Es geht in diesem Fall nicht um allgemeine politische Debatten, sondern darum, daß meiner Meinung nach Herr Dey, der inzwischen auch als Gast in diesem Forum aufgetreten ist (wozu er förmlich genötigt wurde), von Herrn Markner und von Herrn Lachenmann in einer unmöglichen Weise behandelt wird, indem er als Antisemit der primitivsten Sorte dargestellt wird.
Herr Dey hatte geschrieben: Wer unsere Bürger ständig mit Erinnerungen an die Verbrechen des Nazi-Regimes belästigt, darf sich über einen zunehmenden Antisemitismus nicht wundern. Daran schloß Herr Markner den unmittelbaren Kommentar an: Am Antisemitismus sind eben immer schon die Juden schuld. Damit drückte er aus, was die Quintessenz von Herrn Deys Aussage sei. (So nennt es Herr Lachenmann in einem Kommentar an mich.)
Aber ist sie das? Für wie blöd hält man Herrn Dey? Der Kommentar von Herrn Markner bedeutet, daß er Herrn Dey eine solche idiotische Denkungsart zutraut das halte ich zunächst einmal für eine Unverschämtheit. Herr Dey hat gesagt, daß die Bevölkerung von den ständigen Erinnerungen an die Verbrechen des Nazi-Regimes belästigt wird. Das mag man finden, wie man will es ist eine Tatsache. Natürlich fühlt sich nicht jeder einzelne in dieser Hinsicht belästigt, also die Bevölkerung nicht zu 100 Prozent, aber ausweislich der Umfragen und Meinungsäußerungen anläßlich entsprechender Vorgänge kann man schätzen, daß es ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung ist, der sich erheblich belästigt fühlt. Vielleicht ein Viertel, vielleicht ein Drittel. Auch wir sagen regelmäßig und mit Recht, daß die Bevölkerung mit der Rechtschreibreform belästigt wird obwohl sich ein wesentlich geringerer Prozentsatz wirklich gestört fühlt und nicht wenige die Reform sogar gutheißen. Wir selbst demonstrieren mit unseren Formulierungen, daß man von Belästigung der Bevölkerung reden kann, auch wenn nur ein Teil der Bevölkerung tatsächlich so empfindet. Somit hat Herr Dey einfach eine Tatsache ausgesprochen.
Als nächstes: "... darf sich über einen zunehmenden Antisemitismus nicht wundern. Das ist bei nüchterner Betrachtung ebenfalls eine Tatsache. Derselbe Gedanke wird zum Beispiel in Deutschland als Selbstverstänlichkeit geäußert, wenn es um den Krieg gegen den Terror geht: Wer einen solchen Krieg gegen den Terror führt wie die Amerikaner, darf sich über den zunehmenden Terror nicht wundern. Nicht wahr? Dabei geht es nicht nur um die aktiven Terroristen, sondern auch um deren emotionalen Rückhalt in der Bevölkerung. Wenn ein großer Anteil der Bevölkerung im Irak die Amerikaner zwar nicht selbst ermorden würde, aber sie von Herzen als Besatzer haßt und sich gedemütigt fühlt, werden natürlich am Ende mehr aktive Terroristen herauskommen, und sie können leichter operieren. Ebenso verhält es sich mit Neonazis, die sich um so mehr bestärkt und ermutigt fühlen, je mehr der allgemeine Widerwille gegen die permanente Forderung zunimmt, die Deutschen müßten sich auf unabsehbare Zeit als Tätervolk, als Kollektiv der Verbrecher verstehen obwohl die meisten Deutschen eher selbst Opfer Hitlers waren als freiwillig seine Schergen.
Konkret ging es Herrn Dey ja um das Mahnmal in Berlin. Dasselbe wie er hat zum Beispiel Rudolf Augstein gesagt. Er war gegen das Denkmal, denn er sah voraus, daß es Neonazis unweigerlich anziehen wird. Sie werden Graffiti sprühen wie etwa Juden raus!, sie werden ihre Ausscheidungen zwischen den Stelen hinterlassen usw. So werden dann die Schlagzeilen in der Weltpresse aussehen. Für wen ist das ein Erfolg? Natürlich für die Neonazis. Also, Rudolf Augstein sagte im Prinzip: Wer ein solches Denkmal baut, darf sich nicht über die anschließenden Manifestationen des Antisemitismus wundern. Und wenn man die typischen Aktionen von Antisemiten als Antisemitismus bezeichnet, kann man auch schlicht sagen: Wer ein solches Denkmal baut, darf sich über zunehmenden Antisemitismus nicht wundern. Auch die Betreiber der Gedenkstätte sehen das voraus: Sämtliche Stelen bekommen eine Anti-Graffiti-Beschichtung. Also was soll da falsch sein?
Herr Dey müßte ein kompletter Idiot sein, wenn er nicht wüßte, daß es Antisemitismus auch ohne dieses Denkmal gibt. Daß er nicht so denkt, zeigt sich schon an dem Wort "(über einen) ZUNEHMENDEN (Antisemitismus)". Und was macht Herr Markner daraus? Aus der Beschreibung eines Effekts (Man darf sich dann nicht wundern) wird schuld an, aus dem konkreten Bezug zu der Zumutung, immer wieder an die Verbrechen des Nazi-Regimes erinnert zu werden, wird ganz einfach schon immer, und aus denen, die solche Denkmäler beschließen, werden die Juden: Am Antisemitismus sind eben immer schon die Juden schuld.
Wie gesagt, Herrn Deys Formulierung ist zugespitzt und deshalb angreifbar ich lehne sie selbst ab , aber was Herr Markner daraus macht, ist eine viel üblere Zuspitzung. Eine mutwillige Verfälschung. Es ist eine Diffamierung von Herrn Dey als Antisemit und als Vollidiot.
Herr Dey bekam ja dann wider Erwarten den Vorgang mit und war somit genötigt, sich zu verteidigen. Er stellte dann auch klar, worum es ihm ging. Das hinderte jedoch Herrn Lachenmann nicht, die Diffamierung von Herrn Dey auf die Spitze zu treiben: Er unterstellte Herrn Dey, er wolle den Opfern die Schuld zuschieben. Somit wurden aus den Juden von Herrn Markner auf einmal die ermordeten Juden die Opfer des Antisemitismus.
Herr Lachenmann bemerkte vermutlich gar nicht, wie schief sein Vergleich mit den sexuell mißbrauchten Kindern war. Erstens verhält sich Kinderfeindlichkeit anders zum sexuellen Mißbrauch als der Antisemitismus zum Holocaust. Sexueller Mißbrauch hat sexuelle Motive; wer Kinder haßt, wird sie eher verprügeln. (Sexueller Mißbrauch kann wenigstens irgendwie mit Pädophilie in Verbindung gebracht werden; der Holocaust läßt sich jeoch schwerlich als Philosemitismus beschreiben.) Zweitens ist das ein individuelles Geschehen, im Gegensatz zum Holocaust. Und vor allem wurde nicht die deutsche Bevölkerung von Staats wegen aufgefordert, genötigt und teilweise gezwungen, an einem organisierten Mißbrauch möglichst sämtlicher Kinder teilzunehmen. Aus diesem Grund kann man hier die Berichterstattung bzw. die Würdigung der Opfer und die Beurteilung der Täter überhaupt nicht miteinander vergleichen.
Jedenfalls tat auch Herr Lachenmann mangels Exegese so, als wollte Herr Dey den Opfern die Schuld zuschieben. Das hat überhaupt nichts mehr mit der Aussage von Herr Dey zu tun, ist aber ebenfalls eine Einstufung von Herrn Dey als Antisemit der schwachsinnigsten Kategorie.
Weil Herr Dey sagte, er habe keine Zeit mehr, sich weiter dazu zu äußern, fühlte ich mich genötigt, ihn zu verteidigen.
Herr Lachenmann, Sie haben es als nicht nachvollziehbare Unverschämtheit angeprangert, daß ein Moderator den Nutzernamen einer Teilnehmerin um eine Winzigkeit verändert hat. Da muß ich dann schon sagen, daß es eine viel größere Unverschämtheit ist, einen Gast, der sich aus Zeitnot nicht mehr verteidigen kann, trotz seiner Erklärungen als Antisemiten und als Dummkopf darzustellen.
Herr Dey hat im Bereich dasselbe gesagt, was wir alle ständig über den Terror sagen: Wer ihn auf eine Weise bekämpfen will, die große Teile der Bevölkerung demütigt, der wird mehr Terror ernten. Er hat dasselbe gesagt, was Rudolf Augstein über das Mahnmal in Berlin gesagt hat. Vielleicht wollen Sie auch Rudolf Augstein Ihre antifaschistische Keule überziehen? Oder vielleicht mir?
Herr Markner hat dekretiert, es bestehe kein Anlaß, sich weiter mit diesem Schmutz zu befassen. Das wäre schon in Ordnung, wenn es nicht Herr Markner selbst gewesen wäre, der Herrn Dey mit seinem Kommentar in den Dreck gestellt hätte. Ich fände eine Entschuldigung gegenüber Herrn Dey eigentlich angemessen. Der miserable Umgang mit ihm war jedenfalls der Grund, warum ich um eine saubere und faire Argumentation gebeten habe. Daraus hätte sich ergeben müssen, daß die Darstellungen von Herrn Markner und Herrn Lachenmann nicht haltbar sind. Jedenfalls nicht anhand des zitierten Textes von Herr Dey, und erst recht nicht mehr, nachdem er dazu Stellung bezogen und überzeugende Argumente vorgebracht hat.
Für mich wäre das als Schlußwort genügend. Falls jedoch Herr Markner und/oder Herr Lachenmann sich noch einmal dazu äußern möchten, will ich fragen: Bleiben Sie dabei, daß Herr Dey die Juden (Darstellung Herr Markner) bzw. die ermordeten Juden/die Opfer (Darstellung Herr Lachenmann) für schuld am Antisemitismus hält?
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