Die Zeiten ändern sich, die Werte ändern sich, die Sprache ändert sich. Das ist zunächst einmal einfach eine neutral beobachtbare Tatsache. Soll man aber eine Entwicklung einfach nur dulden oder gar fördern, nur weil sie nun einmal existiert? Offenbar gibt es immer einen gewissen Anteil Menschen, der geradezu danach giert, mit dem Strom zu schwimmen, den er für den gloriösen Weg in die fortschrittliche Zukunft hält. Bar jeder Skepsis. Das bereitet mir Bauchschmerzen, diese Selbstnährung des Mitläufertums. Sich von Propagandamächten einimpfen lassen, wie die nationale Vorsehung aussehen wird: natürlich rechtschreibreformiert. Oh, so sieht die Zukunft aus, ja dann mal bloß nicht zu spät kommen; wer zu spät kommt, den bestraft doch das Leben, oh weh! Also los, fit für die Zukunft, dynamisch, teamfähig, stolz drauf, keine Widerrede, brav mitlaufen! Nicht allein die geänderten Schreibweisen an sich sind so beängstigend, sondern die Leichtigkeit, mit der sie sich in gewissen Kreisen durchsetzen, obwohl die Minderwertigkeit der Neuerungen oder zumindest der Ruf danach allgemein bekannt ist. Dieses geistlose Mitmachen, weil die anderen doch auch alle mitmachen ... oder mitmachen werden, ganz gewiß, früher oder später, die Wogen werden sich schon noch glätten, was soll auch diese Blockadehaltung, bringt uns doch nicht weiter, Spielverderber, woher rührt nur eure negative Einstellung, vielleicht eine Neurose?, warum sagt ihr nicht auch alle zu allem ja, es könnte alles so einfach sein...! Zweifel... Niveau... Zuverlässigkeit... Stabilität... Vernunft... Sinn... Ach, das sind doch alles irgendwie verstaubte Kategorien, oder?
Wenn wenigstens wirklich triftige Gründe vorlägen, die für ein Umsetzen der Rechtschreibreform sprächen, aber alles, was dazu bisher vorgebracht wurde, entspricht letztlich einer völligen Gleichgültigkeit: Vielleicht ist sie nicht ganz so toll, die Reform, aber was soll´s, kann man ja jetzt eh nix mehr machen. Vielleicht ist die Entwicklung aber auch doch ganz toll so. Vielleicht auch nicht, aber wir wollen doch nicht pessimistisch werden. Alles, was neu ist, ist doch gut, gell? Mir graut vor der Vorstellung, daß nicht nur von einigen etwas leichtgläubigen Bürgern, sondern auch von den wesentlichen Machtzentren der Medien gesellschaftliche Fragen künftig derart blauäugig, inkompetent, inkonsequent, verblendet, ja geradezu pubertär-dickköpfig bewertet werden wie in der Diskussion um die Rechtschreibreform.
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