Wann fällt der Groschen bei den deutschen Verlagen?
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,221022,00.html
Interview mit Doris Lessing: Die Buchhalter herrschen
Doris Lessing, 83, in London lebende Schriftstellerin (Das goldene Notizbuch, 1962), über den Qualitätsverfall bei der Herstellung von Büchern.
SPIEGEL: Ms Lessing, Sie beklagen in der Londoner Times, dass die Qualitätsstandards bei der Produktion von Büchern verfallen.
Lessing: Ich beobachte seit Jahren, dass sich die Fehler in Büchern immer mehr häufen, und dies ist, fürchte ich, nicht nur ein britisches, sondern ein internationales Phänomen.
SPIEGEL: Warum wird mittlerweile oft so schlampig produziert?
Lessing: Im britischen Verlagswesen gab es die Institution der Copy Editors: sehr effiziente, hochgebildete Menschen, die in den Manuskripten zielsicher jede Wortwiederholung und andere stilistische Mängel aufspürten oder auch anmerkten, wenn die Konstruktion unlogisch war. Sie haben jedes Manuskript Wort für Wort durchgearbeitet.
SPIEGEL: Sie nennen diese Art von Lektoren Drachen.
Lessing: Sie treten meist sehr bestimmt auf. Das Problem ist, dass sie bei immer mehr Verlagen verschwinden. Gerade gestern schaute ich mir eine Neuerscheinung an: ein wunderbares Cover, sehr schöner Druck aber voller Fehler. Auch in meinem letzten, vor einem Jahr erschienenen Roman The Sweetest Dream sind ein paar kleinere Fehler drin; zum Beispiel eine ärgerliche Wortwiederholung.
SPIEGEL: Bekommt nicht einmal Doris Lessing mehr einen Copy Editor?
Lessing: Ich hatte einen, aber einen schlechten.
SPIEGEL: Wen machen Sie für den Qualitätsverfall verantwortlich?
Lessing: Seit die großen Konzerne und Verlagsgruppen das Buchgeschäft dominieren, herrschen die Buchhalter. Für sie geht es vor allem darum, die Kosten zu senken, und sie sehen die Copy Editors als nicht unbedingt notwendig an. Also werden sie abgeschafft, oder es werden billige, aber schlechte angeheuert.
SPIEGEL: Sollten die Leser sich zu einer Protestbewegung zusammenrotten?
Lessing: Warum nicht? Ich befürchte allerdings, dass die heutigen Leser die hohen Standards, die früher einmal üblich waren, gar nicht mehr kennen. Sie haben sich an Fehler in Büchern gewöhnt.
..........
Die Branchenzeitschrift BUCHMARKT hat zu Doris Lessings Äußerung Ich beobachte seit Jahren, dass sich die Fehler in Büchern immer mehr häufen ... eine Meinungsumfrage auf ihrer Homepage (www.buchmarkt.de) gestartet. Ergebnis der Kollegen von der Branche bisher:
- trifft nicht zu: 7,8 %
- trifft teilweise zu: 34,3 %
- trifft 100 % zu: 57,9 %
An den Gedanken, dies könne u.a. auch mit der Rechtschreibreform zu tun haben, scheint sich keiner heranzuwagen. Nun ja, wenn andere Länder dieses Problem auch haben ...
Ich persönlich wage die Vermutung, daß Doris Lessing keine Ahnung hat, wie übel es im deutschen Schriftwesen in dieser Hinsicht inzwischen aussieht, und wir uns hier glücklich preisen könnten, hätten wir nur die Probleme der Engländer. Es stimmt ja, auch ohne Reform lag es, was Lektorats- und Orthographiequalität anlangt, bei unseren Verlagserzeugnissen weiß Gott im Argen.
__________________
Walter Lachenmann
|