Hirten oder Mietlinge?
Nach der Ankündigung von Volker Rühe und Martin Kayenburg (beide CDU) im Sommer 1999, den Volksentscheid gegen die Rechtschreibreform im Landtag kippen zu wollen, formierte sich innerhalb von Tagen eine entschlossene Front der Parteien, mit der klaren Tendenz, diesem Vorstoß quasi blind zu folgen. Es war bei den Leuten eine Entschlossenheit zu spüren, als gelte es, einen verspäteten „Führerbefehl“ auszuführen.
Ich habe mir dann die Finger wundtelefoniert, um die politischen Entscheidungsträger einige Wochen vor der sich abzeichnenden Entscheidung noch einmal zusammenzubringen, damit ihnen das Unsägliche ihres Tuns wenigstens in fachlicher Hinsicht vor Augen geführt werden kann.
Ein solches Treffen hat zu meiner Überraschung auch stattgefunden, und zwar in meinem Elternhaus in Lübeck (seitens der „Reformgegner“ konnten Herr Loew, Herr Peil, Herr Kliegis und ich teilnehmen). Es war mir sogar gelungen, den Fraktionsvorsitzenden der SPD, ohne den die Umsetzung des Vorstoßes der CDU gar nicht denkbar war, zum Treffen einzuladen jedenfalls hatte ich mit seinem Referenten telefonisch einen Termin festgelegt. Als ich dann etwa 10 Tage später alle, die zugesagt hatten (so Lothar Hay über seinen Referenten), mit den entsprechenden Details versorgte (Anfahrtskizze, Tagesordnung etc.) meldete sich der Referent von Lothar Hay dann bei mir und sagte, er habe den Termin mittlerweile anderweitig vergeben, da er von mir in der Zwischenzeit ja nichts mehr gehört habe...
Zum Treffen erschien seitens der Parteien dann folglich auch nur die zweite Garnitur, Leute, die nicht gewohnt sind, die Richtung in der Politik zu bestimmen, und erst recht nicht in der Lage wären, eine von ihren Leithammeln eingeschlagene Richtung zu korrigieren.
Es kam dann, wie es kommen mußte: Am 17. September 1999, noch nicht einmal ein Jahr nach dem Volksentscheid, wurde das vom Volk beschlossene Gesetz zum Stopp der Rechtschreibreform durch die sog. Volksvertreter in die Tonne getreten. Ein Skandal ersten Ranges, der eigentlich nur vom Verhalten der Presse diesem barbarischen Akt gegenüber, leider einschließlich der FAZ und sogar einschließlich des Spiegels (!), noch überboten wurde.
Von Lothar Hay habe ich über den „Buschfunk“ des Landtages einige Wochen nach dem 17. 9. vernommen, daß er geäußert haben soll: „Wir haben uns bei dieser Sache viel zu leichtfertig vor den Karren der CDU spannen lassen.“
Was war wirklich geschehen? (Zur Erinnerung: Die Parteien befanden sich wenige Monate vor der Landtagswahl bekanntlich im Landtagswahlkampf.)
Volker Rühe, der Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl am 27. Februar 2000, hatte mit der Idee, den Volksentscheid zu kippen, genau das richtige Thema, um sich in der Politik als Führernatur und Leithammel zu profilieren. Er traf dabei beim Fraktionsvorsitzenden Martin Kayenburg auf offene Ohren, denn in der CDU hatte man mittlerweile Angst, daß (ausgerechnet!) die SPD die Sonderstellung des Landes in Sachen Rechtschreibreform zum Wahlkampfthema machen wollte (letzteres wurde mir von einem Mitarbeiter des Landtages als Motiv für den Vorstoß der CDU genannt).
Mit dieser Klappe konnte gleich noch eine zweite „Fliege“ geschlagen werden: Die Volksgesetzgebung. Letztere war vor Jahren auf Initiative der SPD in Schleswig-Holstein eingeführt worden, damals gegen den erklärten Willen der CDU. Es war völlig klar, daß mit einer Annullierung des per Volksentscheid beschlossenen Gesetzes dem Instrument der Volksgesetzgebung so ganz nebenbei ein Schaden zugeführt werden konnte, von dem sich dieser Teil der Verfassung so schnell nicht wieder erholen würde, wenn überhaupt.
Bleibt vielleicht noch die Frage: Wie stand man denn, z. B. bei der CDU, i n h a l t l i c h zur Rechtschreibreform? Das ist ein offenes Geheimnis ein Geheimnis deshalb, da es damals fast niemand zur Kenntnis genommen hat, und offen deshalb, da man es in den Protokollen des Landtages nachlesen kann.
So trug Herr Jost de Jager (= Biedermann), der Bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, zwei Tage vor der beabsichtigten Kassierung des Volksgesetzes in seiner Rede vor dem Landtag (= den Brandstiftern) am 15. 9 vor:
„Wir halten aber an der inhaltlichen Kritik an der Rechtschreibreform nach wie vor fest. Bei der Frage, ob diese Reform klug, durchdacht und handwerklich präzise konzipiert worden ist, sind wir nicht über Nacht vom Saulus zum Paulus geworden. Wir sind auch von ihrer Notwendigkeit immer noch nicht überzeugt*, und deshalb ist die Reform der Reform, die ja bereits in Gang gesetzt wurde, wenngleich sie nur schleppend verläuft, zwingend erforderlich.“
* aber nichtsdestotrotz muß jetzt, auf Teufel komm raus, auf jeden Fall erst einmal der erste Volksentscheid dieses Landes liquidiert werden?? ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank...
– geändert durch Matthias Dräger am 08.06.2001, 17:05 –
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