Halbvoll oder halb leer?
Ich habe mir mal, weil ich beim Lesen im Netz über halb voll oder halb leer stolperte, den Duden-Eintrag zu halb- (1996) angesehen. Selbst mit viel gutem Willen und Anstrengung glaube ich nicht, daß es gelingen würde, ein eindeutiges Prinzip zu erkennen, nach dem man halb von einem Adjektiv abtrennt.
Dort steht zur Erläuterung: mit Adjektiven zusammengeschrieben, wenn halb als bedeutungsabschwächender Zusatz aufgefasst wird.
Damit läßt sich erklären, warum man halbbitter, halbhoch, halbgebildet oder halbtrocken weiterhin zusammenschreibt, denn es handelt sich nicht um die wortwörtliche Bedeutung von halb, sondern darum, daß die Schokolade eben nicht ganz bitter ist, der Zaun nicht sehr hoch, ein Mensch nicht wirklich gebildet und der Wein nicht völlig trocken ist.
Andererseits kann man argumentieren, daß halb voll, halb leer, halb links und halb offen eine wortwörtliche Interpretation (bis zur Hälfte voll oder offen, genau zwischen 'geradeaus' und 'links') zulassen und es sich somit nicht um einen bedeutungsabschwächenden Zusatz handelt, mit denen der Begriff eine eigenständige Bedeutung erhielte. Aber da endet die Plausibilität auch schon.
Wie verhält es sich mit halb blind? Ist derjenige wirklich zur Hälfte blind, oder geht es nicht darum, daß er noch nicht ganz erblindet ist? Bei letzterem handelt es sich eindeutig um einen abschwächenden Zusatz, bzw. einen eigenständigen Begriff mit einer neuen Bedeutung. Wenn jemand vor Liebe halb blind ist, benutze ich intuitiv die Auseinanderschreibung, denn ich weiß ja, daß er keineswegs halbblind ist. Eine halb gare Idee ist keine bis zur Hälfte gegarte bzw. durchdachte, sondern eine schlecht durchdachte. Also ein abschwächender Zusatz. Dennoch wird nach Duden auseinandergeschrieben. Bei halbrund dagegen verhält es sich genau umgekehrt: Eine halbrunde Form ist in vielen Fällen eine, die tatsächlich zur Hälfte gerundet ist. Dennoch schreibt der Duden ausgerechnet hier die Zusammenschreibung vor.
Im dritten Bericht ist im Teil zum muttersprachlichen Deutschunterricht immer wieder die Rede davon, daß didaktische Materialien und Lösungen für den Rechtschreibunterricht noch nicht in ausreichendem Maße vorhanden seien. Mir drängt sich allerdings der Verdacht auf, daß das Problem gar nicht die mangelnden Methoden oder Materialien sind, man hat ja auch die vermeintlich so schwierige traditionelle Rechtschreibung an die Schüler erfolgreich vermitteln können. Das Problem liegt wohl eher darin, etwas zu vermitteln, das angeblich leicht zu verstehenden Regeln folgt, sich aber der Anwendung dieser Regeln sperrt. Nun bin ich ja in der glücklichen Lage, mich bzw. die Studenten im fremdsprachlichen Deutschunterricht nicht damit belasten zu müssen. Aber wenn, ich hätte keine Ahnung, wie man das in eine begreifliche Form fassen sollte.
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