Odiöses
Könnte es eine Art von Selbsthaß (Stickel: Autoodium) sein? Man ahnt, daß man aufgrund seiner Bildung Privilegien genießt, die einem eigentlich nicht zustehen, und salviert sich durch Bildungsfeindlichkeit und jenen Snobismus der schwieligen Faust, den Tucholsky bei gewissen Intellektuellen festgestellt hat. Ein bißchen Rache an den Lehrern, die einen getriezt haben, ist auch dabei.
Etwas Ähnliches ist es wohl, wenn westliche Menschen in Entwicklungsländern leben und ihren exorbitanten Wohlstand, den sie sich hierzulande nie leisten könnten, dadurch rechtfertigen, daß sie auf die Eingeborenen schimpfen. Wenn die Einheimischen faul, schmutzig, korrupt usw. sind, haben sie schließlich nichts Besseres verdient, also braucht man sich selbst auch nicht zu genieren. Wer es erlebt hat, wird wissen, was ich meine.
Als die Studenten Dem Volke dienen an die Wände pinselten, kam mir das zugleich heuchlerisch und gut verständlich vor. Die Privilegierten dienen sich solidarisch denen an, auf deren Kosten sie ihr, wie sie meinen oder fühlen, schmarotzerhaftes Leben führen. Solange man sich selbst zu den Ausgebeuteten rechnen kann, braucht man ja keine Rechenschaft abzulegen. Die Arbeiterklasse hat es freilich nicht honoriert, weil dort ein gewisser Realismus verbreitet ist, der den Humbug schnell durchschaut.
Bei Augst kommt noch hinzu, daß er mit seinen Volksetymologien recht behalten wollte, gegen die Lehrer, die es ihm als sauerländischem Bauernkind ausreden wollten. Nur so läßt sich seine Beharrlichkeit erklären, und er hat es ja schließlich auch erreicht: Was die Gelehrten sagen (einbleuen, Quentchen, Zierat), ist jetzt falsch, und was sich der kleine Gerhard dachte, ist doch richtig, sogar allein richtig. Daher seine tiefe Befriedigung, als er damals in der zweiten Reihe saß und zusehen durfte, wie die Mächtigen unterschrieben, was er sich ausgedacht hatte sich ihm, dem kleinen Gerhard, beugten! Das hat er ja selbst zu Protokoll gegeben.
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Th. Ickler
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