Zwingende sachliche Gründe zur Abschaffung der Getrenntschreibung
Über den Tiger, der von Menschen beim Fressen gestört wird, habe ich mich köstlich amüsiert. Die Befürworter der Rechtschreibreform könnten jedoch argumentieren, dass dies lediglich eine Doppeldeutigkeit sei; die gemeinte Bedeutung stecke doch ebenfalls mit drin, man müsse sie lediglich erkennen.
Es gibt jedoch Beispiele, wonach man in der neuen Schreibung Sachverhalte überhaupt nicht mehr ausdrücken kann, die in der alten Schreibung ausdrückbar waren. Damit gibt es nicht nur stilistische Argumente, sondern auch zwingende sachliche Gründe, die Getrenntschreibung wieder abzuschaffen.
Das folgende Beispiel stammt aus der Fachsprache der Mathematik; es sollte jedoch möglich sein, auf anderen Gebieten analoge Beispiele zu finden.
Alte Schreibung: Die Menge A ist wohlgeordnet.
Neue Schreibung: Die Menge A ist wohl geordnet -- ergibt einen falschen Sinn. Nun könnte man die Mehrdeutigkeit (bzw Falschdeutigkeit) dadurch reparieren, dass man schreibt Die Menge A ist eine Wohlordnung. Zum Glück ist ja die Zusammenschreibung von Substantiven noch nicht verboten worden. Weiterhin ist zum Glück jede mathematische Wohlordnung auch wohlgeordnet im mathematischen Sinne. Im folgenden Beispiel funktioniert aber genau dieser Ausweg nicht mehr:
Alte Schreibung: Die Formel X ist wohldefiniert.
Neue Schreibung: Die Formel X ist wohl definiert. -- Naja vielleicht ist sie definiert, vielleicht aber auch nicht -- das ist noch nicht einmal eine mathematische Aussage überhaupt.
Der Reparaturversuch mit Die Formel X ist eine Wohldefinition funktioniert jedoch auch nicht, weil eine Formel nicht zwingenderweise eine Definition sein muss. Es gibt Dinge, die definiert sind, obwohl sie keine Definition darstellen. Eine Definition besteht aus Definiens und Definiendum; eine Formel enthält aber normalerweise kein Definiens.
Damit haben wir ein Beispiel, wo sich ein Sachverhalt in der neuen Schreibung überhaupt nicht mehr ausdrücken lässt oder zumindest nicht mehr auf einfache und intuitive Weise, da komplizierte Umwege und Umschreibungen notwendig werden.
Ich möchte dazu anregen, ähnliche Beispiele auch auf anderen Gebieten zu finden. Damit entfallen alle Streitereien über Stil und guten Geschmack, weil es zwingende sachliche Gründe für die Wiedereinführung der Zusammenschreibung gibt.
Dr. Thomas Schöbel-Theuer
|