Achtung, Sprachwandel:
Weib, Dirne, Neger
Von Bettina Steiner (Die Presse)
Früher war Maria „gebenedeit unter den Weibern“ und das Rotkäppchen der Brüder Grimm war eine kleine, süße Dirne. Und früher sagte man auch „Neger“. Über Sprachwandel und unsere Schwierigkeit mit ihm.
... „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, schrieb Wittgenstein. Eine Sprache, die nur von einem einzelnen Menschen gesprochen wird, verfehlt ihren Zweck …
Böse Anglizismen?
… Sprache ist Heimat. Es ist die Heimat unserer Kindheit und Jugend.
Vor allem Anglizismen sind manchem ein Dorn im Auge, wobei oft übersehen wird, dass englische Begriffe die deutschen nicht unbedingt verdrängen, sondern ergänzen – das Mail bezeichnet die elektronische Post, nicht die papierene, das Game das Computerspiel …
Die neuen Wörter, ob geliebt oder ungeliebt, sind eine wichtige Kraft des Sprachwandels – aber nicht die einzige: Wörter verändern ihre Bedeutung, oft sogar radikal. Im Althochdeutschen bezeichnete „thiorna“ die Jungfrau. „Es war einmal eine kleine, süße Dirne“, schrieben die Brüder Grimm. Später verstand man – Dialekte ausgenommen – unter Dirne eine Prostituierte (wobei diese Bedeutung vom Aussterben bedroht zu sein scheint – „Nutte“ und die „Hure“ haben ihr den Rang abgelaufen). Ähnliches passierte dem „Weib“. Das Althochdeutsche versteht unter „wib“ die Ehefrau ganz generell, später nur mehr die Frau aus einer niederen Schicht. Die Bezeichnung „frouwe“ war dem Adel vorbehalten. Aber wie es so ist: Der Mensch schmeichelt gern – immer häufiger wurden Weiber als Frauen angesprochen, weshalb ein neuer Begriff nötig war, um den hohen Rang zu betonen: Die Dame war geboren. Die Frau wurde die Norm, das Wib vulgär. Wie auch bei der „Dirn“ bewahrten übrigens die Dialekte die ursprüngliche Bedeutung: „A nett's Dirndl“ ist in Tirol immer noch ein nettes Mädchen, „a guats Wib“ in Vorarlberg eine tolle Frau.
Als weiteres Beispiel für Pejorisierung, also Abwertung, wird gern das Wort „Neger“ angeführt. Es hat seine Wurzeln im Lateinischen und hätte ursprünglich nichts weiter bedeutetet als: schwarz. Heißt es. Aber war diese Bezeichnung tatsächlich neutral? Der Begriff kam im 16. Jahrhundert im Zuge des Sklavenhandels in Portugal und Spanien („negro“) auf. Es war die Bezeichnung für eine Ware. Und wo man nicht den Sklave meinte, meinte man ein Volk, über das man sich erhob. Der Brockhaus von 1839 definiert den „Charakter des Negers“ als eine Mischung von „Regsamkeit und Schlaffheit“. Afrikanische Musik sei „roher Lärm“, der Glaube „gröbster Aberglaube“.
Die Geschichte des Begriffs ist also von der Geschichte des Sklavenhandels, des Kolonialismus nicht zu trennen. Die Denunzierung des Wortes „Neger“ geht einher mit dem Zurückdrängen des Rassismus in den USA. Martin Luther King hat seine berühmten Worte „I have a dream“ 1963 formuliert: In der Folge setzten sich die Bezeichnungen „Schwarze“ oder „Afroamerikaner“ durch. Sprache wandelt sich auch hier nicht willkürlich – sie spiegelt gesellschaftliche Prozesse wider.
Doch Wandel braucht oft Zeit: Menschen beharren gern darauf, so sprechen zu dürfen, wie sie es in der Kindheit und Jugend getan haben – und Kinderbücher, die man damals geliebt hat, sieht man ebenfalls ungern verändert. Das hat mit Nostalgie zu tun. Ein anderer Bremsfaktor des Wandels zeigte sich etwa bei den Debatten um die Rechtschreibreform: Man ist in seiner Sprache nicht nur heimisch, man beherrscht sie auch, man weiß um lateinische oder griechische Wurzeln, weiß um Ableitungen. Dieses Wissen soll nicht verloren gehen. Je gebildeter, desto skeptischer scheinen Menschen gegenüber sprachlichen Veränderungen zu sein.
„Dieses Weib“ – das klingt rüde
Bis sich eine neue Bedeutung, bis sich ein neues Wort durchgesetzt hat, dauert es. Aber irgendwann ist es so weit: Keiner würde eine anwesende Frau heute rüde als „dieses Weib“ bezeichnen, sogar Maria im Rosenkranz ist längst „gebenedeit unter den Frauen“. Und wenn man die Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen liest, wird man immer häufiger feststellen: Aus Rotkäppchen, der süßen Dirne, ist ohne großes Aufsehen ein „Mädchen“ geworden.
(Die Presse, Print-Ausgabe, 25.01.2013)
diepresse.com 25.1.2013
Alte Texte sollten nicht verändert werden, damit die Bedeutungsbreite ihrer Wörter erhalten bleibt. „Süßes Mädchen“ klingt fade neben „süße Dirne“, wo – jedenfalls im Norddeutschen – auf Platt „soite Deern“ noch allgegenwärtig ist.
Mit Neger „…meinte man ein Volk, über das man sich erhob“. Welch ein Unsinn: 1500 Jahre lang meinte man auch mit „Juden“ ein Volk, über das man sich erhob. Dennoch hat man das Wort nicht aus dem Verkehr gezogen.
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