Reform-Mitmach-Magazin SPIEGEL anno 2000
31. Juli 2000, 16:30 Uhr
Rechtschreibung
Reformgegner mit obskuren Ideen
Die neu entfachte Debatte um die Reform der Rechtschreibung animiert die Anhänger der alten Orthografie zu tollkühnen Ideen. Der bayrische Deutschlehrer Friedrich Denk gründete die Initiative für vernünftige Rechtschreibung und lobte ein Preisausschreiben aus.
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Reformgegner Denk: Dann springe ich zum Fenster raus
Hannover Aus Anlass des vierten Geburtstages der neuen Rechtschreibung gab der als Rechtschreibrebell bekannte Friedrich Denk am Montag auf der Expo in Hannover die Gründung einer Initiative für vernünftige Rechtschreibung bekannt und lobte einen Preis von 10.000 Mark aus, mit dem allgemein überzeugende Argumente für die Überlegenheit der reformierten Rechtschreibung prämiert werden sollen. Der Deutschlehrer zeigte sich aber überzeugt, dass das Preisgeld nicht ausgezahlt werden müsse, da es von einer Bevölkerungsmehrheit akzeptierte Argumente für die Reform nicht gebe.
Der Mäzenin, die das Preisgeld zur Verfügung stelle, habe er gesagt, wenn die 10.000 Mark fällig werden, springe ich zum Fenster raus, berichtete Denk vor der Presse. Teilnehmer des Preisausschreibens hätten ihre Argumente, die die Reform als Ganzes betreffen müssten, bis zum 20. September an Professor Dieter Borchmeyer vom Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg zu senden. Anschließend würden die Argumente in einer Meinungsumfrage eines unabhängigen Instituts darauf überprüft, ob sie von einer repräsentativen Bevölkerungsmehrheit geteilt würden. Das Argument, das mindestens 50 Prozent Zustimmung finde, werde mit 10.000 Mark prämiert. Denk betonte, dass sich auch Kultusminister an dem Wettbewerb beteiligen könnten.
Der Schriftsteller Günter Kunert, 71, nannte die Einführung der neuen Rechtschreibung einen Coup der Kultusminister ohne verfassungsmäßige Grundlage. Kunert rief die Bevölkerung zur Wachsamkeit gegenüber solchen Eingriffen des Staates auf. Ansonsten wachen sie eines Tages auf und wundern sich, dass sie in einer halben DDR sitzen, sagte der oft als Unheilsprophet bezeichnete Dichter und Autor.
Nach Angaben von Denk hat die Initiative für eine vernünftige Rechtschreibung bislang etwa 20 Mitglieder, die bei einem Telefonrundruf des Deutschlehrers ihren Beitritt erklärt haben. Allerdings repräsentiere sie den Willen der Bevölkerungsmehrheit. Denk rief für die Initiative den 1. August zum Tag der deutschen Rechtschreibung aus und verlangte in einem Appell an Politik und Medien eine Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung. Jeweils am 1. August sei vor vier Jahren die Verordnung über die Rechtschreibreform in Kraft getreten, vor zwei Jahren die Reform in Schulen und Behörden und vor einem Jahr in den Zeitungen umgesetzt worden.
Unterdessen forderte der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Professor Christian Meier, am Montag eine sofortige Rückkehr zu den alten Rechtschreibregeln. Das Beste wäre zweifellos, wenn man die Reform umgehend kassiert, und zwar ganz und gar, schrieb Meier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Jeder Tag, an dem das nicht geschieht, mehrt den Schaden. Die FAZ hatte mit ihrer Entscheidung, am 1. August zu den alten Regeln zurückzukehren, den Rechtschreibstreit neu entfacht.
Meier schrieb, es sei unverantwortlich, Schüler weiterhin eine Schreibung lernen zu lassen, von der man wissen könne und vielleicht längst wisse, dass sie sich nicht halten lasse. Damit werden unsere Kinder verhöhnt. Auf eine Reform der Reform sollte man keine Hoffnung setzen, meinte Meier. Die Wiederherstellung des Bewährten wäre das Beste.
Der Beschluss der FAZ, zur alten Schreibung zurückzukehren, sei ein mutiger, hoch willkommener Befreiungsschlag. Da die Kultusminister in dieser Sache völlig hilflos seien, bleibe als einzig möglicher Ausweg aus der Misere, dass die Zivilgesellschaft die Sache in die Hand nehme. Und das gehe nur, wenn große Zeitungen demonstrativ zur alten Schreibung zurückkehren. Und wenn die Leser sie energisch dazu drängen, erklärte Meier.
spiegel.de 31.07.2000
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