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Theodor Ickler
05.11.2003 18.18
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Wirklich?

Unflektierte Adjektive haben vor Substantiven eigentlich nichts zu suchen und werden gemieden oder eben doch gebeugt: „das rosane Kleid“ usw.
Das Wort „klasse“ kann nicht das Vorbild gewesen sein, denn anders als die anderen Beispielwörter wurde es zunächst prädikativ gebraucht: „Das ist Klasse.“ Daraus ergab sich der verständliche Wunsch, es auch in die attributive Stellung zu transportieren. Ähnlich geht es von „der Knopf ist ab“ zu „der abbe Knopf“.
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Th. Ickler

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ghest
05.11.2003 16.54
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Neue flexionslose Adjektive aus Substantiven

Gefunden in der Süddeutschen Zeitung v. 5.11.03, Feuilleton:
„Riesen Pleite“, mit „riesen“ als attributivem Adjektiv.
Der erste Schritt ist die Betonung auf dem Grundwort, weil das substantivische Erstglied die Bedeutung eines Adjektivs angenommen hat:
Das Substantiv „Klasse-" in Adjektiv „klasse“ hat es vorgemacht, und diesen Weg werden als nächste gehen:
„Hammer-" in „hammer“,
„Riesen-" in „riesen“,
„Bomben-" in „bomben“,
„Heiden-" in „heiden“,
„Höllen-" in „höllen“,
„Mords-" in „mords“,
„Affen-" in „affen“,
„Bullen-" in „bullen“,
„Hunde-" in „hunde“,
„Sau-" in „sau“.
Diese Wortbildungen sind erfolgreich, weil die bereits existierenden Adjektive „klassisch, hammermäßig, riesig, bombig, heidnisch, höllisch, mordsmäßig, affenmäßig, bullig, hündisch, saumäßig“ etwas anderes bedeuten.

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ghest
04.11.2003 13.52
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Konversion oder Nullableitung oder Wortartwechsel

scheint ein Kapitel zu sein, das die Reformer bei ihrer vermehrten Großschreibung nicht richtig verstanden zu haben scheinen.
Es gibt sie nicht nur zur Bildung von Substantiven aus Adjektiven und Infinitiven, sondern auch zur Bildung anderer Wortarten. Die Bezeichnung 'verblaßte Substantive' ist unzureichend.

Wortbildung des Adjektivs
Desubstantivische Konversion:
Eher ein Substantiv liegt als motivierende Basis zugrunde in Fällen wie: angst, ernst, feind, fremd, klasse, schmuck, schuld, not. Die meisten dieser Adjektive werden allerdings nicht attributiv gebraucht. Bei Fremdwörtern ist aber auch dies möglich: barock, revolutionär u.a.
Departizipiale Konversion:
Die departizipiale Konversion wird zur Bereicherung des adjektivischen Wortschatzes stark genutzt. Dabei kann der adjektivische Gebrauch sich vom verbalen weiter syntaktisch unterscheiden: ergriffenes Schweigen, gelernter Dreher, verschwiegener Mensch, eingebildete Person.

Wortbildung des Adverbs
Desubstantivische Konversion:
Die desubstantivische Konversion betrifft vor allem einige Zeitangaben, die aufgrund ihrer syntaktischen Funktion adverbialisiert werden: abend, mittag, vor-, nachmittag, nacht (in Fügungen wie heute abend usw.)
Konversion von Wortgruppen:
jedesmal, unterderhand, hierzulande, dessenungeachtet usw.

Zusammengeklaubt aus: Fleischer/Barz

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Detlef Lindenthal
03.11.2003 16.26
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hammer, klasse, original

>Wäre „riesen“ nicht eher ein Adjektiv? <

Er hat sich hammer abgepackt. (Er ist mit dem Fahrrad gestürzt.)
Er hat eine klasse Arbeit abgeliefert: eine original Schwarzwälder Kuckucksuhr.
Aber: Ernst Mosch und seine Original Egerländer Musikanten. (Eigenname)

Wörter können ihre Wortart wechseln und damit ihre Groß/klein-Schreibung.
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Detlef Lindenthal

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Theodor Ickler
03.11.2003 15.59
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Mündlichkeit

Sehr richtig! Früher war der auswendig gelernte Text die angemessene Fassung für dauerhafte oder gar ewige Wahrheiten. Homer war jahrhundertelang Bildungskanon und Vorbild für griechische Menschen, und viele kannten den Text auswendig, alle lernten später daran lesen. (Aus der Erklärung der veralteten Wörter usw. entstand die Philologie.)

Lehrtexte wurden auch metrisch gefaßt (Hesiod, Lukrez, Bhartrhari und tausend andere), was die Lernbarkeit erhöhte.

Heute glauben wir nicht mehr an ewige Wahrheiten, wissenschaftliche Texte werden alsbald überholt. Warum sollte man sie auswendig lernen? Dichtung hat nur noch marginale Bedeutung. Nur Musik lernen wir noch auswendig, nicht wahr?
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Th. Ickler

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guest
03.11.2003 09.22
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Wäre ''riesen'' nicht eher ein Adjektiv?
Warum benutzt man nicht das Wort riesig?

Auch die Kelten haben bzw. hatten eine mündliche
Tradition.

Wer würde sich heute die Mühe machen, ein
ganzes Buch auswendigzulernen? Welches heutige Buch
wäre es wert, es auswendigzulernen?

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Theodor Ickler
03.11.2003 07.04
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Schrift, Betonung

Die eindrucksvollste mündliche Kultur hat wohl Indien, wo es auch heute noch viele Menschen gibt, die ungeheure Textmassen auswendig können. Als ich Lektor in Delhi war, lernten manche Studenten die Bücher auswendig, weil sie kein Geld hatten, sie zu kaufen. Die Veden werden mündlich überliefert und sind daher arm an Varianten, während es nicht möglich ist, auch nur eine Seite abzuschreiben, ohne Fehler zu machen.

Zur Betonung: Die Beispiele für das präfixähnliche Riesen- usw. sind richtig. Man vergleiche auch STEINreich und steinREICH (am ehesten mit gleicher Betonung auf beiden Teilen). Semantisch völlig verschiedene Modelle, daher die Betonungsunterschiede.

Interessant sind auch metrische Gründe. So betonen wir „Arbeit“ auf der ersten Silbe, aber in „Handarbeit“ werden die erste und ein wenig auch die letzte Silbe betont. Vgl. auch „Spülmittel“ ud „Geschirrspülmittel“, mit einem Nebenakzent auf "-mittel“.
__________________
Th. Ickler

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ghest
02.11.2003 18.21
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Beispiele für Betonung auf dem Grundwort

'Riese(n)-' mit Status eines Präfixes und der Bedeutung von riesig, aber eben nichts mit Riesen als Lebewesen:
Riesengeist, Riesenfortschritte, Riesenfreude, Riesenskandal, Riesenaktenstapel, Riesenblumenbeet, Riesenneuigkeit, Riesenbahnhof, Riesenmaschine, Riesenschlepper, Riesengeldschein mit Zwergenkaufkraft;

Bomben-, Heiden-, Höllen-, Mords-, Affen-, Bullen-, Hunde-, Sau-:
Bombenerfolg, Bombengehalt, Bombengeschäft, Bombenreklame, Bombenrolle; (nichts mit Bomben als Kriegswaffe)
Heidenangst, Heidenkrach; (nichts mit Heiden als Ungetaufte)
Höllendurst, Höllentempo, Höllenlärm; (nichts mit der Hölle)
Bullenhitze; (nichts mit Zuchtbullen)
Hundekälte; (nichts mit kalten Hunden)
Saukälte; Sauwut; (nichts mit Schweinevieh)

(Gefunden in: Fleischer/Barz, Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache)

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Stephan Fleischhauer
02.11.2003 16.44
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Ich will mich in diese Diskussion nicht weiter einmischen; mir fällt nur gerade ein Beispiel für eine Reihe oft falsch betonter Komposita ein: Riesenunternehmung, Riesenbetrag usw.(nicht jedoch Riesenrad), Riesen- also in spontanen Bildungen. Vielleicht wird die Rechtschreibung hier einmal nachgeben.

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ghest
01.11.2003 17.50
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Kultur ohne Bücher

Daß eine Hochkultur auch ohne schriftliche Fixierung existieren kann, haben die Griechen bewiesen. In Joachim Latacz Buch: 'Homer, der erste Dichter des Abendlands' wird beschrieben, daß lange vor der Übernahme des Alphabets bereits eine vollendete mündliche Dichtkunst existierte und daß die Heldenepen Homers sprachlich-metrisch, formal und inhaltlich eine jahrhundertealte Gattungs-Vorgeschichte haben und daß die sprachliche Nähe mancher Wendungen und Vorstellungsformulierungen zu Dichtung in anderen indogermanischen Einzelsprachen (altindisch, altpersisch, slawisch, hethitisch, italisch) auf eine 'indogermanische Dichtersprache' bereits vor dem Auseinanderdriften hindeutet.
– geändert durch ghest am 01.11.2003, 22.59 –

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guest
01.11.2003 17.00
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Einige Beispiele

Wenn man in Frankfurt mit der Straßenbahnlinie 16 zum Hauptbahnhof fährt,
dann wird dieser (vom Band oder von einem Sprachcomputer) mit einer
deutlichen Betonung des 'a' in Bahnhof angekündigt. Ich ärgere mich darüber
jedesmal, es tut fast körperlich weh. Nun fahre ich mit der U-Bahn, ist
auch schneller!

Wenn ich nachhause fahre, wird der Bahnhof Langenselbold -- ebenfalls von
einer automatischen Ansage -- in einer völlig falschen Aussprache angekündigt.
Das 'e' wird dabei so wie das doppelte E im Wort „Seele“ gesprochen. Richtig
wäre es mit kurzem e, aber mit einer gewissen Betonung der Silbe 'sel'.
Man sollte doch erwarten, daß die Bahn die korrekte Aussprache der Namen
ihrer Bahnhöfe kennt.

Wie gesagt, ich bin kein Linguist. Mir fällt auf, daß etwas falsch ist und
ich kann das in etwa benennen. Ich kann aber nicht im linguistischen Sinne
genau sagen, was da anders ist!

Mich würde einmal interessieren, ob auch andere Bahnhofsnamen in den Zügen
falsch angesagt werden. Vielleicht könnten andere Benutzer dieses Forums ihre
diesbezüglichen Beobachtungen hier in einem entsprechenden Strang sammeln.

Auch die Ansagen in der Bahn wären ein guter ''Multiplikator'' für geplante
Sprachveränderungen, da die Bahnbenutzer diesen Ansagen hilflos ausgesetzt
sind. Auch das ist eine Form von Machtmißbrauch. Auf diese Weise wird z.\,B.
die falsche Aussprache des Ortsnamens ''Langenselbold'' verbreitet. Die
richtige Aussprache kennen nur die Leute, die in Langenselbold oder Umgebung
wohnen.

Am Freitag war ich in einem öffentlichen Vortrag des Physikalischen Vereins
hier in Frankfurt. Im Laufe des -- sehr interessanten -- Vortrags über
Supernovae wurde ein zusammengesetztes Verb benutzt, das mit der ''weg''
beginnt. Ich habe leider vergessen, um welches Verb es sich handelte. Es wurde
mit einer deutlichen Pause zum folgenden Wortbestandteil gesprochen. Dies ist
mir auch schon bei anderen Vorträgen oder Vorlesungen von anderen Vortragenden
bzw. Professoren aufgefallen, nicht nur bei zusammengesetzten Verben, sondern
bei zusammengesetzten Wörtern allgemein. Vielleicht ist das ja eine Empfehlung
aus einem Rhetoriklehrbuch? Dann müßte dort auch erklärt sein, warum man das
macht!

Was gibt Ihnen die Sicherheit, daß ''gegen die natürliche Betonung des
Bestimmenden gegenüber dem Bestimmten wohl keine Macht der Welt ankämpfen
kann.'' Da Sie ''wohl'' sagen, sind Sie sich selbst auch nicht ganz
sicher. Strenggenommen kann man immer gegen etwas ankämpfen, ob man aber
eine Chance hat, den Sieg davonzutragen, das steht auf einem ganz anderen
Blatt. Ich vermute, daß die Reformer es einfach einmal ausprobieren wollen,
ganz im Sinne eines entsprechenden Spruchs aus den 60er oder 70er Jahren.

(Ich kann diesen Spruch hier nicht wiedergeben, denn er ist etwas länger.
Eine der zentralen Aussagen war, daß man nicht sagen soll, daß etwas nicht
geht, sondern gehen soll um zu sehen, ob es wirklich nicht geht. Das war
damals im Zusammenhang mit der Ost-West-Konfrontation. Vielleicht kann sich
jemand daran erinnern und ihn hier einstellen? Ich habe diesen Spruch nur
einmal -- ich glaube auf einem Plakat -- gelesen.)

Es ist durchaus möglich, daß einigen der mit einer Reform der Rechtschreibung
befaßten Leute wirklich auch ein menschenfreundlicher Anfangsimpuls (Ihr
konstruiertes Beispiel?) zugutegehalten werden muß. Dies gilt auch für die
68er oder die Leute aus der Antiatomkraftbewegung, Friedensbewegung, usw.
Es ist wahrscheinlich, daß solche Bewegungen von Leuten oder Organisationen
benutzt werden, die anderes im Sinn haben. (Sie nennen das korrumpieren.)
Ich habe nicht übertrieben, sondern mich nur etwas verkürzend ausgedrückt.
Wenn dann die Beweggründe solcher Bewegungen wegfallen, lösen sie sich auf
und zurück bleiben diejenigen, die diese Bewegungen für ihre Zwecke mißbrauchen
wollten.

Im Falle der RSR plappern diese Leute dann immer noch von Vereinfachungen,
obwohl doch klar ist, daß es durch eine Reform niemals zu Vereinfachungen
kommen kann, da das Bestehende -- die klassische Rechtschreibung -- nicht
aus der Welt geschafft werden kann. Es wird also immer zu einer Vermischung
und damit zur Auflösung des bestehenden Regelsystems kommen, zumindest für
eine sehr lange Zeit. Danach wird das bisherige, in Auflösung befindliche
System durch etwas Neues ersetzt.

Jeder vernünftige Mensch, der dabei ist, für sich zu entscheiden, auf
welcher Seite er steht, müßte auf diesen naheliegenden Gedankengang kommen.
Wenn er die Vorteile eines einheitlichen, mehr oder weniger in sich
geschlossenen Regelwerks erkennt, wird er sich gegen die Reform wenden,
selbst dann, wenn das Regelwerk einige Inkonsistenzen ausweist, was in einem
natürlich gewachsenen System nie zu vermeiden ist. Wenn er aber prinzipiell
etwas gegen Regeln hat, weil er der Annahme ist, daß Regeln etwas
Unmenschliches, Einschränkendes sind, wird er für eine Rechtschreibreform
sein, nicht weil es einfacher wird, sondern weil es das verhaßte Regelsystem
auflöst. Natürlich darf er das nicht zugeben! Daher werden solche Leute
stereotyp das Weniger-Fehler-Märchen, das Vereinfachungsmärchen, usw.
herunterbeten. Der Reformbefürworter glaubt also, für die Freiheit zu kämpfen,
für die Freiheit von einschränkenden Regeln. Deshalb stehen sich beide Lager
unversöhnlich gegenüber.

Nun ist es aber so, daß Regeln die Freiheit erst ermöglichen, nicht nur in
der Rechtschreibung, sondern ganz allgemein.

Ein monolithisches Rechtschreibkontinuum gibt mir die Freiheit, meine Gedanken
an andere Leute an anderen Orten und in anderen Zeiten weiterzugeben. Wichtiger
noch, es gibt mir die Freiheit, mich unmißverständlich auszudrücken, ich kann
genau das sagen, was ich sagen will. Dies ist die Freiheit, die ''Power'', wie
man heute sagt, der klassischen Rechtschreibung! Dafür opfere ich gerne die
vermeintliche Freiheit, ohne das scharfe S oder das ph oder ohne bestimmte
zusammengesetzte Wörter auskommen zu müssen oder zwischen der einen oder anderen
sinnentstellenden Variante wählen zu können.

Herr Loew hat mir vor einigen Jahren drei seiner Texte geschickt. Offenbar
hatte er sie auch an andere -- auch staatliche -- Stellen oder Personen gegeben.
Im ersten Text ging es um die rechtlichen Aspekte der RSR, der zweite hatte
sprachliche Aspekte zum Inhalt. Im dritten und kürzesten schließlich ging es
um den gesellschaftspolitischen Hintergrund der Reform. Dabei wurden auch die
hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch angesprochen. Als ich diesen Text las,
gingen mir ob meiner Schulprobleme die Augen auf, wie es so schön in der Bibel
heißt,

Ich hatte mir schon früher Gedanken darüber gemacht, warum ich diese Probleme
hatte und bin zu dem Schluß gekommen, daß es daran liegen könnte, daß meine
Muttersprache Hochdeutsch ist. (Den Dialekt meiner Eltern habe ich nicht lernen
sollen, da sie Heimatvertriebene waren.) Ich habe diesen Gedanken aber wieder
verworfen, da Hochdeutsch eben die Hochsprache, die Verkehrssprache war, die
in ganz Deutschland verstanden wurde. Was sollte schlecht daran sein? (In diesem
Sinne war diese Entscheidung meiner Eltern eine weise Entscheidung!)

Im dritten Text von Herrn Loew wird aber klar dargelegt, daß es das Ziel einer
Reform ist, das Hochdeutsch zu bekämpfen, daß zum erstenmal in den
Rahmenrichtlinien eine -- wenn auch verklausulierte -- Aufforderung enthalten
ist, Kinder wie micht aus ihrer sprachlichen Sicherheit zu reißen. (Soweit ich
das jetzt aus dem Gedächtnis wiedergeben kann. Leider habe ich diese Texte
noch nicht im Internet gefunden.)

Ich wurde von gewissen Lehrern im Laufe meiner Schulzeit mehrfach vor der
Klasse bloßgestellt, ich konnte weder damals noch heute sagen, warum. Das ist
dann auch ein Signal an gewisse Mitschüler, einen zu terrorisieren, von diesen
Lehrern werden sie deswegen keine Schwierigkeiten gemacht bekommen.

Ich will dies nicht als ''Selbstdarstellung'' mißverstanden wissen, ich
möchte aber klarmachen, daß die Gegenstände der Diskussion hier im Forum
auch einen erheblichen Einfluß auf das Schicksal von Menschen haben.
Dies wird in den gelehrtern sprachwissenschaftlichen Diskussionen hier
gerne vergessen!

Wenn man wirklich eine Vereinfachung für die Schüler will, dann soll man
aufhören, diese als Geiseln für die zwangsweise Durchsetzung von sprach- und
gesellschaftspolitischen Zielen zu mißbrauchen.

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Rolf Genzmann
01.11.2003 14.56
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Zu
„Die Sprache“ läßt sich nicht ändern, von oben schon gar nicht, das wenigstens wissen sicher auch die Reformer. Wozu sollten sie auch diese Absicht gehabt haben? Wohin sollten solche Änderungen Ihrer Meinung nach führen?

- reichen vielleicht ein paar Blicke in die Geschichte.

Allerlei historische Reformen und Reförmchen
Grenzfall, Schnüre knoten

„Wenn wir das und ähnliches insgesamt durchstreichen, so wollen wir Homeros und die anderen Dichter bitten, es uns nicht übelzunehmen: es geschieht ja nicht, weil die Verse etwa unpoetisch oder für das Ohr der Menge nicht lieblich anzuhören wären, nein, je schöner sie dichterisch sind, um so weniger dürfen Knaben und Männer sie hören.“ Plato 427-347 v. Chr. im „Staat“, zitiert nach Igor Schafarewitsch, Der Todestrieb in der Geschichte,
Erscheinungsformen des Sozialismus, S. 23. – Alle folgenden Zitate ebenda.
S. 152, Das wahre System des L. M. Deschamps, (Benediktinermönch und großer Theoretiker des Sozialismus um 1770): „Die Sprache werde viel einfacher und weit weniger schmuckvoll sein. Alle Menschen würden eine einzige Sprache sprechen, die stabil und keinen Änderungen unterworfen sein werde. Die Literatur werde verschwinden, und die ermüdende Arbeit, lesen und schreiben zu lernen, werde entfallen. Die Kinder würden überhaupt nicht unterrichtet werden, sondern sich alles Notwendige aneignen, indem sie die Älteren nachahmten.
Alle Bücher werden vernichtet. Man werde sie nur zu dem einzigen Zweck benutzen, zu dem sie im Grunde taugten – dem Anheizen der Öfen. Alle bisher geschriebenen Bücher hätten das Ziel, das eine Werk notwendig zu machen und vorzubereiten, das ihre Entbehrlichkeit beweise: das Buch Deschamps’. Es werde sie alle überleben, doch am Ende ebenfalls, als letztes aller Bücher, verbrannt werden.“

- Nach Presseberichten wurden in Vietnam ca. zwei Millionen Menschen hingerichtet, vorwiegend alle Brillenträger, denen man unterstellte, daß sie lesen konnten.
Lenin und Stalin vernichteten Bücher, in den Bibliotheken riß man Seiten aus Büchern heraus, später behalf man sich mit dem Schwärzen der unangenehmen Seiten in Büchern.
Hitler verbrannte Bücher, verbot die sogenannten Judenlettern, zuletzt behalf er sich mit einer Rechtschreibreform, die aus Kriegsgründen nicht mehr zur Ausführung kam. Einzelteile derselben scheinen indes ab 1996 amtlich verbindlich werden zu wollen. –

S. 228, Ein Edikt aus China, ca. 220 v. Chr.: „Alle Bücher, die keine Beziehung zum >Ch’in-tsi< haben, mit Ausnahme der Bücher, die sich unter der Aufsicht der Boshi (der höchsten Beamten,) befinden, müssen verbrannt werden; all jene, die es auf der ganzen Welt immer noch wagen, bei sich das >Shih-ching<, das >Shu-ching< und die >Baitsia<-Werke zu verbergen, sollen zu den Vorgesetzten und Wächtern geführt und zusammen mit den Büchern verbrannt werden; ...“
(Nach 37 Jahren, 183 v. Chr. erfolgte die Aufhebung der Bücherverbrennung).

S. 170, aus dem sozialistischen Staat der Inkas: „Außerdem kannten die Inkas kein Schrifttum – (Es gab die Legende, daß der Gründer des Inkareiches alle Buchstaben verboten habe.) -; allerdings konnte man umfangreiche Informationen mit Hilfe der >>Quipu<<, eines komplizierten Systems von Knotenschnüren übermitteln.“

S. 321, 2500 Jahre nach Lao-Tse: „Typisch ist ein Artikel des prominenten Linken Hans Magnus Enzensberger, in dem Schrift und Literatur als typisch bürgerliche Kulturelemente kritisiert werden. Der Autor hält die Schrift für eine Arbeit, die >>Klassencharakter<< trage und zahlreichen gesellschaftlichen >>Tabus<< unterworfen sei.
Die orthographischen Regeln würden der Gesellschaft normativ aufgezwungen, und ihre Verletzung werde mit Tadel bestraft. >>Einschüchterung durch die Schrift ist auch in entwickelten industriellen Gesellschaften eine weit verbreitete klassenspezifische Erscheinung geblieben. Diese Entfremdungsmomente sind aus der geschriebenen Literatur nicht zu tilgen<<. Obwohl der Autor nicht mit der völligen Vernichtung der Schrift, der Literatur und der Bücher rechnet, vermutet er, daß sie im wesentlichen von solchen Kommunikationsmitteln wie Radio, Transistor und Fernsehgerät (vervollkommnet, damit die Empfänger gleichzeitig auch zu Sendern werden) verdrängt und nur noch als >>Grenzfall<< in das System der neuen Medien integriert würden.“

S. 346, aus der Philosophie von Lao-Tse, 6. Jahrhundert v. Chr.:
„ Das Volk ist schwer zu regieren, wenn es allzu klug ist.“
„Lasse das Volk wieder Schnüre knoten und sie gebrauchen.“

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Rolf Genzmann

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ghest
01.11.2003 13.48
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Wie die Schriftsprache verändert wird

Das Abschaffen von so vielen Wörtern und von so vielen bedeutungsunterscheidenden Schreibweisen vereinfacht die Schriftsprache so stark, daß sie ungenauer und dadurch primitiver wird und für präzises Ausdrücken nicht mehr geeignet ist. Die Reformer halten das Volk für dümmer als es ist; sie sollten sich ein anderes suchen.

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Theodor Ickler
01.11.2003 04.43
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Beispiele und Veränderungen

Eigentlich wollte ich nicht auf Belege hinaus, sondern auf Beispiele, damit ich sehe, an welche Arten von Wörtern Sie gedacht haben. Mir ist einfach nicht klar, worum es geht. Ich hatte nun selbst etwas konstruiert, um zu zeigen, daß gegen die natürliche Betonung des Bestimmenden gegenüber dem Bestimmten wohl keine Macht der Welt ankämpfen kann. Aber wenn es solche Fälle nicht sind – was ist es denn dann? Vielleicht haben Sie ja recht.

Zu den Sprachveränderern. Wohl wahr, auch ich finde solche Übertreibungen nicht gerade förderlich und galte manchen Reformern auch einen menschenfreundlichen Anfangs Impuls zugute. Später ist das dann schrittweise korrumpiert worden. Man kann es ja am Verrat fast aller ursprünglichen Progammpunkte erkennen; es blieb nur der blanke Ehrgeit übrig, und der wurde auch mit unlauteren Methoden durchgesetzt, worüber nicht nur Drosdowski klagte. „Durchsetzbarkeit“ wurde zum beherrschenden Gesichtspunkt.

Und doch ist etwas Wahres daran. Wie die Hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch und der Rechtschreibkongreß 1973 zeigten, ging es auch um einen Sprachbegriff, der die Sprache selbst als veränderlich und damit auch veränderbar auffaßte und sprachliche Normen grundsätzlich zur Disposition stellte. Das Bundesverfassungsgericht hat dann 1998 im gleichen Sinne über die Rechtschreibung hinausgegriffen. Damals wie heute ging es darum, ein Exempel zu statuieren. In meinen Rückblicken auf diese Entwicklung habe ich es den kulturrevolutionären Aspekt der RSR genannt. Ich glaube nicht, daß das übertrieben war.
__________________
Th. Ickler

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Monika Grunert
01.11.2003 00.22
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Kann man die Sprache verändern?

Ich möchte noch auf ein anderes Zitat von guest eingehen:

„Die Rechtschreibreform will ja die Sprache an sich ändern, ich denke, das ist unter den Reformgegnern unstrittig.“

Ich denke, wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Hinter der RSR steht die Idee der Vereinfachung der Rechtschreibung, und man dachte sie dadurch zu demokratisieren. Daß dieser Ansatz schon grundfalsch ist, muß an dieser Stelle nicht noch einmal begründet werden. Aber den Reformern die Absicht zu unterstellen, sie wollten „die Sprache an sich“ ändern, finde ich gelinde gesagt – übertrieben. Diese Macht haben auch nicht diejenigen, die angeblich hinter der Reform stehen, die vielgeschmähten 68er, obwohl sie gerade an der Regierung sind. „Die Sprache“ läßt sich nicht ändern, von oben schon gar nicht, das wenigstens wissen sicher auch die Reformer. Wozu sollten sie auch diese Absicht gehabt haben? Wohin sollten solche Änderungen Ihrer Meinung nach führen?

__________________
m.g.

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