Mir erscheint die ganze Diskussion hinsichtlich der richtigen Schreibweise inzwischen zu abstrakt und theoretisch. Das mag für Sprachforscher interessant sein, aber ich sehe hier vor allem das, was uns daran politisch betrifft: hier wird zum ersten Mal in einer bisher nicht bekannten Machtanmaßung versucht, die Sprachentwicklung von oben her zu beeinflussen und in bestimmte Bahnen zu leiten, die demokratisch überhaupt nicht legitimiert ist. Wenn sich dagegen kein Widerstand von der Basis bildet, gerät die Entwicklung aus der Bahn, und deshalb bin ich weiterhin dafür, das zu boykottieren. Das hat mit Purismus nichts zu tun. Ich empfinde auch die Mode des „Denglisch“ als eine ausgesprochene Pest, die ebenfalls nichts mit einer Sprachentwicklung „aus dem Volk“ im Sinne einer Volkssprache zu tun hat, sondern in dem Fall von den sog. „Consultants“ bzw. der Unternehmensberater-Branche kommt und der Bevölkerung ebenso aufgestülpt wird wie die damit verbundene neoliberale Wirtschaftslogik. Ebensowenig wie sich unsere Politiker und sonstigen Karrieristen noch um ihre Legitimation kümmern, sondern nur noch das machen, was gerade modisch ist und von der „Konsensdiktatur“ gefordert wird, kümmern sich aus gleichem Grund unsere Kultusminister um unsere „Volkssprache“. Bisher wurden Korrekturen in der Schreibweise immer erst dann vorgenommen, wenn sich eine entsprechende Wendung im Sprachgebrauch durchgesetzt hatte oder die alte Schreibweise aus anderen Gründen schlicht unmodern geworden war. Davon kann aber in der neuen Rächtschreipverordnung keine Rede sein. Warum soll „Tip“ plötzlich mit zwei p geschrieben werden? Sinnvoller wäre dagegen der umgekehrte Weg, wenn er irgendwo nötig geworden wäre. Das war etwa der Fall, als man weitgehend das „th“ abschaffte und durch ein bloßes „t“ ersetzte, weil die alte Schreibweise einfach überholt war. (Der damalige Kaiser bestand allerdings darauf, daß beim Wort „Thron“ eine Ausnahme gemacht wurde, sodaß uns diese ansich unmoderne Schreibweise bis heute erhalten blieb.) Es gibt leider zu viele Zeitgenossen, die diese Entwicklungen zu leicht hinnehmen oder gar für eine Erfordernis der „Modernität“ halten. Das kam eben auch im Kommentar von Katja Kerns zum Ausdruck, indem sie „Respekt vor dem Wandel“ forderte, „dem alles unterworfen ist.“ Dabei wird zu wenig hinterfragt, ob es sich dabei um einen echten Wandel handelt oder nur um eine modische Anpassung unserer Karrieristen (bei denen man sich wirklich fragt, wie es ihnen gelungen ist, den Stuhl von Kultusministern zu ergattern: gehört dazu nicht wenigstens das Abitur? Und wenn ja: was hätte ihr ehemaliger Deutsch-Lehrer zu ihrer „Karriere“ gesagt?). Mit ihnen wurde offenbar der Bock zum Gärtner gemacht. Katja Kerns Versuch, einen Widerspruch dagegen als Purismus abzutun und zu folgern, daß wir dann ansich zum Mittelhochdeutsch zurückkehren müßten, erinnert an ähnliche Argumente von Befürwortern des „Denglisch“, die allen Widerspruch dagegen als „Deutschtümelei“ lächerlich machen wollen. In unseren alten „deutschen Dörfern“ befanden sich bekanntlich immer auch Kirchen, und da sollten wir sie auch stehen lassen. Das steht aber für gesunden Menschenverstand und hat nichts mit unmodernem Traditionalismus zu tun. In diesem Sinne mißtraue ich von oben verordneten „Reformen“ ganz prinzipiell.
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Güvi
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