapfel danke ich Ihnen. Es ist mir zur Bearbeitung übergeben worden. Aus Ihrem Brief entnehme ich, daß Sie die herausgebildeten Konturen einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung engagiert beobachten und kritisieren. So wissen Sie freilich auch, daß es voraussichtlich zu Verzögerungen und Korrekturen bei der Verabschiedung kommen wird. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich nicht auf alle Einwände, die sie vorbringen, eingehen kann, aber ich will Ihnen meine grundsätzlich zustimmende Haltung begründen:
Das eigentliche Argument für meine grundsätzliche Zustimmung liegt selbstverständlich beim Inhalt der Neuregelung insgesamt. Die Vorschläge für die Neuregelung beziehen sich auf

- Änderungen von Wortschreibungen zur Erhöhung der Stammkonstanz behände zu Hand, Bändel zu Band, schäuzen zu Schnauze usw.
- Fremdwortschreibungen – Eindeutschungsangebote
Die inhaltlichen Änderungen betreffen die Vereinheitlichung der Variantenschreibungen im gesamten deutschen Sprachraum: Für die Fallgruppen, in denen bereits eine oder mehrere Varianten vorliegen, wird die Variantenschreibung empfohlen. Im übrigen wurde sie noch in den letzten Wochen in ca. 50 Fällen zurückgezogen (Paket bleibt wie Zigarette und Zigarillo: ph/f: Es bleiben Alphabet, Asphalt und Katastrophe u.a.; rh/r: ebenso bleiben Rhabarber, Rheuma, Rhythmus usw.; th/t: alternativlos bleiben auch Asthma, Athlet, Biathlon, Theke usw.)

- Zeichensetzung
Die Veränderungen betreffen insbesondere die Kommasetzung, die vor allem in drei Teilbereichen Schwierigkeiten bereitet: 1. Komma vor und, oder und verwandten Konjunktionen, 2. Komma bei Infinitiv- und Partizipialgruppen, 3. Komma bei wörtlicher Rede.

- Worttrennung am Zeilenende
Die Neureglung betrifft zwei Problemfelder: zum einen bisherige Ausnahmen, zum anderen die Trennung von Fremdwörtern.

- Getrennt- und Zusammenschreibung
Im amtlichen Regelwerk von 1901/02 war der Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung nicht generell geregelt. Die im Rechtschreib-Duden seit 1915 entwickelte und heute mit einer Vielzahl von Sonderregelungen belastete Darstellung soll vor allem dadurch überschaubarer gemacht werden, daß von der Getrenntschreibung als dem Normalfall ausgegangen wird.

- Groß- und Kleinschreibung
Besonders in diesem Bereich möchte die Neuregelung (allerdings mit der Folge vermehrter Großschreibung) zu mehr Klarheit führen. Die ansonsten zur Identifizierung eines substantivischen Gebrauchs maßgeblichen Kriterien (vorhandener Artikel und Flexionsmerkmale) gelten nunmehr auch für weitere Fallgruppen. Beispiel: Substantive werden auch in festen Fügungen künftig großgeschrieben, also z.B. außer Acht lassen, in Acht nehmen, mit Bezug (auf), Rad fahren, Recht sprechen, Recht haben u.a.

Zusammengefaßt und auf die Vorzüge insgesamt formuliert, leistet die Neuregelung folgendes:
Für alle Bereiche der Rechtschreibung werden die Regeln neu gefaßt einschließlich der 1901 noch nicht geregelten Getrennt- und Zusammenschreibung und der Zeichensetzung, die erst im Laufe der Jahre aus dem Buchdrucker-Duden in den allgemeinen Duden übernommen wurden.
Alle Grundregeln, einschließlich die der Großschreibung der Substantive, werden beibehalten, der Schwerpunkt der Neuregelung liegt in einer stärkeren Systematisierung des Regelwerks. Die Zahl der Regeln wird auf fast die Hälfte reduziert.

Ich habe Ihnen den Inhalt so systematisch und in seinen Vorzügen dargestellt, weil ich damit zum Ausdruck bringen will, daß es bei einer so umfangreichen Arbeit im Einzelfall zu Fehleinschätzungen kommen kann. Solche Fehleinschätzungen gibt es aber auch bei den Kritikern. So ist es z.B. nicht wahr, daß alle Bücher, die vor der Reform gedruckt wurden, wertlos werden bzw. neu aufgelegt werden müssen. So ist es beispielsweise auch nicht wahr, daß für den Staat Kosten in Milliardenhöhe entstehen. Die Schulbuchverlage arbeiten bereits fleißig daran, die Neuregelung fristgerecht umzusetzen; es ist also mit Genugtuung festzustellen, daß der für einige Kritiker zu geringe Umfang der Neuregelung auch seine Vorzüge hat.
Ich bin nicht in der Lage, auf alle Ihre Vorschläge und Einfälle einzugehen. Meine Erwiderung bezieht sich vor allem auf die Seiten 3 und 4 Ihres Schreibens. Dabei bediene ich mich der Formulierungs- und Argumentationshilfen eines Professors, der an der Ausarbeitung des Neuregelungsvorschlages federführend beteiligt war.

Zunächst zu Seite 3:
Silbentrennung
Das Verbot, am Anfang einen Vokal abzutrennen, stammt aus der Tradition der Drucker. Es ist nicht einzusehen, eine Ausnahmeregel anzusetzen (und damit auch üben zu lassen), nur um eine subjektiv empfundene „unschöne Typographie“ zu vermeiden. Was das Lesen angeht, so ist jede (!) Trennung mehr oder minder ein Lesehemmnis. Ihre „Hemmung des Leseflusses“ gibt es genauso bei Au-to, Au-ge, Au-la (Trennungen, die herkömmlich erlaubt sind), ebenso aber auch bei ver-lieren, ver-stehen usw. Im übrigen ist die Trennung der einzige Bereich, den der Schreiber umgehen kann. Wem also – am Alten hängend – A-bend nicht gefällt, der kann die Trennung unterlassen!

Das – daß
Bei der Unterscheidungsschreibung von das und daß geht es bei das nicht um den Artikel, sondern um das Demonstrativ- und Relativpronomen, z.B. Demonstrativpron.: Das zu wissen ist gut; Relativpron.: Jenes Haus, das da steht, ... Wie begründet sich nun die Neuschreibung dass? Nach kurzem Vokal steht im Wort- oder Silbenauslaut für stimmloses /s/ der Buchstabe ß, inlautend der Doppelbuchstabe ss, z.B. Faß – Fässer; fassen – du faßt, faß! An sich haben kleine grammatische Wörter statt des ß nur ein s, z.B. was, wes, des, bis und eben auch das. Die Unterscheidungsschreibung führte dann im 16. Jh. zu daß (Konj.). Da nun aber ß nach kurzem Vokal durch die Reform in ss verwandelt und somit der Wechsel von Faß – Fässer als prinzipienwidrig abgeschafft wird, trifft dies auch für die Konj. daß zu dass zu, sonst müßte in Zukunft daß mit langem /a/ gesprochen werden wie: er fraß.

Tip – Tipp
Bei der Schreibung mit Doppelkonsonant gilt im Deutschen wegen des Stammprinzips: einmal Doppelkonsonant – immer Doppelkonsonant, z.B. Kamm – Kämme – kämmen; Galopp – galoppieren (Ausnahme des – dessen u.a.). Anders ist das im Englischen, z.B. job – jobbing; daraus analog im Deutschen der Job – aber: jobben; Pep – peppig. Im Deutschen haben wir also bei diesen Lehnwörtern auch die dem Deutschen nicht gemäße Orthographie übernommen. Nun gibt es unter den Entlehnungen einige, die im Deutschen nicht als Entlehnungen erkannt werden, z.B. Mop – moppen. Hier schlagen die Reformer Mopp vor. Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn das engl. Wort auf ein gleichlautendes deutsches Wort derselben Wurzel trifft, z.B. engl. tip Ratschlag. Wettprognose zu deutsch tippen berühren, auf der Schreibmaschine schreiben. Da beides auch semantisch aufeinander beziehbar ist, schlagen die Reformer konsequenterweise vor, Tipp zu schreiben.

verbleuen – verbläuen
Zu den beiden letzten Abschnitten möchte ich zunächst feststellen, daß Sie sich wohl ziemlich in der Tonlage vergriffen haben.
Nun zur Sache: Mittelhochdeutsch blinwen, nhd. bleuen ist ein untergegangenes Wort. Die Wörterbücher, z.B. DUW, geben „veraltet“ an. Daher sind die Ableitungen, wie einbleuen, verbleuen und Pleuelstange mehr oder weniger isoliert. Genau in solchen Fällen setzen nun oft Neumotivationen ein: So hat z.B. Hängematte etymologisch weder etwas mit hängen, noch mit Matte zu tun; gleiches gilt z.B. für Maulwurf, Murmeltier und eben auch für verbleuen durch die Redensart grün und blau schlagen. Da einbleuen eine metaphorische Verwendung zu verbleuen ist, gilt der Zusammenhang in derselben Weise. Daß die Wortfamilie bleuen zerfallen ist, mögen Sie auch daraus ersehen, daß ab der 10. Auflage des Dudens Pleuelstange mit p geschrieben wird; dadurch ist der Bezug zu bleuen abgerissen.

Fass – Faß
Die Ausführungen zu Fass – Fassette sind idionsynkratisch. Mit demselben Recht könnten Sie auch Silber auf Silbe, Klavier auf vier beziehen. In der Tat: Ihre Verknüpfung fußt auf „völlig abwegige(n) Assoziationen“. Ihre Sorge, das Fassette auf Fass bezogen werden könnte, ist unbegründet.

Jakob Grimm
Ihre Berufung auf J. Grimm ist zwar zum Schluß rhetorisch gekonnt, nur was die Rechtschreibung angeht, kontraproduktiv. J. Grimm schrieb „gemäßigt klein“, und er forderte energisch die Einführung dieser Reform. Er wandte sich gegen das Dehnungs-h und schlug vor, die neuhochdeutsche Rundung der Vokale orthographisch aufzugeben, z.B. leffel statt Löffel. Die von Ihnen Grimm attestierte „tiefe Ehrfurcht vor der natürlichen Gestalt der Sprache und ihrem inneren Weistum“ muß er wohl doch mehr im Sinne der heutigen Reformer verstanden haben. Derselbe Grimm hat auch einen höchst lesenswerten Aufsatz „Über das Pedantische in der Sprache“ geschrieben, der vielleicht Ihr Bild von Grimm, aber auch von der Sprache ein wenig verändern kann.

Ich kann mir eine Neuregelung der Rechtschreibung, die keine Zweifel bei den künftigen Benutzern auslöst, nicht vorstellen, bin mir aber sicher, daß gegen diese Neuregelung kein Grund zu übergroßer Besorgnis besteht.

Der vorgelegte Neuregelungsvorschlag hat noch zwei Vorzüge, er ist abgestimmt mit fachlichen und staatlichen Vertretern aus anderen deutschsprachigen Ländern, und er ist gekoppelt mit einem Vorschlag, wie künftig mit dem z.Z. aktuellen Problem umgegangen werden soll: Die Einrichtung einer „Zwischenstaatlichen Kommission für die deutsche Rechtschreibung“ halte ich für einen wichtigen und richtigen Schritt. Sie kann dann den Dialog mit den Kritikern führen und selbst Vorschläge ausarbeiten, wie künftig Teile des Regelwerks an den allgemeinen Sprachwandel angepaßt werden.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Habedank

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Matthias Dräger
28.06.2004 14.08
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Sächsische Staatskanzlei vom 28.12.1995

Sächsische Staatskanzlei
Abteilung Ressortkoordinierung
SMK/SMWK

Dresden, den 28.12 1995 / Frau Dietrich / SK 241-6409

Herrn Matthias Dräger
Reichl Verlag
Der Leuchter
56329 St. Goar

Sehr geehrter Herr Dräger,

zum Thema „Reform der deutschen Rechtschreibung“, der die Ministerpräsidenten der Länder und die Kultusministerkonferenz im Dezember 1995 zugestimmt haben, gehen täglich eine Vielzahl von Zuschriften in der Sächsischen Staatskanzlei und im dafür zuständigen Sächsischen Staatsministerium für Kultus ein. Im Mittelpunkt stehen dabei zum einen Befürchtungen und Bedenken bezüglich der tatsächlichen Änderungen und zum anderen die Unsicherheiten der vorgesehenen künftigen Umsetzungen. Die hier angeführten Kritikpunkte sind teilweise verständlich und nachvollziehbar, jedoch nicht immer ganz berechtigt. Bitte haben Sie daher Verständnis dafür, daß in diesem Schreiben nicht jeder Einzelaspekt beleuchtet werden kann.

Grundsätzlich sei angemerkt, daß die bestehenden Rechtschreibregeln auf die Jahre 1901/02 zurückgehen und Änderungen seitdem nur auf den Einzelfall beschränkt im Wege der nachträglichen Anpassung durchgeführt worden sind. In der Zwischenzeit haben sich jedoch derart tiefgreifende Veränderungen im Leben und im Gesellschaftssystem vollzogen, so daß die veralteten Normen über den Einzelfall hinaus einmal grundsätzlich den heutigen Erfordernissen angepaßt werden mußten. Zudem war auch eine Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung durch eine systematische Revision längst überfällig.

Der beschlossene Reformvorschlag ist das Ergebnis jahrelanger wissenschaftlicher Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftlern der deutschsprachigen Länder. Die neue Regelung bemüht sich um eine behutsame Vereinfachung der Rechtschreibung. Diese soll vor allem durch die Beseitigung von Ausnahmen und Besonderheiten erreicht werden, um die deutsche Rechtschreibung leichter erlernbar und einfacher handhabbar zu gestalten. Davon werden traditionell geprägte Begriffe, mit denen sich auch eine Identifizierung mit der deutschen Sprachkultur und Geschichte verbindet, jedoch nicht berührt.

Die verbindliche Einführung der Reform wird eingeleitet durch eine befristete Übergangsphase vom 1.8.1998 bis 31.7.2005, in der sowohl die neuen als auch die alten Schreibweisen gleichberechtigt gültig sein werden. In dieser Zeit wird die schrittweise Einarbeitung der Neuregelung in die Lehrpläne der Schulen erfolgen und damit die Berücksichtigung in den Lehrbüchern gewährleistet.
Sinnvollerweise wird dabei im Fach Deutsch begonnen, danach folgen dann alle anderen Unterrichtsfächer. Selbstverständlich werden die Lehrerinnen und Lehrer durch entsprechende Informationen und Fortbildungen parallel vorbereitet. Aufgrund der relativ langen Übergangszeit, in der beide Schreibweisen gelten, haben vor allem die Kinder in den Schulen genügend Zeit, sich auf das Neue einzustellen. Darüber hinaus werden bis zum 31.7.2005 neue und alte Schreibweisen in den einschlägigen Nachschlagewerken noch nebeneinander stehen. Bisherige Schreibweisen werden also bis zu diesem Zeitraum noch nicht als falsch, sondern nur als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt.
Es muß daran erinnert werden, daß sich die Arbeit an der Neuregelung über einen Zeitraum von fast 10 Jahren erstreckt hat und immer wieder von einer breiten öffentlichen Resonanz begleitet worden ist. Außerdem hatten alle an diesem Thema interessierten Verbände und Organisationen bei einer öffentlichen Anhörung ausreichend Gelegenheit, zum Neuregelungsvorschlag Stellung zu nehmen. Die dabei vorgebrachten Anregungen zur Modifizierung des Reformvorschlages konnten bei den Beschlußvorschlägen sehr weitgehend berücksichtigt werden.
Jede Reform bringt Veränderungen jahrzehntelanger Gewohnheiten. Ich denke, daß die beschlossenen Neuregelungen sachlich akzeptabel sind. Zugleich ist aber ein Mindestmaß an Zeit notwendig, um sich an die neuen Regelungen zu gewöhnen und sie in der Schule und im alltäglichen Gebrauch anzunehmen und umzusetzen.
Ein Regelwerk muß immer erlernt werden und Veränderungen bedeuten Umlernen. Bei den Erwachsenen wird die neue Orthographie zwar eine Umstellung erfordern, die kommenden Schülergenerationen aber werden das neue Regelwerk sicher mit der gleichen Selbstverständlichkeit annehmen, wie sie das mit dem derzeit Bestehenden getan haben. Der Zugang zu einer möglichst fehlerfreien schriftlichen Darstellung wird sich durch die Minimierung der Rechtschreibregeln für die meisten Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich erleichtern lassen.
Ich hoffe, daß ich mit diesen Hinweisen ein wenig zu einem besseren Verständnis für das Erfordernis der neuen Rechtschreibregeln beitragen konnte. Abschließend möchte ich Ihnen meinen Respekt für Ihre Auseinandersetzung und Beschäftigung mit dieser Thematik übermitteln. Ich danke Ihnen daher sehr für Ihre Zuschrift.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ludwig Scharmann

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Matthias Dräger
28.06.2004 13.59
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Schreiben von Bayer. Staatskanzlei 1995

Bayerische Staatskanzlei, München

Nr. A I 2a-0122-95-5240-1

An den
Reichl Verlag „Der Leuchter“
z. H. Herrn Geschäftsführer Matthias Dräger
56329 St. Goar

Rechtschreibreform

Sehr geehrter Herr Dräger!

Herr Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber läßt Ihnen für Ihr Schreiben vom 4.12.95 zur Rechtschreibreform danken. Er hat die Bayerische Staatskanzlei beauftragt, Ihnen zu antworten.

Nach Überzeugung des Herrn Ministerpräsidenten ist die Sprache unbestritten eine der höchsten Kulturleistungen des Menschen. Deshalb versteht er Ihre Sorgen um Erhalt und Pflege der deutschen Sprache.

Der Bayerische Ministerrat hat sich am 9. Oktober 1995 eingehend mit der Problematik der Rechtschreibreform befaßt. Es war Überzeugung des Gremiums, daß es durchaus sinnvolle Ansätze für die Reform, etwa bei der Getrennt- und Großschreibung oder bei der Zeichensetzung, gibt. Ebenso aber war das Kabinett der Auffassung, daß gerade bei der Fremdwortschreibung die Reform weit über ein begründbares Ziel hinausschießt. Da die Reform der Rechtschreibung tief in die Lebensgewohnheiten der Bevölkerung einschneidet, muß die Bevölkerung nach Auffassung der Bayerischen Staatsregierung umfassend über die Reform informiert sein. Für eine detaillierte Information liegt diesem Schreiben der einschlägige Bericht der Bayerischen Staatskanzlei aus der Kabinettssitzung vom 9. Oktober 1995 bei.

Die Kultusminister haben auf ihrer Konferenz am 30. November/1. Dezember 1995 den bayerischen Vorstellungen Rechnung getragen. Das Ergebnis wurde inzwischen auch von den Ministerpräsidenten der Länder einstimmig bestätigt. Aufgrund dieses Verfahrensstandes ist davon auszugehen, daß die zwischenstaatliche Vereinbarung über die Rechtschreibreform Anfang des Jahres ohne weitere Änderung unterzeichnet wird.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Dr. Bernhard Graf
Ministerialrat

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Matthias Dräger
28.06.2004 05.19
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1995, ein Jahr vor Denk

Nachdem alle von den Kultusministern immer wieder mit Engelszungen gepredigten „Vorteile“ der Rechtschreibreform

- angebliche Fehlerreduzierung
- angebliche Vereinheitlichung
- angebliche Kostenneutralität

sich längst in eine einzige große Verunsicherung der Schreibenden verwandelt haben, kommen hier noch einige Dokumente, die belegen, daß es sehr wohl einen frühzeitigen öffentlichen Protest gegeben hat. Dieser war vielleicht nicht so wirkungsvoll wie der Proteststurm, den Friedrich Denk ein Jahr später zur Zeit der Frankfurter Buchmesse in Gang bringen konnte, aber er war da. In aller Stille wurden Briefe an die zuständigen Ministerien geschickt, und zwar nicht nur von mir. Man ist also früh- und rechtzeitig gewarnt worden.

Ich habe alle 16 Kultusminister der Länder im Oktober 1995 angeschrieben, vier Wochen später noch einmal, gleichzeitig auch alle 16 Ministerpräsidenten. Nicht immer kamen Antworten, viele Antworten waren pauschal gehalten, eben ein einfacher Serienbrief, für den Vorgang: Aha, Bürger aus der Schublade „Gegner der Rechtschreibreform“, also Textbaustein 08-16.

Interessant aus heutiger Sicht ist, daß in einigen der vorgefertigten Schreiben sogar noch ein Stück der Realität durchleuchtet, was heute wohl kaum noch der Fall sein dürfte. So schreibt die Sächsische Staatskanzlei z. B. unter dem 28. 12. 1995 (Aktenzeichen SK 241-6409):

„Sehr geehrter Herr Dräger,
zum Thema Reform der deutschen Rechtschreibung, der die Ministerpräsidenten der Länder und die Kultusministerkonferenz im Dezember 1995 zugestimmt haben, gehen täglich eine Vielzahl von Zuschriften in der Sächsischen Staatskanzlei und im dafür zuständigen Sächsischen Staatsministerium für Kultus ein. Im Mittelpunkt stehen dabei zum einen Befürchtungen und Bedenken bezüglich der tatsächlichen Änderungen und zum anderen die Unsicherheiten der vorgesehenen künftigen Umsetzungen. Die hier angeführten Kritikpunkte sind teilweise verständlich und nachvollziehbar, jedoch nicht immer ganz berechtigt. Bitte haben Sie daher Verständnis dafür, daß in diesem Schreiben nicht jeder Einzelaspekt beleuchtet werden kann. (...)“


Die Kritikpunkte sind also „teilweise verständlich und nachvollziehbar“, jedoch „nicht immer ganz“ – also dann nur zum Teil – „berechtigt“.
Wenn die Sache auf so schwachen Füßen steht, ja, warum macht man es denn überhaupt?

Im laufe des Tages werden hier einige Antwortbriefe aus der Zeit November 1995 bis Januar 1996 eingestellt.

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