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Eisenbergs Kompromiß
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Theodor Ickler
13.10.2004 08.22
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Kommentar zu Eisenbergs Kompromiß

Kommentar zu Peter Eisenbergs Neufassung der Getrennt- und Zusammenschreibung für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung (7.5.2004)


Die Aufstellung neuer orthographischer Regeln kann unterschiedlichen Zwecken folgen. Es kann sich um die Konstruktion neuer Schreibweisen handeln oder um die Rekonstruktion der bisher üblichen oder anderweitig neu verordneter. Was Eisenberg eigentlich will, wird nicht ganz klar; eine empirische Grundlage scheint er nicht anzustreben, jedenfalls wird der bisher übliche Schreibbrauch nicht ausdrücklich herangezogen und von den aufgestellten Regeln auch nicht rekonstruiert. An einigen Stellen reproduziert er sogar einfach die bisherige Dudenvorschrift.
Eisenberg folgt der Gliederung der Reform von 1996, behandelt aber vorerst nur die Getrennt- und Zusammenschreibung mit Verben (§ 33 und 34 der Neuregelung). Die GZS mit Partizipien, einen Hauptgegenstand der Reformkritik, würde er wahrscheinlich unter „Adjektive“ behandeln, wie es seinem „Grundriß der deutschen Grammatik“ entspricht. Einzelne Partizipien werden jedoch beiläufig mitbehandelt (s.u.).
Es geht also zunächst um die sogenannten trennbaren und untrennbaren Verben. Eisenberg legt die traditionelle, auch von der Neuregelung nicht angefochtene Auffassung zugrunde, daß Wortformen zusammen und Wortgruppen getrennt geschrieben werden. Die trennbaren Verben bilden eine Ausnahme, denn in Helga zieht einen Mantel an sind zieht und an die getrennt auftretenden Teile einer einzigen Verbform. Unter den bekannten Bedingungen werden sie zusammengeschrieben: anzieht, anziehen, angezogen. (Eisenberg vermeidet den Begriff des „Verbzusatzes“, der in der amtlichen Revision der Neuregelung, nicht jedoch in der ursprünglichen Fassung des reformierten Regelwerks benutzt wird.)
Eisenberg unterscheidet die eigentlichen Verbpartikeln, bei denen die Zusammenschreibung problemlos geregelt sei, von anderen Verbzusätzen, die lediglich gewisse Ähnlichkeiten mit Verbpartikeln haben und daher orthographische Probleme aufwerfen.
„Im Verb lahmlegen wird der adjektivische erste Bestandteil wie eine Verbpartikel behandelt, man schreibt lahmzulegen, lahmlegend, lahmgelegt und wenn der Smog den Verkehr lahmlegt. Andererseits gibt es keinen Grund, müde reden (wenn er die Studenten müde redet) zusammenzuschreiben. Die Einheiten sind nicht zu einem Wort geworden. Vergleichbare Fälle gibt es bei substantivischem ersten Bestandteil (kopfrechnen vs. Klavier spielen) und bei verbalem ersten Bestandteil (kennenlernen vs. baden gehen).“
Damit ist zunächst nur etwas über die bisherige Duden-Schreibweise gesagt; lahmlegen schreibt man nach dieser Norm eben zusammen, müde reden nicht. Einen anderen Sinn kann die Formulierung „wie eine Verbpartikel behandelt“ nicht haben, ohne zirkulär zu werden. Die Behauptung, es gebe „keinen Grund, müde reden zusammenzuschreiben“ mischt jedoch einen anderen Aspekt bei, der hier einen Fremdkörper darstellt. Von „Gründen“ war ja bisher noch gar nicht die Rede. Zuerst müßte festgestellt werden, ob man müde reden tatsächlich so schreibt, und erst in einem zweiten Schritt wäre zu überlegen, warum man das tut. Vielleicht schreibt man es ja auch zusammen und Eisenberg hat den Grund noch nicht entdeckt. Und erst in einem dritten Schritt kann man allenfalls erwägen, die Schreibweise zu ändern und dies wiederum mit Gründen zu rechtfertigen.
Zu den Verbpartikeln rechnet Eisenberg die mit Präpositionen übereinstimmenden: ab, an usw., Adverbien wie daneben und schließlich solche Elemente, die „bei Verben nur als Verbpartikel vorkommen, d.h. nicht formgleich mit frei vorkommenden Wörtern sind“ wie anheim usw. Allerdings scheint letzteres auch schon für eine Reihe der genannten Adverbien zu gelten (weg, runter).
Eisenberg behauptet: „Eine Reihe von Adverbien mit dem Bestandteil dar wirft das a beim Übergang zur Verbpartikel ab, z.b. darin > drin (drinsitzen), ähnlich dran (dranbleiben), drauf (draufhauen), drauflos (drauflosreden).“ Richtig ist aber nur, daß eine solche Synkope (umgangssprachlich) vorkommen kann. Aber auch darinsitzen, daraufhauen usw. sind korrekt und belegbar. Nur der Duden hat normativ unterschieden zwischen darauflos gehen und drauflosgehen. Eisenberg übernimmt das unbesehen, wie er denn auch sonst nicht zwischen Dudenvorschrift und bisheriger Schreibwirklichkeit unterscheidet – genau wie die anderen Rechtschreibreformer, die daraus einen großen Teil ihres Veränderungsimpulses bezogen haben.
Die Erläuterung E3 wird in Frage gestellt durch Fälle wie Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.2004) – Hier handelt es sich zweifellos um das Partikelverb mitnehmen, dennoch ist die Partikel vom Verb durch weitere Elemente getrennt. Solche Fälle sind gar nicht selten: ... Menschen, deren Leben, Arbeit und Tüchtigkeit er festlich darstellte, ohne teil daran zu haben. (Thomas Mann: Königliche Hoheit) usw.
Leider spart Eisenberg die umstrittenen Verbzusätze mit -einander und -wärts aus, die von der Neuregelung so einschneidend betroffen, in der jüngst vorgelegten Revision aber wieder Gegenstand neuer Überlegungen geworden sind, denn zumindest mit Partizipien können sie auch wieder zusammengeschrieben werden.
Die nächste Unterscheidung ist recht subtil: Adjektive als Objektsprädikative sollen dann getrennt vom Verb geschrieben werden, wenn das Verb allein (also ohne den Zusatz) dasselbe Objekt regiert wie der Komplex aus Verb und Zusatz. Folglich wäre grün streichen deshalb getrennt zu schreiben, weil jemand, der einen Zaun grün streicht, auch den Zaun streicht; leeressen könnte jedoch auch zusammengeschrieben werden, weil jemand, der den Teller leer ißt, nicht den Teller ißt. Das Objekt wird vielmehr erst möglich, wenn das Verb durch den Zusatz zu einem neuen Lexem erweitert ist. (Verbzusätze können die Verbvalenz verändern.) Warum dies ein Grund der unterschiedlichen orthographischen Behandlung sein soll, wird allerdings nicht erläutert. Es muß sich wohl um einen Versuch handeln, den grammatischen Grund für die bisher übliche oder vielmehr vom Duden vorgeschriebene Schreibweise herauszufinden.
Die Argumentation widerspricht der früheren Behauptung, es gebe „keinen Grund, müde reden (wenn er die Studenten müde redet) zusammenzuschreiben“. Da der Professor die Studenten zwar müde redet, nicht aber die Studenten selbst redet, fällt das Beispiel unter die soeben aufgestellte Regel. Zusammenschreibung ist also möglich.
„In zahlreichen Fällen wird die Zusammenschreibung vor allem bei einer abgeleiteten Gesamtbedeutung verwendet, z.B. etwas fest nageln vs. jemanden festnageln.“
Die alte Dudennorm arbeitete gern mit dem Begriff der „übertragenen Bedeutung“ und gelangte dadurch – allerdings unsystematisch – zu einigen wirklichkeitsfremden Festlegungen; gerade festnageln war allerdings in jeder Bedeutung zusammenzuschreiben, auch Bretter wurden festgenagelt; Eisenbergs These ist durch nichts belegt.
Regel 2.3 enthält ein nicht näher gegliedertes Sammelsurium von zusammenzuschreibenden Verben.
„Im Satz Der Doktor schreibt den Prüfling krank bezeichnet nicht schreiben, sondern krankschreiben die Verbalhandlung des Doktors, und es bezeichnet nicht krank, sondern krankgeschrieben die Eigenschaft des Prüflings. Man schreibt krankschreiben.“
Warum das eine aus dem anderen folgt und warum hier nicht nach der vorigen Regel sowohl Getrennt- als auch Zusammenschreibung zulässig sein soll, ist nicht zu erkennen. Man schreibt den Prüfling so wenig, wie man den Teller ißt; damit wäre der Fall genau analog dem früher behandelten. Dasselbe gilt für kaltstellen und die anderen aufgezählten Fälle; schwerfallen, fernliegen, nahebringen sind ohne erkennbaren Zusammenhang hier untergebracht, und man fragt sich, für welche Reihe von Einzelfestlegungen sie beispielhaft stehen mögen.
Ein ganz neuer Gesichtspunkt kommt durch E5 hinzu: Obwohl es sich nach Eisenberg um Objektsprädikative handelt, die eigentlich getrennt geschrieben werden müßten, sollen (oder können?) totschießen usw. zusammengeschrieben werden.
„Diese Tendenz ergibt sich aus der Neigung zur Reihenbildung von tot, fest und voll.“
Wiederum fehlt die eigentliche Begründung, denn was hat Reihenbildung mit Zusammenschreibung zu tun?
Noch eine neue und sehr überraschende Wendung schließt sich an: Weil es sich um Rückbildungen aus Substantiven handele, sollen hochrechnen, (ein Wort) kleinschreibenimmer zusammengeschrieben werden (und Eisenberg schreibt auch selbst kleingeschrieben, obwohl sein Text sonst in nichtreformierter Schreibweise gehalten ist). Das ist jedoch ein sprachgeschichtlicher Gesichtspunkt, der dem gegenwärtigen Sprachteilhaber völlig fernliegt; die betreffenden Zusammenschreibungen müßten folglich als Ausnahmen allesamt auswendig gelernt werden. Rückbildung liegt auch nicht in allen genannten Fällen vor, bei kleinschreiben kann sie allenfalls nachträglich geltend gemacht werden, um die reformierte Zusammenschreibung zu rechtfertigen. Natürlich kannte der Duden bisher auch kein Verb neubilden; Belege düften nicht leicht zu finden sein, wenn man vom Partizip II absieht (neugebildet), das Eisenberg aber wohl nicht meinen kann.
„Im Satz Karl bläst Horn können an der Stelle von blasen andere Verben wie üben oder lernen auftreten. Zu Horn können ein Artikel und ein Attribut treten (Er bläst ein altes Horn), und im Nebensatz mit Endstellung des Verbs kann Horn vom Verb getrennt werden (weil er Horn gern bläst). Das zeigt, daß Horn sich hier weitgehend wie ein selbständiges Substantiv und nicht wie ein Bestandteil des Verbs verhält. Es wird groß und getrennt geschrieben. Ähnlich Klavier spielen, Auto fahren, Rad fahren, Radio hören, Pfeife rauchen.“
Das ist zwar richtig, doch darf nicht verschwiegen werden, daß es auch abweichende Eigenschaften gibt. Man kann z. B. nicht sagen: Horn suchen, Rad kaufen, Pfeife stopfen (?) usw. Solche Unterschiede wurden offenbar von der Sprachgemeinschaft für hinreichend befunden, schon sehr früh radfahren zusammenzuschreiben, vielleicht auch unter dem Eindruck von Substantivkomposita, also rückbildend. Dem geht Eisenberg nicht weiter nach. Bei maßhalten, das Eisenberg in die Reihe eislaufen, achtgeben usw. stellt, wäre zu bedenken, daß Maß durchaus mit Artikel und Attribut auftreten kann: das (rechte) Maß halten. Die Reform hat daher Getrenntschreibung festgelegt, was zwar nicht zu billigen ist, aber immerhin auf eine Problematik verweist, die nicht unterschlagen werden darf.
Eisenberg zählt noch einige Sonderfälle auf, die er aber nur teilweise begründen kann; warum man schlangestehen nicht schreiben darf, bleibt offen.
E7 behandelt die untrennbaren, z. T. defektiven Verben, die großenteils wirkliche Rückbildungen sind, was merkwürdigerweise nicht erwähnt wird. Eisenberg übergeht auch die Frage der Infinitivbildung mit zu, vgl. zu fotokopieren, aber nicht *zu sackhüpfen, *zu kunststopfen, sondern wohl eher kunstzustopfen usw.; vgl. auch das Partizip: kunstgestopft, punktgeschweißt (man spricht daher auch von Halbzusammensetzungen). (radschlagen ist offenbar ein Tippfehler; es kann sich hier nur um ratschlagen handeln).
„Getrennt- und Zusammenschreibung ist möglich. Bei den Verben bleiben und lassen als zweitem Bestandteil wird im allgemeinen getrennt geschrieben, z.B. weil sie auf der Brücke stehen bleibt; weil er den Teller fallen läßt. Bei abgeleiteter (‚übertragener‘) Gesamtbedeutung der beiden Verbformen wird häufig zusammengeschrieben (z.B. auf einem Lernniveau stehenbleiben, in der Schule sitzenbleiben, jemanden fallenlassen, sich gehenlassen).“
Hier gibt Eisenberg teilweise nur die bisherige Dudennorm wieder, nicht die Sprachwirklichkeit. Der Duden sah eine besondere Schreibweise wegen übertragenen Gebrauchs auch nicht einmal in allen genannten Fällen vor; bekannt ist vor allem der Fall sitzenbleiben ('nicht versetzt werden' und ähnliche Verwendungen). Gerade diese sprachferne Willkür hatte dem Duden viel Kritik eingetragen und Reformwünsche verstärkt. Eisenberg weitet die unbegründeten Ausnahmeregeln noch aus.
„Das Verb kennenlernen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung und kennen bezeichnet, anders als bei laufen lernen, nicht das, was jemand lernt. Die alternative Formulierung mit zu (entsprechend Er lernt zu laufen) gibt es nicht: Er lernt sie zu kennen ist nicht möglich. Das Verb spazierengehen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung. Wer spazierengeht muß nicht unbedingt spazieren und wer spazierenfährt spaziert auf keinen Fall.“
Es ist zwar richtig, daß kennenlernen und spazierengehen anders gebaut sind als laufen lernen usw., aber warum daraus strikte Zusammenschreibung folgt, ist nicht zu erkennen. Daß es sich jeweils um „ein Wort“ handele, ist eine petitio principii bzw. tautologisch, denn etwas anderes als die Zusammenschreibung selbst liegt nicht vor. Die einheitliche „Gesamtbedeutung“ gibt es auch bei zahllosen anderen Phraseologismen, ohne daß Zusammenschreibung einträte. Das Argument reicht nur aus, die Behauptung der Rechtschreibreformer zurückzuweisen, zwischen (neuschreiblichem) kennen lernen und schwimmen lernen bestehe kein Unterschied.
Fazit

Die Kultusminister und ihre Zwischenstaatliche Kommission haben den Eisenbergschen Kompromißvorschlag mehrmals als unzulänglich und indiskutabel zurückgewiesen. Leider muß man auch nach dieser weiteren Probe in einem zentralen Bereich der Rechtschreibung und ihrer Reform sagen, daß die Ablehnung durchaus berechtigt ist. Eisenbergs Text ist lückenhaft, widersprüchlich und unklar in seiner Zielsetzung. Er bringt eine weitere Neuschreibung hervor, die nur zu noch größerer Verwirrung Unsicherheit führen kann.



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Th. Ickler

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Theodor Ickler
13.10.2004 08.20
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Eisenbergs Kompromiß

Peter Eisenberg:

Getrennt- und Zusammenschreibung

(Entwurf für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 7.5.04)


0 Vorbemerkungen

Wortformen werden im laufenden Text durch Spatien (Leerstellen) getrennt. Schreibt jemand sehr alt, handelt es sich um zwei Wortformen, nämlich um ein Adverb gefolgt von einem Adjektiv. Schreibt er steinalt, handelt es sich um eine Wortform, nämlich um ein zusammengesetztes Adjektv. Im Zweifelsfall zeigt der Schreiber durch die Verwendung von Spatien an, was als eine Wortform und was als mehrere Wortformen verstanden werden soll.

Bei den Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung geht es in den meisten Fällen um die Frage, ob zwei Einheiten eine Wortform bilden oder nicht. Ob getrennt oder zusammengeschrieben wird, richtet sich danach, was jeweils gemeint ist und was den Regularitäten des Sprachbaus entspricht. Die Bedingungen dafür sind bei den einzelnen Wortarten unterschiedlich. Der Gesamtbereich läßt sich übersichtlich danach gliedern, ob das zweite der beiden Elemente verbal (Abschnitt 1), adjektivisch (Abschnitt 2), substantivisch (Abschnitt 3) oder einer anderen Kategorie zugehörig ist (Abschnitt 4).


1 Verb

Verben sind häufig aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt, die aber auch getrennt auftreten. In einem Satz wie Helga zieht einen Mantel an besteht die Verbform aus den getrennten Teilen zieht und an. Der Bestandteil an wird Verbpartikel genannt. In den Infinitiven (anziehen, anzuziehen), im Partizip I (anziehend), im Partizip II (angezogen) und bei End-stellung des Verbs im Nebensatz (wenn Helga einen Mantel anzieht) geht die Verbpartikel dem Rest der Verbform unmittelbar voraus und wird mit ihr zusammengeschrieben. In den übrigen Verwendungen wie im Aussagesatz (Beispiel oben) oder im Aufforderungssatz (Zieh einen Mantel an) ist die Verbpartikel vom Rest der Verbform getrennt und folgt ihm nach. Die Verbpartikel ist betont, sie trägt den Hauptakzent der gesamten Verbform.

Bei der typischen Verbpartikel ist die Getrennt- und Zusammenschreibung eindeutig geregelt, Schreibprobleme treten nicht auf. Es gibt jedoch eine Reihe von Einheiten, die den Verbpartikeln in vieler, aber nicht in jeder Hinsicht gleichen. Im Verb lahmlegen wird der adjektivische erste Bestandteil wie eine Verbpartikel behandelt, man schreibt lahmzulegen, lahmlegend, lahmgelegt und wenn der Smog den Verkehr lahmlegt. Andererseits gibt es keinen Grund, müde reden (wenn er die Studenten müde redet) zusammenzuschreiben. Die Einheiten sind nicht zu einem Wort geworden. Vergleichbare Fälle gibt es bei substantivischem ersten Bestandteil (kopfrechnen vs. Klavier spielen) und bei verbalem ersten Bestandteil (kennenlernen vs. baden gehen).

§ 34


Betroffen sind also Verbpartikeln, adjektivische, substantivische und verbale erste Bestandteile.


1. Verbpartikeln als erster Bestandteil

Typische Verbpartikeln sind Einheiten, die

1.1 formgleich sind mit Präpositionen; z.B. ab (abändern), an (angeben), auf (aufstellen), aus (ausgehen), bei (beisitzen), unter (untersetzen), zu (zurechnen)

E1 Der Unterschied zwischen einer Präposition und einer Verbpartikel ist im allgemeinen
sofort ersichtlich, z.B. auf der Brücke (Präposition auf) und Die Sonne geht auf
(Verbpartikel auf).

1.2 formgleich sind mit Adverbien; z.B. daneben (danebenlegen), dazu (dazulegen), herab (herabsteigen), herunter (herunterlaufen), runter (runterladen), weg (wegbringen), wieder (wiedersehen)

E2 Eine Reihe von Adverbien mit dem Bestandteil dar wirft das a beim Übergang zur Verbpartikel ab, z.b. darin > drin (drinsitzen), ähnlich dran (dranbleiben), drauf (draufhauen), drauflos (drauflosreden).

E3 Der Unterschied zwischen der Verbpartikel und dem Adverb wird daran deutlich, daß das Adverb vom Verb getrennt stehen kann, die Verbpartikel nicht. So fungiert dazu im Satz Sie hat dazu ein Glas Wein getrunken als Adverb, im Satz Er ist erst vor einem Monat dazugestoßen als Verbpartikel.

1.3 bei Verben nur als Verbpartikel vorkommen, d.h. nicht formgleich mit frei vorkommenden Wörtern sind; z.B. anheim (anheimfallen), fürlieb (fürliebnehmen), überhand (überhandnehmen), einher (einhergehen), überein (übereinkommen), dar (darstellen), entzwei (entzweibrechen), fehl (fehlgehen), feil (feilbieten), kund (kundgeben), ein (eingehen).


2. Adjektivischer erster Bestandteil

Hier sind drei Fälle zu unterscheiden.

2.1 Das Adjektiv wird getrennt vom Verb geschrieben. In einem Satz wie Karl streicht den Zaun grün bezeichnet das Adjektiv grün eine Eigenschaft, die das vom direkten Objekt (den Zaun) Bezeichnete durch die Verbalhandlung (streichen) erhält. Man spricht hier vom Objektsprädikativ. Weitere Beispiele: etwas klein schneiden, kurz mähen, glatt hobeln, blank putzen. Eine verwandte Form des Objektsprädikativs kommt mit Verben vor, die überwiegend oder ausschließlich reflexiv gebraucht werden; z.B. sich müde arbeiten, sich dick essen, sich blutig kratzen, sich wach trinken.

2.2 Sowohl Getrenntschreibung als auch Zusammenschreibung ist möglich. In einem Satz

wie Helga ißt den Teller leer ist den Teller nicht direktes Objekt zu essen (Helga ißt
nicht den Teller), sondern zur Verbindung aus leer und essen. Hier sind die
Schreibungen leer essen und leeressen möglich. Ähnlich voll gießen/vollgießen, fest
nageln/festnageln. In zahlreichen Fällen wird die Zusammenschreibung vor allem bei
einer abgeleiteten Gesamtbedeutung verwendet, z.B. etwas fest nageln vs. jemanden
festnageln.
Im Satz Karl stellt seinen Chef zufrieden bezeichnet stellen nicht die Verbalhandlung,
die zur Zufriedenheit führt, vielmehr wird diese von der Verbindung aus zufrieden und
stellen bezeichnet. Es sind die Schreibungen zufrieden stellen und zufriedenstellen
möglich. Ähnlich kaputtmachen/kaputt machen, übriglassen/übrig lassen.
Im Satz Helga lacht sich krank bezeichnet krank nicht die Eigenschaft, zu der die
Verbalhandlung lachen führt, vielmehr wird sie von der Verbindung aus krank und
gelacht bezeichnet. Es sind die Schreibungen sich krank lachen und sich kranklachen
möglich. Ähnlich sich schwarz ärgern/sich schwarzärgern, sich tot freuen/sich
totfreuen, jemanden voll quatschen/vollquatschen.

2.3 Es wird zusammengeschrieben. Im Satz Der Doktor schreibt den Prüfling krank bezeichnet nicht schreiben, sondern krankschreiben die Verbalhandlung des Doktors, und es bezeichnet nicht krank, sondern krankgeschrieben die Eigenschaft des Prüflings. Man schreibt krankschreiben. Ähnlich etwas feststellen, jemanden freisprechen, jemanden fertigmachen, jemanden kaltstellen sowie Verben ohne direktes Objekt wie schwerfallen, fernliegen, nahebringen.

E4 Zusammenschreibung ist generell auf einfache Adjektivstämme beschränkt.
Möglich ist beispielsweise etwas vollgießen, aber nicht etwas randvollgießen. Wörter
mit komplexen Adjektivstämmen wie zufriedenstellen, heiligsprechen, fertigmachen,
übriglassen sind stark idiomatisiert oder der Adjektivstamm ist gar nicht mehr
zerlegbar (z.B. zufrieden, fertig). Sie verhalten sich deshalb wie einfache Stämme.

E5 Die in 2.1 bis 2.3 unterschiedenen Typen stellen den Normalfall für die
Schreibung dar. Eine über 2.1 hinausgehende Tendenz zur Zusammenschreibung
haben wir etwa in den Hasen totschießen, die Schraube festdrehen und das Paket
vollpacken. Diese Tendenz ergibt sich aus der Neigung zur Reihenbildung von tot, fest
und voll.
Wörter wie hochrechnen, hochstapeln, gutschreiben, neubilden und (ein Wort)
kleinschreiben gehören eigentlich zu 2.2. Sie werden trotzdem stets
zusammengeschrieben, weil sie aus Substantiven wie Hochrechnung, Hochstapler, Gutschrift, Neubildung und Kleinschreibung rückgebildet sind.
Generell läßt sich also feststellen, daß es in dem gesamten Bereich eher Tendenzen zur
Zusammen- als zur Getrenntschreibung gibt.


3. Substantivischer erster Bestandteil

Hier sind zwei Fälle zu unterscheiden.

3.1 Das Substantiv wird getrennt vom Verb geschrieben. Im Satz Karl bläst Horn können an der Stelle von blasen andere Verben wie üben oder lernen auftreten. Zu Horn können ein Artikel und ein Attribut treten (Er bläst ein altes Horn), und im Nebensatz mit Endstellung des Verbs kann Horn vom Verb getrennt werden (weil er Horn gern bläst). Das zeigt, daß Horn sich hier weitgehend wie ein selbständiges Substantiv und nicht wie ein Bestandteil des Verbs verhält. Es wird groß und getrennt geschrieben. Ähnlich Klavier spielen, Auto fahren, Rad fahren, Radio hören, Pfeife rauchen.

3.2 Es wird zusammengeschrieben. In einem Satz wie Helga läuft eis hat eis nicht die Eigenschaften eines Substantivs und ist nicht direktes Objekt zu laufen. Insbesondere kann eis nicht mit Artikel und Attribut stehen, Sätze wie Helga läuft ein festes Eis sind nicht möglich. Auch die Trennung vom Verb wie in weil Helga eis gern läuft ist nicht möglich. Das zeigt, daß eis hier nicht ein selbständiges Substantiv, sondern Bestandteil der Verbform ist. In den Infinitiven (eislaufen, eiszulaufen), im Partizip I (eislaufend), Partizip II (eisgelaufen) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga gern eisläuft) wird zusammengeschrieben. Ist eis vom Rest der Verbform getrennt, wird es kleingeschrieben, etwa im Aussagesatz (Beispiel oben) und im Fragesatz mit Erststellung des Verbs (Läuft Helga eis?). Ähnlich wie eislaufen verhalten sich achtgeben, brustschwimmen, haltmachen, maßhalten, notlanden, teilnehmen.

E6 In vielen Fällen spielen andere Eigenschaften wie das Gewicht des ersten Bestandteils
eine Rolle. So wird etwa ein langer und in diesem Sinn gewichtiger substantivischer
Bestandteil gelegentlich von der Verbform abgetrennt. Es folgt dann auch die Großschreibung, z.B. Sie ist Schlittschuh gelaufen oder Er hat Schlange gestanden.

E7 Es gibt zahlreiche Verben mit substantivischem Bestandteil, der nicht vom Verb trennbar ist. Beispielsweise kann vom Verb bausparen niemals Sie spart
bau gebildet werden. Die Frage nach der Getrenntschreibung Bau sparen oder bau
sparen stellt sich deshalb nicht. Es wird immer zusammengeschrieben. Ähnlich
bergsteigen, ehebrechen. Viele solcher Wörter entstehen in speziellen Sprachvarietäten wie der gesprochenen Sprache, der Werbesprache, der Jugendsprache oder in Fachsprachen, z.B. bauchlanden, bauchreden, bruchlanden, eierlaufen, fotokopieren, kunststopfen, punktschweißen, radschlagen, sackhüpfen.

E8 Die in 3.2 charakterisierte Konstruktion darf nicht mit der Konstruktion von
Partei ergreifen verwechselt werden. Hier ist Partei Substantiv und fungiert als
direktes Objekt. Möglich ist beispielsweise Sie ergreift seine Partei oder weil er die Partei des Verlierers ergreift. Ähnlich Kritik üben, Rücksicht nehmen, Ersatz leisten,
Farbe bekennen.


4. Verbaler erster Bestandteil

Im Vergleich zu den bisher besprochenen sind Ausdrücke mit verbalem ersten Bestandteil selten. Bezüglich Getrennt- und Zusammenschreibung sind drei Fälle zu unterscheiden.

4.1 Das erste Verb wird getrennt vom zweiten geschrieben. In einem Satz wie Helga lernt
laufen bezeichnet laufen das, was Helga lernt. Möglich ist auch der Satz Helga lernt zu
laufen. Laufen bzw. zu laufen ist eine selbständige Verbform und wird auch in den
Infinitiven (laufen lernen, laufen zu lernen), im Partizip I (laufen lernend), Partizip II
(laufen gelernt) und bei Endstellung des Verbs im Nebensatz (weil Helga laufen lernt)
getrennt geschrieben. Ähnlich schwimmen üben, sprechen lehren, baden gehen.

4.2 Getrennt- und Zusammenschreibung ist möglich. Bei den Verben bleiben und lassen
als zweitem Bestandteil wird im allgemeinen getrennt geschrieben, z.B. weil sie auf
der Brücke stehen bleibt; weil er den Teller fallen läßt. Bei abgeleiteter
(‚übertragener‘) Gesamtbedeutung der beiden Verbformen wird häufig
zusammengeschrieben (z.B. auf einem Lernniveau stehenbleiben, in der Schule
sitzenbleiben, jemanden fallenlassen, sich gehenlassen).

4.3 Es wird zusammengeschrieben. Das Verb kennenlernen ist ein Wort und wird
zusammengeschrieben. Es gibt nur eine Gesamtbedeutung und kennen bezeichnet,
anders als bei laufen lernen, nicht das, was jemand lernt. Die alternative Formulierung
mit zu (entsprechend Er lernt zu laufen) gibt es nicht: Er lernt sie zu kennen ist nicht
möglich. Das Verb spazierengehen ist ein Wort und wird zusammengeschrieben. Es
gibt nur eine Gesamtbedeutung. Wer spazierengeht muß nicht unbedingt spazieren und
wer spazierenfährt spaziert auf keinen Fall.

E9 In einer Reihe von Fällen ist nicht ohne weiteres klar, welcher Kategorie der erste
Bestandteil angehört. Die Schreibung ist hier Fall für Fall geregelt; z.B. pleite gehen,
not tun, leid tun, recht haben. Das Verb erscheint in solchen Ausdrücken nicht in
seiner Grundbedeutung.



2 Adjektiv

3 Substantiv

4 Andere Wortarten



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Th. Ickler

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