Ich erlaube mal, mich hier Herrn Ickler vorzudrängeln.
Die Kritik ist nur auf den ersten Blick berechtigt. Daraus, daß man nun das bayerische Mass auch so schreiben darf, ist nicht zu folgern, daß dann ebenso auch Spass, Fuss(ball) und Glass eine Berechtigung zu dieser Schreibung hätten. Zunächst einmal ist ja gerade ein(e) Mass (in der Schweiz feminin) Bier nicht das gleiche wie ein Maß. An dieser Stelle ist die neue ss/ß-Regel ausnahmsweise mal ganz nützlich, weil sie zufällig auf eine Unterscheidungsschreibung hinausläuft. Spaß bedeutet aber immer das gleiche, egal wie man es ausspricht (oder schreibt); ebenso die anderen Beispielwörter.
Außerdem ist auch die neue ss/ß-Regel ja nicht ganz so simpel wie in fast allen Reformwerbebroschüren und Zeitungsartikeln dargestellt (Nach kurzen Vokalen ss). Sowohl ss als auch ß stehen nur an Stellen, die in allen Beugungsformen einem scharfen s-Laut entsprechen. Demnach ist weder Glaß noch Glass richtig (obwohl der kurze a-Vokal in gerade diesem Wort sehr häufig ist), da man z.B. am Plural Gläser erkennt, daß das scharfe s in Endposition nur eine Auslautverhärtung ist, ansonsten aber weich und stimmhaft gesprochen wird. Folgt in der Grundform dem s-Laut ein Konsonant, so wird allerdings auch dann kein ss oder ß geschrieben, wenn der s-Laut in allen Beugungen scharf bleibt. Deswegen schreibt man Mist, aber ißt/isst, denn letzteres hat die Grundform essen. Das war bisher schon so, und auch die Reform hat daran nichts geändert was natürlich das Prinzip vom Vorrang des Stammprinzips nicht ganz konsequent umsetzt, denn zur Ermittlung, ob ein s wirklich scharf ist oder nur am Ende, muß man oft eben gerade nicht die Grundform bemühen (freilich ist das Prinzip des Stammprinzips aus der Gesamtheit der Neuregelung ohnehin nicht so klar zu erkennen, Stichwort Ableitungsrichtung usw.).
Bei der herkömmlichen Rechtschreibung kommt eigentlich nur noch die Konvention hinzu, vor t und am Silbenende statt ss ebenfalls ß zu schreiben, was der Herkunft des ß als Ligatur etwas näherkommt und den Vorzug hat, viele Wörter besser lesbar zu machen.
Das große Problem bei der neuen ss/ß-Regel ist, daß sie immerzu unvollständig verbreitet wird. Wenn man sie komplett erklären würde, würde sie ja auch nicht mehr so sehr den schönen Duft der griffigen Einfachheit verströmen. Die Reform soll aber gefälligst auf Anhieb fabelhaft einfach wirken, wenigstens dort, wo sich deutliche Änderungen im Schriftbild ergeben, also beläßt man es bei Vereinfachungen in der Regelwiedergabe, seien sie auch noch so irreführend. Weil die meisten Fürstreiter der Reform sie eben auch nur anhand dieser Vereinfachungen kennen, nehmen sie irrtümlich an, die Vereinfachungen lägen tatsächlich in der amtlichen Neuregelung, dabei liegen sie nur in ihrer propagandistisch einseitigen Darstellung all derer, die die Reform fortschrittlich positiv oder aber doch nicht ganz so schlimm wirken lassen wollen (Es gibt doch auch ein paar Verbesserungen).
Man will den Schulkindern beibringen, jetzt besonders bewußt auf die Vokallänge zu achten. Das ist das Vorzeigestück der Reform, denn es handelt sich um eine verhältnismäßig leichte Übung, und die Folgen dieses Teils der Regelung machen sich in normalen Texten am deutlichsten bemerkbar (Geßlerhut). Wegen der Überbetonung dieses Teils schreiben nun die Kinder plötzlich auch Verhältniss, Lasst oder eben Spass und Glass. Früher sind die Fehler in diesem Bereich geringer gewesen, nicht etwa, weil die Kinder oder andere Schreiber die zugrundeliegenden Regeln besser gekannt hätten, sondern weil man intuitiv die Wortbilder mit den gewohnten Gestalten aus der üblichen Lektüre vergleicht. Die ist heutzutage natürlich gerade in diesem Bereich dank der Reform höchst uneinheitlich.
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