Eisenbergs Kompromiß
Peter Eisenberg:
Getrennt- und Zusammenschreibung
(Entwurf für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 7.5.04)
0 Vorbemerkungen
Wortformen werden im laufenden Text durch Spatien (Leerstellen) getrennt. Schreibt jemand sehr alt, handelt es sich um zwei Wortformen, nämlich um ein Adverb gefolgt von einem Adjektiv. Schreibt er steinalt, handelt es sich um eine Wortform, nämlich um ein zusammengesetztes Adjektv. Im Zweifelsfall zeigt der Schreiber durch die Verwendung von Spatien an, was als eine Wortform und was als mehrere Wortformen verstanden werden soll.
Bei den Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung geht es in den meisten Fällen um die Frage, ob zwei Einheiten eine Wortform bilden oder nicht. Ob getrennt oder zusammengeschrieben wird, richtet sich danach, was jeweils gemeint ist und was den Regularitäten des Sprachbaus entspricht. Die Bedingungen dafür sind bei den einzelnen Wortarten unterschiedlich. Der Gesamtbereich läßt sich übersichtlich danach gliedern, ob das zweite der beiden Elemente verbal (Abschnitt 1), adjektivisch (Abschnitt 2), substantivisch (Abschnitt 3) oder einer anderen Kategorie zugehörig ist (Abschnitt 4).
1 Verb
Verben sind häufig aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt, die aber auch getrennt auftreten. In einem Satz wie Helga zieht einen Mantel an besteht die Verbform aus den getrennten Teilen zieht und an. Der Bestandteil an wird Verbpartikel genannt. In den Infinitiven (anziehen, anzuziehen), im Partizip I (anziehend), im Partizip II (angezogen) und bei End-stellung des Verbs im Nebensatz (wenn Helga einen Mantel anzieht) geht die Verbpartikel dem Rest der Verbform unmittelbar voraus und wird mit ihr zusammengeschrieben. In den übrigen Verwendungen wie im Aussagesatz (Beispiel oben) oder im Aufforderungssatz (Zieh einen Mantel an) ist die Verbpartikel vom Rest der Verbform getrennt und folgt ihm nach. Die Verbpartikel ist betont, sie trägt den Hauptakzent der gesamten Verbform.
Bei der typischen Verbpartikel ist die Getrennt- und Zusammenschreibung eindeutig geregelt, Schreibprobleme treten nicht auf. Es gibt jedoch eine Reihe von Einheiten, die den Verbpartikeln in vieler, aber nicht in jeder Hinsicht gleichen. Im Verb lahmlegen wird der adjektivische erste Bestandteil wie eine Verbpartikel behandelt, man schreibt lahmzulegen, lahmlegend, lahmgelegt und wenn der Smog den Verkehr lahmlegt. Andererseits gibt es keinen Grund, müde reden (wenn er die Studenten müde redet) zusammenzuschreiben. Die Einheiten sind nicht zu einem Wort geworden. Vergleichbare Fälle gibt es bei substantivischem ersten Bestandteil (kopfrechnen vs. Klavier spielen) und bei verbalem ersten Bestandteil (kennenlernen vs. baden gehen).
§ 34
Betroffen sind also Verbpartikeln, adjektivische, substantivische und verbale erste Bestandteile.
1. Verbpartikeln als erster Bestandteil
Typische Verbpartikeln sind Einheiten, die
1.1 formgleich sind mit Präpositionen; z.B. ab (abändern), an (angeben), auf (aufstellen), aus (ausgehen), bei (beisitzen), unter (untersetzen), zu (zurechnen)
E1 Der Unterschied zwischen einer Präposition und einer Verbpartikel ist im allgemeinen
sofort ersichtlich, z.B. auf der Brücke (Präposition auf) und Die Sonne geht auf
(Verbpartikel auf).
1.2 formgleich sind mit Adverbien; z.B. daneben (danebenlegen), dazu (dazulegen), herab (herabsteigen), herunter (herunterlaufen), runter (runterladen), weg (wegbringen), wieder (wiedersehen)
E2 Eine Reihe von Adverbien mit dem Bestandteil dar wirft das a beim Übergang zur Verbpartikel ab, z.b. darin > drin (drinsitzen), ähnlich dran (dranbleiben), drauf (draufhauen), drauflos (drauflosreden).
E3 Der Unterschied zwischen der Verbpartikel und dem Adverb wird daran deutlich, daß das Adverb vom Verb getrennt stehen kann, die Verbpartikel nicht. So fungiert dazu im Satz Sie hat dazu ein Glas Wein getrunken als Adverb, im Satz Er ist erst vor einem Monat dazugestoßen als Verbpartikel.
1.3 bei Verben nur als Verbpartikel vorkommen, d.h. nicht formgleich mit frei vorkommenden Wörtern sind; z.B. anheim (anheimfallen), fürlieb (fürliebnehmen), überhand (überhandnehmen), einher (einhergehen), überein (übereinkommen), dar (darstellen), entzwei (entzweibrechen), fehl (fehlgehen), feil (feilbieten), kund (kundgeben), ein (eingehen).
2. Adjektivischer erster Bestandteil
Hier sind drei Fälle zu unterscheiden.
2.1 Das Adjektiv wird getrennt vom Verb geschrieben. In einem Satz wie Karl streicht den Zaun grün bezeichnet das Adjektiv grün eine Eigenschaft, die das vom direkten Objekt (den Zaun) Bezeichnete durch die Verbalhandlung (streichen) erhält. Man spricht hier vom Objektsprädikativ. Weitere Beispiele: etwas klein schneiden, kurz mähen, glatt hobeln, blank putzen. Eine verwandte Form des Objektsprädikativs kommt mit Verben vor, die überwiegend oder ausschließlich reflexiv gebraucht werden; z.B. sich müde arbeiten, sich dick essen, sich blutig kratzen, sich wach trinken.
2.2 Sowohl Getrenntschreibung als auch Zusammenschreibung ist möglich. In einem Satz
wie Helga ißt den Teller leer ist den Teller nicht direktes Objekt zu essen (Helga ißt
nicht den Teller), sondern zur Verbindung aus leer und essen. Hier sind die
Schreibungen leer essen und leeressen möglich. Ähnlich voll gießen/vollgießen, fest
nageln/festnageln. In zahlreichen Fällen wird die Zusammenschreibung vor allem bei
einer abgeleiteten Gesamtbedeutung verwendet, z.B. etwas fest nageln vs. jemanden
festnageln.
Im Satz Karl stellt seinen Chef zufrieden bezeichnet stellen nicht die Verbalhandlung,
die zur Zufriedenheit führt, vielmehr wird diese von der Verbindung aus zufrieden und
stellen bezeichnet. Es sind die Schreibungen zufrieden stellen und zufriedenstellen
möglich. Ähnlich kaputtmachen/kaputt machen, übriglassen/übrig lassen.
Im Satz Helga lacht sich krank bezeichnet krank nicht die Eigenschaft, zu der die
Verbalhandlung lachen führt, vielmehr wird sie von der Verbindung aus krank und
gelacht bezeichnet. Es sind die Schreibungen sich krank lachen und sich kranklachen
möglich. Ähnlich sich schwarz ärgern/sich schwarzärgern, sich tot freuen/sich
totfreuen, jemanden voll quatschen/vollquatschen.
2.3 Es wird zusammengeschrieben. Im Satz Der Doktor schreibt den Prüfling krank bezeichnet nicht schreiben, sondern krankschreiben die Verbalhandlung des Doktors, und es bezeichnet nicht krank, sondern krankgeschrieben die Eigenschaft des Prüflings. Man schreibt krankschreiben. Ähnlich etwas feststellen, jemanden freisprechen, jemanden fertigmachen, jemanden kaltstellen sowie Verben ohne direktes Objekt wie schwerfallen, fernliegen, nahebringen.
E4 Zusammenschreibung ist generell auf einfache Adjektivstämme beschränkt.
Möglich ist beispielsweise etwas vollgießen, aber nicht etwas randvollgießen. Wörter
mit komplexen Adjektivstämmen wie zufriedenstellen, heiligsprechen, fertigmachen,
übriglassen sind stark idiomatisiert oder der Adjektivstamm ist gar nicht mehr
zerlegbar (z.B. zufrieden, fertig). Sie verhalten sich deshalb wie einfache Stämme.
E5 Die in 2.1 bis 2.3 unterschiedenen Typen stellen den Normalfall für die
Schreibung dar. Eine über 2.1 hinausgehende Tendenz zur Zusammenschreibung
haben wir etwa in den Hasen totschießen, die Schraube festdrehen und das Paket
vollpacken. Diese Tendenz ergibt sich aus der Neigung zur Reihenbildung von tot, fest
und voll.
Wörter wie hochrechnen, hochstapeln, gutschreiben, neubilden und (ein Wort)
kleinschreiben gehören eigentlich zu 2.2. Sie werden trotzdem stets
zusammengeschrieben, weil sie aus Substantiven wie Hochrechnung, Hochstapler, Gutschrift, Neubildung und Kleinschreibung rückgebildet sind.
Generell läßt sich also feststellen, daß es in dem gesamten Bereich eher Tendenzen zur
Zusammen- als zur Getrenntschreibung gibt.
3. Substantivischer erster Bestandteil
Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden.
3.1 Das Substantiv wird getrennt vom Verb geschrieben. Im Satz Karl bläst Horn können an der Stelle von blasen andere Verben wie üben oder lernen auftreten. Zu Horn können ein Artikel und ein Attribut treten (Er bläst ein altes Horn), und im Nebensatz mit Endstellung des Verbs kann Horn vom Verb getrennt werden (weil er Horn gern bläst). Das zeigt, daß Horn sich hier weitgehend wie ein selbständiges Substantiv und nicht wie ein Bestandteil des Verbs verhält. Es wird groß und getrennt geschrieben. Ähnlich Klavier spielen, Auto fahren, Rad fahren, Radio hören, Pfeife rauchen.
3.2 Es wird zusammengeschrieben. In einem Satz wie Helga läuft eis hat eis nicht die Eigenschaften eines Substantivs und ist nicht direktes Objekt zu laufen. Insbesondere kann eis nicht mit Artikel und Attribut stehen, Sätze wie Helga läuft ein festes Eis sind nicht möglich. Auch die Trennung vom Verb wie in weil Helga eis gern läuft ist nicht möglich. Das zeigt, daß eis hier nicht ein selbständiges Substantiv, sondern Bestandteil der Verbform ist. In den Infinitiven (eislaufen, eiszulaufen), im Partizip I (eislaufend), Partizip II (eisgelaufen) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga gern eisläuft) wird zusammengeschrieben. Ist eis vom Rest der Verbform getrennt, wird es kleingeschrieben, etwa im Aussagesatz (Beispiel oben) und im Fragesatz mit Erststellung des Verbs (Läuft Helga eis?). Ähnlich wie eislaufen verhalten sich achtgeben, brustschwimmen, haltmachen, maßhalten, notlanden, teilnehmen.
E6 In vielen Fällen spielen andere Eigenschaften wie das Gewicht des ersten Bestandteils
eine Rolle. So wird etwa ein langer und in diesem Sinn gewichtiger substantivischer
Bestandteil gelegentlich von der Verbform abgetrennt. Es folgt dann auch die Großschreibung, z.B. Sie ist Schlittschuh gelaufen oder Er hat Schlange gestanden.
E7 Es gibt zahlreiche Verben mit substantivischem Bestandteil, der nicht vom Verb trennbar ist. Beispielsweise kann vom Verb bausparen niemals Sie spart
bau gebildet werden. Die Frage nach der Getrenntschreibung Bau sparen oder bau
sparen stellt sich deshalb nicht. Es wird immer zusammengeschrieben. Ähnlich
bergsteigen, ehebrechen. Viele solcher Wörter entstehen in speziellen Sprachvarietäten wie der gesprochenen Sprache, der Werbesprache, der Jugendsprache oder in Fachsprachen, z.B. bauchlanden, bauchreden, bruchlanden, eierlaufen, fotokopieren, kunststopfen, punktschweißen, radschlagen, sackhüpfen.
E8 Die in 3.2 charakterisierte Konstruktion darf nicht mit der Konstruktion von
Partei ergreifen verwechselt werden. Hier ist Partei Substantiv und fungiert als
direktes Objekt. Möglich ist beispielsweise Sie ergreift seine Partei oder weil er die Partei des Verlierers ergreift. Ähnlich Kritik üben, Rücksicht nehmen, Ersatz leisten,
Farbe bekennen.
4. Verbaler erster Bestandteil
Im Vergleich zu den bisher besprochenen sind Ausdrücke mit verbalem ersten Bestandteil selten. Bezüglich Getrennt- und Zusammenschreibung sind drei Fälle zu unterscheiden.
4.1 Das erste Verb wird getrennt vom zweiten geschrieben. In einem Satz wie Helga lernt
laufen bezeichnet laufen das, was Helga lernt. Möglich ist auch der Satz Helga lernt zu
laufen. Laufen bzw. zu laufen ist eine selbständige Verbform und wird auch in den
Infinitiven (laufen lernen, laufen zu lernen), im Partizip I (laufen lernend), Partizip II
(laufen gelernt) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga laufen lernt)
getrennt geschrieben. Ähnlich schwimmen üben, sprechen lehren, baden gehen.
4.2 Getrennt- und Zusammenschreibung ist möglich. Bei den Verben bleiben und lassen
als zweitem Bestandteil wird im allgemeinen getrennt geschrieben, z.B. weil sie auf
der Brücke stehen bleibt; weil er den Teller fallen läßt. Bei abgeleiteter
(‚übertragener‘) Gesamtbedeutung der beiden Verbformen wird häufig
zusammengeschrieben (z.B. auf einem Lernniveau stehenbleiben, in der Schule
sitzenbleiben, jemanden fallenlassen, sich gehenlassen).
4.3 Es wird zusammengeschrieben. Das Verb kennenlernen ist ein Wort und wird
zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung und kennen bezeichnet,
anders als bei laufen lernen, nicht das, was jemand lernt. Die alternative Formulierung
mit zu (entsprechend Er lernt zu laufen) gibt es nicht: Er lernt sie zu kennen ist nicht
möglich. Das Verb spazierengehen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es
gibt nur eine Gesamtbedeutung. Wer spazierengeht muß nicht unbedingt spazieren und
wer spazierenfährt spaziert auf keinen Fall.
E9 In einer Reihe von Fällen ist nicht ohne weiteres klar, welcher Kategorie der erste
Bestandteil angehört. Die Schreibung ist hier Fall für Fall geregelt; z.B. pleite gehen,
not tun, leid tun, recht haben. Das Verb erscheint in solchen Ausdrücken nicht in
seiner Grundbedeutung.
2 Adjektiv
3 Substantiv
4 Andere Wortarten
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Th. Ickler
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