Nachteile der Kleinschreibung
Der größte Nachteil einer Abschaffung der Substantivgroßschreibung (Professor Ickler sehe mir bitte die Verwendung dieser griffigen Bezeichnung anstelle von Redegegenstandgroßschreibung) ist ganz einfach, daß die meisten sie nicht wollen.
Weiter gibt es natürlich nachweislich Vorteile dieser Großschreibung Professor Ickler hat gezeigt, daß man damit prinzipiell die Redegegenstände kennzeichnet; das erleichtert die Erfassung des Textes, erhöht die Lesegeschwindigkeit und sieht einfach schön aus. Ein Text, in dem nicht nur Personen und andere mit Eigennamen ausgestattete Mitspieler in dieser Weise hervorgehoben werden, sind lebendiger und konsistenter; Substantive werden in den Rang von Personen gehoben und können sich somit als Akteure der Handlung zur Geltung bringen. Ein angenehmes Zusammenspiel von grammatischer Regelmäßigkeit, Effektivität und Ästhetik, das den Deutschen nicht ohne Grund ans Herz gewachsen ist.
Es wird meist übersehen, daß es noch einen ganz gewichtigen Grund gibt, gerade aus der Perspektive der Reformer, das heißt der Fehlervermeidung, diese Großschreibung beizubehalten: Groß geschriebene Wörter sind bei weitem nicht im selben Maß Unsicherheiten bei der Getrennt-/Zusammenschreibung (GZS) ausgeliefert wie klein geschriebene Wörter. Schreibt man im Englischen letter box, letter-box oder einfach letterbox? Schreibt man world wide, world-wide oder worldwide? Schreibt man tea pot, tea-pot oder teapot? (Es dürfte all dies vorkommen.) Vergleiche im Deutschen: Brief Kasten kommt nie vor, Brief-Kasten auch nicht, der Bindestrich ist unnötig. Der Fall ist im Deutschen ganz einfach aufgrund der Großschreibung.
Nun kommt hinzu, daß im Deutschen sehr viel mehr Komposita existieren bzw. ständig neu gebildet werden als im Englischen. Vergleiche: auseinanderbrechen to break apart; zurückrufen to call back. Wenn man die Substantivgroßschreibung abschaffen würde, wäre die Folge, daß sehr viel mehr getrennt geschrieben wird und die schon bisher große Zahl an Zweifelsfällen der GZS ganz enorm zunehmen würde; ich meine, es wäre eine Vervielfachung dieser Schwierigkeiten zu erwarten. (Überhaupt ist die GZS viel schwieriger als die GKS; ein häufiger Irrtum der Reformer ist, die GKS sei das Schwierigste.)
Erleichterungen von einer gemäßigten Kleinschreibung zu erwarten, das paßt zu der großen Kurzsichtigkeit und völligen Inkompetenz der Reformer, die sich doch tatsächlich eingebildet haben, die Vereinheitlichung von Leid und leid wäre eine Vereinfachung und würde eine Fehlerquelle abschaffen. Dabei ist es genau umgekehrt. Vereinfachungen wären zwar bei der GKS durchaus zunächst zu erwarten, allerdings wären sie durch die damit verbundene Verkomplizierung der GZS bei weitem aufgewogen. Ein Gerhard Augst ist natürlich nicht in der Lage, das zu begreifen.
Dennoch glaube ich nicht, wie Herr Riebe das tut, daß die Reformer die Stirn haben werden, die Substantivgroßschreibung in einigen Jahren abzuschaffen. Zuerst einmal müssen sie große Teile ihrer bisherigen Reform korrigieren, das heißt überwiegend: zurücknehmen; und dann werden sie doch wohl den letzten Rest an Glaubwürdigkeit und Autorität eingebüßt haben.
Wolfgang Wrase
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