Leidenschaftslos bin ich nicht
Ziemlich leidenschaftslos, wie Werner Fahnenstich, bin ich bei Schreibungen wie Tunfisch anstatt Thunfisch (siehe Davids gute Erklärung) nicht, und bei dem Gedanken an die vor hundert Jahren verordnete Auslassung des 'h' in Tür, Tor, Tat beschleicht mich ein Bedauern.
Das Verständnis von Worten der _gesprochenen Sprache_ orientiert sich beim Verständnis an Lautfolgen, also über das _Gehör_ des Zuhörenden, sowie der Beobachtung von Mimik und Gesten des Sprechenden, also über das Auge. Der neuzeitliche Mensch hat für die Freuden des Gehörs die Musik auserwählt, und hört wie David in seinem Beitrag über Thunfisch ausführt die Lautunterschiede der verschiedenen 'T' (mit hoch gepresster Zunge am hinteren Kieferrand oder einem schwachen Auslaufen der Zunge am vorderen Kieferrand oder fast an den Zähnen) nicht mehr. Die Sinngebung des Wortes ist eine andere, wenn z. B. ein Laut wie das 'T' unterschiedlich gesprochen wird.
Schriftsprache kann ohne das Gehör des Lesers auskommen, muß dann aber die Lautunterschiede der Worte als Buchstabenfolge deutlich machen. Um auf das von Herrn Fahnenstich erwähnte 'verlorene h' zurückzukommen: nach der Reform von 1901 konnte man das Schriftbild für die Begriffe TOR für 'große Tür' (indogerm. dhuer, dhur; griech. thyra) und TOR für die dumme Person (mittelhochdt. toere) nicht mehr auseinanderhalten.
Ein Tor ist halt ein dummer Mensch; man muß ihn bedauern, weil er nicht verantwortlich entscheiden kann. Ein 'Thor' (Schreibweise vor 1901 für große Tür) hingegen unterscheidet mit dem 'h' in der Schriftsprache nicht nur den bezeichneten Gegenstand, sondern macht mit dem 'h' den semantischen Unterschied deutlich, daß dieser Gegenstand die Freiheit der persönlichen Entscheidung (auf oder zu, einladend oder verschlossen, geh' ich 'rein oder laß ich's lieber) in sich trägt, ganz im Gegensatz zum armen Tor, der solche verantwortlichen Entscheidungen nicht treffen kann.
Das bedeutet: nicht nur der Laut, sondern auch das Schriftbild gibt feine semantische Unterschiede wieder. So machte das ehemalige Wort That/thun für Tat/Tun durch den h-Hinweis deutlich, daß jeder selbst für seine Taten verantwortlich ist. Dies ist schon lange nicht mehr der Fall. Psychologen und Soziologen sehen heute die Natur oder die Umwelt oder die Bürokratie als Verursacher schlechter Taten an. Diese Ansicht stimmt mit der heutigen Schreibung überein die Entscheidungskomponente 'h' fehlt im Wort und ändert damit auch den Begriff. Möglicherweise hat sich auch die Aussprache leicht verändert. Ein weiteres Beispiel ist das 'Ph' in Photo/Foto. Während durch die Schreibung Photo darauf hingewiesen wurde, daß es um ein Zusammenwirken von Kunde und Handwerker geht, um einen gemeinsamen Erfolg zu erzielen, bezeugt die heutige Schreibung 'Foto', daß die Bedingung des Zusammenwirkens obsolet wurde: gute Fotos gibt es heute auch, ohne daß eine andere Person sich zusammenwirkend mit dem Fotografen in Position setzt.
Ob mein kurzer Vortrag schon beweist, daß Schreibung verändertes Denken wiedergibt, aber auch das Denkvermögen beeinflußen oder ändern kann, vermag nur der aufmerksame Leser zu beurteilen. Als Beobachter des Verhältnisses zwischen Denken und Schriftsprache bin ich davon überzeugt, daß ein Zusammenhang besteht.
Zuletzt möchte ich an Alfred Korzybski erinnern: Jede Landkarte wird für einen bestimmten Zweck hergestellt. Keine Landkarte kann das ganze Gelände darstellen. So ist es auch mit der Schriftsprache, hier speziell dem geschriebenen Wort. Aber eine Rechtschreibung, der keine gesellschaftspolitischen Veränderungsabsichten nachgesagt werden sollen, muß sich, nachdem sich so viel Widerstand breit macht, vor der endgültigen Entscheidung auch mit der Semantik der Schriftsprache auseinandersetzen. Ich werfe hier ein: was ist die Bedeutung von 'e'?
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Monika Chinwuba
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