Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - Orthographie und Grammatik
Willkommen Die 20 neuesten Beiträge im Forum
Fadensuche     Suche
Kennkarte ändern     Häufig gestellte Fragen   zu anderen Nutzern  kostenlose Anmeldung   Anfang  verabschieden
Jemandem diese Seite senden! Druckvoransicht zeigen
Forum > Rechtschreibforum
Orthographie und Grammatik
< voriges Leitthema     nächstes Leitthema >
Verfasser
Leitthema    Dieser Faden ist 9 Seiten lang:    1  2  3 · 5  6  7  8   9  Post New Thread     Post A Reply
J.-M. Wagner
16.05.2002 11.04
Diesen Beitrag ansteuern
Re: Kompliziert

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
In attributiver Verwendung (und noch unter einigen Sonderbedingungen) kann die Schreibweise Besorgnis erregend nicht ausgeschlossen werden, außer bei Steigerung/Intensivierung. Vgl. Unmut erregend usw. Sie ist allerdings stilistisch markiert (gehoben, fachlich usw.). Prädikativ sollte das Partizip I ebenfalls normalerweise nicht verwendet werden, die Grammatiken von Duden und Bertelsmann schließen es schlicht aus.
Sind diese Sonderbedingungen erst im Zuge der Reform entstanden, oder gab es sie schon vorher, so daß hierbei eigentlich ein „altes Problem“ wieder ins Blickfeld gerückt ist -- oder droht sich das alte Problem mit der Reformschreibung zu einem neuen (erheblicheren?) Problem zusammenzutun?
Zitat:
Was den Bezug zur Wortart betrifft, so waren es die Reformer, die weiterhin von Substantivgroßschreibung redeten und damit gewisse Verpflichtungen eingingen, die sie nicht einlösen können.
Na dann ist doch klar, worum es eigentlich geht; muß man sich das Leben unnötig schwer machen und alle möglichen Fälle von Besorgnis erregend in einem Durchgang abzuhandeln versuchen? Würde es nicht genügen, erst einmal genau die Fälle kritisch unter die Lupe zu nehmen, welche von der Reform hervorgerufen wurden?
__________________
Jan-Martin Wagner

Mit Klick die Kennkarte von J.-M. Wagner ansehen    An J.-M. Wagner schreiben   Visit J.-M. Wagner's homepage!   Suche weitere Einträge von J.-M. Wagner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Martin Reimers
15.05.2002 22.05
Diesen Beitrag ansteuern

Im Moment kann ich mir zu den Sonderbedingungen, die eine attributive Getrenntschreibung „Besorgnis erregend“ erlauben, nicht so viel vorstellen. Könnte es sein, daß der gerade weil eine Getrenntschreibung „Unmut erregend“ denkbar ist, die von „Besorgnis erregend“ Probleme aufwerfen würde, da die Gefahr einer Verwechslung mit dem Adjektiv „besorgniserregend“ besteht?

Aus dem Rahmen fallen hier ja sicherlich die künstlich geschaffenen Sonderbedingungen im Duden, die zu stilistisch vollkommen indiskutable Formulierungen führen („eine große Besorgnis erregende Entwicklung“, „ein großes Aufsehen erregendes Ereignis“). Diese syntaktischen Monster sind einzig und allein zu dem Zweck gezüchtet worden, eine grammatisch gebotene Getrenntschreibung zu belegen.


__________________
Martin Reimers

Mit Klick die Kennkarte von Martin Reimers ansehen    Suche weitere Einträge von Martin Reimers        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Theodor Ickler
15.05.2002 13.51
Diesen Beitrag ansteuern
Kompliziert

In attributiver Verwendung (und noch unter einigen Sonderbedingungen) kann die Schreibweise Besorgnis erregend nicht ausgeschlossen werden, außer bei Steigerung/Intensivierung. Vgl. Unmut erregend usw. Sie ist allerdings stilistisch markiert (gehoben, fachlich usw.). Prädikativ sollte das Partizip I ebenfalls normalerweise nicht verwendet werden, die Grammatiken von Duden und Bertelsmann schließen es schlicht aus.
Was den Bezug zur Wortart betrifft, so waren es die Reformer, die weiterhin von Substantivgroßschreibung redeten und damit gewisse Verpflichtungen eingingen, die sie nicht einlösen können.
__________________
Th. Ickler

Mit Klick die Kennkarte von Theodor Ickler ansehen    An Theodor Ickler schreiben   Suche weitere Einträge von Theodor Ickler        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
J.-M. Wagner
15.05.2002 13.22
Diesen Beitrag ansteuern

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Seit Beginn der Reformdiskussion vertrete ich die Maxime: „Was die Grammatik erlaubt, kann die Orthographie nicht verbieten.“ (...)

Nun könnte man fragen, ob das Umgekehrte ebenfalls gilt: „Was die Grammatik verbietet, kann die Orthographie nicht erlauben.“
Finden Sie, daß Ihre Frage beantwortet wurde -- oder haben Sie den Eindruck, daß lediglich „eine Antwort gegeben“ wurde (wie im Märchen vom klugen Hirtenknaben, welcher auf alle Fragen ein Antwort zu geben wußte)?
Falls letzteres der Fall sein sollte, versuche ich es noch einmal so:

Ich bevorzuge folgende Formulierung: »Was die Orthographie erlaubt, darf nicht zu grammatischen Inkonsistenzen führen.« (Was ich unter „grammatischer Inkonsistenz“ verstehe, wird aus dem folgenden ersichtlich.)

Eigentlich kann ich Herrn Melsas Ausführungen zur Anwendung der Großschreibung nichts wirklich neues hinzufügen -- außer, daß man sich klarmachen sollte, welche Konsequenz die bisherige Regelung hat, unter welchen Umständen Großbuchstaben verwendet werden -- bzw. warum sie überhaupt benutzt werden: Was will man damit erreichen?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Ich will ja gar nicht bestreiten, daß es im allgemeinen Schreibgebrauch einen klaren Zusammenhang zwischen der Verwendung der Großschreibung und bestimmten grammatischen Funktionen der groß geschriebenen Wörter gibt. Hierbei ist die Richtung von „Ursache“ und „Wirkung“ allerdings derart, daß eine gegebene grammatische Funktion über die Großschreibung entscheidet.

Die Großschreibung ist zwar (m. E.) ein rein orthographisches Phänomen und hat daher (an sich) nichts mit Grammatik zu tun, jedoch führte die bisherige Verwendung großer Buchstaben zu einer (partiellen) Umkehrbarkeit der von mir beschriebenen Ursache-Wirkungs-Kette: Aus einer gegebenen Großschreibung des Anfangsbuchstabens eines Wortes ließen sich präzise Schlußfolgerungen über die Wortart ziehen (wenn man von dem Fall absieht, daß das Wort am Satzanfang steht). Nur darin kann m. E. der Sinn der Großschreibung liegen, daß diese Rückschlüsse ermöglicht werden. Diese Aussage mag trivial erscheinen, ich habe sie jedoch in der bisherigen Diskussion vermißt (auch wenn sie mehr oder weniger implizit aus anderen Beiträgen hervorgeht).

Durch die Rechtschreibreform wird genau dieses Prinzip durchbrochen, und das bedeutet, daß ein der bisherigen Orthographie zugrundeliegender Konsens aufgegeben wird! (Auch diese Aussage mag trivial erscheinen, ich halte sie aber für den Kern der Sache.) Damit ist die „falsche Großschreibung“ m. E. ein orthographisches Problem, und zwar ein massives! Es ist eine völlig unbrauchbare orthographische Regelung, weil sie den Leser auf eine „falsche Fährte“ führt, und weil dadurch die Sinnhaftigkeit der Großschreibung insgesamt in Frage gestellt wird.

Reformschreibungen wie sehr *Besorgnis erregend sind m. E. außerdem als grammatisch falsch zu bezeichnen, weil (bzw. wenn) sie adjektivische Funktion haben -- als Adjektiv ist besorgniserregend ganz einfach ein einziges Wort. Handelte es sich wirklich um ein erweitertes Partizip, so wäre die Verwendung eines Synonyms ohne „sprachliche Beeinträchtigung“ möglich: Besorgnis hervorrufend, Besorgnis erzeugend etc. sind aber m. E. nur in Konstruktionen sinnvoll, in denen es um eine bestimmte Besorgnis geht, die hervorgerufen oder erzeugt (oder eben erregt) wird, und nicht um die adjektivische Feststellung, daß etwas an sich besorgnisserregend ist; dies wurde ja bereits am Beispiel fleischfressend (generelle Eigenschaft) und Fleisch fressend (konkret in diesem Moment Fleisch verzehrend) hinreichend diskutiert. Im Fall eines erweitereten Partizips kann aber sehr nicht ohne weiteres hinzugefügt werden, sondern nur, wenn es ein weiteres Adjektiv verstärt, welches sich auf Besorgnis bezieht: sehr große Besorgnis erregend.

Letztlich ist dieses Problem also ein semantisches, welches auf der grammatischen Ebene durch den Unterschied zwischen Adjektiv und Partizip in Erscheinung tritt -- und seinen Niederschlag in der Orthographie durch die Zusammen- oder Getrenntschreibung (in Verbindung mit der Großschreibung) findet. Damit ist auch noch einmal die Hierarchie klargestellt, welche m. E. den Maßstab dafür angibt, welche Ebene die Vorgaben für andere Bereiche liefert: Semantik --> Grammatik --> Orthographie. Diese Vorgaben zielen dabei notwendigerweise auf die Umkehrbarkeit dieser Kette in dem Sinn, daß von einer vorgefundenen Schreibweise auf die Bedeutung geschlossen werden kann. Daß dies nicht 100%ig gelingt, ist klar; jedoch sollte ebenso klar sein, daß dies das eigentliche Ziel ist und daß durch eine Änderung der Orthographie keine Verschlechterung eintreten sollte. -- Was meinen Sie zu diesen Antworten?
__________________
Jan-Martin Wagner

Mit Klick die Kennkarte von J.-M. Wagner ansehen    An J.-M. Wagner schreiben   Visit J.-M. Wagner's homepage!   Suche weitere Einträge von J.-M. Wagner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
J.-M. Wagner
05.05.2002 17.56
Diesen Beitrag ansteuern
Grammatische Relevanz der Großschreibung

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christian Melsa
Der Normalfall ist die Verwendung von kleinen Buchstaben. In bestimmten Fällen werden, fast immer nur am Wortanfang, große Buchstaben gesetzt. Die Regeln dafür, was groß geschrieben werden soll, sind ziemlich überschaubar: Wörter am Satzanfang, gewisse Anredepronomen und Substantive (bzw. substantivisch verwendete Wortgruppen). Eigennamen sind eine Untergruppe der Substantive. Alles andere jedoch wird auf jeden Fall klein geschrieben. Man kann die Lehren der Grammatik nicht einfach verwerfen, dazu noch höchst selektiv, nur um ein paar zu wenig bedachte Schreibweisenänderungen zu fundamentieren, deren anfängliche Begründung bei näherer Betrachtung völlig falsch ist. leid, recht, pleite, bankrott, feind, not usw. sind eben einfach keine Substantive, wo sie bisher schon klein geschrieben wurden. Das läßt sich ja mit ziemlich einfachen Proben (Wie-/Was-Fragen) nachweisen.
Nochmal: In welchen Bereich gehören die Regeln zur Großschreibung? Ich will ja gar nicht bestreiten, daß es im allgemeinen Schreibgebrauch einen klaren Zusammenhang zwischen der Verwendung der Großschreibung und bestimmten grammatischen Funktionen der groß geschriebenen Wörter gibt. Hierbei ist die Richtung von „Ursache“ und „Wirkung“ allerdings derart, daß eine gegebene grammatische Funktion über die Großschreibung entscheidet. Das bedeutet nun aber noch nicht, daß die Großschreibung umgekehrt zwangsläufig etwas über die grammatische Funktion aussagt; davon kann man nur ausgehen, wenn es bei der Verwendung der Großschreibung keine Ausnahmen von den von Herrn Melsa beschriebenen Fällen gibt. Bislang war das zwar so -- aber muß es zwangsläufig so sein? Also: Inwieweit ist die Großschreibung per se grammatisch relevant? Welche Regel sagt einem das?

Ich will darauf hinaus, daß es hier einen Schwachpunkt gibt: Die grammatische Funktion eines Wortes im Satz ergibt sich z. T. aus der Satzkonstruktion; wie manche Präpositionen die Verwendung eines bestimmten Falles (z. B. des Dativs) nach sich ziehen, so ist manchmal allein aufgrund der Stellung eines Wortes im Satz klar, zu welcher Wortart es gehört. Unbestrittenermaßen ist das leid bei leid tun kein Substantiv, sondern ein Adverb [stimmt das?]. Diese Funktion würde es selbst dann besitzen, wenn es groß geschrieben werden würde (und zwar aus semantischen Gründen)!! Deshalb nochmal die Frage: Wie zwingend gilt die Umkehrung, daß ein innerhalb des Satzes groß geschriebenes Wort in eine der genannten Kategorien fällt?
Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Christian Melsa
Natürlich könnte man die neuen Schreibweisen dennoch durchsetzen, wenn man eben bei der Gelegenheit auch noch gleich die Grammatik mitreformiert.
Meines Erachtens wäre das nicht erforderlich, denn man führte bei den Regeln zur Großschreibung lediglich eine weitere mit ein: daß eben *Leid tun geschrieben wird, obwohl es hier ein Adverb ist -- basta. Die alte Dudenregel R 61, die genau das verbietet, gilt ja nicht mehr. (In den Anmerkungen zu R 64 taucht das leid tun bei dem Verweis auf »alte Adjektive oder Adverbien« auf; dort wird auch explizit gesagt, daß es sich dabei nicht um das Leid handelt.) Grammatisch (und semantisch) gesehen bereitet das natürlich nur dann keine Schwierigkeiten, wenn man es nicht als ein Substantiv ansieht. (Und das ist doch nicht zuviel verlangt, oder? )

Mit dem obigen Argument der syntaktisch bedingten Erkennbarkeit der grammatischen Funktion eines Wortes ließe sich m. E. auch die sog. liberalisierte Kleinschreibung begründen. Dies hat einen interesssanten Nebenaspekt: Da bei *Leid tun (und in anderen Fällen) die bislang in beiden Richtungen eindeutige Zuordnung von Schreibung und grammatischer Funktion aufgegeben wird, bedeutet dies eine Aufweichung der Kennzeichnungsfunktion der Großschreibung -- und damit einen Schritt hin zu ihrer Abschaffung. Aber das ist eine Spekulation am Rande.
__________________
Jan-Martin Wagner

Mit Klick die Kennkarte von J.-M. Wagner ansehen    An J.-M. Wagner schreiben   Visit J.-M. Wagner's homepage!   Suche weitere Einträge von J.-M. Wagner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Christian Melsa
05.05.2002 16.23
Diesen Beitrag ansteuern

Ergänzung zu meinem vorigen Beitrag: Diese Lawine zu vermeiden, dürfte übrigens auch der Ursprung des Ansatzes von „Toleranz-Metaregeln“ sein. Denn der Zwang, das eine an das andere anzupassen, etwa die Grammatik an neue Schreibweisen (oder eben die Schreibweisen an die Grammatik), wird durch gewisse Metaregeln bewirkt. Wenn die aber nun tolerant genug sind, ist der Startschuß zur Narrenfreiheit in der künstlichen Sprachkonstruktion gefallen. Man könnte es auch überspitzt als Grundlage zur Generalamnestie für Stümper bezeichnen.

(Ist ja schlimm, wie man durch die Ungeheuerlichkeit der Realität immer wieder in die Polemik getrieben wird!)

Mit Klick die Kennkarte von Christian Melsa ansehen    An Christian Melsa schreiben   Suche weitere Einträge von Christian Melsa        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Christian Melsa
05.05.2002 15.21
Diesen Beitrag ansteuern
Re: Re: Leid - was ist das?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Das eigentliche „Problem“ wäre also, inwiefern die Substantivgroßschreibung eine Frage der Grammatik ist oder „bloße orthographische Konvention“ (und also ggfs. auch bei Abverbien angewendet werden kann). Aber ist das wirklich ein Problem?
Der Normalfall ist die Verwendung von kleinen Buchstaben. In bestimmten Fällen werden, fast immer nur am Wortanfang, große Buchstaben gesetzt. Die Regeln dafür, was groß geschrieben werden soll, sind ziemlich überschaubar: Wörter am Satzanfang, gewisse Anredepronomen und Substantive (bzw. substantivisch verwendete Wortgruppen). Eigennamen sind eine Untergruppe der Substantive. Alles andere jedoch wird auf jeden Fall klein geschrieben. Man kann die Lehren der Grammatik nicht einfach verwerfen, dazu noch höchst selektiv, nur um ein paar zu wenig bedachte Schreibweisenänderungen zu fundamentieren, deren anfängliche Begründung bei näherer Betrachtung völlig falsch ist. leid, recht, pleite, bankrott, feind, not usw. sind eben einfach keine Substantive, wo sie bisher schon klein geschrieben wurden. Das läßt sich ja mit ziemlich einfachen Proben (Wie-/Was-Fragen) nachweisen. Natürlich könnte man die neuen Schreibweisen dennoch durchsetzen, wenn man eben bei der Gelegenheit auch noch gleich die Grammatik mitreformiert. Interessant wäre allerdings, zu erfahren, wie dort dann die neuen Regeln lauten sollen, um die neuen Schreibweisen zu ermöglichen. Derartige Änderungen wären ja auch zugunsten einiger reformbedingter Getrenntschreibungen fällig. Und natürlich würden solche Änderungen bestimmt irgendwo wieder neue Probleme an anderen Stellen aufwerfen. Mit lawinenartigem Wachstum würden sich Sprachregeln auftürmen, die keine Wurzeln im Usus haben, sondern einzig und allein auf die Hirngespinste ein paar weniger unbedingt reformwilliger Orthographen zurückzuführen sind. In Anbetracht derer Motive – Vereinfachung – ein besonders tragisches Schauspiel.

Mit Klick die Kennkarte von Christian Melsa ansehen    An Christian Melsa schreiben   Suche weitere Einträge von Christian Melsa        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
J.-M. Wagner
05.05.2002 14.28
Diesen Beitrag ansteuern
Re: Leid - was ist das?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von J.-M. Wagner
Insofern halte ich die Aussage an sich, es tut mir *Leid sei grammatisch falsch, für nicht unmittelbar klar und eindeutig – im Gegensatz zum Fall des es tut mir sehr *Leid. (Zwar folgt daraus etwas für den anderen Fall, aber das kann man ja mal ignorieren – wenn man sich in puncto Grammatik disqualifizieren will.)
Nun kan man natürlich behaupten, die Schreibung es tut mir sehr *Leid sei insofern grammatisch nicht zu beanstanden, als sich das sehr auf *Leid tun als Ganzes beziehe und also bei es tut mir sehr *Leid kein „gesteigertes Substantiv“ vorläge; vielmehr wäre sehr *Leid eine Konsequenz der grammatisch erforderlichen Umstellung des Verbs (wie bei guttun -- sehr gut tun -- es tut mir sehr gut).

Damit geht man aber der eigentlichen Frage aus dem Weg -- nämlich der danach, ob es hier um das Wie oder um das Was geht. Die Antwort ist einfach: Es geht hier nicht um das Leid (vgl. unten: Leid – was ist das?), und also geht es um das Wie. Das gleiche gilt für weh tun und sehr weh tun -- hier wird weh weiterhin klein geschrieben, obwohl es auch das Weh gibt. (Dazu ein Beispiel: Bei bestimmten Behandlungen wie z. B. Massagen kann man fragen, wie es demjenigen damit geht: Tut es dir gut, oder tut das weh? Eine Was-Frage müßte in diesem Zusammenhang lauten: Tue ich dir damit etwas Gutes?)

»Was die Grammatik verbietet, kann die Orthographie nicht erlauben« -- über die Gültigkeit dieser Aussage kann nur entschieden werden, wenn klar ist, was zur Grammatik gehört. Das eigentliche „Problem“ wäre also, inwiefern die Substantivgroßschreibung eine Frage der Grammatik ist oder „bloße orthographische Konvention“ (und also ggfs. auch bei Abverbien angewendet werden kann). Aber ist das wirklich ein Problem?
__________________
Jan-Martin Wagner

Mit Klick die Kennkarte von J.-M. Wagner ansehen    An J.-M. Wagner schreiben   Visit J.-M. Wagner's homepage!   Suche weitere Einträge von J.-M. Wagner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Christian Melsa
02.05.2002 15.04
Diesen Beitrag ansteuern

Dies ist die Originalschreibweise aus dem Offenen Brief der Familie Steinhäuser:

Uns tut es unendlich leid, dass unser Sohn und Bruder so ein entsetzliches Leid über die Opfer und ihre Angehörigen, die Menschen in Erfurt und Thüringen, über ganz Deutschland gebracht hat.

Da Leid also im selben Satz gleich noch einmal in seiner eigentlichen substantivischen Rolle auftaucht, erschien es sicherlich als unangebracht schief, leid ebenfalls groß zu schreiben. Das heißt, falls es sich überhaupt um eine bewußte Entscheidung handelt.

Das Hamburger Abendblatt jedenfalls druckt in der heutigen Ausgabe diesen Brief als Foto ab und ist sich nicht zu albern zu der Überschrift:

„Es tut uns so Leid“, schreiben die Eltern

Mit Klick die Kennkarte von Christian Melsa ansehen    An Christian Melsa schreiben   Suche weitere Einträge von Christian Melsa        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Ruth Salber-Buchmüller
02.05.2002 11.58
Diesen Beitrag ansteuern
Leid - was ist das? heute:WELT u.WAZ

Der OFFENE BRIEF der Eltern
des Robert S. wird in der WELT
wiedergegeben mit: „Es tut uns
unendlich Leid“.

Die WAZ hingegen schreibt auf der
ersten Seite in der Überschrift:
Die Eltern des Amokläufers:
„Es tut uns leid“.
Es kann durchaus sein, daß hier
ein weisender Finger des Chefredakteurs
wirkt.




__________________
Ruth Salber-Buchmueller

Mit Klick die Kennkarte von Ruth Salber-Buchmüller ansehen    An Ruth Salber-Buchmüller schreiben   Suche weitere Einträge von Ruth Salber-Buchmüller        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Elke Philburn
30.04.2002 21.18
Diesen Beitrag ansteuern

Zitat:
Sich an die Großschreibung *Leid tun zu gewöhnen, bedeutete meines Erachtens, sein Sprachgefühl auf übelste Weise zu beschädigen.

Tippen Sie mal so leid es mir tut in Google ein. Trotz der gut 1500 Verweise ist die vorgeschriebene Großschreibung nach wie vor eine Seltenheit, die sich fast nur auf den Seiten der Reformkritiker findet.

Die Volksverblödung hat eben ihre Grenzen.

Mit Klick die Kennkarte von Elke Philburn ansehen    An Elke Philburn schreiben   Visit Elke Philburn's homepage!   Suche weitere Einträge von Elke Philburn        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
J.-M. Wagner
30.04.2002 19.20
Diesen Beitrag ansteuern
Leid - was ist das?

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Kann man sich z. B. so sehr an Leid tun gewöhnen, daß man daran keinen Anstoß mehr nimmt, sondern allenfalls nach einiger Besinnung sagt: Also eigentlich müßte das ja klein geschrieben werden, aber es ist nun mal der Usus, es groß zu schreiben?
Was bedeutete es, daran keinen Anstoß zu nehmen? Zwei Dinge:

a) Wenn es jemand vorliest, hört man immer dieselbe Aussage „DAS TUT MIR LEID“, ganz egal, ob LEID groß oder klein geschrieben wurde. Daher stellt dies m. E. keinen Grammatikfehler im unmittelbaren Sinne dar (wie etwa bei weil mit Hauptsatzstellung – aber in welchem Sinne ist das eigentlich „falsch“, außer, daß es unüblich ist?), und das ist m. E. der Ansatzpunkt für die Versuchung, sich daran zu gewöhnen. Dagegen hat man bei sehr *Leid tun quasi ein „gesteigertes Substantiv“ vor sich, und das paßt nicht zu der bestehenden Grammatik.
Insofern halte ich die Aussage an sich, es tut mir *Leid sei grammatisch falsch, für nicht unmittelbar klar und eindeutig – im Gegensatz zum Fall des es tut mir sehr *Leid. (Zwar folgt daraus etwas für den anderen Fall, aber das kann man ja mal ignorieren – wenn man sich in puncto Grammatik disqualifizieren will.)

b) Wenn man weiterhin von der (von Herrn Melsa sehr interessant beleuchteten) Kennzeichnungsfunktion der Großschreibung von Substantiven (u. ä.) ausgeht, ist das LEID von *Leid tun gleichbedeutend mit (dem) Leiden (vgl. auch „Erlkönig hat mir ein Leids getan“). Oder mit einem Verb ausgedrückt: „Leid“ bedeutet, daß derjenige leidet, auf den es sich bezieht. Das ist bei leid tun aber nicht gemeint, sondern man will ausdrücken, wie man sich in bezug auf jemand anderen fühlt (und wenn bei einem ein Leid vorliegt, dann eher bei jenem). Dabei leidet man selber nicht, sondern man ist betrübt und bedauert etwas auf besonders mitfühlende Weise. Würde man selber leiden, so würde man nicht sagen, daß einem etwas leid tut, sondern daß es einem verdammt dreckig ginge (o. ä.). (Ich will damit nicht ausschließen, daß sich jemand übermäßig um jemand anderen sorgt und nicht nur betrübt ist, sondern deswegen selber leidet – wie z. B. eine Mutter, wenn es um ihr Kind geht –, aber dann ist die Wortwahl tut mir leid fehl am Platz, da unzutreffend bzw. „daneben“.)
Die Reformschreibung *Leid tun ist semantisch falsch, denn sie liefert aufgrund der grammatisch relevanten Großschreibung nicht das mit leid tun Gemeinte. Mehr noch: Aufgrund dieses Fehlers ist sie ein Hohn, ja fast ein Affront gegenüber jenen, die wirklich leiden.

Sich an die Großschreibung *Leid tun zu gewöhnen, bedeutete meines Erachtens, sein Sprachgefühl auf übelste Weise zu beschädigen.
__________________
Jan-Martin Wagner

Mit Klick die Kennkarte von J.-M. Wagner ansehen    An J.-M. Wagner schreiben   Visit J.-M. Wagner's homepage!   Suche weitere Einträge von J.-M. Wagner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Christian Melsa
09.04.2002 19.32
Diesen Beitrag ansteuern
Damals, heute, - "Morgen"?!?

Bekanntlich war die Großschreibung ja ursprünglich so eine Art Verzierung, gleichzeitig natürlich auch Hervorhebung, gewissermaßen eine Hervorhebung durch Verzierung. Das läßt sich besser nachvollziehen, wenn man bedenkt, wie die Buchstaben aussahen, als die deutsche Sprache in Schrift richtig lebendig zu werden begann.

Zufällig habe ich gerade gestern ein paar alte Schriften verglichen und auf Großschreibung untersucht. Interessanterweise ist die Substantivgroßschreibung schon in Luthers Bibelübersetzung vorhanden (zumindest in der letzten Revision von seiner Hand; diese hatte ich vorliegen). Es werden nicht nur die Eigennamen mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben, sondern auch die meisten Substantive – aber uneinheitlich, sogar beim selben Wort. Ein paar Beispiele aus dem Markusevangelium:

[...] Denn alles Volck verwundert sich seiner lere. (Kapitel 11, Vers 18)

[...] Sagen wir aber, sie war von Menschen, so fürchten wir vns fur dem volck. [...] (11,32)

Was wird nu der Herr des weinberges thun? Er wird komen, vnd die Weingartner vmbbringen, vnd den Weinberg andern geben.(12,9)

Oder im Römerbrief:

Sind wir auch Kinder, so sind wir auch Erben, nemlich. Gottes erben und miterben Christi. [...] (8,17)

Hervorhebungen natürlich von mir. So wild es auch durcheinandergeht – wenn Wörter groß geschrieben werden, sind es aber immer Substantive. Andere Wortarten scheinen einzig und allein am Satzanfang groß geschrieben worden zu sein (ich habe jedenfalls noch kein Gegenbeispiel gefunden), denn der beginnt ja sowieso immer mit einem Großbuchstaben.

Und hier komme ich von der Historie wieder zurück auf die Grammatik. Auch in der gegenwärtigen (unreformierten) Rechtschreibung werden zwar manche strenggenommen als Substantive zu klassifizierenden Wörter unter bestimmten Umständen klein geschrieben, aber niemals eine andere Wortklasse groß, es sei denn, sie gehören zu einer nominationsstereotypischen Wortgruppe wie Erste Hilfe, Schneller Brüter usw., dann wird eben die gesamte Wortgruppe als Ganzes wie ein Substantiv behandelt, es folgt also immer noch dem Schema der Substantivgroßschreibung zur Kennzeichnung der Redegegenstände. Abweichend davon sind nur die groß geschriebenen Anredepronomen (Du, Sie, Ihr, Ihnen, Euer...).

Leid in Das tut mir Leid, Recht in Wie Recht du doch hast usw. sind aber ja nun erwiesenermaßen keine Substantive, sondern nur homonym zu welchen. Darüber hinaus werden andere Wörter in parallelen Konstruktionen wiederum klein geschrieben: Wie weh mir das tut vs. Wie Leid mir das tut. Man müßte also schon auf den naiven Grundsatz zurückgreifen, alles, was auch als Substantiv vorkommt, auch in anderen Situationen groß zu schreiben, um die Großschreibung von Leid, Recht, Feind in den entsprechenden Fügungen zu rechtfertigen. Das würde natürlich der Kennzeichnungsfunktion der Großschreibung völlig zuwiderlaufen.

Mit Klick die Kennkarte von Christian Melsa ansehen    An Christian Melsa schreiben   Suche weitere Einträge von Christian Melsa        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Norbert Schäbler
09.04.2002 16.50
Diesen Beitrag ansteuern
Toleranzgrenzen

Als Lehrer und „Zwischenhändler“ in Bildungssachen schließe ich mich der Meinung von Professor Ickler an. Für mich war die Grammatik immer ein tragender Pfeiler des Rechtschreibunterrichts, zumal mit ihrer Hilfe im Unterricht zahlreiche Analogien erst ermöglicht wurden und sich letztlich auch erst mithilfe der Grammatik freies, wörterbuchunabhängiges und sprachgefühlhaftes Schreiben herausbilden kann.
Beispiele für Unabhängigkeit beim Schreiben habe ich in obigem Satz in Form zweier Attribute gegeben. Laut Wörterbuch sind sie unmöglich und zu beanstanden.

Herrn Icklers Vergleich mit den Bauwerken gefällt mir außerordentlich gut. Nichts habe ich einzuwenden gegen Fresken, gegen kunstvollen Schmuck oder Stuck, gegen ein Sammelsurium selbst widersprüchlichster Baustile an fremden Hausfassaden. Das ficht meine Toleranz nicht an.
Wenn mir aber ein Mensch vom Bauamt erzählt, er könne meinen eigenen Bau erst genehmigen, nachdem ich Fresken eingekauft hätte bei irgendwelchen Gauklern und Flohmarkthändlern, dann sorge ich dafür, daß der Mensch wegen mutmaßlicher Bestechlichkeit aus dem Bauamt fliegt.


__________________
nos

Mit Klick die Kennkarte von Norbert Schäbler ansehen    An Norbert Schäbler schreiben   Suche weitere Einträge von Norbert Schäbler        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Reinhard Markner
09.04.2002 16.28
Diesen Beitrag ansteuern
Willkommen

Glücklicherweise hat nicht erst die Reformkritik den an zweiter Stelle genannten Grundsatz befolgt (wenn auch vielleicht erstmals explizit aufgestellt, was zu klären wäre), denn andernfalls hätte doch die Duden-Redaktion längst „herzlich Willkommen“ sanktionieren müssen, von den Reformern einmal abgesehen, die ja bekanntlich gerne Substantive und gleichlautende Wörter anderer Wortarten verwechseln.

Mit Klick die Kennkarte von Reinhard Markner ansehen    An Reinhard Markner schreiben   Visit Reinhard Markner's homepage!   Suche weitere Einträge von Reinhard Markner        Edit/Delete Message    Reply w/Quote    IP: Notiz
Alle Zeiten sind MEZ    Dieser Faden ist 9 Seiten lang:    1  2  3 · 5  6  7  8   9  Neuen Faden beginnen     antworten
Gehe zum Forum:
< voriges Leitthema     nächstes Leitthema >

Benutzungs-Regeln:
Wer kann im Forum lesen? Jeder Gast / jeder angemeldete Nutzer.
Wer kann ein neues Leitthema oder eine Antwort eintragen? Jeder angemeldete, eingewählte Nutzer.
Einträge können von ihrem Verfasser geändert oder auch gelöscht werden.
HTML-Kennungen beim Eintragen erlaubt? AN. Schnuten erlaubt? AN. vB-Kennungen erlaubt? AN. Bilder-Einbindung mit [IMG] erlaubt? AN.

Maßnahmen der Verwaltung:
Leitthema öffnen / schließen
Leitthema umziehen lassen
Leitthema löschen
Leitthema ändern

Herausgeber · Schreiben Sie uns · Forum

Technik von: vBulletin, Version 1.1.4 ©Jelsoft Enterprises Ltd. 2000. Rechtschreibung.com – Nachrichten zur Rechtschreibfrage