Ein Ausflug in die Juristerei
Der Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität des Saarlandes hat in Sachen Rechtschreibreform (u.a.) einen Fall Schuriegel als Beispielfall im Internet veröffentlicht (unter http://www.jura.uni-sb.de/FB/LS/Grupp/Faelle).
Der folgende Lösungsvorschlag, aus dem der Fall selbst einigermaßen hinreichend hervorgeht, ist zur öffentlichen Diskussion freigegeben:
Rechtschreibreform
Verfassungsbeschwerde Schuriegels
Siehe hierzu BVerfG NJW 1996, 2221; Bericht zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in BT-Drs. 14/356. Allgemeine Informationen zur Rechtschreibreform: http://www.ids-mannheim.de/reform
Schuriegels Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A) Zulässigkeit
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.
Anmerkung: Zur Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem BVerfG siehe diesen Hinweis.
I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: jedermann)
Schuriegel kann Grundrechtsträger sein und ist damit jedermann i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG.
II. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: Akt der öffentlichen Gewalt)
Schuriegel wendet sich nach dem Sachverhalt ausschließlich gegen die Entscheidung des BVerwG, also gegen das letztinstanzliche Gerichtsurteil. Dieses Urteil ist ein Akt der öffentlichen Gewalt i.S.d. Art. 93 Nr. 4 a GG und damit tauglicher Beschwerdegegenstand. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht es insbesondere auch nicht entgegen, daß nicht auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes angegriffen werden. Eine solche umfassende Verfassungsbeschwerde wird vom BVerfG zwar für möglich gehalten, jedoch nicht verlangt (BVerfGE 4, 52, 56; 19, 377, 393).
Anmerkung: Siehe zur Bestimmung des Beschwerdegegenstandes bei mehreren, in derselben Sache ergangenen Gerichts- (und Verwaltungs-)entscheidungen diesen Hinweis.
III. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein)
Schuriegel müßte behaupten können, durch die Entscheidung des BVerwG in seinen Grundrechten verletzt zu sein. Das BVerwG hat die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bestätigt, nach der es für eine Klage Schuriegels gegen die Erlasse vom 14. August 1996 und vom 21. Juli 1997 gerichtete Klage es an der Klagebefugnis fehle. Dementsprechend hat es eine Verletzung der Grundrechte Schuriegels durch diese Erlasse an die er als Beamter nach § 69 SBG gebunden ist von vornherein für ausgeschlossen gehalten. Daher ist umgekehrt nicht von vornherein ausgeschlossen, daß diese Entscheidung Schuriegels Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Anmerkung: Der Sachverhalt liegt somit anders als der des BVerfG NJW 1996, 2221 f. Dort war die Rechtschreibreform angegriffen worden, bevor sie überhaupt für den beschwerdeführenden Beamten verbindlich geworden war.
Auch eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts des Art. 33 Abs. 5 GG der seinem Wortlaut nach zwar bloß einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber und eine institutionelle Garantie enthält, dem das BVerfG jedoch trotzdem eine subjektiv-öffentliche Komponente zuspricht, weil der Beamte keine Arbeits- und Tarifgestaltungsmöglichkeit nach Art. 9 Abs. 3 GG habe (BVerfGE 8, 1, 17) erscheint nicht von vornherein als ausgeschlossen.
Demgegenüber kommt eine Berufung auf Art. 5 Abs. 3 GG von vornherein nicht in Betracht: Als Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule steht ihm die Wissenschafts- und Lehrfreiheit nicht zu und zwar auch dann nicht, wenn der Unterricht in höheren Klassen ein wissenschaftliches Gepräge besitzt. Art. 7 Abs. 1 GG ist insoweit als lex specialis anzusehen (Pieroth/Schlink, Rn. 623): Mit staatlicher Aufsicht läßt sich Lehrfreiheit nicht vereinbaren. Von vornherein ausgeschlossen erscheint auch eine Verletzung des Art. 12 Abs. 1 GG: Als Beamter kann sich Schuriegel insoweit nicht auf die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG berufen als Art. 33 GG einschlägig ist. Ist mit anderen Worten eine Regelung über die Berufswahl und Ausübung mit Art. 33 GG vereinbar, kann sie nicht unter Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG ausgehebelt werden.
Schuriegel kann dementsprechend nur behaupten, durch das Urteil des BVerwG in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 5 GG verletzt zu sein und ist nur insoweit beschwerdebefugt.
IV. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) und Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde
Da gegen Entscheidungen des BVerwG ein weiterer Rechtsbehelf nicht gegeben ist, ist auch der Rechtsweg gemäß § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft. Es ist auch keine weitere sonstige Möglichkeit erkennbar, wie Schuriegel außer durch Erhebung einer Verfassungsbeschwerde sein vermeintliches Recht noch durchsetzen könnte, so daß der Verfassungsbeschwerde auch nicht der Grundsatz ihrer Subsidiarität entgegensteht.
V. Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG)
Die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG wurde nach dem Sachverhalt eingehalten.
VI. Ergebnis zu A
Die Verfassungsbeschwerde Schuriegels ist somit insgesamt zulässig.
B) Begründetheit
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn Schuriegel durch die Entscheidung des BVerwG tatsächlich in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wird.
Anmerkung: Da hier kein zur Einführung der Rechtschreibreform ermächtigendes Gesetz vorliegt, kann eine Grundrechtsverletzung durch das BVerwG nur darin liegen, daß es bei seiner Entscheidung die Bedeutung der Grundrechte hier den ihnen immanenten Gesetzesvorbehalt für Grundrechtseingriffe verkannt hat, so daß letztlich ein Fall der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts durch Willkür vorliegt (siehe hierzu diesen Hinweis).
Dies ist der Fall, wenn das BVerwG verkannt hat, daß die Schuriegel nach § 69 SBG bindenden Erlasse vom 14. August 1996 und vom 21. Juli 1997 in den Schutzbereich seiner Grundrechte eingreifen und dieser Eingriff verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist. Hier kommt eine Verletzung des Art. 33 Abs. 5 GG und des Art. 2 Abs.1 GG in Betracht (s.o. A III).
I. Verletzung des Art. 33 Abs. 5 GG
Das BVerfG spricht Art. 33 Abs. 5 GG nicht nur eine subjektiv-öffentliche Komponente zu, sondern geht darüber hinaus entgegen dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 5 GG auch davon aus, daß Adressat der Verpflichtung aus Art. 33 Abs. 5 GG nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die Verwaltung, insbesondere der Dienstherr des Beamten sein könne (BVerfGE 43, 154, 165, 169). Damit kann auch eine Einzelmaßnahme bzw. Weisung oder Verwaltungsvorschrift gegen Art. 33 Abs. 5 GG verstoßen. Definiert werden die hergebrachten Grundsätze als jener Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind (BVerfGE 8, 332, 343; 71, 255, 268). Hierzu gehören etwa die Pflicht zu Treue und Gehorsam gegenüber dem Dienstherrn und zur unparteiischen Amtsführung, fachliche Vorbildung, hauptberufliche Tätigkeit, lebenslängliche Anstellung, Rechtsanspruch auf Gehalt, Ruhegehalt, Witwen- und Waisenversorgung (BVerfGE 9, 268, 286).
Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums beziehen sich damit grundsätzlich nur auf das Beamtenverhältnis als solches, nicht jedoch auf die dienstliche Tätigkeit. Es läßt sich hieraus kein Recht auf eine bestimmte Art und Weise der Aufgabenerfüllung, auf unveränderte und ungeschmälerte Ausübung der übertragenen dienstlichen Aufgaben (BVerfGE 43, 242, 282) herleiten und damit auch kein Recht, bei der amtlichen Tätigkeit von der Rechtschreibreform verschont zu bleiben (vgl. P. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 23 Rn. 13 Fn. 34).
Allerdings ist in Art. 33 Abs. 5 GG auch der Fürsorgegrundsatz enthalten, der nach Ansicht des BVerfG als Korrelat zur Treuepflicht des Beamten vom Dienstherrn zwingend zu beachten (nicht bloß zu berücksichtigen) ist. Der Grundsatz der Fürsorgepflicht verpflichtet den Dienstherrn, den Beamten vor unberechtigten Anwürfen in Schutz zu nehmen, ihn entsprechend seiner Eignung und Leistung zu fördern und bei seinen Entscheidungen die wohlverstandenen Interessen des Beamten zu berücksichtigen (BVerfGE 43, 154, 165). Ob die Anweisung, die neue Rechtschreibung amtlichen Schreiben zugrunde zu legen, die wohlverstandenen Interessen des Beamten hinreichend berücksichtigt, könnte bezweifelt werden,
wenn man davon ausgeht, daß die ständige Verwendung der neuen Rechtschreibung zu einer Entfremdung des Beamten von seiner Muttersprache führe und so seine sprachliche Integrität verletze;
wenn man einen früher oder später entstehenden gesellschaftlichen Anpassungsdruck des Beamten auch im privaten Bereich befürchtet (Anpassungsdruck durch befürchtete Blamage beim Schreiben) und diesen Anpassungsdruck dem Staat zurechnet;
wenn man es letztlich mit der Würde des Menschen nicht für vereinbar hält, als Vehikel für die Durchsetzung einer neuen Rechtschreibung zu dienen (vgl. zum ganzen Kopke, NJW 1996, 1081, 1084 [allerdings nicht in bezug auf Art. 33 Abs. 5 GG, sondern in bezug auf Art. 2 Abs. 1 GG]).
Im Ergebnis erscheinen diese Bedenken allerdings nicht als gerechtfertigt:
Wer in Zukunft die alte Rechtschreibung verwendet, wird auch die neue Rechtschreibung lesen und verstehen können und umgekehrt;
es gibt keinen verfassungsrechtlichen Schutz davor, mit etwas Neuem konfrontiert zu werden (BVerfG NJW 1996, 2221, 2222). So wurde immer schon eine Sprachprägung der Beamten durch den Staat durch besonderen Amtsstil, rechtstechnische Begriffe etc. akzeptiert;
wer auch nach dem Jahre 2005 die alte Rechtschreibung benutzt, blamiert sich nicht, schreibt nicht falsch, sondern überkommen (OVG Münster NJW, 1998, 1240, 1241).
Somit werden auch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums durch die Erlasse vom 14. August 1996 und vom 21. Juli 1997 nicht berührt, so daß auch der Schutzbereich des Art. 33 Abs. 5 GG nicht eröffnet ist.
II. Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG
Da die sprachliche Integrität im Dienst schon von Art. 33 Abs. 5 GG erfaßt wird, kann in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG allenfalls das Recht Schuriegels fallen, sich außerhalb des Dienstes der überkommenen Rechtschreibung zu bedienen. Dieses Recht wird grundsätzlich auch von der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG erfaßt. Jedoch wird in dieses Recht durch die Erlasse vom 14. August 1996 und vom 21. Juli 1997 nicht eingegriffen. Schuriegel kann weiterhin privat so schreiben, wie er will. Daß die Durchsetzung der Rechtschreibreform im öffentlichen Dienst für den gesellschaftlichen Bereich Vorbildfunktion haben soll, steht dem nicht entgegen. Jedem steht es frei, dem Vorbild zu folgen. Die Rechtschreibreform wird hierdurch nicht zum Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (wie hier Hufeld, JuS 1996, 1072, 1075 f.; Wegener, Jura 1999, 185, 187).
Anmerkung: A.A. eigentlich kaum vertretbar, wird jedoch vertreten (vgl. Kopke, NJW 1996, 1081, 1083 f.)
Somit wird auch in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nicht eingegriffen.
III. Ergebnis zu B
Da somit die Erlasse vom 14. August 1996 und vom 21. Juli 1997 nicht in Grundrechte Schuriegels eingegriffen haben, konnten sie auch keine Grundrechte Schuriegels verletzen. Dementsprechend konnte auch das Urteil des BVerwG, das eine Grundrechtsverletzung Schuriegels durch diese Erlasse seinerseits von vornherein für ausgeschlossen hielt, keine Grundrechte Schuriegels verletzen. Die Verfassungsbeschwerde ist somit unbegründet.
C) Gesamtergebnis
Die Verfassungsbeschwerde Schuriegels ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Sie hat demnach keine Aussicht auf Erfolg.
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Dr. Wolfgang Scheuermann
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