Schreiben einer Nobelpreisträgerin
Damit kein Mißverständnis aufkommt: Ich möchte dieses Forum keineswegs umfunktionieren zu einem Debattierclub über wiewohl äußerst wichtige Fragen der Gentechnik.
Nachdem ich gestern (orthographisch richtige und m.E. inhaltlich sehr fragwürdige) Auszüge aus einer Stellungnahme der DFG hier vorgestellt hatte, las ich, die Nobelpreisträgerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen, Frau Professor Dr. Christiane Nüsslein-Volhard, habe die (inhaltlich sehr beachtliche und orthographisch liederlich abgefaßte) Berliner Rede des Bundespräsidenten scharf kritisiert.
Daraus resultierte folgender kurzer E-Mail-Austausch:
Sehr geehrte Frau Professor,
heute wurde über dpa eine Äußerung von Ihnen kolportiert, nach der Sie den Bundespräsidenten in scharfer Form als wissenschaftsfeindlich gerügt hätten.
Solche Meldungen sind immer verkürzt und in der Tendenz oft verfälscht. Deshalb bitte ich Sie um Nachsicht, daß ich in aller gebotenen Kürze direkt bei Ihnen nachfrage, ob Sie denn tatsächlich die Berliner Rede von Herrn Rau quasi als Kriegserklärung wider die Wissenschaft empfunden haben.
Er hat bei einigen Ungenauigkeiten m.E. seinen Kernpunkt klar herausgestellt, daß es viel diesseits des Rubikon zu tun gebe. Dem stimme ich auch als Wissenschaftler zu.
Umgekehrt bin ich geradezu entsetzt über die Rabulistik, derer sich eine hochangesehene Einrichtung wie die DFG befleißigt, um zu begründen, daß sie geltendes deutsches Recht zu umgehen empfiehlt (3. Mai 2001):
An dieser Stelle folgen die schon zitierten Sätze der DFG.
Ist das noch erträglich?
Mit freundlichen Grüßen
W. Scheuermann
Die Antwort ist eine typische E-Mail, die man orthographisch und stilistisch nicht auf die Goldwaage legen sollte. Dennoch erscheint es mir nicht als völlig einerlei, wie und in welcher Form sie abgefaßt ist.
Sehr geehrter Herr Scheuermann,
Woertlichsteht in dem interview auf die Frage: wie hat die Rede von Bundspraesident Rau auf Sie gewirkt?:
Die ausgesprochen wisssenschaftfeindliche Haltung hat mich
erschreckt. Ob es so weise war, als Bundespraesident eine so extrem konservative Haltung einzunehmen, wird sich noch zeigen.
Davor habe ich darauf hingewiesen, dass einige Techniken von denen er, wenigstens in der Tendenz, glaubt, dass Wissenschaftler diese bereits auszufuehren gedenken, nicht im entferntesten der Realitaet entsprechen. Ich finde das schon bedenklich, wie er und viele andere den Wissenschaftlern automatisch unethisches Handeln unterstellen, es quasi erwarten. Da sehe ich mich in meiner Berufsehre getroffen.
Ich wuerde das nicht als Kritik in scharfer Form bezeichnen.
Allerdings kann ich auch Ihre scharfe Kritik an der Stellungnahme der DFG nicht nachvollziehen.
Mit freundlichen Gruessen,
CNV
Mir scheint, hier wurde mit zwei Schärfen gemessen, aber das ist ja nicht so wichtig.
Interessant ist, welche Sprache Wissenschaftler nutzen da ziehe ich jetzt die Stellungnahme der DFG mit ein (und natürlich möchte ich mich selbst nicht in einen kritikfreien Raum zurückziehen).
Ich bin der Ansicht, daß wir Wissenschaftler (fast alle) derart von Zuwendungen der Allgemeinheit abhängen, daß wir uns, als geradezu selbstverständliche Gegenleistung der Gesellschaft gegenüber, in einem Deutsch äußern sollten, das von einem lesekundigen Mitbürger auch verstanden wird. (Das gilt nicht notwendig für unseren Umgang untereinander da brauchen wir einfach gewisse Fachtermini, um uns rasch zu verständigen).
Dazu gehört auch, daß ich nicht den Vorreiter spielen sollte bei einer Sprachverhunzung wie der Rechtschreibreform, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sie ablehnt. Verständlich zu formulieren ist ohnehin fast immer mühseliger, als einen Instant-Aufguß von Sprechblasen anzurühren zusätzliche Barrieren werden da nicht gebraucht.
Die Rede des Bundespräsidenten (nachzulesen unter
http://www.bundespraesident.de
braucht einen Vergleich mit sprachlichen Leistungen von Wissenschaftlern sicher nicht zu scheuen.
P.S.: Heute erreichte mich die Neufassung einer Dr.-Arbeit, die wegen u.a. orthographischen Mängeln zurückgezogen worden war. Ein Blick zeigt Einfluß, Messergebnis, passt, Abschluß, erfasst es ist ganz offenkundig zu schwer!
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Dr. Wolfgang Scheuermann
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