Fehlanzeige
In der umgestellten Literatur, den Zeitungen und in den Schriften der Reformer selbst werden alle Kommas wie bisher gesetzt. Hinzugekommen ist allerdings ein weiteres Komma, das bisher als unnötig angesehen und von Sprachpädagogen sowie der Kommaspezialistin Baudusch (Mitglied des Internationalen Arbeitskreises, der die Reform gemacht hat) sogleich als besonders fehleranfällig bezeichnet wurde: das obligatorische (!) Komma als drittes Satzzeichen nacheinander als Abschluß wörtlicher Rede: So?, fragte sie. Schon mal einen Schüler getroffen, der dieses Komma nicht vergißt?
Das Ziel, Kommafehler nicht mehr als Fehler zu werten, hätte durch einfache Anweisung an die Lehrer erreicht werden können. Allerdings wäre eine solche Herabstufung des Kommas angesichts der tatsächlichen Praxis (s.o.) kaum zu rechtfertigen, die Kunst der Kommasetzung ist ja offenbar ein ganz wesentlicher Beitrag zur leserfreundlichen Textgestaltung. Es ist auch falsch, hier von Legalisierung zu sprechen, auch wenn man das Wort großzügig versteht. In Wirklichkeit geht es um die Korrekturpraxis in den Schulen. Sie muß sich am wirklichen Lernziel orientieren. Wer in einem Bewerbungsschreiben ein Komma wegläßt, das offiziell wegbleiben kann, von der Firma jedoch ebenso wie von Zeitungen und Verlags-Lektoren weiterhin für notwendig gehalten wird, macht einen schlechten Eindruck. Die Personalabteilung kümmert sich verständlicherweise nicht um die archivierte Reform von 1996, sondern um das hierzulande Übliche.
Fragt man die Dudenredaktion oder sogar manche Reformer selbst, so werden sie zugeben, daß die neue Kommasetzung der am deutlichsten gescheiterte Teil der Neuregelung ist. Vgl. die Agenturschreibung, deren kanonische Fassung auf der Internetseite der dpa (www.dpa.de) nachzulesen ist: Die neue Kommasetzung wird in Bausch und Bogen zurückgewiesen, alle anderen neuen Regeln werden dagegen bestenfalls nur modifziert übernommen.
Übrigens umfassen die neuen Kommaregeln 10 DIN-A4-Seiten, ihre Zahl ist ebenfalls nicht geringer als vorher (nur die Numerierung hat sich geändert, damit es keiner merkt).
Bezeichnend ist auch, daß die Reformer ihre Kommaregeln zunächst selbst nicht verstanden hatten und sehr erstaunt waren, als man sie auf das neue obligatorische Komma gemäß § 77 (5) (nach Vorgreifer-es) hinwies. Der Kampf mit diesem Problem ist noch nicht abgeschlossen, die Dudenredaktion macht sich darauf bekanntlich einen eigenen Reim, der aber nicht überzeugt.
Ich verstehe nicht, wie man unter diesen Umständen die reformierte, aber nur auf dem Papier stehende, von niemandem genutzte, nur von den Lehrern zähneknirschend hingenommene Kommasetzung verteidigen kann.
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Th. Ickler
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