Re: FAZ
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Ruth Salber-Buchmüller
Es gibt zu denken, daß die FAZ wegen rückläufigen
Anzeigenaufkommens ihre Tiefdruckbeilage aufgibt.
Der Grund könnte auch für die Abkehr von der jetzigen
Schreibweise herhalten.
Rückläufiges Anzeigenaufkommen haben alle Zeitungen in Zeiten der Rezession. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Anzeigenkunden die FAZ aus dem Grund meiden, daß dort die herkömmliche Rechtschreibung gepflegt wird. Sogar Bertelsmann verlegt immer noch selber Bücher in alter Rechtschreibung.
Daß FAZ.net die neue Rechtschreibung benutzt, muß wohl daran liegen, daß man dort annimmt, man müsse sich schick modern-jugendlich geben, da man ja eine solche Zielgruppe im Internet ansprechen möchte. Andere Leutesorten surfen doch auch nicht im Internet, oder? Die sehen doch alle so aus, wie sie stets anschaulich im Konrad-Magazin abgebildet waren, als es das noch gab (jetzt kann man sich die ersatzweise bei Giga auf NBC angucken). Allein die Namen der Bereiche: Uptoday, Book, Travel, Active, Fitness-Coach, das ist eine geradezu exemplarische Demonstration überflüssiger und alberner Anglizismen. Erstaunlich, daß man so ein uncooles Wort wie Wirtschaft (statt Economy, oder besonders gewitzt eConomy) zugelassen hat. Ei, was sind die verdammt schnittig, das ist ja voll kraß, Alter, oberfett! Die wahre gegenwärtige Jugendsprache benutzt gar nicht mehr so viele Anglizismen. Da hat die deutschsprachige Hip-Hop-Kultur viel einheimisches Wortgut neu wiederbelebt. Aber wahrscheinlich zielt FAZ.net auch noch eher ein wenig auf die sich besonders wichtig vorkommenden Yuppies, wie sie in Frankfurt sicher höher konzentriert sind als anderswo.
In den Geist der Unterwerfung unter die Prinzipien eines großen Konzerns ob Bank, Versicherung oder sonstwas zur eigenen Karriereförderung gehört ja auch die seifenglatte Stromlinienform, das blitzschnelle Anpassen an Vorgaben bei gleichzeitigem Überlegen, wie man das sogar noch übertreffen könnte, um im Wettbewerb herauszustechen; das Hinnehmen von Trends, um diese auszuschlachten und sich an ihnen zu ergötzen, als Gemeinschaftsritual sozusagen. Ist doch völlig klar, daß da sowas plastikmodern Glänzendes wie der Neuschrieb mit Vorliebe ja mit Gier! in die Riege von statussymbolischen Äußerlichkeiten eingegliedert wird. Man zeigt damit stolz daher, daß man mit beiden Füßen fest im neuen Jahrtausend steht, fit für die Zukunft, teamfähig, garantiert kein Querulant, der sich schwer in große Betriebegetriebe einbauen läßt oder gar so kleinkindisch naiv zurückgeblieben ist, daß er sich noch an Idealen orientiert. Zum Beispiel daran, daß es doch idealer gewesen wäre, die Rechtschreibung unreformiert zu lassen. Das läßt sich ja jetzt alles allein aus wirtschaftlichen Gründen schon gar nicht mehr zurückdrehen. Ansonsten wär´s ja kein Problem, aber wenn es keinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum erbringt, warum soll man es dann machen? Außerdem findet man sowieso nur New gut, doch nicht Old. Wenn irgendwas old ist, dann ist das doch total out, absolut has-been. Rümpft man die Nase dazu und belächelt mitleidig die Ewiggestrigen, die´s noch nicht begriffen haben (wie energieverschwendend und unprofitabel, gegen den Strom zu schwimmen!). Deswegen ist ja auch die New Economy so sexy, Old Economy ist doch nur was für Opas und Schwerfällige. Genau wie die Old Orthography.
So denkend und meinend dürfte sich FAZ.net ihre Zielgruppe vorstellen.
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