Einige Beispiele
Wenn man in Frankfurt mit der Straßenbahnlinie 16 zum Hauptbahnhof fährt,
dann wird dieser (vom Band oder von einem Sprachcomputer) mit einer
deutlichen Betonung des 'a' in Bahnhof angekündigt. Ich ärgere mich darüber
jedesmal, es tut fast körperlich weh. Nun fahre ich mit der U-Bahn, ist
auch schneller!
Wenn ich nachhause fahre, wird der Bahnhof Langenselbold -- ebenfalls von
einer automatischen Ansage -- in einer völlig falschen Aussprache angekündigt.
Das 'e' wird dabei so wie das doppelte E im Wort Seele gesprochen. Richtig
wäre es mit kurzem e, aber mit einer gewissen Betonung der Silbe 'sel'.
Man sollte doch erwarten, daß die Bahn die korrekte Aussprache der Namen
ihrer Bahnhöfe kennt.
Wie gesagt, ich bin kein Linguist. Mir fällt auf, daß etwas falsch ist und
ich kann das in etwa benennen. Ich kann aber nicht im linguistischen Sinne
genau sagen, was da anders ist!
Mich würde einmal interessieren, ob auch andere Bahnhofsnamen in den Zügen
falsch angesagt werden. Vielleicht könnten andere Benutzer dieses Forums ihre
diesbezüglichen Beobachtungen hier in einem entsprechenden Strang sammeln.
Auch die Ansagen in der Bahn wären ein guter ''Multiplikator'' für geplante
Sprachveränderungen, da die Bahnbenutzer diesen Ansagen hilflos ausgesetzt
sind. Auch das ist eine Form von Machtmißbrauch. Auf diese Weise wird z.\,B.
die falsche Aussprache des Ortsnamens ''Langenselbold'' verbreitet. Die
richtige Aussprache kennen nur die Leute, die in Langenselbold oder Umgebung
wohnen.
Am Freitag war ich in einem öffentlichen Vortrag des Physikalischen Vereins
hier in Frankfurt. Im Laufe des -- sehr interessanten -- Vortrags über
Supernovae wurde ein zusammengesetztes Verb benutzt, das mit der ''weg''
beginnt. Ich habe leider vergessen, um welches Verb es sich handelte. Es wurde
mit einer deutlichen Pause zum folgenden Wortbestandteil gesprochen. Dies ist
mir auch schon bei anderen Vorträgen oder Vorlesungen von anderen Vortragenden
bzw. Professoren aufgefallen, nicht nur bei zusammengesetzten Verben, sondern
bei zusammengesetzten Wörtern allgemein. Vielleicht ist das ja eine Empfehlung
aus einem Rhetoriklehrbuch? Dann müßte dort auch erklärt sein, warum man das
macht!
Was gibt Ihnen die Sicherheit, daß ''gegen die natürliche Betonung des
Bestimmenden gegenüber dem Bestimmten wohl keine Macht der Welt ankämpfen
kann.'' Da Sie ''wohl'' sagen, sind Sie sich selbst auch nicht ganz
sicher. Strenggenommen kann man immer gegen etwas ankämpfen, ob man aber
eine Chance hat, den Sieg davonzutragen, das steht auf einem ganz anderen
Blatt. Ich vermute, daß die Reformer es einfach einmal ausprobieren wollen,
ganz im Sinne eines entsprechenden Spruchs aus den 60er oder 70er Jahren.
(Ich kann diesen Spruch hier nicht wiedergeben, denn er ist etwas länger.
Eine der zentralen Aussagen war, daß man nicht sagen soll, daß etwas nicht
geht, sondern gehen soll um zu sehen, ob es wirklich nicht geht. Das war
damals im Zusammenhang mit der Ost-West-Konfrontation. Vielleicht kann sich
jemand daran erinnern und ihn hier einstellen? Ich habe diesen Spruch nur
einmal -- ich glaube auf einem Plakat -- gelesen.)
Es ist durchaus möglich, daß einigen der mit einer Reform der Rechtschreibung
befaßten Leute wirklich auch ein menschenfreundlicher Anfangsimpuls (Ihr
konstruiertes Beispiel?) zugutegehalten werden muß. Dies gilt auch für die
68er oder die Leute aus der Antiatomkraftbewegung, Friedensbewegung, usw.
Es ist wahrscheinlich, daß solche Bewegungen von Leuten oder Organisationen
benutzt werden, die anderes im Sinn haben. (Sie nennen das korrumpieren.)
Ich habe nicht übertrieben, sondern mich nur etwas verkürzend ausgedrückt.
Wenn dann die Beweggründe solcher Bewegungen wegfallen, lösen sie sich auf
und zurück bleiben diejenigen, die diese Bewegungen für ihre Zwecke mißbrauchen
wollten.
Im Falle der RSR plappern diese Leute dann immer noch von Vereinfachungen,
obwohl doch klar ist, daß es durch eine Reform niemals zu Vereinfachungen
kommen kann, da das Bestehende -- die klassische Rechtschreibung -- nicht
aus der Welt geschafft werden kann. Es wird also immer zu einer Vermischung
und damit zur Auflösung des bestehenden Regelsystems kommen, zumindest für
eine sehr lange Zeit. Danach wird das bisherige, in Auflösung befindliche
System durch etwas Neues ersetzt.
Jeder vernünftige Mensch, der dabei ist, für sich zu entscheiden, auf
welcher Seite er steht, müßte auf diesen naheliegenden Gedankengang kommen.
Wenn er die Vorteile eines einheitlichen, mehr oder weniger in sich
geschlossenen Regelwerks erkennt, wird er sich gegen die Reform wenden,
selbst dann, wenn das Regelwerk einige Inkonsistenzen ausweist, was in einem
natürlich gewachsenen System nie zu vermeiden ist. Wenn er aber prinzipiell
etwas gegen Regeln hat, weil er der Annahme ist, daß Regeln etwas
Unmenschliches, Einschränkendes sind, wird er für eine Rechtschreibreform
sein, nicht weil es einfacher wird, sondern weil es das verhaßte Regelsystem
auflöst. Natürlich darf er das nicht zugeben! Daher werden solche Leute
stereotyp das Weniger-Fehler-Märchen, das Vereinfachungsmärchen, usw.
herunterbeten. Der Reformbefürworter glaubt also, für die Freiheit zu kämpfen,
für die Freiheit von einschränkenden Regeln. Deshalb stehen sich beide Lager
unversöhnlich gegenüber.
Nun ist es aber so, daß Regeln die Freiheit erst ermöglichen, nicht nur in
der Rechtschreibung, sondern ganz allgemein.
Ein monolithisches Rechtschreibkontinuum gibt mir die Freiheit, meine Gedanken
an andere Leute an anderen Orten und in anderen Zeiten weiterzugeben. Wichtiger
noch, es gibt mir die Freiheit, mich unmißverständlich auszudrücken, ich kann
genau das sagen, was ich sagen will. Dies ist die Freiheit, die ''Power'', wie
man heute sagt, der klassischen Rechtschreibung! Dafür opfere ich gerne die
vermeintliche Freiheit, ohne das scharfe S oder das ph oder ohne bestimmte
zusammengesetzte Wörter auskommen zu müssen oder zwischen der einen oder anderen
sinnentstellenden Variante wählen zu können.
Herr Loew hat mir vor einigen Jahren drei seiner Texte geschickt. Offenbar
hatte er sie auch an andere -- auch staatliche -- Stellen oder Personen gegeben.
Im ersten Text ging es um die rechtlichen Aspekte der RSR, der zweite hatte
sprachliche Aspekte zum Inhalt. Im dritten und kürzesten schließlich ging es
um den gesellschaftspolitischen Hintergrund der Reform. Dabei wurden auch die
hessischen Rahmenrichtlinien Deutsch angesprochen. Als ich diesen Text las,
gingen mir ob meiner Schulprobleme die Augen auf, wie es so schön in der Bibel
heißt,
Ich hatte mir schon früher Gedanken darüber gemacht, warum ich diese Probleme
hatte und bin zu dem Schluß gekommen, daß es daran liegen könnte, daß meine
Muttersprache Hochdeutsch ist. (Den Dialekt meiner Eltern habe ich nicht lernen
sollen, da sie Heimatvertriebene waren.) Ich habe diesen Gedanken aber wieder
verworfen, da Hochdeutsch eben die Hochsprache, die Verkehrssprache war, die
in ganz Deutschland verstanden wurde. Was sollte schlecht daran sein? (In diesem
Sinne war diese Entscheidung meiner Eltern eine weise Entscheidung!)
Im dritten Text von Herrn Loew wird aber klar dargelegt, daß es das Ziel einer
Reform ist, das Hochdeutsch zu bekämpfen, daß zum erstenmal in den
Rahmenrichtlinien eine -- wenn auch verklausulierte -- Aufforderung enthalten
ist, Kinder wie micht aus ihrer sprachlichen Sicherheit zu reißen. (Soweit ich
das jetzt aus dem Gedächtnis wiedergeben kann. Leider habe ich diese Texte
noch nicht im Internet gefunden.)
Ich wurde von gewissen Lehrern im Laufe meiner Schulzeit mehrfach vor der
Klasse bloßgestellt, ich konnte weder damals noch heute sagen, warum. Das ist
dann auch ein Signal an gewisse Mitschüler, einen zu terrorisieren, von diesen
Lehrern werden sie deswegen keine Schwierigkeiten gemacht bekommen.
Ich will dies nicht als ''Selbstdarstellung'' mißverstanden wissen, ich
möchte aber klarmachen, daß die Gegenstände der Diskussion hier im Forum
auch einen erheblichen Einfluß auf das Schicksal von Menschen haben.
Dies wird in den gelehrtern sprachwissenschaftlichen Diskussionen hier
gerne vergessen!
Wenn man wirklich eine Vereinfachung für die Schüler will, dann soll man
aufhören, diese als Geiseln für die zwangsweise Durchsetzung von sprach- und
gesellschaftspolitischen Zielen zu mißbrauchen.
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