Allerleirau[h]
Vor 100 Jahren hieß es: „Man kann in Deutschland nicht auf die Straße gehen, ohne auf einen Spitz zu treten. Heute ist die Rasse vom Aussterben bedroht. Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) hat sie und die Pinscher zur „Rasse des Jahres erklärt.
Der deutsche Pinscher war schon einmal fast ausgestorben. 1880 wurde er als Rasse anerkannt, 1895 entstand ein Pinscherklub, der „sämtliche deutschen rau_- und kurzhaarigen Pinscherarten betreut. ... denn vor 100 Jahren fielen in einem Wurf rauhaarige Pinscher – die Schnauzer – und kurzhaarige.
(Kieler Nachrichten, Wochenend-Journal v. 1.2.03)
Statt „Rauhhaar jetzt „Rauhaar zu lesen stört keinen Pinscher-Züchter! Wohlgefällig notieren es die Kultur- und Medienmachthaber. Sie würden die protestierenden Literaten am liebsten selber „ganz kleine Pinscher titulieren – wenn sich nicht schon Ludwig Erhard in der frühen Bundesrepublik damit unsterblich lächerlich gemacht hätte.
Dennoch ist die Streichung des Stammlautes „h in „rauh ein empfindlicher Eingriff in die deutsche Sprache. Der Hauch ist zwar nicht immer zu hören, aber landschaftlich noch fest verankert:
J. Saß gibt fürs Plattdeutsche an: „ruuch, ruge“, im Süden hört man „rauch“.
„Rauh kommt auch mit der Schärfung „rauch vor – in der Bedeutung „behaart, haarig. Im Hochdeutschen finden wir „Rauchware (Pelz, Pelzware) und „Rauchwerk (veredelte Pelzware). Vor Konsonanten erscheint der Hauch meist in abgeschwächter Form: Rauhfußbussard, Rauhblattgewächse, Rauhhaar. „Rauhwerk statt „Rauchwerk ist durchaus auch zu finden.
In Grimms Märchen – und hier müssen wir auf den Hund Gekommenen unvermittelt ins Mythologische wechseln – in Grimms Märchen erklärt dieses Wort den sonderbaren Eigennamen „Allerleirauh", den die Königstochter im gleichnamigen Märchen erhält. In dieser seltsamen, fast nur tiefenpsychologisch oder in kindlicher Unschuld zu ertragenden, und doch heiter und versöhnlich ausklingenden Geschichte flieht das Mädchen den Vater, der es nach einem Gelübde gegenüber seiner dahingeschiedenen Frau als ihr einzig ebenbürtige Schönheit begehrt. Das Mädchen lebt, bekleidet mit einem „Mantel von tausenderlei Rauhwerk", in der Wildnis, wird von Jägern entdeckt und unerkannt als „Allerleirauh" in die Küche des König gebracht: „Rauhtierchen, da kannst du wohnen und schlafen, und schürt dort von nun an „das Feuer, rupfte Federvieh („Vieh, Viecher ähnlich „rauh – warum unreformiert?). Die Handlung folgt nun dem Aschenputtelschema.
Das Märchen ist sozusagen ein umgekehrter Ödipusmythos. Bei tiefenpsychologischer Betrachtung verbietet sich eine platte Deutung und Nutzbarmachung.
Die Rechtschreibreform zerreißt nun das sprachliche Gespinst des Mythos, so daß wir lesen müssen:
Die Theatergruppe unserer Schule
Rathenow Duncker –Gymnasium
Seit 1991 findet sich jährlich eine Arbeitsgemeinschaft „Theater zusammen....
Traditionell führt die Gruppe zu Weihnachten ein Märchen in Kindergärten und Grundschulen auf.
So spielten wir „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, „Eine Weihnachtsgeschichte,
„Der kleine Prinz und „Allerleirau".
... auch „Rauwerk? „Rautier? Niemand versteht mehr den Zusammenhang.
Hinter jedem platt- oder wegreformierten Wort steckt eine Geschichte – eine Geschichte, die das Lernen leicht macht, wenn man nur will.
(am 5.2.2003 an Kieler Nachrichten)
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Sigmar Salzburg
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