Landtagswahl 2017 in SH :
Studie zeigt: Wahlprogramme sind fast so kompliziert wie Doktorarbeiten
Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, Flipped-Classroom-Angebote oder Greening-Programme – bei den Wahlprogrammen zur Landtagswahl tauchen einige Fragezeichen auf.
Kiel | Politik erscheint vielen Menschen unverständlich. Wahlprogramme sind dazu da, um den Wählern die Positionen der Parteien zu erklären. Um später die richtige Wahlentscheidung zu treffen, müssen die Bürger die Positionen aber überhaupt verstehen. Dass das leider nicht immer der Fall ist, zeigt eine gemeinsame Untersuchung der Kieler Werbeagentur New Communication und der Universität Hohenheim.
Wahlbenachrichtigungen wurden 2017 erstmals in „leichter Sprache“ verschickt. Sie soll auch Menschen mit Lese- oder Lernschwäche Texte verständlich machen. Bei den Wahlprogrammen haben die Parteien darauf aber keineswegs geachtet.
„Die Programme sind oft umständlicher geschrieben als notwendig“, sagt Jana Witt, Sprecherin von New Communication. Die Werbetexter und Wissenschaftlicher haben mit Hilfe der Verständlichkeitssoftware „TextLab“ die Wahlprogramme der Parteien analysiert. Berücksichtigt wurden alle Parteien, die entweder im Deutschen Bundestag oder in mindestens drei Landtagen vertreten sind. „Die Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie eine Vielzahl von Verständlichkeitsparametern – zum Beispiel Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze oder den Anteil abstrakter Wörter“, erklärt Witt. Aus diesen Werten setze sich der „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ zusammen. Er reicht von 0 (überhaupt nicht verständlich) bis 20 (maximal verständlich).
Das Ergebnis: [Schaubild]
Die SPD schneidet am besten ab. Auf einer Skala von 0 bis 20 liegt die SPD bei elf Punkten auf dem Verständlichkeitsindex. Die FDP liegt mit 6,2 Punkten auf dem letzten Platz der untersuchten Parteien in Schleswig-Holstein. Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3. Politik-Beiträge überregionaler Zeitungen wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt oder der Süddeutschen Zeitung kommen auf Werte zwischen 11 und 14, die der „Bild-Zeitung“ haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 16,8.
Im Vergleich zur letzten Landtagswahl haben sich die Parteien allerdings verbessert. 2017 liegt der durchschnittliche Verständlichkeitsindex in Schleswig-Holstein bei 8,2 Punkten – vor fünf Jahren waren es nur 7,8 Punkte. Die damaligen Ergebnisse im Detail gibt es hier. Verglichen mit anderen Landtagswahlen der letzten Jahre liegt Schleswig-Holstein im Mittelfeld.
Bei der Verständlichkeit der Wahlprogramme sehen Werbetexter und Wissenschaftler aber noch deutlich Luft nach oben. Die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln: Fremdwörter und Fachwörter, Wortkomposita und Nominalisierungen, Anglizismen und „Denglisch“, lange „Monster- und Bandwurmsätze“. „In diesen Bereichen gibt es noch Luft nach oben“, meint Jana Witt.
Ausgewählte Beispiele für Wortkomposita:
• Geschwindigkeitsüberwachungseinrichtung (Piraten)
• Landesgesundheitsberichterstattung (Linke)
• Kappungsgrenzenverordnung (CDU)
• Unterrichtsdifferenzierung (FDP)
• Unterstützerunterschrift (AfD)
• Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SPD)
• Existenzgründerinneninitiativen (Grüne)
Alle Parteien verwenden „denglische“ (deutsch-englische) Begriffe. Viele davon ließen sich vermeiden, meint Witt.
Beispiele für Anglizismen:
• Sozialtickets (Linke)
• No-Bail-out-Klausel (AfD)
• Human-Biomonitoring (SPD)
• e-Government (FDP)
• openHAB (Piraten)
• Flipped-Classroom-Angebote (Grüne)
• Greening-Programme (CDU)
Begrifflich stehen die „Menschen“ in „Schleswig-Holstein“ im Mittelpunkt der Programme. Für AfD, Linke und FDP kommen gleich danach: sie selbst. Die restlichen Parteien nennen ihre Namen vergleichsweise selten. Das Thema Bildung ist offensichtlich einer der Schwerpunkte bei der Wahl. „Schulen“ sind in allen Wortwolken relativ gut erkennbar.
[„Wortwolken“] [...]
• Die Grünen kommen nicht auf den Punkt. Ihr Programm ist das längste: 94 Seiten und etwa 34.000 Wörter. Die AfD fasst sich am kürzesten und liefert 56 Seiten Wahlprogramm mit rund 18.000 Wörtern.
shz.de 1.5.2017
Anmerkung zu:
„Das Thema Bildung ist offensichtlich einer der Schwerpunkte bei der Wahl.“
Zur Zeit meines Abiturs 1959 waren die deutschen Schulen in einem Bestzustand. Es fehlte lediglich noch eine etwas bessere räumliche und finanzielle Ausstattung. Aber die Parteien und Bildungsgewerkschaften hatten erkannt: Die Schulen sind das einzige, auf das sie ungehinderten Zugriff haben – an denen sie ihre Besserwissereien, Ideologien und Obsessionen ausprobieren und in Szene setzen können.
Fast jede „Reform“ brachte Verwirrung und Rückschritt mit sich. Das letzte große Kulturschurkenstück war die Rechtschreib„reform“, die in Schleswig-Holstein auch noch durch die im Parlament befindlichen Altparteien einstimmig gegen den bestehenden Volksentscheid in die Schulen und (mit Hilfe der beflissenen Presse) ins Volk gepreßt wurde. Dies war zugleich ein Tiefpunkt der deutschen Demokratie. Die verantwortlichen Parteien, vor allem SPD, CDU, FDP und GRÜNE, hätten schon vor 17 Jahren zum Teufel gejagt werden müssen.
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