Wissen, was man tut
Herr Melsa hat noch einmal das Wesentliche sehr klar dargestellt. Gerade die Getrennt- und Zusammenschreibung ist ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, einen Gegenstand zuerst einmal gründlich zu durchschauen, bevor man daran herumbastelt. Wir stellen fest, daß seit Jahrhunderten Zusammenschreibungen vorkommen und immer systematischer durchgeführt werden, die in krassem Widerspruch zu der beliebten, auf den allerersten Blick auch ganz einleuchtenden Behauptung stehen, Wörter würden zusammen- und Wortgruppen getrennt geschrieben. Diese These, an der die Reformer so hängen, ist auf den zweiten Blick so offensichtlich falsch, daß man sich doch einmal fragen sollte: Waren unsere Vorfahren so blöd, daß sie das nicht wußten? Ich denke, sauberhalten usw. sind derart elementare Fehler (im Sinne jener These), daß es sich schlechterdings nicht um Fehler handeln kann, sondern man wird zu der Schlußfolgerung geführt, daß die These selbst von Grund auf falsch ist. Zumindest muß man eine gewaltige Masse von Ausnahmen als systematisch begründet annehmen. Und zwar eine ganz kleine Anzahl in der einen Richtung, also Univerbierungen, die trotzdem immer noch getrennt geschrieben werden wie z. B. ein und derselbe (mit ein und demselben usw.); auf der anderen Seite aber Tausende von Zusammenschreibungen wie aufgehen, dableiben, sauberhalten usw. Hier gibt es offenbar einen intuitiven Grund, die Hauptregel zu durchbrechen. Das geschieht fast immer ohne Nachdenken. Die Sprachwissenschaft hat die Aufgabe, diesen für das Deutsche so kennzeichnenden Trick (Minister Meyer sagte Marotte, was er von SZ-Redakteur Unterstöger übernommen hat) zu erklären und die Erscheinung, die so tief in der deutschen Rechtschreibung verwurzelt ist, daß sogar die Reformer sie nicht grundsätzlich beseitigen, richtig darzustellen. Statt dessen haben die Reformer nur die Grenzpfähle ein wenig verrückt, wie Munske es einmal ausdrückte, und zwar in einer rein theoretisch, überhaupt nicht durch ein Verständnis der Tatsachen begründeten Weise. Daher läuft nun die neue GZS der Intuition in vielen Punkten zuwider und ist nicht lernbar. Die Reformer haben sie daher praktisch zum Abschuß freigegeben (unumgänglich notwendige Korrekturen Ende 1997, stillschweigende Rücknahme in den neuesten Wörterbüchern). Der Hauptmangel der neuen Regeln besteht darin, daß man, wie auch Herr Melsa andeutet, rein formale Operationen vorschreibt, um die einzelnen Fälle entscheiden zu können. Statt sich der bisher unzureichend erforschten, aber deshalb nicht minder wirksamen Intuition zu überlassen (die naturgemäß nicht zu einem Ja oder Nein führt, sondern lediglich Tendenzen ergibt), muß man jetzt aus dem Fluß der inhaltlich orientierten Rede heraustreten auf eine Ebene grammatischer Operationen (steigerbar/erweiterbar oder nicht? usw.). Das ist von vornherein mißlich und kann besonders in der Schule nicht gutgehen. Es ist, alles in allem, ein Kunstfehler, ein kulturelles, historisch gewachsenes Gebilde verändern zu wollen, bevor man es verstanden hat. Die Theorie dazu findet man in F. A. von Hayeks Die Irrtümer des Konstruktivismus. Dort erfährt man auch, wie ein solcher Versuch notwendigerweise in Zwangsmaßnahmen und Gewaltherrschaft endet.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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