Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - Der Fetisch "Norm"
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Der Fetisch "Norm"
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Theodor Ickler
06.01.2002 18.51
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Nicht amtlich, dennoch einheitlich

Die Schüler lernen auf jeden Fall eine einigermaßen einheitliche Rechtschreibung, ob mit oder ohne staatliche Privilegierung eines bestimmten Unternehmens. In anderen Ländern hat es solche Privilegierung ja auch nie gegeben: England, Frankreich zum Beispiel – Länder mit sehr intensiver Orthographiepflege. Wer viel liest, schreibt besser als die Wenigleser. Professionelle Schreiber schlagen nach, ob in einem amtlichen oder einem nichtamtlichen Wörterbuch, ist ohne Belang.
Die Amtlichkeit hat sich aber, wie dargestellt, sehr nachteilig ausgewirkt. Das wußten die Dudenchefs auch schon immer, und mir haben sie einmal gesagt, daß sie sich die ganze Zeit in einem goldenen Käfig befunden hätten.
Ich glaube sogar, daß die Aufhebung der Amtlichkeit die Rechtschreibung noch einheitlicher machen könnte. Nämlich deshalb, weil in einer Kommunikationsgemeinschaft von dieser Dichte das natürliche Konvergieren auf die Einheitsschreibung hin nicht durch künstlich retardierende Normwerke gehemmt würde. Vielleicht wäre also ernstnehmen schon längst einheitlich zusammengeschrieben worden, hätten nicht die Dudenhörigen es immer wieder getrennt geschrieben ...
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Th. Ickler

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J.-M. Wagner
06.01.2002 18.12
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Abschaffung?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Norbert Schäbler
Veranlaßt durch folgenden Eintrag von Professor Ickler [im Strang "Lug, Trug und andere Reize"; threadid=372] soll ein weiterer Leitfaden entstehen. [...]

Mir war immer viel daran gelegen, die Idee einer staatlichen Rechtschreibregelung grundsätzlich anzufechten.
Also noch einmal:
1. In der Schule wird die allgemein übliche Sprache (Schriftsprache ebenso wie mündliche Rede) gelehrt.
2. Wie andere Teile der Sprache, so wird auch die Rechtschreibung aufgrund der muttersprachlichen, durchs Studium veredelten Kompetenz des Deutschlehrer (usw.) vermittelt.
3. Dabei helfen Wörterbücher, Grammatiken usw., die den üblichen Sprachgebrauch dokumentieren.

Diese Ordnung der Dinge engt die Sprachgemeinschaft nicht ein und gibt dem Lehrer wieder, was des Lehrers ist.
Leider habe ich bisher selten jemanden gefunden (auch unter den Mitstreitern), der diese einfache und schlicht menschenwürdige Konzeption zu Ende zu denken bereit wäre.
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Th. Ickler
[...]

An welches Ende denken Sie dabei: den Verzicht auf die bzw. die Abschaffung der einheitlichen Rechtschreibregelung an den staatlichen Schulen? Warum wäre das wirklich sinnvoll bzw. für die Schüler besser als das, was wir jetzt haben? Aus prinzipiellen Gesichtspunkten heraus verstehe ich dieses Anliegen inzwischen recht gut; die Rechtschreibregeln hätten dann wieder die Funktion, die ihnen eigentlich zukommt (darzustellen, »was die Regel ist«). Aber wie wäre es dann mit der Einheitlichkeit (und entsprechend mit der »Gerechtigkeit«), deren Bedeutung von Herrn Melsa im Strang „Brockhaus“ hervorgehoben wurde (unter „Egal ist Geschmackssache“; lang, aber lesenswert – finde ich)?

Das ist die Hemmschwelle, die ich bislang noch nicht zu überschreiten bereit bin: Ich finde, einmal sollte man es »richtig« gelernt haben, und es sollten alle das gleiche lernen. Vielleicht bin ich ja bloß zu kleingläubig und traue dem Prinzip, daß sich das allgemein übliche durchsetzen wird, an dieser Stelle zu wenig zu. Ich sehe auch, daß den Schülern auf die bisherige Weise eine »Regelhörigkeit« anerzogen wird, die nicht gerechtfertigt ist, und die nur nachträglich (zumeist mühsam) korrigiert werden kann. Der Lehrer kann das nur schwer von Anfang an mit vermitteln: einerseits muß er streng nach den Rechtschreibregeln vorgehen, andererseits soll er auf ihren deskriptiven Charakter hinweisen – wer führt sich schon selbst gern ad absurdum? In dieser Zwickmühle müßte man den Lehrer lassen, wenn man das einheitliche Erlernen der Rechtschreibung an der Schule mittels verordneter Regeln aufrechterhalten will – oder man unterdrückt den Aspekt des deskriptiven Charakters der Regeln... So ist das alles natürlich nicht »menschenwürdig«, und solange ich mich bei meinen Voraussetzungen nicht geirrt habe, scheint mir nun umsomehr der Vorschlag von Herrn Ickler sehr sinnvoll...
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Jan-Martin Wagner

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Norbert Schäbler
01.01.2002 11.28
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Etymogelei

Das ist eine unterfränkische Etymogelei (vgl.: „nicht kleckern sondern klotzen“ – „Klotz am Bein“ – „Bauklötze staunen“).
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nos

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Reinhard Markner
01.01.2002 11.07
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Anklotzen ?!

Was ist das für eine Tätigkeit ? Glotzen und kotzen gleichzeitig ?
Oder sehen wir hier ein orthographisches Problem ähnlich gucken vs. kucken ?

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Norbert Schäbler
31.12.2001 23.32
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Normusussittenmodeerlaßmixtur

Ich bin einverstanden damit, daß mich die Leute blöd anklotzen, wenn ich am FKK-Strand eine Badehose trage, aber ich bestehe darauf, meine Badehose ausziehen zu dürfen, wenn, wann und wo ich es will.

Ich bin aber nicht einverstanden damit, wenn sich die Leute in der Fußgängerzone vor aller Augen ihrer Hüllen entledigen, obwohl das eine ähnliche Provokation ist, wie ich sie oben andeutete.

Vermutlich brauche ich Erziehung und Belehrung, damit ich der Freiheit gerecht werden kann.

Könnte mich jemand darüber aufklären, was wahre Freiheit ist, ohne mich gleichzeitig mit einem Psychoprofil einschüchtern zu müssen.

So nebenbei noch: Was hat Schriftsprache mit Nudismus zu tun?
Für die 68er besteht da offensichtlich ein enger Zusammenhang. Obwohl die sogar in der Fußgängerzone blitzten, hatten die große Schwierigkeiten, ihre geistige Nacktheit einzugestehen.

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nos

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Elke Philburn
22.12.2001 21.38
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Walter Lachenmann
22.12.2001 20.00
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Der Teefisch Barsch

Diese Geschichte macht mich außerordentlich wirsch. Nicht weil sie wirr wäre, nein, ist sie das etwa? Wirsch ist ja das Gegenteil von unwirsch. Die Geschichte ist so schön verblümt. Sie ist ja auch von Norbert. Blüm müßte er heißen, der Norbert. Das Anliegen ist deutlich. Die Fische müssen schwimmen lernen, sonst taugt das Wasser nichts. Sagt barsch der Barsch.
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Walter Lachenmann

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Norbert Schäbler
22.12.2001 18.25
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Gedanken zum normierten Brauch

Es gilt als ziemlich sicher, daß damals, als man die Lederhose erfand, ein Schlächter (und das muß kein schlechter gewesen sein), ein Gerber und ein Schneider mitgewirkt haben. Vielleicht waren alle zusammen auch nur eine einzige Person, aber das spielt im engeren Sinne eigentlich gar keine Rolle. Im Speziellen jedenfalls konnte der Erfinder der Lederhose keinesfalls zu gleicher Zeit schlachten, gerben und schneidern.
Vielleicht – und das ist gar keine so dumme Vermutung – gab es auch einen, den man im neuzeitlichen Sprachgebrauch als Konsumenten bezeichnen würde, dessen Erfindungsanteil lediglich darin bestand, daß er eine „nicht herkömmliche“ Hose bestellte, weil es zum Beispiel die Frau dessen, den ich nur vermute, satt hatte, ständig die Hosen zu waschen, zu bügeln, zusammenzulegen und sauber in den Schrank zu packen.
Dabei spielt der Mann, den ich nur vermute, der aber doch wesentlichen Anteil an der Erfindung hat, eine nicht unwesentliche Rolle. Denn ihm mußte ja die Hose angemessen werden, weil es schlicht unmöglich ist, daß man sich selbst eine Hose anmißt, denn nach alter Bauernregel kann man sich drehen und wenden wie man will; der Arsch ist immer hinten.
Insofern wären bei der Erfindung der Lederhose schon fünf Leute beteiligt gewesen, wobei man wieder zwei abziehen müßte, weil frühere Schneider sowohl des Gerbens und Schlachtens, wie auch frühere Schlächter und Gerber meist auch der anderen Tätigkeiten mächtig waren, wohingegen man keinesfalls die Frau abziehen könnte, weil sonst wäre der Mann nicht darauf gekommen, daß er eine andere Hose oder überhaupt eine Hose tragen hätte sollen müssen.
All das aber hätte noch keineswegs ausgereicht, daß eine zweite Lederhose hätte geschneidert worden sein sollen, denn was sollte ein einziger Konsument mit einer zweiten Lederhose, die doch schon allein deshalb den vorherigen Hosen überlegen war, weil man diese ja nicht waschen brauchte, und weil selbige nahezu als unverwüstlich galt.
Es muß also – sonst wird die Hypothese nicht erhärtet – noch einen weiteren Konsumenten gegeben haben, der noch vor Ablauf der Zeit, in der die erste Lederhose hätte ausrangiert worden sein müssen, einem Schneider einen Auftrag zum Fertigen einer Lederhose gab, wobei der Schneider durchaus nicht identisch sein brauchte mit dem Schneider der ersten Lederhose, denn gelernte Schneider können unabhängig von ihrer Ortsansässigkeit durchaus beliebige Materialien zurechtschneidern.
Günstigstenfalls hätten wir nun die Zahl von sieben verschiedenen Leuten erreicht, eine Zahl, die in deutschen Landen – und dazu gehört auch der Freistaat Bayern – ausreichen würde zur Gründung eines Vereins, und damit wäre hinreichend erklärt, warum die Lederhose ein Brauchtum geworden ist.
Vereine, Verbände und Kultusministerien gelten schließlich als Sprachrohr des Brauchtums!

Zufriedenstellend ist das jedoch nicht, weil ja doch nach wie vor ein Gerber zugleich Schneider oder Schlächter sein könnte, und weil die Lederhose des Konsumenten 1 ja durchaus das Zeitliche hätte segnen können, bevor ein Konsument 2 auf den Gedanken hätte kommen können, sich ebenfalls eine Lederhose schneidern zu lassen.
Und damit steht die Gründung eines Lederhosenvereins auf äußerst wackeligen Füßen.

Das aber hinwiederum heißt, daß es einfach nicht nachvollziehbar ist, warum im besonderen die Bayern und insbesondere diejenigen, die tatsächlich Lederhosen besitzen, Lederhosen besitzen. (Das mit dem Doppellatz wäre im übrigen eine eigene Geschichte.)

Genug geschwafelt. Fragen stelle ich heute keine, weder zur Lederhose noch zur Muttersprache und schon gar nicht zu X-mas, denn ich bin so verwirrt, daß ich mich in meinem Zustand sogar für Weihnachten entschuldigen würde.
Trotzdem schöne Fete


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nos

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Theodor Ickler
20.12.2001 03.34
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Na ja,

vor Kunstfehlern ist niemand sicher.

Aber mal im Ernst: Man sollte den Begriff „durchgehen lassen " ein bißchen differenzieren. Kommentieren heißt ja noch nicht bestrafen. Bißchen flexibler! Stil!
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Th. Ickler

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Elke Philburn
20.12.2001 02.58
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Zitat:
Der Lehrer muß natürlich wissen, was auf einem gewissen Niveau als korrekt gilt (das eigene Sprachgefühl genügt nicht, wie gesagt). Folglich wird er „schonmal“ nicht unkommentiert lassen

Wirklich? Was spricht dagegen? Ich würde das glatt durchgehen lassen.

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Norbert Schäbler
19.12.2001 17.30
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Frage an Professor Ickler

Wie darf ich denn künftig die Heysesche S-Regelung einschätzen? Ist das eine regionale Besonderheit, eine Norm, oder ein Brauch?
Zusatzfrage: Kann man diese Regelung – die in der Schule bis 1996 Gültigkeit hatte – nicht mit Fug und Recht als die besser durchdachte, ökonomischere und ästhetischere Lösung bezeichnen?

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nos

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Theodor Ickler
19.12.2001 13.44
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Wie entstehen Bräuche?

Das ist das ganze Problem, d. h. es ist eigentlich gar keins. Der Rest interessiert die Soziologen.

Jedenfalls ist die Angst vor der Anarchie unbegründet.
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Th. Ickler

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Reinhard Markner
19.12.2001 10.25
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Schreib wie die andern

Daß die Sache mit der inhärenten Norm nicht ganz einfach zu begreifen ist, zeigte sich schon im 19. Jahrhundert, als ein Linguist auf den schlauen Gedanken kam, als Leitsatz der Orthographie »Schreib wie die andern !« zu formulieren -- um im nächsten Moment eine radikale Reform der deutschen Rechtschreibung zu entwerfen, die dem Usus völlig zuwiderlief.

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J.-M. Wagner
19.12.2001 10.17
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Norm = Fetisch? Bestimmt!

Ich möchte gern das, was mir in diesen Diskussionen – im wesentlichen durch die Beiträge von Herrn Ickler – klargeworden ist, mit meinen eigenen Worten beschreiben. (Keine Angst, ich denke nicht ständig so aufwendig und kompliziert; es reizt mich bloß das Thema dazu.) Auch ich hatte anfangs Schwierigkeiten mit der Vorstellung, mich ganz und gar von einer Norm zu verabschieden. Aber nüchtern betracht stellt man fest, daß es per se keine Rechtschreibnorm gibt, sondern daß sie nur gemacht werden kann. Jetzt wird es spannend, denn man könnte in einen Zirkelschluß verfallen: Um eine Norm – genauer: ein deskriptives Regelwerk; diese Gleichsetzung halte ich bezüglich der Rechtschreibung sowohl für zulässig wie für einzig sinnvoll – aufzustellen, muß man sich an dem vorherrschenden Schreibgebrauch orientieren und diesen in Form von mehr oder weniger allgemein gültigen (!) bzw. speziellen Aussagen beschreiben. Wenn man nun fragt, wodurch der allgemeine Schreibgebrauch bedingt ist, und man darauf stößt, daß es lange Zeit eine relativ strenge Norm dafür gegeben hat, ist man geneigt, das »Phänomen« einer weitgehend einheitlichen Schreibung von der Existenz einer Norm abhängig zu machen. – Aber warum eigentlich?

Denn dieser Zirkel ist, etwas verkürzt, von dem Kaliber: Wir stellen die richtige Norm auf, weil alle bereits nach einer Norm schreiben, und diese stellen wir wiederum auf. Oder noch kürzer: »Diese Aussage ist wahr« – was nach den Regeln der Aussagenlogik keine Ausage mehr ist; damit ist eine Einordnung in die Kategorien »wahr« oder »falsch« unmöglich. Dieser selbstbezügliche Satz ist schlichtweg bedeutungslos, denn wenn man annimmt, er sei eine falsche Aussage, ergibt sich ebensowenig ein Widerspruch wie in dem Fall, daß man annimmt, er sei wahr. Für die normierte Rechtschreibung kann dies bedeuten: Die Existenz einer Norm ist dann und nur dann wichtig, wenn ihre Existenz für wichtig gehalten wird. (Bijunktion im Sinne der Aussagenlogik) – Ich hoffe, daß ich mich bei diesen Überlegungen und mit der Parallele nicht geirrt bzw. selbst getäuscht habe; dies prüfe bitte jeder auf das schärfste!

Wie kommt man nun ohne das Vorhandensein einer Norm zu einer solchen? Das entspricht bereits der Frage: Wie kommt man ohne das Vorhandensein einer Norm zu einer weitgehend einheitlichen Schreibung? (Wenn man das für unmöglich hält, hat man m. E. die Flinte zu früh ins Korn geworfen.) Warum funktioniert das? Mit scheint, daß Rechtschreibung viel mit Gewohnheit und mit Zweckmäßigkeit zu tun hat: Gewohnheit in dem Sinn, daß man eine irgendwann einmal antrainierte Schreibung relativ unverändert beibehält, wenn man nicht aus eigener Kreativität oder einem besonderen Bedürfnis heraus (z. B. BinnenGroßschreibung oder konsequente kleinschreibung) bzw. durch Ideen anderer darauf gebracht wird, sie zu ändern; Zweckmäßigkeit in dem Sinn, daß andere das lesen können sollen, was ich schreibe, und sofern ich das wirklich beabsichtige, klappt das umso besser, je mehr ich mich an das halte, was allgemein üblich ist. Dazu muß ich danach schauen, wie andere schreiben. Das bedeutet, daß Rechtschreibung sehr viel mit Lesen zu tun hat, und zwar mit häufigem. (Damit wären wir bei der PISA-Studie...) Lesen geht dem Schreiben voraus, denn das, was ich schreiben soll, muß ich vorher gesehen und (in welcher Weise auch immer) begriffen haben.

Prinzipiell entsteht die Norm (im oben angegebenen Sinn) durch die genaue Beobachtung und die Untersuchung von Regelmäßigkeiten und Ausnahmen der Schreibgewohnheiten und die anschließende »Protokollierung« dieser Beobachtungen in Form von Aussagen über den Ist-Zustand, welche dann Regeln genannt werden, wenn es durch ihre Anwendung möglich ist, die übliche Schreibung eines Wortes zu rekonstruieren – das bedeutet es, ein deskriptives (beschreibendes) Regelwerk zu sein. (Das ist meine persönliche Definition; wenn in der Germanistik eine andere üblich ist, möge man mich korrigieren.)
Diese schriftlich fixierte Norm hat in meinen Augen mindestens eine sehr wichtige Funktion und kann eine weitere haben. Sie dient in jedem Fall dazu, daß die Kinder eben diese übliche Schreibung genau kennenlernen. Ich halte schriftlich fixierte Regeln für die Schule daher aus diesem Grund – und nur zu diesem Zweck – für sehr sinnvoll. Die fakultative Funktion besteht darin – wenn darüber Einigkeit unter den Schreibenden besteht, daß die Norm diese Aufgabe haben soll –, in unklaren Fällen, bei denen sich keine einheitliche Schreibung feststellen ließ, eine Empfehlung für eine solche abzugeben. Es ist aber auch möglich, daß in den Regeln festgehalten wird, daß es für diesen Fall keine einheitliche Schreibung gibt, und daß die am häufigsten vertretenen angegeben werden. Aber Vorsicht: An diesem Punkt ist eine Qualitätsveränderung von einem deskriptiven zu einem präskriptiven Regelwerk möglich, wenn man an solche Empfehlungen mit der gleichen Einstellung herangeht, wie einem die Rechtschreibung in der Schule beigebracht wird: »Das muß so gemacht werden.« Auch hier gilt: Die Regeln schreiben nur demjenigen etwas vor, der sich etwas vorschreiben läßt. Man kann an die Regeln aber auch mit der Einstellung herangehen, erfahren zu wollen, was sich als allgemein üblich und sinnvoll erwiesen hat.

Denn die Rechtschreibregeln bedeuten nicht, daß alle so schreiben müssen, wie es die Norm verlangt. Die Rechtschreibnorm sagt: Mache Du es bitte auch so, weil man es allgemein so macht und Du damit unnötige Leseprobleme vermeidest. Ich denke, daß es strenggenommen keine falsche Schreibung gibt, sondern eine graduelle Abstufung: normkonform – »eigenwillig« – sinnverstellend (d. h. unklar) – sinnentstellt (d. h. eine andere Bedeutung tragend). Man kann also beim Schreiben nur etwas in dem Sinn verkehrt machen, daß andere es nicht mehr oder nur mit großen Schwierigkeiten lesen können bzw. einen völlig anderen Sinn entnehmen, oder der Text hinterläßt beim Leser einen schlechten Eindruck, der einem zum Nachteil gereichen kann (siehe Bewerbungsschreiben). In der Schule sieht das etwas anders aus, dort gilt bereits als »falsch geschrieben«, was von der Norm abweicht. Das ist m. E. nur eine Methode, denen die Norm bekanntzumachen, die sie nicht kennen. Die Schüler befinden sich beim Schreibenlernen genau in der Position des Beobachters, der der Norm auf die Schliche kommen will. Und das Erlernen der Norm geht schneller, wenn sie korrigiert werden, sobald sie von derselben abweichen.

Fazit: Die Regeln sind Regeln, weil das darin enthaltene die Regel (d. h. der »Normalfall«) ist. Daß diese Regeln möglicherweise nicht eindeutig sind, weil verschiedene Beobachter zu unterschiedlichen Ergebnissen darüber kommen können, was das Allgemeinübliche ist, sollte niemanden wundern. Bislang galten die von der Duden-Redaktion in solchen Zweifelsfällen getroffenen Entscheidungen als maßgeblich dafür, was dann am sinnvollsten ist. Diese Entscheidung ist nun an die Allgemeinheit zurückverwiesen worden; es gibt keinen universellen Anker mehr. Na und? Braucht man den wirklich?

Ich bevorzuge weiterhin die Schreibungen »radfahren« und »Auto fahren«, weil ich ersteres als körperliche Betätigung (wie wandern, rennen etc.) auffasse, das zweite dagegen im Sinne von »sich einer Sache bedienen«, »sich mit einem Gegenstand beschäftigen« (wie bei »Kahn fahren«, »Holz hacken« etc.). Aber ich kann nicht erwarten, daß das alle so sehen und es deswegen genauso machen wollen; mir ist klar, daß es Leute gibt, die nicht in erster Linie zur körperlichen Betätitgung mit dem Fahrrad unterwegs sind. Was die machen, ist ganz klar: Rad fahren. Solche Feinsinnigkeiten (und das war ja nur ein ganz simples Beispiel) sind aber nur umsetzbar, wenn es eben keine »normierte« Schreibung (im strengen Sinn) gibt und es akzeptiert wird, daß jeder, der sich etwas bestimmtes dabei gedacht hat, das so schreiben darf, wie er will. Ich will damit keinesfalls der Anarchie das Wort reden, nur der Großzügigkeit in Geschmacksfragen.

Wie gesagt, das ist lediglich der momentane Stand meiner Auffassung von der Materie. Ich stelle das hiermit zur Diskussion; für alle Ergänzungen und Berichtigungen bin ich dankbar.
__________________
Jan-Martin Wagner

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Theodor Ickler
19.12.2001 04.22
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Noch schwieriger

Der Lehrer muß natürlich wissen, was auf einem gewissen Niveau als korrekt gilt (das eigene Sprachgefühl genügt nicht, wie gesagt). Folglich wird er „schonmal“ nicht unkommentiert lassen, „weil“ mit Hauptsatzstellung auch nicht. Es könnte im Bewerbungsschreiben schaden.
Usw. – es ist nicht einfach, aber auch nicht allzu schwer.
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Th. Ickler

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