Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Notice: Undefined variable: goto in /home/www/rechtschreibung.com/html/Forum/showthread.php on line 3 Forum - Amtschefs, vierter Bericht usw.
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Amtschefs, vierter Bericht usw.
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Theodor Ickler
09.02.2004 14.19
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Noch viel mehr

Was die Kommission im vierten Bericht nicht erwähnt: Von der wiedereingeführten Zusammenschreibung sind gewiß auch die Familien viel gereist, selbst gemacht, frisch gebacken (jeweis mit vielen Mitgliedern) und das schlimme so genannt betroffen.
Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß sich der ohnehin vorhandene Widerspruch zwischen jenseits von gut und böse und für Jung und Alt durch die skurrile neue Begründung der Großschreibung bei Weitem noch zuspitzt. Das kann man schon jetzt niemandem mehr erklären, geschweige denn in Zukunft. (Diese Punkte werde ich im Kommentar noch nachtragen.)
__________________
Th. Ickler

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Wolfgang Wrase
09.02.2004 10.05
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Re: Kommentar zum vierten Bericht (Neufassung, Fortsetzung)

Zitat:
Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Irgend jemand wird sich gewiß auch über den Anhang aus dem ÖWB hermachen, den Herr Schäbler uns auf wundersame Weise herbeigeschafft hat (herzlichen Dank!). Wie ich schon angedeutet hatte, ist das handschriftlich eingearbeitete Material gar nicht so leicht zu deuten, geschweige denn auszuzählen.

Ich werde das mal versuchen – vielen Dank Herrn Lindenthal für die Aufbereitung und die Veröffentlichung auf diesen Seiten. (Ich habe natürlich nichts dagegen, wenn sich noch jemand an der Auszählung der Änderungen im ÖWB versuchen möchte.)

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Theodor Ickler
09.02.2004 07.27
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Anwehrzauber

Herr Markner hat recht: die Reformer huldigen der Sprachmagie – vielleicht eine Spätwirkung ihres Stammvaters Weisgerber? Den Namen des Bösen muß man tunlichst vermeiden, bewährt hat sich hingegen die Anbringung von apotropäischen Zeichen an der Fassade: häßliche Fratzen, herausgestreckte Zungen, entblößte Gesäße oder eben Mantras wie „Schoebe“.
__________________
Th. Ickler

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Reinhard Markner
08.02.2004 15.40
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Ergänzendes zum Kommentar

Zur Diskussion der „Kritik“:
„Die grundlegenden Verbesserungen im Vergleich zur alten Regelung werden allgemein anerkannt.“ Die Kommission versucht erst gar nicht, diese groteske These zu belegen. Ihre Strategie ist es, alle Äußerungen über die Rechtschreibreform, ob zustimmend oder kritisch, zu anonymisieren.
Die Kommission hatte schon in der endgültigen Fassung der 2. Anlage zum 3. Berichts den Namen Ickler im Text getilgt und durch eine Passivkonstruktion ersetzt („Kritisiert wird“ statt „Ickler kritisiert“). So verfährt sie nun auch im 4. Bericht durchgehend. Da auch Literaturangaben fehlen – mit Ausnahme des pauschalen Hinweises auf Eisenberg, Kürschner et al. in der Einleitung (S. 6) –, ist die erörterte „Kritik“ niemandem mehr zuzuordnen. Es läßt sich nicht mit Gewißheit entscheiden, ob die angebliche „Kritik“ von außen kommt oder von Kommissionmitgliedern vorgetragen wird, ob sie wissenschaftlich fundiert ist oder lediglich aus Eingaben reformeifriger Wichtigtuer oder verwirrter Schullehrer besteht. Trotzdem ist bisweilen von „der Kritik“ die Rede, als lasse sie sich als einheitliche Haltung auffassen (vgl. S. 36).

Zur Zeichensetzung:
Die Kommission läßt jedes nur mögliche Komma weg: „In ihrem ersten Bericht hatte die Kommission erwogen in einigen wenigen Fällen die alte Schreibung wenigstens als Variantenschreibung noch weiterhin zuzulassen.“ Damit führt sie einen Gebrauch der von der Neuregelung gewährten „Freiheit“ vor, den sie im 3. Bericht noch ausdrücklich bedauert hatte. Er steht auch in offensichtlichem Widerspruch zu der im 4. Bericht eigens zitierten Aussage des Regelwerks, daß Satzzeichen die Funktion hätten, „einen geschriebenen Text übersichtlich zu gestalten“ (S. 39). Weshalb die Weglassung der für eine problemlose Erfassung des Beispielsatzes „Sie bot mir, ohne einen Augenblick zu zögern, ihre Hilfe an“ nötigen Kommata dazu diene könnte, die mögliche Entbehrlichkeit des Einschubs anzuzeigen, ist völlig unklar.

Zur typographischen Gestalt:
Die Kommission verwendet, so wie in der Entwurfsfassung des 3. Berichts, schweizerische Guillemets. Das ist nicht kritikwürdig, aber doch bemerkenswert.

Zum Thema „Tipp“ usw.:
Keine andere europäische Sprache kennt die Schreibweise mit zwei p.
Auch „*Stepp“ in „*Stepptanz“, „*Onestepp“ usw. wurde geändert. „*Onestepp“ gehört zu den besonders irritierenden Bastardschreibungen, so wie „*Investmenttipp“, „*Surftipp“, „*Webtipp“ usw.

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Martin Reimers
08.02.2004 13.38
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Präzisionssturzhelm

Es sollte einmal die Häufigkeit der Vernebelungsvokabel „Präzisierung“ durch hohe Entscheidungsträger soziolinguistisch untersucht und mit deren weiteren Verbleib im Amt in Beziehung gesetzt werden. Scharping, Senator Lange in Hamburg und zuletzt Gerster bieten hierfür ohne Zweifel ebenso anschauliches Material wie hoffentlich bald auch unser geliebter Wächterrat, insbesondere Comical Augst.
Meine Vermutung: Eine erhöhte Präzisierungsfrequenz ist ein mindestens so deutliches Absturzsignal wie die Erklärung eines Regierungschefs, sein Minister leiste „hervorragende Arbeit“.
__________________
Martin Reimers

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Theodor Ickler
08.02.2004 09.23
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Kommentar zum vierten Bericht (Neufassung, Anfang)

Kommentar zum vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung

Zur Einleitung
„Dieser 4. Bericht hat eine Sonderstellung gegenüber den bisherigen Berichten: Im Hinblick auf die in der Wiener Absichtserklärung von 1996 vereinbarte Übergangsfrist bis 31. Juli 2005 weist in ihm die Zwischenstaatliche Kommission aus, welche Modifikationen sie für das Regelwerk vorschlägt.“
Das entspricht nicht den Tatsachen. Auch der erste Bericht enthielt eine Fülle von Änderungsvorschlägen, die jedoch zum Ärger der Kommission von der Amtschefskommission untersagt wurden. Schon damals war verhüllend von „Verdeutlichungen“ die Rede gewesen, die Kultusministerien ließen sich jedoch nicht täuschen und gaben bekannt: „Keine Änderung der beschlossenen Regeln zum jetzigen Zeitpunkt“ usw. (Pressemitteilung der KMK vom 12.2.1998 )

„Die Aufgaben der Kommission sind in Artikel III der Wiener Absichtserklärung von 1996 festgelegt. Daraus ergibt sich im Einzelnen, die Umsetzung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu beobachten, Anfragen zu beantworten, Kritik aufzugreifen und entsprechend zu berücksichtigen, das neue Regelwerk auf etwaige Schwachstellen zu untersuchen und nötigenfalls Vorschläge für dessen Anpassung zu erarbeiten. Es war schon immer erklärte Absicht der Kommission, eine gewisse Zeit der praktischen Anwendung der Neuregelung abzuwarten, bevor Vorschläge zu Detailanpassungen gemacht werden. Die meisten der sich aus der Anwendung der neuen Rechtschreibung ergebenden Probleme sind – wie vorhersehbar – auf Umstellungsschwierigkeiten zurückzuführen, die sich aber mit zunehmendem Gebrauch der neuen Schreibregeln mehr und mehr relativieren.“
In der Wiener Absichtserklärung heißt es jedoch:

„Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks.“
Von einer Korrektur fehlerhafter Regeln ist nicht die Rede. „Anpassung“ ist ein Relationsbegriff, es muß gesagt werden oder erschließbar sein, woran angepaßt werden soll. Im Zusammenhang der Absichtserklärung kann nur die Anpassung an die zu beobachtende künftige Sprachentwicklung gemeint sein. Im vierten Bericht wird selbstverständlich nicht auf die Sprachentwicklung Bezug genommen, denn die deutschen Sprache hat sich seither nicht in orthographisch relevanter Weise entwickelt. Vielmehr sind Korrekturen des Regelwerks gemeint, wie es ja auch aus dem weiteren Bericht hervorgeht. Damit geht die Kommission über ihren Auftrag hinaus. Der führende Schweizer Reformer Horst Sitta, bis heute Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission, stellte schon vor Jahren klar:
„Mir ist dieser Wortlaut wichtig: Die Kommission soll ihrem Aufrag nach nicht – wie seitens der Reformgegner behauptet wird – das angeblich schlechte Reformwerk optimieren. Sie soll auf der Grundlage des beschlossenen Regelwerks die Einführung der Neuregelung begleiten.“ (in Eroms/Munske [Hg.]: Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 222)
In einem an viele Adressaten versandten Standardbrief der Kommission aus demselben Jahr heißt es:
„Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Wien weitere Änderungen vorerst grundsätzlich nicht mehr möglich sind.“
Am 23.1.1997 gaben Zeitungen eine Mitteilung des IDS wieder, wonach die Aufgabe der Kommission „keineswegs die Korrektur des beschlossenen Reformwerks“ sei.
„Die ‚von Reformgegnern erzeugte Sorge‘, die Rechtschreibreform werde schon vor der endgültigen Umsetzung ‚repariert oder korrigiert‘, sei gegenstandslos.“ (Fränkischer Tag vom 23.1.1997)
Die ersten Reparaturvorschläge wurden im ersten Bericht (Dezember 1997) unterbreitet, einige davon als „unumgänglich notwendig“ erklärt. Nach ihrer Zurückweisung durch die Amtschefskommission wurden einige der untersagten Korrekturen unterderhand in Beratungsgesprächen mit Duden und Bertelsmann praktisch dennoch eingeführt. Nun soll erstmals förmlich in den amtlichen Text eingegriffen werden, Anfang 2004, lange vor der „endgültigen Umsetzung“ im August 2005.
Die erste Abweichung vom ursprünglichen Auftrag war allerdings unter dem Druck der Kritik schon von den Kultusministerien in jener Pressemitteilung vom 12. 2. 1998 angedeutet worden:
„Ob und welche Änderungen sinnvoll sind, kann rechtzeitig vor Ende der Übergangszeit (im Jahr 2005) entschieden werden.“
Hierauf könnte sich die Kommission heute berufen, nicht aber auf die Wiener Absichtserklärung. Auf die Neuinterpretation des Kommissionsauftrages gehen auch gewisse Spannungen zwischen der deutschen Seite einerseits und der Schweiz und Österreich andererseits zurück.
„Es war erklärtes Ziel der Neuregelung, den Schreibenden wieder die Möglichkeit zu geben, allein aufgrund der Anwendung der Rechtschreibregeln zu richtigen Wortschreibungen kommen zu können. Demgegenüber verlangte die frühere Regelung ein häufiges Nachschlagen im Wörterbuch.“
Wenn dies das Ziel war, ist es so gründlich verfehlt worden, daß sogar das staatliche Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München festhielt:
„Die Neuregelung der Rechtschreibung bedingt, dass für jeden – Lehrer und Schüler – der Umgang mit einem Rechtschreiblexikon selbstverständlicher sein muss denn je.“ (Handreichungen „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“. ISB München 1996, S. 41)
Sitta und Gallmann haben festgestellt, das amtliche Regelwerk sei ein Text, aus dem der Laie die korrekte Schreibung nicht entnehmen könne. Gerade bei der Groß-und Kleinschreibung könne man auch in Zukunft nur durch Nachschlagen zum Ziel kommen (Handbuch Rechtschreiben 1996).
„Die Kommission ist zu der Überzeugung gelangt, dass die wesentlichen Neuerungen des amtlichen Regelwerks von 1996 unverändert bleiben sollten. Viele dieser Regelungen haben nachweislich spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern gebracht.“
Hier fällt die vage Ausdrucksweise auf: Was sind „spürbare“, zugleich aber nachweisbare Erleichterungen? Tatsache ist, daß zur Zeit alle Rechtschreibungen – die „alte“, die amtliche neue und die vielfach korrigierte neue, wie sie in den unterschiedlichen Wörterbüchern seit 1996 verzeichnet ist, benutzt werden dürfen, ohne daß Fehler angestrichen werden. Bei gleichbleibenden oder sogar – wegen der Mischung – objektiv geringeren Rechtschreibleistungen werden aus arithmetischen Gründen bessere Noten vergeben – eine recht zweifelhafte „Erleichterung“. Bezeichnend ist die folgende Zeitungsreportage:
„,Endlich mal wieder eine Zwei‘, frohlockt die Achtkläßlerin der Wirtschaftsschule. Vor allem die Schlußbemerkung des Lehrers findet Julia hochinteressant. Da steht: ,Aufgrund der Anwendung der neuen Rechtschreibregeln sind elf Fehler weniger in Rechtschreibung und Zeichensetzung zu verzeichnen; die Arbeit ist daher mit ,gut‘ zu bewerten.‘“ (Nürnberger Nachrichten 31.12.1996) Nicht die Schülerin hat also die neuen Regeln angewandt, sondern der Lehrer und für die gleiche Leistung eine bessere Note gegeben. Diesen Effekt hätte die Schulverwaltung auch durch eine bloße Anweisung an die Pädagogen und ohne Eingriff in die Sprache selbst erreichen können.
Zur Laut-Buchstaben-Zuordnung
„KRITIK
Besonders anfänglich, d. h. nach Bekanntwerden der Neuregelung, wurde verschiedentlich die Rücknahme einiger neuer Schreibungen wie nummerieren, behände oder Tollpatsch gefordert.
DISKUSSION
In ihrem ersten Bericht hatte die Kommission erwogen in einigen wenigen Fällen die alte Schreibung wenigstens als Variantenschreibung noch weiterhin zuzulassen. Inzwischen ist die Kritik an den neuen Schreibungen, die das Prinzip der Stammschreibung und damit die Systematik stärken, stark abgeflaut und taucht nur noch sehr vereinzelt auf. Ganz offensichtlich spielt – wie innerhalb so kurzer Zeit schon festzustellen ist – hier die Gewöhnung eine große Rolle. Unabhängig von allen linguistischen oder nicht-linguistischen Argumenten ist – wie Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen – eine gewisse Zeit vonnöten, gespeicherte Schreibschemata durch neue zu ersetzen. Die Etablierung von Neumotivierungen ermöglicht ein richtiges Schreiben auch für all jene, die nicht über sprachhistorische Kenntnisse verfügen, und liegt also im Interesse der breiten Öffentlichkeit.“
Hier geht es um die ausschließlich von dem führenden Reformer Augst eingeführten etymologisierenden und volksetymologischen Schreibweisen, die vonAnfang an nicht etwa als zulässige Varianten, sondern als obligatorisch präsentiert wurden – wohl in der Annahme, daß andernfalls niemand sich dann halten würde. ie sind im einzelnen von sehr unterschiedlicher Qualität. So kann man in der Tat zu etymologisch richtigem bleuen (einbleuen usw., zu Bleuel, Pleuelstange) schon seit geraumer Zeit die volksetymologische Variante bläuen finden (wohl wegen der blauen Flecken). Das könnte allenfalls zugelassen, aber keinesfalls vorgeschrieben werden, so daß nun gerade der sprachkundige Schreiber einen „Fehler“ macht. Dasselbe gilt für Zierrat (wie Hausrat) statt Zierat (wie Heimat). Hingegen ist behende in tausend Jahren Sprachgeschichte so gut wie niemals anders als mit e geschrieben worden, weil der Zusammenhang mit Hand längst aus dem Bewußtsein geschwunden war. Das zeigt sich auch an Wendungen wie behenden Schrittes usw. Es ist nicht einzusehen, wieso die Neuschreibung „richtiges Schreiben auch für all jene, die nicht über sprachhistorische Kenntnisse verfügen“, ermöglichen soll. Noch deutlicher wird die rückwärtsgewandte Denkweise der Reformer in der Veränderung von Stendelwurz zu Ständelwurz. Hier hat Augst nämlich den alten volksmedizinischen Glauben ausgegraben, daß diese Orchideenart erektionsfördernd wirke und daher eigentlich mit ä (wie Ständer) zu schreiben sei. Das Duden-Universalwörterbuch ist stillschweigend zu Stendelwurz zurückgekehrt, obwohl die Neuschreibung als Variante ausdrücklich im amtlichen Wörterverzeichnis steht. Auf weitere Beispiele (schnäuzen, Tollpatsch usw.) kann verzichtet werden. Der vierte Bericht beharrt darauf, die Augstschen Erfindungen beizubehalten und sogar fast ausnahmslos obligatorisch vorzuschreiben. Wenn die Diskussion um diese Dinge abgeflaut ist, dann liegt das daran, daß außer dem hundertmal Gesagten nicht viel zu sagen bleibt.
Die Kommission behauptet, analog zu neuschreiblichem Tipp und Stopp seien auch Topp und andere Eindeutschungen gefordert worden. Sie fährt fort:
„Schreibungen wie Topp/topp, Shopp, Popp oder Stripp würden einen Schritt in Richtung Systematisierung bedeuten. An die Stelle bisheriger Einzelfestlegungen würde weit gehende Regelhaftigkeit treten. Mit doppeltem Konsonantenbuchstaben könnte man dann alle einsilbigen Substantive schreiben, die verwandte Wörter mit einer solchen Schreibung neben sich haben (also dann auch Popp wegen poppig, Chatt wegen chatten usw.).
Gegen eine derartige Regelung spricht, dass eine solche forcierte grafische Assimilation auch einige Fremdwörter betreffen würde, die zurzeit eine hohe Gebrauchsfrequenz aufweisen ohne Anzeichen der Assimilation erkennen zu lassen, was vor allem damit zusammenhängt, dass sie auch international üblich sind (etwa Shop, Chat, Pop). Außerdem wird die Begründbarkeit der Schreibung mit Doppelkonsonantenbuchstaben in derartigen Fällen in der Wissenschaft zurzeit konträr diskutiert.
FAZIT
Die Kommission sieht hier – zumindest, was die einsilbigen Substantive aus dem Englischen angeht – möglichen Handlungsbedarf für die Zukunft, möchte zum jetzigen Zeitpunkt aber keine weiteren integrierten Schreibungen zur Diskussion stellen, sondern die Schreibentwicklung noch weiter beobachten und den Verlauf des wissenschaftlichen Disputs verfolgen.“
Hierzu muß man wissen, daß Eindeutschungen wie Hitt, Stripp usw. durchaus geplant waren, jedoch in den neunziger Jahren von den Kultusbehörden zurückgewiesen worden waren. Von einem guten Dutzend Neuschreibungen blieben nur Tipp und Mopp übrig (Stopp war teilweise schon vorher gebräuchlich). Gerade Tip ist jedoch international überaus gebräuchlich, so daß es keine Erleichterung ist , wenn etwa Englischschülern auf dem Umschlag ihres Übungsbuches „Lerntipps“ versprochen werden. Shopp, Hitt, Stripp usw. bleiben auf der Agenda („Handlungsbedarf für die Zukunft“) und werden zweifellos eingeführt werden, sobald die Kommission, wie von den Kultusministern vorgeschlagen, allein über Neuschreibungen entscheiden kann.
„Zu Irritationen hat die für die Schreibenden bisweilen schwer durchschaubare Kennzeichnung von Vorzugs- und Nebenvarianten (z. B. Biografie als Hauptvariante gegenüber Biographie, aber Geographie als Hauptvariante gegenüber Geografie) geführt.“
Das vor Jahrzehnten entwickelte Konzept der „gezielten Variantenführung“ wird einerseits aufgegeben. Die unterschiedlichen Kennzeichnungen im amtlichen Wörterverzeichnis waren in der Tat „schwer durchschaubar“, nämlich offenbar willkürlich. Ihr Status war zudem völlig unklar, denn sogar die Reformer selbst benutzten teilweise die „Nebenvariante“ (z. B. Orthografie). Andererseits soll die eingedeutschte Variante im Regelwerk künftig an erster Stelle angeführt werden – was jedoch die Wörterbuchredaktionen zu nichts verpflichtet. In der Reihenfolge schlägt sich der Wunsch der Kommission nieder, die Eindeutschung zu beschleunigen. In klarem Widerspruch dazu steht die Absicht, „den Prozess der Integration vorurteilsfrei zu beobachten, ihn also nicht vorzubestimmen“. Auch in der Zusammenfassung am Ende des Berichts wird der Widerspruch zwischen Beobachtung und Lenkungsanspruch nicht aufgelöst. Jedenfalls müssen die Wörterbücher das entsprechende Markierungs- und Verweissystem beseitigen. Im Österreichischen Wörterbuch (s. Anhang zum vierten Bericht) werden die erheblichen Folgen dieser Maßnahme bereits sichtbar.
Im amtlichen Regelwerk ist übrigens nicht klar, ob Haupt- und Nebenvarianten nur bei Fremdswörtern vorgesehen sind (s. meinen Kritischen Kommentar). Sogar die Schweizer Berater haben offenbar angenommen, sie seien auch für heimische Wörter vorgesehen. Dem widerspricht nun die Kommssion in ihrer Zusammenfassung:
„In der schweizerischen Stellungnahme heißt es: «Was den Einzelfall -fach betrifft, so wurde insbesondere von den Vertretern der Medien und der Verwaltung empfohlen, die Schreibung mit Bindestrich zur Hauptvariante zu machen.» Da es bei heimischen Wörtern keine Unterscheidung von Haupt- und Nebenvarianten gibt, sieht die Kommission in diesem Fall keinen Bedarf, ihren Vorschlag zu verändern.“


Zur Getrennt- und Zusammenschreibung
Die Kommission erkennt an, daß die Liste von Partikeln, die mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen („trennbare Verben“), unvollständig ist. Im ersten Bericht hatte sie schon einmal vorgeschlagen, diese Liste überhaupt zu öffnen. Nun soll es doch bei einer geschlossenen Liste bleiben, es werden aber 13 Partikeln und einige verkürzte Varianten hinzugefügt.
„Um den Charakter einer geschlossenen Liste zu gewährleisten, müsste die Liste um die folgenden fehlenden Partikeln bzw. Partikelvarianten ergänzt werden: dahinter-, d(a)rauf-, d(a)rauflos-, d(a)rin-, d(a)rüber-, d(a)rum-, d(a)runter-, davor-, draus-, hinter-, hinterdrein-, nebenher-, vornüber-.“
Diese Liste ist schwer zu verstehen, denn die verkürzten Formen drauf- usw. waren ja bereits in der originalen Partikelliste des amtlichen Regeltextes enthalten. Verglichen mit dem Rechtschreibduden von 1991 ergeben sich folgende Ergänzungen:
dahinterklemmen
dahinterknien
dahinterstecken
dahinterstehen
daraufgehen (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darauf)
*darauflosgehen (im alten Duden darauf losgehen)
darauffolgend
darin (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darin)
darüberfahren
darübermachen
darüberschreiben
darüberstehen
drüber (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darüber erschließbar)
darumkommen
darumlegen
darumstehen
drum (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darum erschließbar)
darunterfallen
darunterliegen
drunter (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darunter erschließbar)
davorhängen
davorliegen
davorschieben
davorstehen
draus (? im alten Duden keine Beispiele; DUW hat drausbringen, drauskommen)
hinterbringen ('nach hinten bringen')
hinteressen (mundartl. 'unwillig essen')
hinterhaken
hinterschlingen
hinterschlucken
hinterdreinlaufen (im alten Duden nur als Muster weiterer Verbindungen angegeben)
nebenherfahren
nebenhergehen
nebenherlaufen
vornüberbeugen
vornüberfallen
vornüberkippen
vornüberstürzen (im alten Duden als Muster für weitere Verbindungen angegeben)

Wichtiger als diese Einzeleinträge ist aber, daß es sich um ungemein produktive Muster handelt, nach denen Hunderte von Partikelverben gebildet werden. Ihre Wiederzulassung bedeutet daher schon mengenmäßig einen folgenreichen Eingriff.
Die seit 1996 vorgesehene Getrenntschreibung solcher Verben wird nunmehr falsch. Damit ist auch die Behauptung der Kommission und der Kultusministerien widerlegt:
„Durch die Änderungen werden bisherige Schreibweisen nicht falsch.“ (Beschlußvorlage der KMK vom 14. 1. 2004)
Das ist die unvermeidliche Folge, wenn man geschlossene Listen ändert.
Als „verlässliches Kriterium“ der Identifikation trennbarer Verben gegenüber adverbialen Fügungen wird die Nichtunterbrechbarkeit eingeführt: dabeisitzen vs. dabei (auf dem Stuhl) sitzen. Dies ist jedoch nur eines unter mehreren von der Kritik ausführlich begründeten Merkmalen und keineswegs so „verlässlich“, wie die Kommission meint. Besonders die Verbpartikel mit ist bekanntlich erweiterbar bzw. verschiebbar, aber auch zurück und einige andere, vgl.:
Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.04)
Hier liegt zweifelsfrei das Partikelverb mitnehmen vor.
Zu § 34 E3 (3): Die willkürliche, völlig unverständliche obligatorische Getrenntschreibung von adjektivischen Verbzusätzen, die auf -ig, -isch oder -lich enden, wird weiterhin mit einer angeblichen Entsprechung zu Adverbialien gerechtfertigt: richtig stellen wie freundlich grüßen. Die beiden Typen von „Kombinationen“ (wie es vage heißt) sind ganz unvergleichbar, gerade nach dem grammatischen Maßstab, den die Kommission sonst überall zur Geltung bringen will. Deshalb kann auch von einer nunmehr geschaffenen „Ausnahmslosigkeit“ der Regel keine Rede sein, denn es gibt überhaupt keine Regel, die derart Unvergleichbares zusammenfaßt.

Zu § 34 (3), § 34 E3 (5), § 55 (4): Hier geht es um die Fälle
Leid tun
Not tun
Pleite gehen
Bankrott gehen
Kopf stehen
Eis laufen
Acht geben
Recht haben
Unrecht haben

Sie werden weiterhin unter dem Titel „Substantiv + Verb“ abgehandelt, obwohl der Fehler der Reform gerade darin besteht, daß es sich teilweise gar nicht um Substantive handelt. Die Kommission behauptet nun, „dass die Wortartzugehörigkeit bei einigen Bestandteilen nicht ohne weiteres klar ist.“ Sie räumt ein, daß neben Leid tun auch leidtun geschrieben werden könne (nicht aber leid tun, wie bisher üblich), versteigt sich aber zu der abenteuerlichen These:
„Der Bestandteil Leid bzw. leid in der Verbindung mit dem Verb tun ist hinsichtlich der Wortart grammatisch weder synchron noch diachron zu bestimmen.“
Jeder Germanist lernt im ersten Semester, spätestens bei der mittelhochdeutschen Lektüre, was für ein Wort leid ist; man kann es auch in allen besseren Wörterbüchern nachlesen. Es handelt sich um ein altes Adjektiv, das als solches nur noch in Dialekten gebräuchlich ist, adverbial im Komparativ leider vorliegt und genau parallel zu weh, wohl, gut mit tun verbunden wird. Die Großschreibung Leid tun (so Leid es mir tut) ist und bleibt grammatisch falsch. Die Analogie zu kundtun (ebd.) ist irrig, da kund hier ein Resultativzusatz ist.
In der Stellungnahme der Schweizer EDK wird die Neuschreibung leidtun abgelehnt, unter Hinweis auf wie leid es ihr tut wird für die bisherige Getrenntschreibung plädiert. Auch die Schweizer wagen es nicht, eindeutig auf die grammatikalische Verkehrtheit der Großschreibung Leid tun hinzuweisen. Ihr Vorschlag wird aber von der Kommission zurückgewiesen, die abschließend noch einmal ihren grammatikalischen Irrtum bekräftigt:

„...würde damit für einen Einzelfall eine Schreibung wiederbelebt, die es für diesen Typ (Substantiv + Verb) in der neuen Regelung nicht mehr gibt: Getrenntschreibung des Substantivs mit Kleinschreibung.“ (S. 52)
Dieser Satz wird nur verständlich, wenn man sich einer Maxime erinnert, die in der Vorgeschichte der Rechtschreibreform von dem österreichischen Ingenieur Eugen Wüster ersonnen wurde: „Entweder groß und getrennt oder klein und zusammen!“- Sie liegt der immer weiter getriebenen Großschreibung in der gegenwärtigen Reform zugrunde, obwohl sie gar nicht ausdrücklich in das amtliche Regelwerk eingegangen ist.
Pleite gehen und Bankrott gehen werden mit einer angeblichen Analogie zu Gefahr laufen und Schlange stehen gerechtfertigt. Die richtige Analogie wäre kaputt, verloren, verschütt, entzwei gehen (mit oder ohne Zusammenschreibung, das ist hier unwesentlich). Es handelt sich um einen adjektivischen Resultativzusatz. Mit Substantiven kann gehen nicht verbunden werden.
Das grammatisch falsche Recht bzw. Unrecht haben (wie Recht du doch hast!) soll offenbar beibehalten werden, es wird nicht nochmals erwähnt. Dasselbe gilt für Not tun und das archaisierende Acht geben. Im dritten Bericht war bereits erwogen worden, auch nottun zur Wahl zu stellen: „Die frühere Schreibung not tun (getrennt und klein) sollte nicht wiederbelebt werden.“ Ebenso pleitegehen oder Pleite gehen, aber nicht mehr pleite gehen; inacht nehmen oder in Acht nehmen, aber nicht mehr in acht nehmen usw. Das fragwürdige Verfahren, die bisher übliche Schreibweise zu verbieten und stattdessen zwei andere zur Wahl zu stellen, wird bekanntlich auch bei von seiten praktiziert. Dies gibt es nicht mehr, man hat nur die Wahl zwischen vonseiten und von Seiten.

Zu § 36 E2:

„Es ist als ein Hauptfehler der Neuregelung bezeichnet worden, für Verbindungen mit Partizipien automatisch ausschließlich Getrenntschreibung vorzusehen, wenn eine entsprechende Fügung im Infinitiv vorliegt, z. B. Zeit sparend wegen Zeit sparen, allein stehend wegen allein stehen.“

Diesen Hauptfehler räumt die Kommission ein.:
„Diese Regelung lässt die Komparierbarkeit der ganzen Verbindung in bestimmten Fällen außer Acht und trägt auch den sich aus der Substantivierung ergebenden Aspekten nicht ausreichend Rechnung.
Die Steigerungsmöglichkeit des Ganzen bringt aber zwangsläufig auch bei Getrenntschreibung des Infinitivs die entsprechende zusammengeschriebene Form des Positivs vom Partizip als regelkonforme Schreibungsvariante mit sich, also z. B. zeitsparend wegen ein zeitsparenderes Verfahren, das zeitsparendste Verfahren; schwerwiegend wegen schwerwiegendere Vorwürfe, die schwerwiegendsten Vorwürfe.Die Kommission unterbreitet einen Lösungsvorschlag, der versucht, die Schreibung von Verbindungen mit Partizipien durch eine Erweiterung von § 36 E2 zu flexibilisieren.
Der Vorschlag nimmt die Kritik wie folgt auf: Es wird explizit vorgeführt, dass aus der Regelstruktur des Regelwerks für komparierbare Verbindungen zwei Schreibungen logisch ableitbar sind und dass beide Schreibungen auch tatsächlich zugelassen sind (z. B. Zeit sparend/zeitsparend).

Für nichtkomparierbare Fügungen lässt sich im Unterschied zu den komparierbaren aus dem amtlichen Regelwerk nur eine einzige Schreibung ableiten, also z. B. nur allein stehend (und nicht auch alleinstehend). Im Wörterverzeichnis sind in einigen Fällen auch Varianten mit Zusammenschreibung aufgenommen worden, und zwar unter Berufung auf § 37(2), wo die Zusammenschreibung von Substantivierungen behandelt wird. Das führt zu Schreibungen wie den folgenden:
das Kleingedruckte oder das klein Gedruckte, aber attributiv nur: das klein gedruckte Werk, die Alleinstehenden oder die allein Stehenden, aber attributiv nur: die allein stehenden Personen.
Dass in Verbindungen wie die Alleinstehenden oder das Kleingedruckte eine Neigung zur Zusammenschreibung besteht, hat aber nichts mit Substantivierung zu tun, es ist vielmehr Univerbierung schon im zugrunde liegenden attributiven Gebrauch anzunehmen. Dementsprechend wird eine zusätzliche Erweiterung von § 36 E2 vorgeschlagen, die auch für nichtkomparierbare partizipiale Verbindungen – unabhängig vom syntaktischen Kontext – die Zusammenschreibung als Variante zulässt.
Diese weit gehende Freigabe der Schreibung bei Verbindungen mit Partizip bringt im Ergebnis für die Schreibenden eine gewisse Erleichterung durch hinzugewonnenen Entscheidungsspielraum, zwingt aber andererseits die Wörterbuchredaktionen, alle einschlägigen Fälle an mehreren Stellen aufzuführen.“
Die Kommission macht sich also einige, wenn auch keineswegs alle Argumente der Kritiker zu eigen, vor allem die gesamthafte Steigerbarkeit. Nach jahrelangem Sträuben gibt sie zu, daß nicht nur die komparierten Formen (zeitsparender), sondern bereits der zugehörige Positiv (zeitsparend) zusammengeschrieben wird (neben dem anders gebauten Syntagma [viel] Zeit sparend). Andere Argumente, wie der Hinweis auf den prädikativen Gebrauch, werden nicht aufgegriffen, neuerdings verbreitete Fehlschreibungen wie Das Verfahren ist Zeit sparend also nicht ausgeschlossen. Der langjährige Vorsitzende der Kommission, Gerhard Augst, rühmte laut Zeitungsberichten sogar, nun sei die Unterscheidung die Frau ist alleinstehend vs. das Haus ist allein stehend wieder möglich (Schwäbische Zeitung 5. 2. 2004) – ohne zu bemerken, daß der zweite Satz grammatisch falsch ist. Der dritte Bericht war hier schon weiter.
Daß die Kommission das Argument bezüglich des prädikativen Gebrauchs bis heute nicht verstanden hat, zeigt sich in einem grammatischen Schnitzer, der ihr an anderer Stelle unterläuft:
„...dass die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend (!) sei.“ (S. 55)
Hier muß es zweifellos zufriedenstellend heißen, das auch in einigen neuen Wörterbüchern (z. B. Duden Universalwörterbuch) entgegen dem amtlichen Regelwerk wiederhergestellt ist. Die Kommission gebraucht auch, wie im Zitat erkennbar, durchweg die Getrenntschreibung weit gehende Freigabe usw., was zumindest linkisch wirkt.
Die Kommission kommt im weiteren Verlauf zu der Einsicht, daß nicht nur komparierbare Zusammensetzungen, sondern auch andere wie kleingedruckt, alleinstehend, alleinerziehend, ratsuchend wiederhergestellt werden müssen. Die lange Zeit von ihr verfochtene These, Großschreibung trete erst bei Substantivierung (Ratsuchende) ein, wird ausdrücklich widerrufen. Darauf hatten die Schweizer Kommissionsmitglieder Gallmann und Sitta schon seit 1996 gedrängt.
Bedenkt man, daß diese Korrektur auch die vielkritisierten Neuschreibungen Eisen verarbeitend, Erdöl produzierend, Wasser abweisend usw. erfaßt, so erkennt man einen durchgreifenden Änderungsbedarf in den reformierten Wörterbüchern.

Schreibung mit Bindestrich

Zu § 40 (3), § 41: Für Formen wie 8fach wird analog zur Neuschreibung 8-mal nun eine Variante mit Bindestrich vorgesehen: 8-fach. Als Grund gibt die Kommission an, daß „der Wortbestandteil einer Grauzone zwischen unselbstständigem Grundmorphem und Suffix zuzuordnen“ sei.
Im amtlichen Regeltext kommt allerdings weder der Begriff „Morphem“ noch gar der des „Grundmorphems“ vor. Die Neuregelung des Bindestrichs war bisher ausschließlich auf den Gegensatz von Zusammensetzung und Ableitung aufgebaut. Solange die neuartige Begrifflichkeit der „unselbstständigen Grundmorpheme“ nicht definiert ist, läßt sich nicht absehen, ob es mit -fach sein Bewenden haben kann.
Die Kommission will außerdem einen Fehler beheben, den sie als mißverständliche Formulierung darstellt. Diese Formulierung habe dazu geführt,
„dass viele gedacht haben, dass eine doch relativ übersichtliche Verbindung wie das Inkrafttreten neu nur noch mit Bindestrichen geschrieben werden dürfte: das In-Kraft-Treten.“
Zu diesen vielen gehörte immerhin die Dudenredaktion, trotz intensiver Beratungsgespräche mit der Kommission.
Zum Bindestrich werden noch eine Reihe weiterer Änderungen vorgeschlagen, die aber mehr redaktioneller Art und linguistisch uninteressant sind. Es bleibt übrigens bei der Umstimmigkeit, daß Erstglieder auf -ig, -isch und -lich mit Bindestrich in Zusammensetzungen eingehen (wissenschaftlich-technisch), im übrigen aber nach § 36 von Zusammensetzungen ausgeschlossen sind.


Zur Groß- und Kleinschreibung

„Der Vorwurf der Inkonsequenz der Neuregelung bezieht sich vor allem auf die Kleinschreibung von flektierten Adjektiven in festen Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv vom Typ vor kurzem, ohne weiteres.
DISKUSSION
Die Kleinschreibung wurde damit begründet, dass diese Verbindungen solchen ohne Flexion nahe kommen. Da substantivierte Adjektive aber auch ohne Artikel und nur mit Präposition auftreten können (z. B. Er steht Neuem misstrauisch gegenüber; sie bevorzugt Süßes; wir verpflegen uns mit Süßem und Salzigem), kann man auch Adjektive in festen Verbindungen aus Präposition und Adjektiv als Substantivierungen auffassen, sofern ihr substantivischer Status nach dem für die Neuregelung maßgebenden morphosyntaktischen Kriterium erkennbar ist, was sich in der Flexion des Adjektivs ausdrückt.
Deshalb kann man diese Adjektive nach § 57(1) auch großschreiben. Es handelt sich um etwa fünfzehn Wendungen dieses Typs, die allerdings in Texten teilweise eine relativ hohe Frequenz aufweisen, z. B. vor kurzem, seit kurzem, binnen kurzem, seit langem,vor langem, seit längerem, vor längerem, von nahem, von neuem, seit neuestem, von weitem, bei weitem, bis auf weiteres, ohne weiteres.
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Th. Ickler

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Theodor Ickler
08.02.2004 09.18
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Kommentar zum vierten Bericht (Neufassung, Fortsetzung)

FAZIT
Die Kommission schlägt vor, bei festen Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv künftig neben der Kleinschreibung auch die Großschreibung des entsprechenden Adjektivs zuzulassen und die Angaben unter § 58(3) folgendermaßen zu ändern:
[§ 58: In folgenden Fällen schreibt man Adjektive, Partizipien und Pronomen klein, obwohl sie formale Merkmale der Substantivierung aufweisen.]
(3) bestimmte feste Verbindungen
(3.1) aus Präposition und nichtdekliniertem Adjektiv ohne vorangehenden Artikel, zum Beispiel:
Ich hörte von fern ein dumpfes Grollen. Die Pilger kamen von nah und fern. Die Ware wird nur gegen bar ausgeliefert. Die Mädchen hielten durch dick und dünn zusammen. Das wird sich über kurz oder lang herausstellen. Damit habe ich mich von klein auf beschäftigt. Das werde ich dir schwarz auf weiß beweisen. Die Stimmung war grau in grau.
(3.2) aus Präposition und dekliniertem Adjektiv ohne vorangehenden Artikel.
In diesen Fällen ist jedoch auch die Großschreibung des Adjektivs zulässig, zum Beispiel:
Aus der Brandruine stieg von neuem/Neuem Rauch auf. Wir konnten das Feuer nur von weitem/Weitem betrachten. Der Fahrplan bleibt bis auf weiteres/ Weiteres in Kraft. Unsere Pressesprecherin gibt Ihnen ohne weiteres/ Weiteres Auskunft. Der Termin stand seit längerem/Längerem fest. Die Aufgabe wird binnen kurzem/Kurzem erledigt.“
Der „Vorwurf der Inkonsequenz“ ging diesmal nicht von den Reformkritikern aus, sondern von dem Schweizer Kommissionsmitglied Peter Gallmann. Er hat sich nun offenbar mit seiner Forderung nach Rückkehr zur weitestgehenden Großschreibung, wie im 19. Jahrhundert eine Zeitlang üblich, durchgesetzt.
Auf des ersten Bick ist nicht einzusehen, daß die Flektiertheit eines Adjektivs ein hinreichendes Kriterium für seine Substantiviertheit sein soll: bei Weitem. Dazu bedarf es besonderer Zusatzannahmen, die aber im Bericht nicht genannt werden. Andererseits ist das Fehlen von Flexionsendungen kein ausreichendes Argument für nicht-substantivischen Charakter, denn Artikel- und Flexionslosigkeit kommt auch in eindeutig substantivischen Paarformeln bzw. vollständigen Aufzählungen vor: das Märchen von Hase und Igel (statt vom Hasen und vom Igel). In diesem Sinne kann man Nietzsches Buchtitel Jenseits von Gut und Böse verstehen, wo jedoch nach der Reform Kleinschreibung vorgesehen ist. Es ist also im Bericht nicht hinreichend begründet, warum nicht auch durch Dick und Dünn, über Kurz oder Lang usw. geschrieben werden soll.
Schwerer wiegt aber der Einwand, daß die neu verordnetete Großschreibung das ist bei Weitem besser usw. vollkommen sinnwidrig ist. Das „Weite“, das hier erwähnt zu sein scheint, gibt es ja so wenig wie das „Öftere“ in der neuerdings groß zu schreibenden Wendung. Die Heraushebung eines vermeintlichen Gegenstandes aus der rein adverbial fungierenden Wendung ist textsemantisch widersinnig und überaus rückständig. Niemand hat in den letzten hundert Jahren so geschrieben, die Neuerung entspringt allein dem „Konsequenz“-Streben eines Grammatikers und nicht der Beobachtung von Schreibbrauch und Fehlerhäufigkeit. (Erst die Rechtschreibreform hat entsprechende Fehlschreibungen hervorgebracht, wie die Kommission sie nun nachträglich legitimieren will.)
Eine überholte Schreibweise des 19. Jahrhunderts ist auch die wiederbelebte Großschreibung der Eine, der Andere, die Meisten usw. Sie soll möglich sein, wenn, wie es seltsamerweise heißt, „der Schreibende zum Ausdruck bringen will, dass das Zahladjektiv substantivisch gebraucht ist“. Schreibende wollen gewöhnlich einen bestimmten Sinn zum Ausdruck bringen, nicht eine Wortart.
Der österreichische Beirat will die von seinem Landsmann Wüster vorgeschlagene Großschreibung (bei Weitem usw.) sogar als „einzige Variante“ (sic!) festlegen lassen. (S. 65) Die Kommission weist dieses Ansinnen jedoch zurück.
Die Kommission erkennt nunmehr an, daß in der Sprachgemeinschaft eine „offensichtliche Tendenz“ besteht, feste Gruppen aus Adjektiv und Substantiv durch Großschreibung als Begriffseinheiten zu kennzeichnen. Dem wollte die Neuregelung entgegenwirken, indem sie die Kleinschreibung erste Hilfe, schwarzes Brett usw. vorschrieb. Die Nachrichtenagenturen und Zeitungen folgten dem nicht, und auch sonst ist der Widerstand gegen diese sprachwidrige Normierung so stark, daß die Kommission seit geraumer Zeit die Klausel nutzt, Fachsprachen seien von der Rechtschreibreform ohnehin nicht betroffen. Der führende Reformer Augst hatte schon vor Jahren geäußert, die Erste Hilfe könne als Fachausdruck auch groß geschrieben werden. Dieser Ausweg wird nun systematisch ausgebaut, wobei am Ende die unklare Bestimmung erscheint:
„Im nichtfachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“
Die Anerkennung von „Begriffseinheiten“ (Nominationsstereotypen) war der richtige Weg; leider ist die Kommission nicht so konsequent, dieser Einsicht zu folgen und die am Ende doch wieder aufgeweichte Beschränkung auf „Fachsprache“ aufzugeben. Am Schwarzen Brett ist nichts Fachliches, und doch wird es aus Gründen, die der Kommission offenbar bekannt sind, zweckmäßigerweise groß geschrieben.
Als regeltechnisch fehlerhaft muß man den Schlußsatz der vorgeschlagenen Neufassung bezeichnen:
„Im nichtfachsprachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“
Das ist nur als eine vage statistische Aussage über den Schreibbrauch sinnvoll, nicht als Handlungsanweisung. In einem orthographischen Regelwerk haben solche Aussagen nichts zu suchen.

Zeichensetzung

Hier werden keine Änderungen ins Auge gefaßt.
Daß die neue Kommasetzung besonders beim Infinitiv nicht gelungen ist, weiß inzwischen jeder. Aber die Kommission schreibt:
„Der Vorschlag, bei Infinitivgruppen mit bestimmten Einleitewörtern immer ein Komma zu setzen, kommt denjenigen Schreibenden entgegen, die klare mechanische Regelungen schätzen, da sie ihnen die Entscheidungen abnehmen.“
Hier werden Schreibende diffamiert, die genau das wünschen, was die Neuregelung sich an so vielen anderen Stellen zu bieten rühmt: klare Regeln, die sozusagen idiotensicher auch den „Wenigschreiber“ zu korrektem Schreiben befähigen. Eine solche Regel ist zum Beispiel jene, die obligatorisch Getrenntschreibung bei Wörtern auf -ig, -isch und -lich vorschreibt, ohne Rücksicht auf syntaktische Unterschiede, die als allzu feingesponnen dargestellt werden.
„Kennzeichnend für die Neuregelung ist, dass sie die kommunikative Funktion der Satzzeichen betont: Satzzeichen dienen dazu, «einen geschriebenen Text übersichtlich zu gestalten und ihn dadurch für den Lesenden überschaubar zu machen», heißt es in den Vorbemerkungen zum Abschnitt E (Zeichensetzung) des amtlichen Regelwerks. Die Schreibenden können «mit den Satzzeichen besondere Aussageabsichten oder Einstellungen zum Ausdruck bringen oder stilistische Wirkungen anstreben». Mit dieser Kennzeichnung der Funktion sind Spielräume des Gebrauchs der Zeichen eröffnet, weil übersichtliche Gestaltung, Aussageabsichten, «stilistische Wirkung» per se nicht systematisch zu regeln sind.“
Während nach übereinstimmender Ansicht der Orthographieforschung die Zeichensetzung im Laufe der Jahrhunderte weitgehend durchgrammatikalisiert worden ist, restituiert die Neuregelung eine „stilistische“ bzw. rhetorische Zeichensetzung, besonders beim Komma. Das steht in eigenartigem Gegensatz zur sonstigen Bevorzugung grammatischer Kriterien. Die Schweizer Kommissionsmitglieder Gallmann und Sitta hatten deshalb schon in ihrem Handbuch Rechtschreiben (Zürich 1996) vorgeschlagen, weitestgehend zur bisherigen Kommasetzung zurückzugehen, konnten sich aber offenbar nicht durchsetzen. In der Praxis erleben wir nun, daß Kommata unter genau gleichen Bedingungen mal gesetzt und mal weggelassen werden (übrigens auch im vorliegenden Bericht, wo sogar ganz typische Kommafehler neuer Art unterlaufen, vgl. S. 25, S. 51 und S. 55; der dritte Bericht war noch fehlerhafter). Mit der Freiheit der Kommasetzung soll der professionell Schreibende Unterscheidungen ausdrücken können; es wird aber nicht gesagt, welche Unterscheidungen das sein könnten, da es zu diesem Bereich keine näheren Angaben gibt. Die Stilistik, die nun den leitenden Gesichtspunkt abgeben soll, wird nämlich weder im Regelwerk noch an andeer Stelle ausgeführt. Die Andeutung, man könne durch Kommas notwendige von weglaßbaren Infinitiven unterscheiden (S. 40), hat keine Grundlage im amtlichen Text. Daher kann der Leser eines so interpungierten Satzes auch nicht ahnen, was der Schreibende damit zum Ausdruck bringen wollte. Der Schweizer Beirat weist diese Zumutungen denn auch zurück.

Worttrennung am Zeilenende

Bei der Silbentrennung werden keine Änderungen vorgeschlagen.

Um so überraschender wirkt es, daß die Kommission hier eine umfangreiche, mit Fachausdrücken gespickte Abhandlung über Morphem- und Silbengrenzen einschaltet, die offenbar nur der Auseinandersetzung des Reformers Gallmann mit anderen Theorien dient, ohne praktische Folgen für die Neuregelung. Eine Kommentierung ist daher eigentlich überflüssig. Nur einige Hinweise seien gestattet.
Die Kommission führt aus:
„Die Worttrennung am Zeilenende ist sowohl in ihrem Regelaufbau als auch in einzelnen Bestimmungen kritisiert worden. Die erste Umsetzung in den Wörterbüchern 1996 war teilweise unterschiedlich, sodass Irritationen entstanden. Unter Hinzuziehung der Kommission haben sich die marktführenden Wörterbücher auf eine einheitliche Handhabung der Regeln geeinigt und eine Einengung in Bezug auf die Schwankungsfälle morphologischer Trennungen bei Fremdwörtern vorgenommen. In den Schulen wird die Neuregelung als Erleichterung angesehen.“
In der Tat hatte sich die eigentlich eher nebensächliche Silbentrennung zu einem Hauptproblem für die Wörterbuchredaktionen ausgewachsen. Die Kommission hat sich daraufhin zu intensiven Beratungsrunden mit den Redaktionen der „marktführenden Wörterbücher“ getroffen und mit ihnen eine nichtveröffentlichte, 60seitige Liste von zulässigen Trennungen erarbeitet (vgl. Sprachwissenschaft 2/2000).
An diesem Vorgehen ist zu beanstanden, daß nur solche Wörterbuchverlage beteiligt waren, die mit der Kommission bzw. dem Beirat auch wirtschaftlich verbunden sind. Der jetzige Kommissionsvorsitzende ist als Mitarbeiter am Österreichischen Wörterbuch ebenfalls privilegiert. Andere Wörterbuchverlage müssen warten, bis die exklusiv beratenen Marktführer (Duden und Bertelsmann) ihre Produkte auf den Markt gebracht haben. Ob die angegebenen Worttrennungen wirklich zulässig sind, kann der Benutzer nicht überprüfen, weil die vereinbarte Liste nicht veröffentlicht ist.
„Kritik wurde an der Regelhierarchisierung geübt. Sie zielt darauf ab, in einem ersten Abschnitt die Trennung von Komposita und Präfigierungen zu behandeln und erst in einem zweiten Abschnitt die innermorphematische Trennung.
DISKUSSION
Es gibt immer verschiedene Darstellungsmöglichkeiten. Natürlich kann man sich auch für die linguistische Reihenfolge «Trennung an Morphemfugen – Trennung an Silbenfugen » entscheiden. Prototypisch für die Worttrennung ist jedoch nach dem Alltagsverständnis die Trennung nach «Silben». Dies zeigt sich auch daran, dass sowohl die im Vorfeld der II. Orthographischen Konferenz von 1901 auf Bundesstaatenebene erschienenen Regelwerke als auch die verschiedenen Dudenauflagen zunächst die Trennung nach «Silben» abhandeln, dann erst die morphologische. Insbesondere sprechen namentlich zwei Gründe für die im Regelwerk gewählte Anordnung:
– Trotz morphologischer Segmentierbarkeit fallen bei einer (begrenzten) Anzahl von Komposita und Präfigierungen Morphem- und Silbenfuge nicht zusammen, vgl. hinauf vs. hi¦nauf, be-ob-achten vs. beo¦bachten (¦ markiert die Silbenfuge).
– Bei einer Hintanstellung der Trennung an Morphemfugen entfällt die Notwendigkeit eines Vorgriffs auf später folgende Regeln, vgl. § 111 E1, E2 und § 112.
FAZIT
Da das Regelwerk in seiner Darstellung alle notwendigen Aussagen enthält und diese auch hinreichend sind, besteht kein Änderungsbedarf.“
Hier wird offensichtlich unlauter argumentiert. Kritiker haben in der Tat gefordert, zuerst die Trennung der Zusammensetzungen zu behandeln. Es ist jedoch nicht zulässig, dafür unterderhand den Begriff „Trennung nach Morphemfugen“ einzusetzen. Auch die Kriiker bleiben bei der Silbentrennung und wollen keine Morphemtrennung einführen. Trennstellen bei Zusammensetzung sind nur ein Teil davon.
Und gerade die von der Kommission problematisierten Beispiele sind umstritten und werden widersprüchlich behandelt. Einerseits wird dem Schreibenden unterstellt, daß er Komposita wie hinauf, weil er sie gebunden spricht, auch nicht mehr als Komposita erkenne und daher silbisch trenne (hi-nauf), andererseits wird jedoch auf durchsichtiger Morphologie bestanden.
Macht man die Trennung von der gebundenen Aussprache abhängig, so müßte auch für die vielen Sprecher, die Verein usw. gebunden sprechen, die entsprechende Trennung zulassen. Das ist jedoch ausdrücklich nur für vol-lenden vorgesehen.
Die Kommission geht auf die vielfach beanstandete Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben (A-bend, Sitze-cke) ein. Im Sinne der Regeleinsparung will sie aber daran nichts ändern. Dies zeigt, daß ihr die rein formale Eigenschaft der „Ausnahmslosigkeit“ mehr wert ist als der Sinn des Geschriebenen. Sie führt aus:
„Außerdem ergibt sich eine irreführende Trennung meist nur bei der isolierten, metakommunikativen Betrachtung eines Wortes, nicht jedoch beim normalen sinnentnehmenden Lesen eines fortlaufenden Textes.“
Das Gegenteil ist richtig. Denn gerade bei der „metakommunikativen Betrachtung“ stehen die getrennten Teile eng beeinander: Seeu-fer, so daß die Lesestörung bei weitem nicht so ins Gewicht fällt wie bei tatsächlichem Zeilenbruch.
Den Lernenden dürfte mit der neuen Regel kein Gefallen getan sein, aber immerhin trennt auch die KMK in ihrer Beschlußvorlage zur Rechtschreibreform vom 14. 1. 2004 zweimal Ü-bergang.
Bei der Ansetzung einer Trennstelle hu-sten, tä-tlich, die aber dann doch folgenlos bleiben soll, wird nur der Endrand des ersten Teils, nicht aber der Anfangsrand des zweiten berücksichtigt. Im Standarddeutschen beginnen Wörter nicht mit st- (sondern scht-) oder gar tl- usw.
Zur Fremdworttrennung wird ausgeführt:
„§ 110 findet seine Begründung in der schwankenden Aussprache eines Teils der Fremdwörter: Der dem Cluster vorangehende Vokal kann als Langvokal oder als Kurzvokal realisiert werden. Während bei Langvokal die präferierte Silbengrenze vor dem Cluster liegt (vgl. die Diskussion oben), ist sie bei Kurzvokal zwischen den beiden Segmenten anzusetzen, zum Beispiel:
bei Langvokal: bei Kurzvokal:
Zy¦klus Zyk¦lus
E¦kloge Ek¦loge
Ma¦gnet Mag¦net
A¦frika Af¦rika“
Solche phonetischen Begründungen sind aber in der amtlichen Neuregelung nicht zu finden, sie scheinen von Gallmann erst neuerdings hinzukonstruiert zu sein. Die Neuregelung bietet den entsprechenden Paragraphen vielmehr einfach als Zugeständnis an die Tradition (letztlich die Muta-cum-liquida-Regel der antiken Sprachen).

Zum Anhang

Die Stellungnahme der Schweizer EDK ist oben bereits weitgehend berücksichtigt.
An der knappen Stellungnahme des deutschen Beirates – kaum anderthalb Seiten – fällt auf, daß es dem Beirat weniger auf die sachliche Angemessenheit der Reform als auf ihre Durchsetzung anzukommen scheint:
„Der Beirat empfiehlt die Änderungen in einem Rahmen zu halten, bei dem die Auswirkungen der Regelmodifizierungen nicht zu einer erneuten öffentlichen Infragestellung der Neuregelung führen können.“ (S. 63)
In diesem Sinne übernimmt der Beirat auch die verhüllende, die Öffentlichkeit täuschende Sprachregelung, von „Präzisierungen“ zu sprechen, wo Änderungen gemeint sind:
„Der Beirat fordert die deutschen Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission auf, sich bei den staatlichen Stellen intensiv dafür zu verwenden, dass die Kultusministerkonferenz frühzeitig im Frühjahr 2004 das Paket der Präzisierungen beschließt, damit genügend Zeit für die Umsetzung in Schulbüchern, Wörterbüchern, Zeitungen, Softwareprogrammen und anderen Publikationen bleibt.“ (S. 64)

Kann man Präzisierungen „umsetzen“? Nur wenn es in Wirklichkeit Änderungen sind. Und warum
sollten Präzisierungen so gravierenden Folgen haben, daß die Verlage usw. rechtzeitig darauf vorbereitet werden müssen?
Man muß dazu noch bedenken, daß die neuen Wörterbücher ja bereits in zahlreichen gemeinsamen Beratungsrunden mit der zwischenstaatlichen Kommission bis ins kleinste Detail abgestimmt worden sind, so daß die Kommission feststellen konnte:
„Auf Betreiben und unter Mithilfe der Zwischenstaatlichen Kommission einigten sich die großen Wörterbuchverlage seither auf eine einheitliche Auslegung der amtlichen Regeln. Sie haben dies in den jeweils neuesten Auflagen ihrer Rechtschreibwörterbücher umgesetzt: Bertelsmann im März 1999, Duden im August 2000. Beide Nachschlagewerke sind damit zuverlässige Ratgeber in orthografischen Fragen.“ (Pressemitteilung der Kommission vom 17. 8. 2000)
Die Wörterbücher enthalten also bereits alles, was den Ansichten und Einsichten der Kommission entspricht. Was sollen dann weitere „Präzisierungen“?
Worum es wirklich geht, verrät der Beirat nochmals mit der Forderung:
„Der Wortlaut des § 58 E4 sollte aus der mehrheitlichen Sicht des Beirats keine Präzisierung erfahren.“
Wie kann man etwas gegen Präzisierungen haben (die zudem von den Urhebern selbst für notwendig gehalten werden) – außer wenn es in Wirklichkeit geschäftsschädigende Änderungen sind?
Um nicht nur den Eindruck bedingungsloser Jasagerei zu erwecken, schaltet der deutsche Beirat eine scheinbar kritische Bemerkung ein: die erweiterte Partikelliste solle auf ihre Kompatibilität mit § 34 überprüft werden. Die Kommission hat diese Überprüfung unternommen (die der Beirat natürlich innerhalb von zwei Minuten selbst hätte erledigen können) und kommt zu dem voraussehbaren Ergebnis, daß sich keine Inkompatibilität feststellen lasse.
Um die Stellungnahme des Beirats besser zu verstehen, muß man sich seine Zusammensetzung näher ansehen. Neben einigen eher blassen Vertretern von nur am Rande orthographisch interessierten Institutionen (zum Beispiel Deutsches Institut für Normung) sitzen im Beirat die großen Wörterbuchverlage und der einflußreiche Verband der Schulbuchverlage (VDS Bildungsmedien), der nach eigenen Angaben 400.000 Mark ausgegeben hat, um das schleswig-holsteinische Volksbegehren gegen die Rechtschreibreform zu hintertreiben – vergeblich zunächst, bis ihm die Landtagsfraktionen doch noch den Gefallen taten, die Volksgesetzgebung zu annullieren. Es gibt ferner ein Mitglied, das offiziell die Lehrerorganisationen im Deutschen Gewerkschaftsbund vertritt, in Wirklichkeit aber eine florierende Rechtschreibberatung für gehobene Ansprüche betreibt (www.rechtschreibkurse.de).
Allerdings scheinen nicht alle Mitglieder den Beirat besonders ernst zu nehmen. Manche erscheinen gar nicht erst zu den Beratungen; bei der letzte Sitzung fehlten u. a. der Deutsche Journalistenverband und der Verband der Zeitungsverleger. Der deutsche Beirat hat keinen Vorsitzenden, führt kein Protokoll und unterzeichnet als einziger Beirat seine Stellungnahmen nicht namentlich.
Für die Kultusminister spielt der Beirat dennoch eine wichtige Rolle. Er fungiert als Surrogat jener „sprachinteressierten Öffentlichkeit“, die zwar versprochen, aber nicht geschaffen worden war: „Besser, als einen Privatverlag stillschweigend Einzelfallentscheidungen treffen zu lassen, ist es allemal, wenn von jetzt an eine der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldende Expertengruppe systematische Lösungen sucht. – Anders als Verlagsredaktionen, die ihre orthographischen Entscheidungen nicht mitzuteilen und zu begründen brauchen, muss die Kommission ihre Empfehlungen und Vorschläge öffentlich vorlegen und vertreten. Sie ist damit für die engere wissenschaftliche und die weitere sprachinteressierte Öffentlichkeit kritisierbar.“ (Zwischenstaatliche Kommission bzw. IDS 1997)
Die Kultusminister behaupten, in diesem Beirat seien die „professionell Schreibenden“ vertreten, also vor allem die Schriftsteller und die Journalisten. Jeder weiß, daß alle namhaften Schriftsteller und die meisten Journalisten die Rechtschreibreform ablehnen, aber durch ihre Zwangsvertretung im Beirat, vor der sie gar nichts wissen, haben sie ihr zugestimmt. Auch die Eltern deutscher Schüler haben der Reform und allen Änderungsvorschlägen zugestimmt – durch die Vertreterin des Bundeselternrates. Kritiker der ganzen Rechtschreibreform und damit die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung sind im Beirat nicht vertreten.
Der österreichische Beirat wird praktischerweise von Dr. Fritz Rosenberger geleitet, einem Regierungsvertreter, der auch für die Durchsetzung der Reform in Österreich verantwortlich ist.
Im Anhang des Berichts findet sich ein Abdruck der Buchstabenstrecke D aus dem Österreichischen Wörterbuch (ÖWB) mit den z. T. handschriftlich eingetragenen Änderungen, die sich laut 4. Bericht ergeben würden. (In der Internetversion des Berichts, die am 6. 2. 2004 von der Rechtschreibkommission ins Netz gestellt wurde, fehlt dieser Teil; vgl. jedoch http://www.rechtschreibreform.de/K4/OWB/) Obwohl eine Auszählung hier schwer ist, weil einerseits ganze Wortnester, andererseits nur einzelne Verweise geändert werden, ergeben sich weit über 100 Änderungen, was hochgerechnet rund 3.000 Änderungen im ganzen ÖWB bedeutet. Im Rechtschreibduden mit seinem größeren Stichwortbestand wären es etwa 4.000 Änderungen, im Großen Wörterbuch von Duden nochmals das Doppelte. Jedenfalls die Größenordnung dieser Schätzung dürfte stimmen. Daraus geht hervor, daß nach Billigung des vierten Berichts alle Wörterbücher usw. sofort neu bearbeitet werden müssen, wie es ja auch vom deutschen Beirat angedeutet wird.
Der Bericht soll nach dem Wunsch der Kommission der letzte seiner Art sein. In Zukunft will die Kommission Regeländerungen nicht mehr nur vorschlagen, sondern aus eigener Machtvollkommenheit einführen und durchsetzen und der KMK nur noch im Fünfjahresrhythmus darüber berichten. Nur Änderungen von grundsätzlicher Bedeutung sollen noch der Genehmigung bedürfen. Zweimal wird das Beispiel der „gemäßigten Kleinschreibung“ genannt, aber es ist klar, daß es das einzige in Frage kommende ist: Die Kleinschreibung der Substantive wird von allen Kommissionsmitgliedern als Fernziel festgehalten.

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Liebe Freunde, diese Neufassung meines Kommentars stelle ich hier vor und bitte um Ergänzungen und Korrekturen, entweder hier im Forum oder per Mail. Mein Text erscheint hier ohne Kursivierungen usw., aus Zeitmangel, aber irgendwann soll eine ordentliche Datei daraus werden.
Natürlich möchte ich niemanden bevormunden, jeder kann selbstverständlich seinen eigenen Kommentar verfassen,aber aus praktischen Gründen wäre es vielleicht nicht verkehrt, hier nun auf der vorhandenen Grundlage einen sozusagen kanonischen Kommentar zu erarbeiten, mit dem wir an verschiedene Interessenten und Adressaten herantreten können. In diesem Sinne verstehe ich meine Arbeit als Dienstleistung und Angebot.
Irgend jemand wird sich gewiß auch über den Anhang aus dem ÖWB hermachen, den Herr Schäbler uns auf wundersame Weise herbeigeschafft hat (herzlichen Dank!). Wie ich schon angedeutet hatte, ist das handschriftlich eingearbeitete Material gar nicht so leicht zu deuten, geschweige denn auszuzä?hlen.
Vielen Dank im voraus für zugedachte Hinweise!

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Th. Ickler

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Theodor Ickler
08.02.2004 07.03
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Kommentar zum vierten Bericht (Neufassung, Fortsetzung)

FAZIT
Die Kommission schl?gt vor, bei festen Verbindungen aus Pr?position und dekliniertem Adjektiv k?nftig neben der Kleinschreibung auch die Gro?schreibung des entsprechenden Adjektivs zuzulassen und die Angaben unter ? 58(3) folgenderma?en zu ?ndern:
[? 58: In folgenden F?llen schreibt man Adjektive, Partizipien und Pronomen klein, obwohl sie formale Merkmale der Substantivierung aufweisen.]
(3) bestimmte feste Verbindungen
(3.1) aus Pr?position und nichtdekliniertem Adjektiv ohne vorangehenden Artikel, zum Beispiel:
Ich h?rte von fern ein dumpfes Grollen. Die Pilger kamen von nah und fern. Die Ware wird nur gegen bar ausgeliefert. Die M?dchen hielten durch dick und d?nn zusammen. Das wird sich ?ber kurz oder lang herausstellen. Damit habe ich mich von klein auf besch?ftigt. Das werde ich dir schwarz auf wei? beweisen. Die Stimmung war grau in grau.
(3.2) aus Pr?position und dekliniertem Adjektiv ohne vorangehenden Artikel.
In diesen F?llen ist jedoch auch die Gro?schreibung des Adjektivs zul?ssig, zum Beispiel:
Aus der Brandruine stieg von neuem/Neuem Rauch auf. Wir konnten das Feuer nur von weitem/Weitem betrachten. Der Fahrplan bleibt bis auf weiteres/ Weiteres in Kraft. Unsere Pressesprecherin gibt Ihnen ohne weiteres/ Weiteres Auskunft. Der Termin stand seit l?ngerem/L?ngerem fest. Die Aufgabe wird binnen kurzem/Kurzem erledigt.“
Der „Vorwurf der Inkonsequenz“ ging diesmal nicht von den Reformkritikern aus, sondern von dem Schweizer Kommissionsmitglied Peter Gallmann. Er hat sich nun offenbar mit seiner Forderung nach R?ckkehr zur weitestgehenden Gro?schreibung, wie im 19. Jahrhundert eine Zeitlang ?blich, durchgesetzt.
Auf des ersten Bick ist nicht einzusehen, da? die Flektiertheit eines Adjektivs ein hinreichendes Kriterium f?r seine Substantiviertheit sein soll: bei Weitem. Dazu bedarf es besonderer Zusatzannahmen, die aber im Bericht nicht genannt werden. Andererseits ist das Fehlen von Flexionsendungen kein ausreichendes Argument f?r nicht-substantivischen Charakter, denn Artikel- und Flexionslosigkeit kommt auch in eindeutig substantivischen Paarformeln bzw. vollst?ndigen Aufz?hlungen vor: das M?rchen von Hase und Igel (statt vom Hasen und vom Igel). In diesem Sinne kann man Nietzsches Buchtitel Jenseits von Gut und B?se verstehen, wo jedoch nach der Reform Kleinschreibung vorgesehen ist. Es ist also im Bericht nicht hinreichend begr?ndet, warum nicht auch durch Dick und D?nn, ?ber Kurz oder Lang usw. geschrieben werden soll.
Schwerer wiegt aber der Einwand, da? die neu verordnetete Gro?schreibung das ist bei Weitem besser usw. vollkommen sinnwidrig ist. Das „Weite“, das hier erw?hnt zu sein scheint, gibt es ja so wenig wie das "?ftere“ in der neuerdings gro? zu schreibenden Wendung. Die Heraushebung eines vermeintlichen Gegenstandes aus der rein adverbial fungierenden Wendung ist textsemantisch widersinnig und ?beraus r?ckst?ndig. Niemand hat in den letzten hundert Jahren so geschrieben, die Neuerung entspringt allein dem „Konsequenz“-Streben eines Grammatikers und nicht der Beobachtung von Schreibbrauch und Fehlerh?ufigkeit. (Erst die Rechtschreibreform hat entsprechende Fehlschreibungen hervorgebracht, wie die Kommission sie nun nachtr?glich legitimieren will.)
Eine ?berholte Schreibweise des 19. Jahrhunderts ist auch die wiederbelebte Gro?schreibung der Eine, der Andere, die Meisten usw. Sie soll m?glich sein, wenn, wie es seltsamerweise hei?t, „der Schreibende zum Ausdruck bringen will, dass das Zahladjektiv substantivisch gebraucht ist“. Schreibende wollen gew?hnlich einen bestimmten Sinn zum Ausdruck bringen, nicht eine Wortart.
Der ?sterreichische Beirat will die von seinem Landsmann W?ster vorgeschlagene Gro?schreibung (bei Weitem usw.) sogar als „einzige Variante“ (sic!) festlegen lassen. (S. 65) Die Kommission weist dieses Ansinnen jedoch zur?ck.
Die Kommission erkennt nunmehr an, da? in der Sprachgemeinschaft eine „offensichtliche Tendenz“ besteht, feste Gruppen aus Adjektiv und Substantiv durch Gro?schreibung als Begriffseinheiten zu kennzeichnen. Dem wollte die Neuregelung entgegenwirken, indem sie die Kleinschreibung erste Hilfe, schwarzes Brett usw. vorschrieb. Die Nachrichtenagenturen und Zeitungen folgten dem nicht, und auch sonst ist der Widerstand gegen diese sprachwidrige Normierung so stark, da? die Kommission seit geraumer Zeit die Klausel nutzt, Fachsprachen seien von der Rechtschreibreform ohnehin nicht betroffen. Der f?hrende Reformer Augst hatte schon vor Jahren ge?u?ert, die Erste Hilfe k?nne als Fachausdruck auch gro? geschrieben werden. Dieser Ausweg wird nun systematisch ausgebaut, wobei am Ende die unklare Bestimmung erscheint:
„Im nichtfachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“
Die Anerkennung von „Begriffseinheiten“ (Nominationsstereotypen) war der richtige Weg; leider ist die Kommission nicht so konsequent, dieser Einsicht zu folgen und die am Ende doch wieder aufgeweichte Beschr?nkung auf „Fachsprache“ aufzugeben. Am Schwarzen Brett ist nichts Fachliches, und doch wird es aus Gr?nden, die der Kommission offenbar bekannt sind, zweckm??igerweise gro? geschrieben.
Als regeltechnisch fehlerhaft mu? man den Schlu?satz der vorgeschlagenen Neufassung bezeichnen:
„Im nichtfachsprachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.“
Das ist nur als eine vage statistische Aussage ?ber den Schreibbrauch sinnvoll, nicht als Handlungsanweisung. In einem orthographischen Regelwerk haben solche Aussagen nichts zu suchen.

Zeichensetzung

Hier werden keine ?nderungen ins Auge gefa?t.
Da? die neue Kommasetzung besonders beim Infinitiv nicht gelungen ist, wei? inzwischen jeder. Aber die Kommission schreibt:
„Der Vorschlag, bei Infinitivgruppen mit bestimmten Einleitew?rtern immer ein Komma zu setzen, kommt denjenigen Schreibenden entgegen, die klare mechanische Regelungen sch?tzen, da sie ihnen die Entscheidungen abnehmen.“
Hier werden Schreibende diffamiert, die genau das w?nschen, was die Neuregelung sich an so vielen anderen Stellen zu bieten r?hmt: klare Regeln, die sozusagen idiotensicher auch den „Wenigschreiber“ zu korrektem Schreiben bef?higen. Eine solche Regel ist zum Beispiel jene, die obligatorisch Getrenntschreibung bei W?rtern auf -ig, -isch und -lich vorschreibt, ohne R?cksicht auf syntaktische Unterschiede, die als allzu feingesponnen dargestellt werden.
„Kennzeichnend f?r die Neuregelung ist, dass sie die kommunikative Funktion der Satzzeichen betont: Satzzeichen dienen dazu, „einen geschriebenen Text ?bersichtlich zu gestalten und ihn dadurch f?r den Lesenden ?berschaubar zu machen“, hei?t es in den Vorbemerkungen zum Abschnitt E (Zeichensetzung) des amtlichen Regelwerks. Die Schreibenden k?nnen „mit den Satzzeichen besondere Aussageabsichten oder Einstellungen zum Ausdruck bringen oder stilistische Wirkungen anstreben“. Mit dieser Kennzeichnung der Funktion sind Spielr?ume des Gebrauchs der Zeichen er?ffnet, weil ?bersichtliche Gestaltung, Aussageabsichten, „stilistische Wirkung“ per se nicht systematisch zu regeln sind.“
W?hrend nach ?bereinstimmender Ansicht der Orthographieforschung die Zeichensetzung im Laufe der Jahrhunderte weitgehend durchgrammatikalisiert worden ist, restituiert die Neuregelung eine „stilistische“ bzw. rhetorische Zeichensetzung, besonders beim Komma. Das steht in eigenartigem Gegensatz zur sonstigen Bevorzugung grammatischer Kriterien. Die Schweizer Kommissionsmitglieder Gallmann und Sitta hatten deshalb schon in ihrem Handbuch Rechtschreiben (Z?rich 1996) vorgeschlagen, weitestgehend zur bisherigen Kommasetzung zur?ckzugehen, konnten sich aber offenbar nicht durchsetzen. In der Praxis erleben wir nun, da? Kommata unter genau gleichen Bedingungen mal gesetzt und mal weggelassen werden (?brigens auch im vorliegenden Bericht, wo sogar ganz typische Kommafehler neuer Art unterlaufen, vgl. S. 25, S. 51 und S. 55; der dritte Bericht war noch fehlerhafter). Mit der Freiheit der Kommasetzung soll der professionell Schreibende Unterscheidungen ausdr?cken k?nnen; es wird aber nicht gesagt, welche Unterscheidungen das sein k?nnten, da es zu diesem Bereich keine n?heren Angaben gibt. Die Stilistik, die nun den leitenden Gesichtspunkt abgeben soll, wird n?mlich weder im Regelwerk noch an andeer Stelle ausgef?hrt. Die Andeutung, man k?nne durch Kommas notwendige von wegla?baren Infinitiven unterscheiden (S. 40), hat keine Grundlage im amtlichen Text. Daher kann der Leser eines so interpungierten Satzes auch nicht ahnen, was der Schreibende damit zum Ausdruck bringen wollte. Der Schweizer Beirat weist diese Zumutungen denn auch zur?ck.

Worttrennung am Zeilenende

Bei der Silbentrennung werden keine ?nderungen vorgeschlagen.

Um so ?berraschender wirkt es, da? die Kommission hier eine umfangreiche, mit Fachausdr?cken gespickte Abhandlung ?ber Morphem- und Silbengrenzen einschaltet, die offenbar nur der Auseinandersetzung des Reformers Gallmann mit anderen Theorien dient, ohne praktische Folgen f?r die Neuregelung. Eine Kommentierung ist daher eigentlich ?berfl?ssig. Nur einige Hinweise seien gestattet.
Die Kommission f?hrt aus:
„Die Worttrennung am Zeilenende ist sowohl in ihrem Regelaufbau als auch in einzelnen Bestimmungen kritisiert worden. Die erste Umsetzung in den W?rterb?chern 1996 war teilweise unterschiedlich, sodass Irritationen entstanden. Unter Hinzuziehung der Kommission haben sich die marktf?hrenden W?rterb?cher auf eine einheitliche Handhabung der Regeln geeinigt und eine Einengung in Bezug auf die Schwankungsf?lle morphologischer Trennungen bei Fremdw?rtern vorgenommen. In den Schulen wird die Neuregelung als Erleichterung angesehen.“
In der Tat hatte sich die eigentlich eher nebens?chliche Silbentrennung zu einem Hauptproblem f?r die W?rterbuchredaktionen ausgewachsen. Die Kommission hat sich daraufhin zu intensiven Beratungsrunden mit den Redaktionen der „marktf?hrenden W?rterb?cher“ getroffen und mit ihnen eine nichtver?ffentlichte, 60seitige Liste von zul?ssigen Trennungen erarbeitet (vgl. Sprachwissenschaft 2/2000).
An diesem Vorgehen ist zu beanstanden, da? nur solche W?rterbuchverlage beteiligt waren, die mit der Kommission bzw. dem Beirat auch wirtschaftlich verbunden sind. Der jetzige Kommissionsvorsitzende ist als Mitarbeiter am ?sterreichischen W?rterbuch ebenfalls privilegiert. Andere W?rterbuchverlage m?ssen warten, bis die exklusiv beratenen Marktf?hrer (Duden und Bertelsmann) ihre Produkte auf den Markt gebracht haben. Ob die angegebenen Worttrennungen wirklich zul?ssig sind, kann der Benutzer nicht ?berpr?fen, weil die vereinbarte Liste nicht ver?ffentlicht ist.
„Kritik wurde an der Regelhierarchisierung ge?bt. Sie zielt darauf ab, in einem ersten Abschnitt die Trennung von Komposita und Pr?figierungen zu behandeln und erst in einem zweiten Abschnitt die innermorphematische Trennung.
DISKUSSION
Es gibt immer verschiedene Darstellungsm?glichkeiten. Nat?rlich kann man sich auch f?r die linguistische Reihenfolge „Trennung an Morphemfugen – Trennung an Silbenfugen " entscheiden. Prototypisch f?r die Worttrennung ist jedoch nach dem Alltagsverst?ndnis die Trennung nach „Silben“. Dies zeigt sich auch daran, dass sowohl die im Vorfeld der II. Orthographischen Konferenz von 1901 auf Bundesstaatenebene erschienenen Regelwerke als auch die verschiedenen Dudenauflagen zun?chst die Trennung nach „Silben“ abhandeln, dann erst die morphologische. Insbesondere sprechen namentlich zwei Gr?nde f?r die im Regelwerk gew?hlte Anordnung:
- Trotz morphologischer Segmentierbarkeit fallen bei einer (begrenzten) Anzahl von Komposita und Pr?figierungen Morphem- und Silbenfuge nicht zusammen, vgl. hinauf vs. hi?nauf, be-ob-achten vs. beo?bachten (? markiert die Silbenfuge).
- Bei einer Hintanstellung der Trennung an Morphemfugen entf?llt die Notwendigkeit eines Vorgriffs auf sp?ter folgende Regeln, vgl. ? 111 E1, E2 und ? 112.
FAZIT
Da das Regelwerk in seiner Darstellung alle notwendigen Aussagen enth?lt und diese auch hinreichend sind, besteht kein ?nderungsbedarf.“
Hier wird offensichtlich unlauter argumentiert. Kritiker haben in der Tat gefordert, zuerst die Trennung der Zusammensetzungen zu behandeln. Es ist jedoch nicht zul?ssig, daf?r unterderhand den Begriff „Trennung nach Morphemfugen“ einzusetzen. Auch die Kriiker bleiben bei der Silbentrennung und wollen keine Morphemtrennung einf?hren. Trennstellen bei Zusammensetzung sind nur ein Teil davon.
Und gerade die von der Kommission problematisierten Beispiele sind umstritten und werden widerspr?chlich behandelt. Einerseits wird dem Schreibenden unterstellt, da? er Komposita wie hinauf, weil er sie gebunden spricht, auch nicht mehr als Komposita erkenne und daher silbisch trenne (hi-nauf), andererseits wird jedoch auf durchsichtiger Morphologie bestanden.
Macht man die Trennung von der gebundenen Aussprache abh?ngig, so m??te auch f?r die vielen Sprecher, die Verein usw. gebunden sprechen, die entsprechende Trennung zulassen. Das ist jedoch ausdr?cklich nur f?r vol-lenden vorgesehen.
Die Kommission geht auf die vielfach beanstandete Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben (A-bend, Sitze-cke) ein. Im Sinne der Regeleinsparung will sie aber daran nichts ?ndern. Dies zeigt, da? ihr die rein formale Eigenschaft der „Ausnahmslosigkeit“ mehr wert ist als der Sinn des Geschriebenen. Sie f?hrt aus:
„Au?erdem ergibt sich eine irref?hrende Trennung meist nur bei der isolierten, metakommunikativen Betrachtung eines Wortes, nicht jedoch beim normalen sinnentnehmenden Lesen eines fortlaufenden Textes.“
Das Gegenteil ist richtig. Denn gerade bei der „metakommunikativen Betrachtung“ stehen die getrennten Teile eng beeinander: Seeu-fer, so da? die Lesest?rung bei weitem nicht so ins Gewicht f?llt wie bei tats?chlichem Zeilenbruch.
Den Lernenden d?rfte mit der neuen Regel kein Gefallen getan sein, aber immerhin trennt auch die KMK in ihrer Beschlu?vorlage zur Rechtschreibreform vom 14. 1. 2004 zweimal ?-bergang.
Bei der Ansetzung einer Trennstelle hu-sten, t?-tlich, die aber dann doch folgenlos bleiben soll, wird nur der Endrand des ersten Teils, nicht aber der Anfangsrand des zweiten ber?cksichtigt. Im Standarddeutschen beginnen W?rter nicht mit st- (sondern scht-) oder gar tl- usw.
Zur Fremdworttrennung wird ausgef?hrt:
"? 110 findet seine Begr?ndung in der schwankenden Aussprache eines Teils der Fremdw?rter: Der dem Cluster vorangehende Vokal kann als Langvokal oder als Kurzvokal realisiert werden. W?hrend bei Langvokal die pr?ferierte Silbengrenze vor dem Cluster liegt (vgl. die Diskussion oben), ist sie bei Kurzvokal zwischen den beiden Segmenten anzusetzen, zum Beispiel:
bei Langvokal: bei Kurzvokal:
Zy?klus Zyk?lus
E?kloge Ek?loge
Ma?gnet Mag?net
A?frika Af?rika“
Solche phonetischen Begr?ndungen sind aber in der amtlichen Neuregelung nicht zu finden, sie scheinen von Gallmann erst neuerdings hinzukonstruiert zu sein. Die Neuregelung bietet den entsprechenden Paragraphen vielmehr einfach als Zugest?ndnis an die Tradition (letztlich die Muta-cum-liquida-Regel der antiken Sprachen).

Zum Anhang

Die Stellungnahme der Schweizer EDK ist oben bereits weitgehend ber?cksichtigt.
An der knappen Stellungnahme des deutschen Beirates – kaum anderthalb Seiten – f?llt auf, da? es dem Beirat weniger auf die sachliche Angemessenheit der Reform als auf ihre Durchsetzung anzukommen scheint:
„Der Beirat empfiehlt die ?nderungen in einem Rahmen zu halten, bei dem die Auswirkungen der Regelmodifizierungen nicht zu einer erneuten ?ffentlichen Infragestellung der Neuregelung f?hren k?nnen.“ (S. 63)
In diesem Sinne ?bernimmt der Beirat auch die verh?llende, die ?ffentlichkeit t?uschende Sprachregelung, von „Pr?zisierungen“ zu sprechen, wo ?nderungen gemeint sind:
„Der Beirat fordert die deutschen Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission auf, sich bei den staatlichen Stellen intensiv daf?r zu verwenden, dass die Kultusministerkonferenz fr?hzeitig im Fr?hjahr 2004 das Paket der Pr?zisierungen beschlie?t, damit gen?gend Zeit f?r die Umsetzung in Schulb?chern, W?rterb?chern, Zeitungen, Softwareprogrammen und anderen Publikationen bleibt.“ (S. 64)

Kann man Pr?zisierungen „umsetzen“? Nur wenn es in Wirklichkeit ?nderungen sind. Und warum
sollten Pr?zisierungen so gravierenden Folgen haben, da? die Verlage usw. rechtzeitig darauf vorbereitet werden m?ssen?
Man mu? dazu noch bedenken, da? die neuen W?rterb?cher ja bereits in zahlreichen gemeinsamen Beratungsrunden mit der zwischenstaatlichen Kommission bis ins kleinste Detail abgestimmt worden sind, so da? die Kommission feststellen konnte:
„Auf Betreiben und unter Mithilfe der Zwischenstaatlichen Kommission einigten sich die gro?en W?rterbuchverlage seither auf eine einheitliche Auslegung der amtlichen Regeln. Sie haben dies in den jeweils neuesten Auflagen ihrer Rechtschreibw?rterb?cher umgesetzt: Bertelsmann im M?rz 1999, Duden im August 2000. Beide Nachschlagewerke sind damit zuverl?ssige Ratgeber in orthografischen Fragen.“ (Pressemitteilung der Kommission vom 17. 8. 2000)
Die W?rterb?cher enthalten also bereits alles, was den Ansichten und Einsichten der Kommission entspricht. Was sollen dann weitere „Pr?zisierungen“?
Worum es wirklich geht, verr?t der Beirat nochmals mit der Forderung:
„Der Wortlaut des ? 58 E4 sollte aus der mehrheitlichen Sicht des Beirats keine Pr?zisierung erfahren.“
Wie kann man etwas gegen Pr?zisierungen haben (die zudem von den Urhebern selbst f?r notwendig gehalten werden) – au?er wenn es in Wirklichkeit gesch?ftssch?digende ?nderungen sind?
Um nicht nur den Eindruck bedingungsloser Jasagerei zu erwecken, schaltet der deutsche Beirat eine scheinbar kritische Bemerkung ein: die erweiterte Partikelliste solle auf ihre Kompatibilit?t mit ? 34 ?berpr?ft werden. Die Kommission hat diese ?berpr?fung unternommen (die der Beirat nat?rlich innerhalb von zwei Minuten selbst h?tte erledigen k?nnen) und kommt zu dem voraussehbaren Ergebnis, da? sich keine Inkompatibilit?t feststellen lasse.
Um die Stellungnahme des Beirats besser zu verstehen, mu? man sich seine Zusammensetzung n?her ansehen. Neben einigen eher blassen Vertretern von nur am Rande orthographisch interessierten Institutionen (zum Beispiel Deutsches Institut f?r Normung) sitzen im Beirat die gro?en W?rterbuchverlage und der einflu?reiche Verband der Schulbuchverlage (VDS Bildungsmedien), der nach eigenen Angaben 400.000 Mark ausgegeben hat, um das schleswig-holsteinische Volksbegehren gegen die Rechtschreibreform zu hintertreiben – vergeblich zun?chst, bis ihm die Landtagsfraktionen doch noch den Gefallen taten, die Volksgesetzgebung zu annullieren. Es gibt ferner ein Mitglied, das offiziell die Lehrerorganisationen im Deutschen Gewerkschaftsbund vertritt, in Wirklichkeit aber eine florierende Rechtschreibberatung f?r gehobene Anspr?che betreibt (www.rechtschreibkurse.de).
Allerdings scheinen nicht alle Mitglieder den Beirat besonders ernst zu nehmen. Manche erscheinen gar nicht erst zu den Beratungen; bei der letzte Sitzung fehlten u. a. der Deutsche Journalistenverband und der Verband der Zeitungsverleger. Der deutsche Beirat hat keinen Vorsitzenden, f?hrt kein Protokoll und unterzeichnet als einziger Beirat seine Stellungnahmen nicht namentlich.
F?r die Kultusminister spielt der Beirat dennoch eine wichtige Rolle. Er fungiert als Surrogat jener „sprachinteressierten ?ffentlichkeit“, die zwar versprochen, aber nicht geschaffen worden war: „Besser, als einen Privatverlag stillschweigend Einzelfallentscheidungen treffen zu lassen, ist es allemal, wenn von jetzt an eine der ?ffentlichkeit Rechenschaft schuldende Expertengruppe systematische L?sungen sucht. – Anders als Verlagsredaktionen, die ihre orthographischen Entscheidungen nicht mitzuteilen und zu begr?nden brauchen, muss die Kommission ihre Empfehlungen und Vorschl?ge ?ffentlich vorlegen und vertreten. Sie ist damit f?r die engere wissenschaftliche und die weitere sprachinteressierte ?ffentlichkeit kritisierbar.“ (Zwischenstaatliche Kommission bzw. IDS 1997)
Die Kultusminister behaupten, in diesem Beirat seien die „professionell Schreibenden“ vertreten, also vor allem die Schriftsteller und die Journalisten. Jeder wei?, da? alle namhaften Schriftsteller und die meisten Journalisten die Rechtschreibreform ablehnen, aber durch ihre Zwangsvertretung im Beirat, vor der sie gar nichts wissen, haben sie ihr zugestimmt. Auch die Eltern deutscher Sch?ler haben der Reform und allen ?nderungsvorschl?gen zugestimmt – durch die Vertreterin des Bundeselternrates. Kritiker der ganzen Rechtschreibreform und damit die Mehrheit der deutschsprachigen Bev?lkerung sind im Beirat nicht vertreten.
Der ?sterreichische Beirat wird praktischerweise von Dr. Fritz Rosenberger geleitet, einem Regierungsvertreter, der auch f?r die Durchsetzung der Reform in ?sterreich verantwortlich ist.
Im Anhang des Berichts findet sich ein Abdruck der Buchstabenstrecke D aus dem ?sterreichischen W?rterbuch (?WB) mit den z. T. handschriftlich eingetragenen ?nderungen, die sich laut 4. Bericht ergeben w?rden. (In der Internetversion des Berichts, die am 6. 2. 2004 von der Rechtschreibkommission ins Netz gestellt wurde, fehlt dieser Teil; vgl. jedoch http://www.rechtschreibreform.de/K4/OWB/) Obwohl eine Ausz?hlung hier schwer ist, weil einerseits ganze Wortnester, andererseits nur einzelne Verweise ge?ndert werden, ergeben sich weit ?ber 100 ?nderungen, was hochgerechnet rund 3.000 ?nderungen im ganzen ?WB bedeutet. Im Rechtschreibduden mit seinem gr??eren Stichwortbestand w?ren es etwa 4.000 ?nderungen, im Gro?en W?rterbuch von Duden nochmals das Doppelte. Jedenfalls die Gr??enordnung dieser Sch?tzung d?rfte stimmen. Daraus geht hervor, da? nach Billigung des vierten Berichts alle W?rterb?cher usw. sofort neu bearbeitet werden m?ssen, wie es ja auch vom deutschen Beirat angedeutet wird.
Der Bericht soll nach dem Wunsch der Kommission der letzte seiner Art sein. In Zukunft will die Kommission Regel?nderungen nicht mehr nur vorschlagen, sondern aus eigener Machtvollkommenheit einf?hren und durchsetzen und der KMK nur noch im F?nfjahresrhythmus dar?ber berichten. Nur ?nderungen von grunds?tzlicher Bedeutung sollen noch der Genehmigung bed?rfen. Zweimal wird das Beispiel der „gem??igten Kleinschreibung“ genannt, aber es ist klar, da? es das einzige in Frage kommende ist: Die Kleinschreibung der Substantive wird von allen Kommissionsmitgliedern als Fernziel festgehalten.

--
Liebe Freunde, diese Neufassung meines Kommentars stelle ich hier vor und bitte um Erg?nzungen und Korrekturen, entweder hier im Forum oder per Mail. Mein Text erscheint hier ohne Kursivierungen usw., aus Zeitmangel, aber irgendwann soll eine ordentliche Datei daraus werden.
Nat?rlich m?chte ich niemanden bevormunden, jeder kann selbstverst?ndlich seinen eigenen Kommentar verfassen,aber aus praktischen Gr?nden w?re es vielleicht nicht verkehrt, hier nun auf der vorhandenen Grundlage einen sozusagen kanonischen Kommentar zu erarbeiten, mit dem wir an verschiedene Interessenten und Adressaten herantreten k?nnen. In diesem Sinne verstehe ich meine Arbeit als Dienstleistung und Angebot.
Irgend jemand wird sich gewi? auch ?ber den Anhang aus dem ?WB hermachen, den Herr Sch?bler uns auf wundersame Weise herbeigeschafft hat (herzlichen Dank!). Wie ich schon angedeutet hatte, ist das handschriftlich eingearbeitete Material gar nicht so leicht zu deuten, geschweige denn auszuz?hlen.
Vielen Dank im voraus f?r zugedachte Hinweise!



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Th. Ickler

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Theodor Ickler
08.02.2004 06.57
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Kommentar zum vierten Bericht (Neufassung)

Kommentar zum vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung

Zur Einleitung
„Dieser 4. Bericht hat eine Sonderstellung gegenüber den bisherigen Berichten: Im Hinblick auf die in der Wiener Absichtserklärung von 1996 vereinbarte Übergangsfrist bis 31. Juli 2005 weist in ihm die Zwischenstaatliche Kommission aus, welche Modifikationen sie für das Regelwerk vorschlägt.“
Das entspricht nicht den Tatsachen. Auch der erste Bericht enthielt eine Fülle von Änderungsvorschlägen, die jedoch zum Ärger der Kommission von der Amtschefskommission untersagt wurden. Schon damals war verhüllend von „Verdeutlichungen“ die Rede gewesen, die Kultusministerien ließen sich jedoch nicht täuschen und gaben bekannt: „Keine Änderung der beschlossenen Regeln zum jetzigen Zeitpunkt“ usw. (Pressemitteilung der KMK vom 12.2.1998 )

„Die Aufgaben der Kommission sind in Artikel III der Wiener Absichtserklärung von 1996 festgelegt. Daraus ergibt sich im Einzelnen, die Umsetzung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu beobachten, Anfragen zu beantworten, Kritik aufzugreifen und entsprechend zu berücksichtigen, das neue Regelwerk auf etwaige Schwachstellen zu untersuchen und nötigenfalls Vorschläge für dessen Anpassung zu erarbeiten. Es war schon immer erklärte Absicht der Kommission, eine gewisse Zeit der praktischen Anwendung der Neuregelung abzuwarten, bevor Vorschläge zu Detailanpassungen gemacht werden. Die meisten der sich aus der Anwendung der neuen Rechtschreibung ergebenden Probleme sind – wie vorhersehbar – auf Umstellungsschwierigkeiten zurückzuführen, die sich aber mit zunehmendem Gebrauch der neuen Schreibregeln mehr und mehr relativieren.“
In der Wiener Absichtserklärung heißt es jedoch:

„Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks.“
Von einer Korrektur fehlerhafter Regeln ist nicht die Rede. „Anpassung“ ist ein Relationsbegriff, es muß gesagt werden oder erschließbar sein, woran angepaßt werden soll. Im Zusammenhang der Absichtserklärung kann nur die Anpassung an die zu beobachtende künftige Sprachentwicklung gemeint sein. Im vierten Bericht wird selbstverständlich nicht auf die Sprachentwicklung Bezug genommen, denn die deutschen Sprache hat sich seither nicht in orthographisch relevanter Weise entwickelt. Vielmehr sind Korrekturen des Regelwerks gemeint, wie es ja auch aus dem weiteren Bericht hervorgeht. Damit geht die Kommission über ihren Auftrag hinaus. Der führende Schweizer Reformer Horst Sitta, bis heute Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission, stellte schon vor Jahren klar:
„Mir ist dieser Wortlaut wichtig: Die Kommission soll ihrem Aufrag nach nicht – wie seitens der Reformgegner behauptet wird – das angeblich schlechte Reformwerk optimieren. Sie soll auf der Grundlage des beschlossenen Regelwerks die Einführung der Neuregelung begleiten.“ (in Eroms/Munske [Hg.]: Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 222)
In einem an viele Adressaten versandten Standardbrief der Kommission aus demselben Jahr heißt es:
„Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Wien weitere Änderungen vorerst grundsätzlich nicht mehr möglich sind.“
Am 23.1.1997 gaben Zeitungen eine Mitteilung des IDS wieder, wonach die Aufgabe der Kommission „keineswegs die Korrektur des beschlossenen Reformwerks“ sei.
„Die ‚von Reformgegnern erzeugte Sorge', die Rechtschreibreform werde schon vor der endgültigen Umsetzung ‚repariert oder korrigiert', sei gegenstandslos.“ (Fränkischer Tag vom 23.1.1997)
Die ersten Reparaturvorschläge wurden im ersten Bericht (Dezember 1997) unterbreitet, einige davon als „unumgänglich notwendig“ erklärt. Nach ihrer Zurückweisung durch die Amtschefskommission wurden einige der untersagten Korrekturen unterderhand in Beratungsgesprächen mit Duden und Bertelsmann praktisch dennoch eingeführt. Nun soll erstmals förmlich in den amtlichen Text eingegriffen werden, Anfang 2004, lange vor der „endgültigen Umsetzung“ im August 2005.
Die erste Abweichung vom ursprünglichen Auftrag war allerdings unter dem Druck der Kritik schon von den Kultusministerien in jener Pressemitteilung vom 12. 2. 1998 angedeutet worden:
„Ob und welche Änderungen sinnvoll sind, kann rechtzeitig vor Ende der Übergangszeit (im Jahr 2005) entschieden werden.“
Hierauf könnte sich die Kommission heute berufen, nicht aber auf die Wiener Absichtserklärung. Auf die Neuinterpretation des Kommissionsauftrages gehen auch gewisse Spannungen zwischen der deutschen Seite einerseits und der Schweiz und Österreich andererseits zurück.
„Es war erklärtes Ziel der Neuregelung, den Schreibenden wieder die Möglichkeit zu geben, allein aufgrund der Anwendung der Rechtschreibregeln zu richtigen Wortschreibungen kommen zu können. Demgegenüber verlangte die frühere Regelung ein häufiges Nachschlagen im Wörterbuch.“
Wenn dies das Ziel war, ist es so gründlich verfehlt worden, daß sogar das staatliche Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München festhielt:
„Die Neuregelung der Rechtschreibung bedingt, dass für jeden – Lehrer und Schüler – der Umgang mit einem Rechtschreiblexikon selbstverständlicher sein muss denn je.“ (Handreichungen „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“. ISB München 1996, S. 41)
Sitta und Gallmann haben festgestellt, das amtliche Regelwerk sei ein Text, aus dem der Laie die korrekte Schreibung nicht entnehmen könne. Gerade bei der Groß-und Kleinschreibung könne man auch in Zukunft nur durch Nachschlagen zum Ziel kommen (Handbuch Rechtschreiben 1996).
„Die Kommission ist zu der Überzeugung gelangt, dass die wesentlichen Neuerungen des amtlichen Regelwerks von 1996 unverändert bleiben sollten. Viele dieser Regelungen haben nachweislich spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern gebracht.“
Hier fällt die vage Ausdrucksweise auf: Was sind „spürbare“, zugleich aber nachweisbare Erleichterungen? Tatsache ist, daß zur Zeit alle Rechtschreibungen – die „alte“, die amtliche neue und die vielfach korrigierte neue, wie sie in den unterschiedlichen Wörterbüchern seit 1996 verzeichnet ist, benutzt werden dürfen, ohne daß Fehler angestrichen werden. Bei gleichbleibenden oder sogar – wegen der Mischung – objektiv geringeren Rechtschreibleistungen werden aus arithmetischen Gründen bessere Noten vergeben – eine recht zweifelhafte „Erleichterung“. Bezeichnend ist die folgende Zeitungsreportage:
",Endlich mal wieder eine Zwei', frohlockt die Achtkläßlerin der Wirtschaftsschule. Vor allem die Schlußbemerkung des Lehrers findet Julia hochinteressant. Da steht: ,Aufgrund der Anwendung der neuen Rechtschreibregeln sind elf Fehler weniger in Rechtschreibung und Zeichensetzung zu verzeichnen; die Arbeit ist daher mit ,gut' zu bewerten.'" (Nürnberger Nachrichten 31.12.1996) Nicht die Schülerin hat also die neuen Regeln angewandt, sondern der Lehrer und für die gleiche Leistung eine bessere Note gegeben. Diesen Effekt hätte die Schulverwaltung auch durch eine bloße Anweisung an die Pädagogen und ohne Eingriff in die Sprache selbst erreichen können.
Zur Laut-Buchstaben-Zuordnung
„KRITIK
Besonders anfänglich, d. h. nach Bekanntwerden der Neuregelung, wurde verschiedentlich die Rücknahme einiger neuer Schreibungen wie nummerieren, behände oder Tollpatsch gefordert.
DISKUSSION
In ihrem ersten Bericht hatte die Kommission erwogen in einigen wenigen Fällen die alte Schreibung wenigstens als Variantenschreibung noch weiterhin zuzulassen. Inzwischen ist die Kritik an den neuen Schreibungen, die das Prinzip der Stammschreibung und damit die Systematik stärken, stark abgeflaut und taucht nur noch sehr vereinzelt auf. Ganz offensichtlich spielt – wie innerhalb so kurzer Zeit schon festzustellen ist – hier die Gewöhnung eine große Rolle. Unabhängig von allen linguistischen oder nicht-linguistischen Argumenten ist – wie Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zeigen – eine gewisse Zeit vonnöten, gespeicherte Schreibschemata durch neue zu ersetzen. Die Etablierung von Neumotivierungen ermöglicht ein richtiges Schreiben auch für all jene, die nicht über sprachhistorische Kenntnisse verfügen, und liegt also im Interesse der breiten Öffentlichkeit.“
Hier geht es um die ausschließlich von dem führenden Reformer Augst eingeführten etymologisierenden und volksetymologischen Schreibweisen, die vonAnfang an nicht etwa als zulässige Varianten, sondern als obligatorisch präsentiert wurden – wohl in der Annahme, daß andernfalls niemand sich dann halten würde. ie sind im einzelnen von sehr unterschiedlicher Qualität. So kann man in der Tat zu etymologisch richtigem bleuen (einbleuen usw., zu Bleuel, Pleuelstange) schon seit geraumer Zeit die volksetymologische Variante bläuen finden (wohl wegen der blauen Flecken). Das könnte allenfalls zugelassen, aber keinesfalls vorgeschrieben werden, so daß nun gerade der sprachkundige Schreiber einen „Fehler“ macht. Dasselbe gilt für Zierrat (wie Hausrat) statt Zierat (wie Heimat). Hingegen ist behende in tausend Jahren Sprachgeschichte so gut wie niemals anders als mit e geschrieben worden, weil der Zusammenhang mit Hand längst aus dem Bewußtsein geschwunden war. Das zeigt sich auch an Wendungen wie behenden Schrittes usw. Es ist nicht einzusehen, wieso die Neuschreibung „richtiges Schreiben auch für all jene, die nicht über sprachhistorische Kenntnisse verfügen“, ermöglichen soll. Noch deutlicher wird die rückwärtsgewandte Denkweise der Reformer in der Veränderung von Stendelwurz zu Ständelwurz. Hier hat Augst nämlich den alten volksmedizinischen Glauben ausgegraben, daß diese Orchideenart erektionsfördernd wirke und daher eigentlich mit ä (wie Ständer) zu schreiben sei. Das Duden-Universalwörterbuch ist stillschweigend zu Stendelwurz zurückgekehrt, obwohl die Neuschreibung als Variante ausdrücklich im amtlichen Wörterverzeichnis steht. Auf weitere Beispiele (schnäuzen, Tollpatsch usw.) kann verzichtet werden. Der vierte Bericht beharrt darauf, die Augstschen Erfindungen beizubehalten und sogar fast ausnahmslos obligatorisch vorzuschreiben. Wenn die Diskussion um diese Dinge abgeflaut ist, dann liegt das daran, daß außer dem hundertmal Gesagten nicht viel zu sagen bleibt.
Die Kommission behauptet, analog zu neuschreiblichem Tipp und Stopp seien auch Topp und andere Eindeutschungen gefordert worden. Sie fährt fort:
„Schreibungen wie Topp/topp, Shopp, Popp oder Stripp würden einen Schritt in Richtung Systematisierung bedeuten. An die Stelle bisheriger Einzelfestlegungen würde weit gehende Regelhaftigkeit treten. Mit doppeltem Konsonantenbuchstaben könnte man dann alle einsilbigen Substantive schreiben, die verwandte Wörter mit einer solchen Schreibung neben sich haben (also dann auch Popp wegen poppig, Chatt wegen chatten usw.).
Gegen eine derartige Regelung spricht, dass eine solche forcierte grafische Assimilation auch einige Fremdwörter betreffen würde, die zurzeit eine hohe Gebrauchsfrequenz aufweisen ohne Anzeichen der Assimilation erkennen zu lassen, was vor allem damit zusammenhängt, dass sie auch international üblich sind (etwa Shop, Chat, Pop). Außerdem wird die Begründbarkeit der Schreibung mit Doppelkonsonantenbuchstaben in derartigen Fällen in der Wissenschaft zurzeit konträr diskutiert.
FAZIT
Die Kommission sieht hier – zumindest, was die einsilbigen Substantive aus dem Englischen angeht – möglichen Handlungsbedarf für die Zukunft, möchte zum jetzigen Zeitpunkt aber keine weiteren integrierten Schreibungen zur Diskussion stellen, sondern die Schreibentwicklung noch weiter beobachten und den Verlauf des wissenschaftlichen Disputs verfolgen.“
Hierzu muß man wissen, daß Eindeutschungen wie Hitt, Stripp usw. durchaus geplant waren, jedoch in den neunziger Jahren von den Kultusbehörden zurückgewiesen worden waren. Von einem guten Dutzend Neuschreibungen blieben nur Tipp und Mopp übrig (Stopp war teilweise schon vorher gebräuchlich). Gerade Tip ist jedoch international überaus gebräuchlich, so daß es keine Erleichterung ist , wenn etwa Englischschülern auf dem Umschlag ihres Übungsbuches „Lerntipps“ versprochen werden. Shopp, Hitt, Stripp usw. bleiben auf der Agenda („Handlungsbedarf für die Zukunft“) und werden zweifellos eingeführt werden, sobald die Kommission, wie von den Kultusministern vorgeschlagen, allein über Neuschreibungen entscheiden kann.
„Zu Irritationen hat die für die Schreibenden bisweilen schwer durchschaubare Kennzeichnung von Vorzugs- und Nebenvarianten (z. B. Biografie als Hauptvariante gegenüber Biographie, aber Geographie als Hauptvariante gegenüber Geografie) geführt.“
Das vor Jahrzehnten entwickelte Konzept der „gezielten Variantenführung“ wird einerseits aufgegeben. Die unterschiedlichen Kennzeichnungen im amtlichen Wörterverzeichnis waren in der Tat „schwer durchschaubar“, nämlich offenbar willkürlich. Ihr Status war zudem völlig unklar, denn sogar die Reformer selbst benutzten teilweise die „Nebenvariante“ (z. B. Orthografie). Andererseits soll die eingedeutschte Variante im Regelwerk künftig an erster Stelle angeführt werden – was jedoch die Wörterbuchredaktionen zu nichts verpflichtet. In der Reihenfolge schlägt sich der Wunsch der Kommission nieder, die Eindeutschung zu beschleunigen. In klarem Widerspruch dazu steht die Absicht, „den Prozess der Integration vorurteilsfrei zu beobachten, ihn also nicht vorzubestimmen“. Auch in der Zusammenfassung am Ende des Berichts wird der Widerspruch zwischen Beobachtung und Lenkungsanspruch nicht aufgelöst. Jedenfalls müssen die Wörterbücher das entsprechende Markierungs- und Verweissystem beseitigen. Im Österreichischen Wörterbuch (s. Anhang zum vierten Bericht) werden die erheblichen Folgen dieser Maßnahme bereits sichtbar.
Im amtlichen Regelwerk ist übrigens nicht klar, ob Haupt- und Nebenvarianten nur bei Fremdswörtern vorgesehen sind (s. meinen Kritischen Kommentar). Sogar die Schweizer Berater haben offenbar angenommen, sie seien auch für heimische Wörter vorgesehen. Dem widerspricht nun die Kommssion in ihrer Zusammenfassung:
„In der schweizerischen Stellungnahme heißt es: „Was den Einzelfall -fach betrifft, so wurde insbesondere von den Vertretern der Medien und der Verwaltung empfohlen, die Schreibung mit Bindestrich zur Hauptvariante zu machen.“ Da es bei heimischen Wörtern keine Unterscheidung von Haupt- und Nebenvarianten gibt, sieht die Kommission in diesem Fall keinen Bedarf, ihren Vorschlag zu verändern.“


Zur Getrennt- und Zusammenschreibung
Die Kommission erkennt an, daß die Liste von Partikeln, die mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen („trennbare Verben“), unvollständig ist. Im ersten Bericht hatte sie schon einmal vorgeschlagen, diese Liste überhaupt zu öffnen. Nun soll es doch bei einer geschlossenen Liste bleiben, es werden aber 13 Partikeln und einige verkürzte Varianten hinzugefügt.
„Um den Charakter einer geschlossenen Liste zu gewährleisten, müsste die Liste um die folgenden fehlenden Partikeln bzw. Partikelvarianten ergänzt werden: dahinter-, d(a)rauf-, d(a)rauflos-, d(a)rin-, d(a)rüber-, d(a)rum-, d(a)runter-, davor-, draus-, hinter-, hinterdrein-, nebenher-, vornüber-.“
Diese Liste ist schwer zu verstehen, denn die verkürzten Formen drauf- usw. waren ja bereits in der originalen Partikelliste des amtlichen Regeltextes enthalten. Verglichen mit dem Rechtschreibduden von 1991 ergeben sich folgende Ergänzungen:
dahinterklemmen
dahinterknien
dahinterstecken
dahinterstehen
daraufgehen (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darauf)
*darauflosgehen (im alten Duden darauf losgehen)
darauffolgend
darin (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darin)
darüberfahren
darübermachen
darüberschreiben
darüberstehen
drüber (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darüber erschließbar)
darumkommen
darumlegen
darumstehen
drum (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darum erschließbar)
darunterfallen
darunterliegen
drunter (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darunter erschließbar)
davorhängen
davorliegen
davorschieben
davorstehen
draus (? im alten Duden keine Beispiele; DUW hat drausbringen, drauskommen)
hinterbringen ('nach hinten bringen')
hinteressen (mundartl. 'unwillig essen')
hinterhaken
hinterschlingen
hinterschlucken
hinterdreinlaufen (im alten Duden nur als Muster weiterer Verbindungen angegeben)
nebenherfahren
nebenhergehen
nebenherlaufen
vornüberbeugen
vornüberfallen
vornüberkippen
vornüberstürzen (im alten Duden als Muster für weitere Verbindungen angegeben)

Wichtiger als diese Einzeleinträge ist aber, daß es sich um ungemein produktive Muster handelt, nach denen Hunderte von Partikelverben gebildet werden. Ihre Wiederzulassung bedeutet daher schoin mengenmäßig einen folgenreichen Eingriff.
Die seit 1996 vorgesehene Getrenntschreibung solcher Verben wird nunmehr falsch. Damit ist auch die Behauptung der Kommission und der Kultusministerien widerlegt:
„Durch die Änderungen werden bisherige Schreibweisen nicht falsch.“ (Beschlußvorlage der KMK vom 14. 1. 2004)
Das ist die unvermeidliche Folge, wenn man geschlossene Listen ändert.
Als „verlässliches Kriterium“ der Identifikation trennbarer Verben gegenüber adverbialen Fügungen wird die Nichtunterbrechbarkeit eingeführt: dabeisitzen vs. dabei (auf dem Stuhl) sitzen. Dies ist jedoch nur eines unter mehreren von der Kritik ausführlich begründeten Merkmalen und keineswegs so „verlässlich“, wie die Kommission meint. Besonders die Verbpartikel mit ist bekanntlich erweiterbar bzw. verschiebbar, aber auch zurück und einige andere, vgl.:
Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.04)
Hier liegt zweifelsfrei das Partikelverb mitnehmen vor.
Zu § 34 E3 (3): Die willkürliche, völlig unverständliche obligatorische Getrenntschreibung von adjektivischen Verbzusätzen, die auf -ig, -isch oder -lich enden, wird weiterhin mit einer angeblichen Entsprechung zu Adverbialien gerechtfertigt: richtig stellen wie freundlich grüßen. Die beiden Typen von „Kombinationen“ (wie es vage heißt) sind ganz unvergleichbar, gerade nach dem grammatischen Maßstab, den die Kommission sonst überall zur Geltung bringen will. Deshalb kann auch von einer nunmehr geschaffenen „Ausnahmslosigkeit“ der Regel keine Rede sein, denn es gibt überhaupt keine Regel, der derart Unvergleichbares zusammenfaßt.

Zu § 34 (3), § 34 E3 (5), § 55 (4): Hier geht es um die Fälle
Leid tun
Not tun
Pleite gehen
Bankrott gehen
Kopf stehen
Eis laufen
Acht geben
Recht haben
Unrecht haben

Sie werden weiterhin unter dem Titel „Substantiv + Verb“ abgehandelt, obwohl der Fehler der Reform gerade darin besteht, daß es sich teilweise gar nicht um Substantive handelt. Die Kommission behauptet nun, „dass die Wortartzugehörigkeit bei einigen Bestandteilen nicht ohne weiteres klar ist.“ Sie räumt ein, daß neben Leid tun auch leidtun geschrieben werden könne (nicht aber leid tun, wie bisher üblich), versteigt sich aber zu der abenteuerlichen These:
„Der Bestandteil Leid bzw. leid in der Verbindung mit dem Verb tun ist hinsichtlich der Wortart grammatisch weder synchron noch diachron zu bestimmen.“
Jeder Germanist lernt im ersten Semester, spätestens bei der mittelhochdeutschen Lektüre, was für ein Wort leid ist; man kann es auch in allen besseren Wörterbüchern nachlesen. Es handelt sich um ein altes Adjektiv, das als solches nur noch in Dialekten gebräuchlich ist, adverbial im Komparativ leider vorliegt und genau parallel zu weh, wohl, gut mit tun verbunden wird. Die Großschreibung Leid tun (so Leid es mir tut) ist und bleibt grammatisch falsch. Die Analogie zu kundtun (ebd.) ist irrig, da kund hier ein Resultativzusatz ist.
In der Stellungnahme der Schweizer EDK wird die Neuschreibung leidtun abgelehnt, unter Hinweis auf wie leid es ihr tut wird für die bisherige Getrenntschreibung plädiert. Auch die Schweizer wagen es nicht, eindeutig auf die grammatikalische Verkehrtheit der Großschreibung Leid tun hinzuweisen. Ihr Vorschlag wird aber von der Kommission zurückgewiesen, die abschließend noch einmal ihren grammatikalischen Irrtum bekräftigt:

"...würde damit für einen Einzelfall eine Schreibung wiederbelebt, die es für diesen Typ (Substantiv + Verb) in der neuen Regelung nicht mehr gibt: Getrenntschreibung des Substantivs mit Kleinschreibung.“ (S. 52)
Dieser Satz wird nur verständlich, wenn man sich einer Maxime erinnert, die in der Vorgeschichte der Rechtschreibreform von dem österreichischen Ingenieur Eugen Wüster ersonnen wurde: „Entweder groß und getrennt oder klein und zusammen!“- Sie liegt der immer weiter getriebenen Großschreibung in der gegenwärtigen Reform zugrunde, obwohl sie gar nicht ausdrücklich in das amtliche Regelwerk eingegangen ist.
Pleite gehen und Bankrott gehen werden mit einer angeblichen Analogie zu Gefahr laufen und Schlange stehen gerechtfertigt. Die richtige Analogie wäre kaputt, verloren, verschütt, entzwei gehen (mit oder ohne Zusammenschreibung, das ist hier unwesentlich). Es handelt sich um einen adjektivischen Resultativzusatz. Mit Substantiven kann gehen nicht verbunden werden.
Das grammatisch falsche Recht bzw. Unrecht haben (wie Recht du doch hast!) soll offenbar beibehalten werden, es wird nicht nochmals erwähnt. Dasselbe gilt für Not tun und das archaisierende Acht geben. Im dritten Bericht war bereits erwogen worden, auch nottun zur Wahl zu stellen: „Die frühere Schreibung not tun (getrennt und klein) sollte nicht wiederbelebt werden.“ Ebens pleitegehen oder Pleite gehen, aber nicht mehr pleite gehen; inacht nehmen oder in Acht nehmen, aber nicht mehr in acht nehmen usw. Das fragwürdige Verfahren, die bisher übliche Schreibweise zu verbieten und stattdessen zwei andere zur Wahl zu stellen, wird bekanntlich auch bei von seiten praktiziert. Dies gibt es nicht mehr, man hat nur die Wahl zwischen vonseiten und von Seiten.

Zu § 36 E2:

„Es ist als ein Hauptfehler der Neuregelung bezeichnet worden, für Verbindungen mit Partizipien automatisch ausschließlich Getrenntschreibung vorzusehen, wenn eine entsprechende Fügung im Infinitiv vorliegt, z. B. Zeit sparend wegen Zeit sparen, allein stehend wegen allein stehen.“

Diesen Hauptfehler räumt die Kommission ein.:
„Diese Regelung lässt die Komparierbarkeit der ganzen Verbindung in bestimmten Fällen außer Acht und trägt auch den sich aus der Substantivierung ergebenden Aspekten nicht ausreichend Rechnung.
Die Steigerungsmöglichkeit des Ganzen bringt aber zwangsläufig auch bei Getrenntschreibung des Infinitivs die entsprechende zusammengeschriebene Form des Positivs vom Partizip als regelkonforme Schreibungsvariante mit sich, also z. B. zeitsparend wegen ein zeitsparenderes Verfahren, das zeitsparendste Verfahren; schwerwiegend wegen schwerwiegendere Vorwürfe, die schwerwiegendsten Vorwürfe.Die Kommission unterbreitet einen Lösungsvorschlag, der versucht, die Schreibung von Verbindungen mit Partizipien durch eine Erweiterung von § 36 E2 zu flexibilisieren.
Der Vorschlag nimmt die Kritik wie folgt auf: Es wird explizit vorgeführt, dass aus der Regelstruktur des Regelwerks für komparierbare Verbindungen zwei Schreibungen logisch ableitbar sind und dass beide Schreibungen auch tatsächlich zugelassen sind (z. B. Zeit sparend/zeitsparend).

Für nichtkomparierbare Fügungen lässt sich im Unterschied zu den komparierbaren aus dem amtlichen Regelwerk nur eine einzige Schreibung ableiten, also z. B. nur allein stehend (und nicht auch alleinstehend). Im Wörterverzeichnis sind in einigen Fällen auch Varianten mit Zusammenschreibung aufgenommen worden, und zwar unter Berufung auf § 37(2), wo die Zusammenschreibung von Substantivierungen behandelt wird. Das führt zu Schreibungen wie den folgenden:
das Kleingedruckte oder das klein Gedruckte, aber attributiv nur: das klein gedruckte Werk, die Alleinstehenden oder die allein Stehenden, aber attributiv nur: die allein stehenden Personen.
Dass in Verbindungen wie die Alleinstehenden oder das Kleingedruckte eine Neigung zur Zusammenschreibung besteht, hat aber nichts mit Substantivierung zu tun, es ist vielmehr Univerbierung schon im zugrunde liegenden attributiven Gebrauch anzunehmen. Dementsprechend wird eine zusätzliche Erweiterung von § 36 E2 vorgeschlagen, die auch für nichtkomparierbare partizipiale Verbindungen – unabhängig vom syntaktischen Kontext – die Zusammenschreibung als Variante zulässt.
Diese weit gehende Freigabe der Schreibung bei Verbindungen mit Partizip bringt im Ergebnis für die Schreibenden eine gewisse Erleichterung durch hinzugewonnenen Entscheidungsspielraum, zwingt aber andererseits die Wörterbuchredaktionen, alle einschlägigen Fälle an mehreren Stellen aufzuführen.“
Die Kommission macht sich also einige, wenn auch keineswegs alle Argumente der Kritiker zu eigen, vor allem die gesamthafte Steigerbarkeit. Nach jahrelangem Sträuben gibt sie zu, daß nicht nur die komparierten Formen (zeitsparender), sondern bereits der zugehörige Positiv (zeitsparend) zusammengeschrieben wird (neben dem anders gebauten Syntagma [viel] Zeit sparend). Andere Argumente, wie der Hinweis auf den prädikativen Gebrauch, werden nicht aufgegriffen, neuerdings verbreitete Fehlschreibungen wie Das Verfahren ist Zeit sparend also nicht ausgeschlossen. Der langjährige Vorsitzende der Kommission, Gerhard Augst, rühmte laut Zeitungsberichten sogar, nun sei die Unterscheidung die Frau ist alleinstehend vs. das Haus ist allein stehend wieder möglich (Schwäbische Zeitung 5. 2. 2004) – ohne zu bemerken, daß der zweite Satz grammatisch falsch ist. Der dritte Bericht war hier schon weiter.
Daß die Kommission das Argument bezüglich des prädikativen Gebrauchs bis heute nicht verstanden hat, zeigt sich in einem grammatischen Schnitzer, der ihr an anderer Stelle unterläuft:
"...dass die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend (!) sei.“ (S. 55)
Hier muß es zweifellos zufriedenstellend heißen, das auch in einigen neuen Wörterbüchern (z. B. Duden Universalwörterbuch) entgegen dem amtlichen Regelwerk wiederhergestellt ist. Die Kommission gebraucht auch, wie im Zitat erkennbar, durchweg die Getrenntschreibung weit gehende Freigabe usw., was zumindest linkisch wirkt.
Die Kommission kommt im weiteren Verlauf zu der Einsicht, daß nicht nur komparierbare Zusammensetzungen, sondern auch andere wie kleingedruckt, alleinstehend, alleinerziehend, ratsuchend wiederhergestellt werden müssen. Die lange Zeit von ihr verfochtene These, Großschreibung trete erst bei Substantivierung (Ratsuchende) ein, wird ausdrücklich widerrufen. Darauf hatten die Schweizer Kommissionsmitglieder Gallmann und Sitta schon seit 1996 gedrängt.
Bedenkt man, daß diese Korrektur auch die vielkritisierten Neuschreibungen Eisen verarbeitend, Erdöl produzierend, Wasser abweisend usw. erfaßt, so erkennt man einen durchgreifenden Änderungsbedarf in den reformierten Wörterbüchern.

Schreibung mit Bindestrich

Zu § 40 (3), § 41: Für Formen wie 8fach wird analog zur Neuschreibung 8-mal nun eine Variante mit Bindestrich vorgesehen: 8-fach. Als Grund gibt die Kommission an, daß „der Wortbestandteil einer Grauzone zwischen unselbstständigem Grundmorphem und Suffix zuzuordnen“ sei.
Im amtlichen Regeltext kommt allerdings weder der Begriff „Morphem“ noch gar der des „Grundmorphems“ vor. Die Neuregelung des Bindestrichs war bisher ausschließlich auf den Gegensatz von Zusammensetzung und Ableitung aufgebaut. Solange die neuartige Begrifflichkeit der „unselbstständigen Grundmorpheme“ nicht definiert ist, läßt sich nicht absehen, ob es mit -fach sein Bewenden haben kann.
Die Kommission will außerdem einen Fehler beheben, den sie als mißverständliche Formulierung darstellt. Diese Formulierung habe dazu geführt,
„dass viele gedacht haben, dass eine doch relativ übersichtliche Verbindung wie das Inkrafttreten neu nur noch mit Bindestrichen geschrieben werden dürfte: das In-Kraft-Treten.“
Zu diesen vielen gehörte immerhin die Dudenredaktion, trotz intensiver Beratungsgespräche mit der Kommission.
Zum Bindestrich werden noch eine Reihe weiterer Änderungen vorgeschlagen, die aber mehr redaktioneller Art und linguistisch uninteressant sind. Es bleibt übrigens bei der Umstimmigkeit, daß Erstglieder auf -ig, -isch und -lich mit Bindestrich in Zusammensetzungen eingehen (wissenschaftlich-technisch), im übrigen aber nach § 36 von Zusammensetzungen ausgeschlossen sind.


Zur Groß- und Kleinschreibung

„Der Vorwurf der Inkonsequenz der Neuregelung bezieht sich vor allem auf die Kleinschreibung von flektierten Adjektiven in festen Verbindungen aus Präposition und dekliniertem Adjektiv vom Typ vor kurzem, ohne weiteres.
DISKUSSION
Die Kleinschreibung wurde damit begründet, dass diese Verbindungen solchen ohne Flexion nahe kommen. Da substantivierte Adjektive aber auch ohne Artikel und nur mit Präposition auftreten können (z. B. Er steht Neuem misstrauisch gegenüber; sie bevorzugt Süßes; wir verpflegen uns mit Süßem und Salzigem), kann man auch Adjektive in festen Verbindungen aus Präposition und Adjektiv als Substantivierungen auffassen, sofern ihr substantivischer Status nach dem für die Neuregelung maßgebenden morphosyntaktischen Kriterium erkennbar ist, was sich in der Flexion des Adjektivs ausdrückt.
Deshalb kann man diese Adjektive nach § 57(1) auch großschreiben. Es handelt sich um etwa fünfzehn Wendungen dieses Typs, die allerdings in Texten teilweise eine relativ hohe Frequenz aufweisen, z. B. vor kurzem, seit kurzem, binnen kurzem, seit langem,vor langem, seit längerem, vor längerem, von nahem, von neuem, seit neuestem, von weitem, bei weitem, bis auf weiteres, ohne weiteres.

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Th. Ickler

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Theodor Ickler
07.02.2004 06.42
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Bemerkungen zum vierten Bericht 3

Zur Getrennt- und Zusammenschreibung

„Um den Charakter einer geschlossenen Liste zu gewährleisten, müsste die Liste um die folgenden fehlenden Partikeln bzw. Partikelvarianten ergänzt werden: dahinter-, d(a)rauf-, d(a)rauflos-, d(a)rin-, d(a)rüber-, d(a)rum-, d(a)runter-, davor-, draus-, hinter-, hinterdrein-, nebenher-, vornüber-.“

Diese Liste ist schwer zu verstehen, denn die verkürzten Formen drauf- usw. waren ja bereits in der originalen Partikelliste des amtlichen Regeltextes enthalten. Verglichen mit dem alten Duden ergeben sich folgende Ergänzungen:
dahinterklemmen
dahinterknien
dahinterstecken
dahinterstehen
daraufgehen (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darauf)
*darauflosgehen (im alten Duden darauf losgehen)
darauffolgend
darin (? im alten Duden keine Zusammenschreibung mit darin)
darüberfahren
darübermachen
darüberschreiben
darüberstehen
drüber (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darüber erschließbar)
darumkommen
darumlegen
darumstehen
drum (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darum erschließbar)
darunterfallen
darunterliegen
drunter (? im alten Duden keine Beispiele, aber wohl aus darunter erschließbar)
davorhängen
davorliegen
davorschieben
davorstehen
draus (? im alten Duden keine Beispiele; DUW hat drausbringen, drauskommen)
hinterbringen ('nach hinten bringen')
hinteressen (mundartl. 'unwillig essen')
hinterhaken
hinterschlingen
hinterschlucken
hinterdreinlaufen (im alten Duden nur als Muster weiterer Verbindungen angegeben)
nebenherfahren
nebenhergehen
nebenherlaufen
vornüberbeugen
vornüberfallen
vornüberkippen
vornüberstürzen (im alten Duden als Muster für weitere Verbindungen angegeben)

Wichtiger als diese Einzeleinträge ist aber, daß es sich um ungemein produktive Muster handelt, nach denen Hunderte von Partikelverben gebildet werden können. Ihre Wiederzulassung bedeutet daher einen folgenreichen Eingriff.


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07.02.2004 06.41
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Bemerkungen zum vierten Bericht 2

„Es war erklärtes Ziel der Neuregelung, den Schreibenden wieder die Möglichkeit zu geben, allein aufgrund der Anwendung der Rechtschreibregeln zu richtigen Wortschreibungen kommen zu können. Demgegenüber verlangte die frühere Regelung ein häufiges Nachschlagen im Wörterbuch.“

Wenn dies das Ziel war, ist es so gründlich verfehlt worden, daß sogar das staatliche Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung in München festhielt:
„Die Neuregelung der Rechtschreibung bedingt, dass für jeden – Lehrer und Schüler – der Umgang mit einem Rechtschreiblexikon selbstverständlicher sein muss denn je.“ (Handreichungen „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“. ISB München 1996, S. 41)
Sitta und Gallmann haben festgestellt, das amtliche Regelwerk sei ein Text, aus dem der Laie die korrekte Schreibung nicht entnehmen könne. Gerade bei der Groß-und Kleinschreibung könne man auch in Zukunft nur durch Nachschlagen zum Ziel kommen (Handbuch Rechtschreiben, Zürich 1996).

„Die Kommission ist zu der Überzeugung gelangt, dass die wesentlichen Neuerungen des amtlichen Regelwerks von 1996 unverändert bleiben sollten. Viele dieser Regelungen haben nachweislich spürbare Erleichterungen bei den Erstlernern gebracht.“

Hier fällt die vage Ausdrucksweise auf: Was sind „spürbare“, zugleich aber nachweisbare Erleichterungen? Tatsache ist, daß zur Zeit alle Rechtschreibungen – die „alte“, die amtliche neue und die vielfach korrigierte neue, wie sie in den unterschiedlichen Wörterbüchern seit 1996 verzeichnet ist, benutzt werden dürfen, ohne daß Fehler angestrichen werden. Bei gleichbleibenden oder sogar – wegen der Mischung – objektiv geringeren Rechtschreibleistungen werden aus arithmetischen Gründen bessere Noten vergeben – eine recht zweifelhafte „Erleichterung“. Bezeichnend ist die folgende Zeitungsreportage:
",Endlich mal wieder eine Zwei', frohlockt die Achtkläßlerin der Wirtschaftsschule. Vor allem die Schlußbemerkung des Lehrers findet Julia hochinteressant. Da steht: ,Aufgrund der Anwendung der neuen Rechtschreibregeln sind elf Fehler weniger in Rechtschreibung und Zeichensetzung zu verzeichnen; die Arbeit ist daher mit ,gut' zu bewerten.'" (Nürnberger Nachrichten 31.12.1996) Nicht die Schülerin hat also die neuen Regeln angewandt, sondern der Lehrer und für die gleiche Leistung eine bessere Note gegeben. Diesen Effekt hätte die Schulverwaltung auch durch eine bloße Anweisung an die Pädagogen und ohne Eingriff in die Sprache selbst erreichen können.

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06.02.2004 17.15
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Bemerkungen zum vierten Bericht 1

„Dieser 4. Bericht hat eine Sonderstellung gegenüber den bisherigen Berichten: Im Hinblick auf die in der Wiener Absichtserklärung von 1996 vereinbarte Übergangsfrist bis 31. Juli 2005 weist in ihm die Zwischenstaatliche Kommission aus, welche Modifikationen sie für das Regelwerk vorschlägt.“

Das entspricht nicht den Tatsachen. Auch der erste Bericht enthielt eine Fülle von Änderungsvorschlägen, die jedoch zum Ärger der Kommission von der Amtschefskommission untersagt wurden. Schon damals war verhüllend von „Verdeutlichungen“ die Rede gewesen, die Kultusministerien ließen sich jedoch nicht täuschen und gaben bekannt: „Keine Änderung der beschlossenen Regeln zum jetzigen Zeitpunkt“ usw. (Pressemitteilung der KMK vom 12.2.1998 )

„Die Aufgaben der Kommission sind in Artikel III der Wiener Absichtserklärung von 1996 festgelegt. Daraus ergibt sich im Einzelnen, die Umsetzung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu beobachten, Anfragen zu beantworten, Kritik aufzugreifen und entsprechend zu berücksichtigen, das neue Regelwerk auf etwaige Schwachstellen zu untersuchen und nötigenfalls Vorschläge für dessen Anpassung zu erarbeiten. Es war schon immer erklärte Absicht der Kommission, eine gewisse Zeit der praktischen Anwendung der Neuregelung abzuwarten, bevor Vorschläge zu Detailanpassungen gemacht werden. Die meisten der sich aus der Anwendung der neuen Rechtschreibung ergebenden Probleme sind – wie vorhersehbar – auf Umstellungsschwierigkeiten zurückzuführen, die sich aber mit zunehmendem Gebrauch der neuen Schreibregeln mehr und mehr relativieren.“

In der Wiener Absichtserklärung heißt es jedoch:

„Die Kommission wirkt auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung im deutschen Sprachraum hin. Sie begleitet die Einführung der Neuregelung und beobachtet die künftige Sprachentwicklung. Soweit erforderlich erarbeitet sie Vorschläge zur Anpassung des Regelwerks.“
Von einer Korrektur fehlerhafter Regeln ist nicht die Rede. „Anpassung“ ist ein Relationsbegriff, es muß gesagt werden oder erschließbar sein, woran angepaßt werden soll. Im Zusammenhang der Absichtserklärung kann nur die Anpassung an die zu beobachtende künftige Sprachentwicklung gemeint sein. Im vierten Bericht wird selbstverständlich nicht auf die Sprachentwicklung Bezug genommen, denn die deutschen Sprache hat sich seither nicht in orthographisch relevanter Weise entwickelt. Vielmehr sind Korrekturen des Regelwerks gemeint, wie es ja auch aus dem weiteren Bericht hervorgeht. Damit geht die Kommission über ihren Auftrag hinaus. Der führende Schweizer Reformer Horst Sitta, bis heute Mitglied der Zwischenstaatlichen Kommission, stellte schon vor Jahren klar:
„Mir ist dieser Wortlaut wichtig: Die Kommission soll ihrem Aufrag nach nicht – wie seitens der Reformgegner behauptet wird – das angeblich schlechte Reformwerk optimieren. Sie soll auf der Grundlage des beschlossenen Regelwerks die Einführung der Neuregelung begleiten.“ (in Eroms/Munske [Hg.]: Die Rechtschreibreform – Pro und Kontra, Berlin 1997, S. 222)
In einem an viele Adressaten versandten Standardbrief der Kommission aus demselben Jahr heißt es:
„Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in Wien weitere Änderungen vorerst grundsätzlich nicht mehr möglich sind.“
Am 23.1.1997 gaben Zeitungen eine Mitteilung des IDS wieder, wonach die Aufgabe der Kommission „keineswegs die Korrektur des beschlossenen Reformwerks“ sei.
„Die ‚von Reformgegnern erzeugte Sorge', die Rechtschreibreform werde schon vor der endgültigen Umsetzung ‚repariert oder korrigiert', sei gegenstandslos.“ (Fränkischer Tag vom 23.1.1997)
Die ersten Reparaturvorschläge wurden im ersten Bericht (Dezember 1997) unterbreitet, einige davon als „unumgänglich notwendig“ erklärt. Nach ihrer Zurückweisung durch die Amtschefskommission wurden einige der untersagten Korrekturen unterderhand in Beratungsgesprächen mit Duden und Bertelsmann praktisch dennoch eingeführt. Nun soll erstmals förmlich in den amtlichen Text eingegriffen werden, Anfang 2004, lange vor der „endgültigen Umsetzung“ im August 2005.
Die erste Abweichung vom ursprünglichen Auftrag war allerdings unter dem Druck der Kritik schon von den Kultusministerien in jener Pressemitteilung vom 12. 2. 1998 angedeutet worden:
„Ob und welche Änderungen sinnvoll sind, kann rechtzeitig vor Ende der Übergangszeit (im Jahr 2005) entschieden werden.“
Hierauf könnte sich die Kommission heute berufen, nicht aber auf die Wiener Absichtserklärung. Auf die Neuinterpretation des Kommissionsauftrages gehen auch gewisse Spannungen zwischen der deutschen Seite einerseits und der Schweiz und Österreich andererseits zurück.

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margel
06.02.2004 16.50
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Ja, wenn...

...die Kommission eine Behörde wäre, dann könnte tatsächlich so etwas wie „Verletzung des Dienstgeheimnisses“ (§353b StGB) vorliegen. Soll man nun bedauern, daß dem nicht so ist?

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Detlef Lindenthal
06.02.2004 15.45
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Die Rechtschreibung vereinheitlichen?

Die Kommission bringt in der „Anlage 1 a)“ eine Antwort der kantonalen Erziehungsdirektoren auf den 4. Kommissionsbericht. Darin liest sich die Schweizer ss-Sparschreibung „folgendermassen“:

S. 57: grosse
S. 58: Grossmehrheitliche, grosse, Ausserdem, ausschliesslich
S. 59: ausserordentlich, begrüsst, schliessen, ausserdem
S. 60: äussern, folgendermassen, begrüsst (2mal)
S. 61: Gross- und Kleinschreibung (2mal), Grossschreibung (2mal), grosszuschreibenden, geäussert, stiess.

Es kann also keine Rede davon sein, daß die „Reformer“ eine einheitliche Schreibweise anstrebten.

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Theodor Ickler
06.02.2004 15.00
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Randbemerkungen

Es ist in der Tat ungewöhnlich, daß der Bericht veröffentlicht wird, bevor die Kultusminister selbst ihn zur Kenntnis genommen und gebilligt haben. Man muß damit rechnen, daß die Veröffentlichung widerrechtlich erfolgt. Es handelt sich um einen Geheimnisverrat (Schulorthographie). Werde mal rechtliche Schritte dagegen prüfen.

Auf derselben Seite der Kommission liest man immer noch, daß die DASD die Neuregelung „verunglimpfe“. Eigentlich kann man nur Personen verunglimpfen, allenfalls deren Ehre, aber eine Rechtschreibregelung? Es ist eben Augsts Lieblingswort, er kann es einfach nicht auslassen. Sehr komisch.
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