Rechtschreibreform - verfahren & irreparabel
Quergedacht und auf den Punkt gebracht in einer Glosse, die nicht nur zum Schmunzeln anregen soll, sondern auch, wenn es erforderlich ist, zum gründlichen Nachdenken.
AUF EIN WORT VOM 30.01.2004
Rechtschreibreform verfahren & irreparabel
Dass sich vor Urzeiten in Babylon die Menschen auf einmal nicht mehr verstehen konnten, soll an ihrem gotteslästerlichen Unterfangen gelegen haben, einen gigantischen Turm zu bauen. Wenn hierzulande inzwischen die Menschen Schwierigkeiten haben, sich schriftlich verständlich zu machen, kann dies an einem Projekt liegen, das bestenfalls zum Himmel stinkt: Die Rechtschreibreform. Und was am meisten stinkt: Sie ist offenbar immer noch nicht abgeschlossen.
Von: Hartwig Suhrbier
Ich könnte es mir jetzt leicht machen und sagen: mir ist diese jahrelange Debatte um die Reform der Rechtschreibung ziemlich egal, denn ich arbeite im Hörfunk, und im Radio kann niemand sehen, wie ich meinen Text geschrieben habe. Damit könnte dieser Beitrag schon zu Ende sein.
Aber davon hätte kein Radio-Hörer etwas. Und zumindest für Eltern und Schüler wird es langsam ernst. Denn zum 1. August nächsten Jahres wird das Regelwerk der Rechtschreibreform in den Schulen verbindlich. Dann werden die Deutschlehrer wieder mehr rote Tinte brauchen. Und eins steht fest: weder Schüler noch Lehrer sind zu beneiden angesichts dessen, was dann gelten soll.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die zuständige Kommission soeben ein weiteres Mal mit einigen Nachbesserungen um die Ecke kommt. Denn die machen es noch schwieriger: statt die besonders umstrittenen Vorschriften für die Getrennt- und Zusammenschreibung zu streichen, werden sie komplizierter gemacht. Die Kommission gibt damit im Grunde ihren Regelungsanspruch auf und verfügt, man kann es so oder auch so machen. Was hier als größere Freiheit verkauft wird, dürfte zumindest für Schüler & Lehrer eine größere Unsicherheit sein.
Unter dem Stichwort Verschlimmbesserung konnte man seinerzeit schon all das zusammenfassen, was diese Kommission vorher abgeliefert hatte. Denn statt Ungereimtheiten und Absurditäten der tradierten Orthographie zu beseitigen, die es ja durchaus gab, hat man sie bloß durch neue Ungereimtheiten und Absurditäten ersetzt. So etwas aber konnte niemandem glaubwürdig als sinnvoll vermittelt werden. Entsprechend groß waren denn auch Protest und Widerstand.
Jetzt möchte diese Kommission auch noch, dass die Kultusminister sie auf ihrer nächsten Sitzung in der kommenden Woche zur allein entscheidenden Instanz erklären, die für die Normierung der Rechtschreibung zuständig ist. Damit würde man den Bock zum Gärtner machen, und das ist noch nie gut gegangen. Für die Kultusminister hätte das allerdings einen praktischen Effekt: sie hätten sich ein Stück weit ihrer politischen Verantwortung für diese leidige Sache entledigt. Oder anders gesagt: daraus weggestohlen.
Die Sache ist verfahren, ist Stückwerk und Flickwerk, also auch nicht zu reparieren. Daran kann auch eine der ganz seltenen stimmigen Entscheidungen der Rechtschreib-Reform nichts ändern: die Regel nämlich, dass man Platitüde mit zwei TT schreiben soll. Auf diesem Weg hätte man weiter wandeln sollen: aber nach wie vor dürfen wir Praline nicht mit zwei LL schreiben, obwohl doch Pralline sehr viel sinnfälliger ist, was die Folgen des Prallinen-Essens angeht.
http://www.wdr.de/radio/wdr4/wort/auf_ein_wort/index.phtml
Danke für den Hinweis! Habs auch in die Nachrichten gestellt.
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mit herzlichen Grüßen
Karl Eichholz
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