Widerstand gegen staatliche Anmaßung
Widerstand gegen staatliche Anmaßung
Das Zustandekommen der sogenannten Rechtschreibreform nennt der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler einen Schildbürgerstreich. Es bestand nämlich überhaupt keine Notwendigkeit, so massiv in die gewachsene Rechtschreibung einzugreifen. Vor der Reform folgten notwendige Anpassungen behutsam dem allgemeinen Sprach- und Schreibgebrauch. Doch die Mannheimer Kommission, die sich den Reformschwachsinn ausgedacht hat, schlug mit der Axt in ein natürlich gewachsenes, kunstvolles System und verletzte es schwer. Jetzt weiter daran herumzudoktern, wird die Wunden nicht heilen. Wir brauchen eine Wiederherstellung der gesunden bisherigen Schreibung.
Das wird immer deutlicher erkannt und überzeugend eingefordert von verantwortungsbewußten Redakteuren, Verlagen und Zeitungen. Jüngstes Hoffnungszeichen ist die Literaturnobelpreisträgerin dieses Jahres, Elfriede Jelinek. Mit sehr deutlichen Worten, lehnte sie kürzlich (FAZ v. 22.10.04) ausdrücklich die Reform als „überflüssig und mißlungen“ ab und forderte ihre Schriftstellerkollegen auf, die von den Kultusministern angebotene Mitarbeit am Reformwerk zu verweigern. Die Schriftstellerin entlarvt das kompromittierende Angebot der Minister:: „Sie wollen die Kritiker der Rechtschreibreform, also uns (die Schriftsteller) einwickeln, indem sie uns Sitz und Stimme geben... Die deutsche Sprache hatte keine Rechtschreibreform nötig, schon gar nicht diese vollständig mißlungene... Wir dürfen uns an dieser bürokratischen Anmaßung nicht beteiligen.“ Soweit die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Der Bitte an ihre Kollegen, sich nicht als Feigenblatt staatlicher Rechtschreibdiktatur mißbrauchen zu lassen, werden diese gern nachkommen, denn bekanntlich distanzieren sich fast alle bedeutenden Schriftsteller vom Neuschrieb.
Die Kultusminister haben sich mit dieser Reform bis auf die Knochen blamiert und versuchen, sich durch einen Kompromiß aus der Affäre zu ziehen, um ihr Gesicht zu wahren. Sie dürfen natürlich nicht zugeben, daß sie inkompetenten Reformern aufgesessen sind und ungeprüft dieses unglaublich dumme Machwerk den Schülern aufs Auge gedrückt haben. Was falsch ist bleibt falsch, darüber kann man nicht abstimmen! Das haben die vier „Nachbesserungen“ der Kommission bewiesen. Dazu ein Beispiel: Bisher schrieb man alle unbestimmten Zahlwörter klein: alle, etliche, sämtliche, mehrere, wenige, die wenigen, die wenigsten, einige, zahllose, zahlreiche, ungezählte, viele, manche, einzelne, verschiedene, unzählige, die meisten, die übrigen. Alles klein! Genial einfach! Das gefiel den Reformern nicht, und sie verordneten die Großschreibung von 5 Wörtern aus obiger Aufstellung, nämlich „Verschiedene, Einzelne, Unzählige, die Übrigen, die Meisten“. Warum gerade diese? Angeblich würden Schüler nun weniger Fehler machen. Jüngste Untersuchungen in Leipzig beweisen das Gegenteil. Wie soll man denn auch Schülern einen derart inkonsequenten Quatsch erklären? Es wird hohe Zeit, daß endlich auch die Lehrer und ihre Verbände aus der Deckung gehen, oder leben wir in einem Obrigkeitsstaat?
Die Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer plädiert dafür, sich vor den Schülern zu entschuldigen und verlangt eine vollständige Rücknahme der Reform, die zudem undemokratisch zustande gekommen sei, da sie nicht ein einziges parlamentarisches Gremium durchlaufen habe. Widerstand gegen staatliche Anmaßung ist angesagt. Gehört denn die Sprache vernagelten Politikern?
Hans-J. Richter
95505 Immenreuth
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