Die Kirche im Dorf lassen
Was war der Stein des Anstoßes? Unter der Überschrift: Halbwahrheiten führen zu Legenden schrieb ich am 22.4.2001: Ich habe als Schulmeister immer versucht, mich nach Artikel 131 der Verfassung des Freistaates Bayern zu richten. Darin heißt es u.a.: Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne (...) Vor diesem Hintergrund sollten Wissenschaft, Forschung, Lehre und Journalismus zumindest eines gemeinsam haben: Wahrheit, Sorgfalt, Informations- und Meinungsfreiheit. Ich schrieb ausdrücklich versucht, weil niemand von sich behaupten kann, ein Heiliger oder fehlerfrei zu sein.
Ich hatte Jahrhunderte nach Friedrich dem Großen (Jeder soll nach seiner Façon selig werden) nicht erwartet, daß bei Atheisten trotz des Art. 4 GG keinerlei Toleranz gegenüber einem Verfassungsgebot Ehrfurcht vor Gott vorhanden sein könne. Aus dem in Art. 131 BV enthaltenen Wertekatalog pickte man sich aber ausgerechnet die Ehrfurcht vor Gott als Stein des Anstoßes heraus, obwohl ich den Begriff des Wahren als gemeinsamen Nenner genannt hatte, auf den man sich einigen kann, damit Halbwahrheiten eben nicht zu Legenden führen. Aber ich hatte den Eindruck, man wollte die Kirche absolut nicht im Dorf lassen. Jedenfalls behauptete Reinhard Markner ausdrücklich als protestantischer Atheist, bei Herrn Frielinghaus habe er schon dergleichen gelesen, Artikel 131 der Verfassung des Freistaates Bayern sei zweifellos grundgesetzwidrig, also nichtig.
Die unterschiedlichen Landesverfassungen der 16 Bundesländer gehören zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen Lehrer und andere Beamte ihren Dienst versehen und auch die Rechtschreibreform vollziehen müssen. Deswegen wollte Verleger Matthias Dräger die bayerische Verfassung mittels eines Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform ändern. Insofern war diese verfassungsrechtliche Diskussion keineswegs eine Abweichung vom Thema Rechtschreibreform. Der von mir zitierte Art. 131 BV und der ihm entsprechende Art. 1 BayEUG sind jedenfalls Rechtsvorschriften, die für alle Lehrer und Schüler in Bayern gelten. Deswegen hielt ich es für notwendig, das Wissensdefizit Reinhard Markners über die Gültigkeit der Bayerischen Landesverfassung zu beheben.
Insgesamt habe ich den Eindruck, daß Herr Professor Ickler den religiösen Bezug der Verfassung dazu verwendete, beabsichtigte Missionierungsversuche (Predigerton, inbrünstige Glaubensbekenntnisse) zu unterstellen und dadurch von der Sache abzulenken, daß Wissenschaft, Forschung, Lehre und Journalismus zumindest eines gemeinsam haben sollten: Wahrheit, Sorgfalt, Informations- und Meinungsfreiheit. Es entstand die unsachgemäße Polarisierung Wissenschaft contra Glauben, wie Norbert Schäbler feststellte. Theodor Icklers Behauptung: Eine alte Benimmregel sagt, daß Religion unter wohlerzogenen Menschen kein Thema ist, ist unwahr. Toleranz und Achtung vor religiöser Überzeugung anderer ist besonders bei Wissenschaftlern notwendig.
Manfred Riebe
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