50 JAHRE MAUERBAU, 15 JAHRE RECHTSCHREIBREFORM
PRESSEMITTEILUNG: Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Minister Karl-Heinz Reck, hat die Unterzeichnung der Gemeinsamen Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung durch Vertreter aus den deutschsprachigen Staaten und Gemeinschaften am 01. Juli 1996 in Wien als wichtiges, vielleicht sogar historisches Datum für die deutsche Sprachgemeinschaft gewürdigt
Foto Karl-Ludwig Lange, s. Wikipedia
Es folgt der Text der Berliner Morgenpost zum 13. August.
Die farbigen Textteile wurden auf die „Rechtschreibreform“ umgemünzt.
Die Dummheit der totalen Macht
Samstag, 13. August 2011
Es ist in der deutschen Geschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte selten vorgekommen, dass etwas gut ausging. Wir Deutsche haben nur unter Spannung zur orthographischen Einheit gefunden…
Am Ende war die Einheit der deutschen Schreibkultur zerstört und geteilt. Keine Geschichte, derer man froh sein kann. Dafür viel Grund für Scham und Trauer … Die Rechtschreibreform hat das ohnehin schon bizarre, ohnehin schon eingeschlossene Schulwesen zu einem geradezu verrückten Ort gemacht…
Mit kalter Entschlossenheit haben Kulturpolitik und Medien demonstriert, dass man alle Bindungen missachten, dass man die Menschen dem permanenten Ausnahmezustand aussetzen, dass man mit schierer Gewalt ein Unterfangen durchsetzen kann, das jeder gesunde Menschenverstand als Ausgeburt einer kranken Fantasie erkennen kann. Die sie durchsetzten, wussten vielleicht nicht, ahnten aber, dass sie mit ihrer dumpfen Aktion die Bürger überraschen und schockieren würden. Sie setzten ganz bewusst auf diesen Moment der Schockstarre erst als von den ratlosen Zeitungslesern keine Reaktion kam, zogen sie die Schlinge zu und setzten die Reform überall um.
Es wird bis heute viel darüber gerätselt, ob die Bürger wirklich etwas hätten unternehmen können, viele Historiker verneinen es. Dennoch muss nachdenklich stimmen, dass die gut begründete Zögerlichkeit der Bürger eine feste Größe im Kalkül von Reformern und Politikern war. Die Feinde der Freiheit kennen die Bequemlichkeit derer, die sich der Freiheit erfreuen können. Und sie wissen, wie schnell totalitäre Fakten geschaffen werden können, wenn auf eine Bedrohung der Freiheit nicht entschlossen reagiert wird. … Doch sollte man nicht übersehen, dass die Reform für die Politiker und Medienmächtigen ein offensives, ja geradezu ein triumphalistisches Unternehmen war.
So scharf wie noch kaum zuvor in der deutschen Geschichte demonstrierten Politiker hier, was totale Macht, was totaler Staat ist. Erstmals wurde hier gewagt: die Geiselnahme des gesamten Schulwesens und seine Umwandlung in ein Experimentierfeld, in ein Labor für einen großen Gesellschaftsversuch, Rechtschreibreform genannt …
Ein Regime nimmt sich das Recht heraus, … seine Bürger in ein aussichtloses Experiment zu zwingen. In SPD, GEW und in Reformerkreisen hat man in den Tagen und Wochen nach dem 1. Juli 1996 triumphiert, gejubelt und sich ganz auf der Siegerstraße der Geschichte gefühlt …
Seit dem 1. Juli 1996 hat das Wort Reform keinen guten Ruf mehr. Das war die längste Zeit der Geschichte anders gewesen. … Im kleinen Garten des Schulbetriebs sollte der schale Traum von Utopia geträumt werden. Das Ergebnis war bekanntlich verheerend.
Die Reform lehrt, dass es auch wenn mancher in unübersichtlichen Zeiten von einer Gesellschaft der Ruhe träumen mag das Idyll in der Nische trügerisch und schal ist. … Im Schatten der Rechtschreibreform entwickelte sich ein buntes Profitmacherparadies…
Es gehört nicht zu den Ruhmesblättern des Kulturbetriebs, dass viele die Reform im Laufe der Zeit nicht mehr als schmerzhaft empfinden. Sicher, Empörung und Protest sind schwer auf Dauer zu stellen.
Und dieser Nicht-Wahrnehmung der Reform entsprach, nicht zuletzt in den besseren Kreisen, eine sehr weit_reichende Gleichgültigkeit gegenüber denen, die in Ost wie West unter der Teilung litten. Man kann es heute kaum noch verstehen aber sie galten als Ewiggestrige, deren Verstörung und Trauer und Verzweiflung man peinlich berührt übersah…
Daraus kann man lernen, dass es lohnt, für die Freiheit zu kämpfen. Dass sie nie selbstverständlich und immer bedroht ist. Und dass die Bequemlichkeit, zu der die offene Gesellschaft verleitet, ein Feind der Freiheit ist.
Unter Verwendung von: Morgenpost.de 13.8.2011
Siehe auch: „Unsere Ziele“ – Volkswille – Deutsche Einheit
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