Re: Grafische Erklärung: warum essZETT?
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Karl Eichholz; 25.09.2001, 09.56
Scharf-s:das Mißverständnis von lang-s plus rund-s:
wenn es mit der Breitfeder und Zierstrich gezeichnet wird, erscheint es ähnlich wie lang-s und z, deswegen der gebräuchliche Begriff »EsZet«.
In dem (ebenfalls von Karl Eichholz stammenden) Beitrag, welcher dem soeben zitierten vorangeht, heißt es (Kommentare von mir stehen in eckigen Klammern):
Zitat: Wir sehen also: das "ß" hat und hatte NICHT damit zu tun, daß der Vokal davor LANG oder KURZ gesprochen wurde, sondern hatte lediglich signalisiert, daß der Doppellaut ss [doppelter Laut in jedem Fall?] am WortENDE oder WortstammENDE steht. Dies ist eine wichtige Eigenschaft, denn trotz der vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten in der deutschen Schriftsprache war eine EINDEUTIGE Zuordnung des jeweiligen s zum jeweiligen Wort oder Wortstamm gewahrt.
Stand das ss in der WortMITTE wie bei »Wasser«, so wurde draus »Waffer« mit zwei Lang-s [hier als "f" widergegeben]. Da aber das Lang-s in die heutige Zeit einfach als Rund-s übersetzt wurde, lesen wir heute eben nicht mehr »Waffer« sondern »Wasser«.
Diese Erklärung finde ich sehr erhellend. Damit kommt die Heysesche ss/ß"-Schreibung fast an die Widersprüchlichkeit der Nichttrenung von ck heran, denn es wird die eigentliche Herkunft bzw. Bedeutung einer Schreibweise komplett ignoriert. Allerdings ist das Prinzip des kurzen oder langen vorangehenden Vokals nicht ganz sinnlos (was es taugt, ist eine andere Frage; ich bevorzuge die alte Regel), und daher interessiert es mich, ob das "ß" wirklich NIE mit ihm vorausgehenden langen oder kurzen Vokalen zu tun hatte. Ich denke an die Möglichkeit, daß inmitten eines Wortes ein scharfes s auftaucht, dem aber ein langer Vokal vorangeht. Wurde auch dann ff geschrieben? (Das sollen hier wieder lange s sein. Wie ein solches in einer heute üblichen Antiqua-Schrift aussehen könnte, kann man sich im Buch »Rechtschreibreform und Nationalsozialismus« von Birken-Bertsch und Markner anschauen; S. 54.) Als Beispiele sind mir zunächst »Größe«, »Blöße« eingefallen, die man aber als Ableitungen von »groß«, »bloß« verstehen kann. Dann gibt es da noch ein eher unfeines Wort, »Schei..e« das ja mit "ß" geschrieben wird. Ist das erst das Resultat der »Übersetzung« in Schriften ohne f oder auch eine Ableitung? Aber wie ist es bei »Buße« oder »Straße«? Darin kann ich keine Ableitungen mehr erkennen.
Vielleicht sind solche Beispiele der Anlaß für die Heysesche Regel gewesen; da kenne ich mich zu wenig aus. Aber mir scheint, daß man auch mit dieser Regel über das Ziel hinausschießt, indem man ein Schema, welches nur an gewissen Beispielen festgemacht werden kann, für allgemeingültig erklärt. Die Wirklichkeit läßt sich eben oft nicht in einfache Schemata pressen; sie bleibt der Maßstab (das muß auch ich mir als theoretischer Physiker von meinen Experimentatorenkollegen gelegentlich sagen lassen). Für mich bildet diesen Maßstab in puncto Rechtschreibung die bis vor der Reform übliche Schreibung (welche damals schon von der genormten abgewichen haben mag), und an dieser hätte eigentlich festgehalten werden müssen. Man kann die deutsche Orthographie nicht in solche schematischen, einfachen Regeln kleiden, ohne die Schreibweisen an sich zu verändern ein paar Änderungen in Einzelfällen wären ja in Ordnung gewesen, aber hier wurde systematisch geändert, eben weil systematisch vereinfacht wurde:
Zitat: Aus dem Vorwort zu den Regeln der neuen Rechtschreibung
Die neue Regelung ist folgenden Grundsätzen verpflichtet:
- Sie bemüht sich um eine behutsame inhaltliche Vereinfachung der Rechtschreibung mit dem Ziel, eine Reihe von Ausnahmen und Besonderheiten abzuschaffen, so dass der Geltungsbereich der Grundregeln ausgedehnt wird.
- Sie verfolgt eine Neuformulierung der Regeln nach einem einheitlichen Konzept.
Was ist mit »behutsam« gemeint, was mit »inhaltlicher Vereinfachung der Rechtschreibung«? Welcher Maßstab ist für die »Vereinfachung« angelegt worden, wer beurteilt nach welcher Skala die Schwierigkeit oder Einfachheit der Rechtschreibung? Die einzige Erklärung, die der Text dafür angibt, steht im zweiten Teil des Satzes: »mit dem Ziel, eine Reihe von Ausnahmen und Besonderheiten abzuschaffen,« das klingt eher nach einer Änderung von konkreten Einzelfällen »so dass der Geltungsbereich der Grundregeln ausgedehnt wird« das bedeutet klar den Vorrang eines Prinzips vor Einzelfallregelungen. Man könnte also bereits den Ansatz für in sich widersprüchlich halten, denn es ist nicht klar, ob es vordringlich um die »Entschärfung« von Einzelfällen geht, oder um die konsequentere Anwendung von »Grundregeln« (was eigentlich auch bedeutet, daß es »Zusatzregeln« für Spezialfälle gibt).
Hier wird außerdem stillschweigend vorausgesetzt, daß es Grundregeln gibt, die eigentlich alles regeln könnten, wenn man sie nur ließe aber woher weiß man, daß dies geht und sinnvoll ist, und woher weiß man, daß die Abschaffung einer Ausnahme oder einer Besonderheit zu keiner neuen Ausnahme oder Besonderheit führt? Beispiele: Die Nichttrennung von ck steht im klaren Widerspruch zu anderen Regeln (neue »Ausnahme«), und die vermehrte Getrenntschreibung führt neben der Beseitigung von Wörtern in Verbindung mit vermehrter Großschreibung zu Konstrukten wie »es tut mir sehr Leid« (neue »Besonderheit« nein, Absonderlichkeit, da grammatisch falsch). Des weiteren kann die »zu konsequente« Anwendung eines Prinzips zu Fehlern führen, die vorher nicht auftraten, z. B. »Muß« statt »Mus«, »ich laß« statt »ich las«, »hasstig« statt »hastig«,»Passtraße« statt »Passstraße« (und was derlei Probleme mit der Heyseschen Schreibung mehr sind).
Es ist wichtig, daß beides betrachtet wird, neue innere Probleme der Regeln und neue Fehlermöglichkeiten, denn beide zeigen die Problematik der Herangehensweise auf, komplexe Verhältnisse mit einfachen Regeln in den Griff kriegen zu wollen. Dieser »Vorzug der neuen Rechtschreibung«, wie unser Leitthema heißt, kann nur darauf hinauslaufen, daß die Regeln gerade an den Stellen versagen (d. h. »Seltsamkeiten« oder Unfug produzieren), die einer besonderen Regelung bedürfen.
Ich stimme zwar Uwe darin zu, daß die Idee einer »einfachen Rechtschreibung« »für den Alltagsgebrauch« sinnvoll ist, und meistens reichen auch wenige Regeln aber darum geht es ja bei der Rechtschreibreform gar nicht, weil sie sich als vollwertiges Regelwerk auf ALLE Aspekte der Orthographie bezieht! Die neue Rechtschreibung ist nur als Gesamtpaket zu haben, und es wird lediglich der Anschein erweckt, jetzt würde alles einfacher werden. Zum einen entpuppen sich die vermeintlichen Vereinfachungen teilweise als sehr problematisch, zum anderen werden sie durch massive Schwierigkeiten oder Fehler an anderen Stellen erkauft. Ich behaupte, daß diese Schwierigkeiten bzw. Fehler aufgrund der Herangehensweise unvermeidlich sind.
Eine Vereinfachung im Sinne einer Erleichterung für den Schreibenden halte ich dennoch für möglich, denn man kann zum einen konkrete Einzelfälle ändern, zum anderen kann man die Regeln anders darstellen (darauf hat ja Herr Ickler bereits hingewiesen), und zum dritten kann man versuchen, die Regeln didaktisch geschickter zu vermitteln, so daß man einen leichteren Zugang zu ihnen bekommt. Schauen wir uns einmal die Trennung von ck an, die hier schon mehrfach angesprochen wurde.
Wörter mit einem Doppelkonsonanten in der Mitte werden offenbar genau zwischen diesen getrennt, wie man sich durch langsames Aussprechen leicht klarmachen kann:
blub-bern
Pad-del
gaf-fen
Bag-ger
Hül-le
Ham-mer
Tun-nel
Kup-pe
har-ren
Kas-se
bit-ter
Piz-za
Hier habe ich Beispiele für alle bis auf einen für diesen Fall in Frage kommenden Konsonanten (c,h,j,q,v,w,x sind ausgenommen, tz lasse ich beiseite) angegeben nur k fehlt. Also noch ein Wort mit Doppel-k, bitte auch langsam aussprechen:
Bak-ke
- das gelingt auf Anhieb, denke ich. Wo war doch gleich das Problem? Das sieht man erst, wenn man die ungetrennte Schreibung danebenstellt:
blub-bern blubbern
Pad-del Paddel
gaf-fen gaffen
Bag-ger Bagger
Bak-ke Backe
Hül-le Hülle
Ham-mer Hammer
Tun-nel Tunnel
Kup-pe Kuppe
har-ren harren
Kas-se Kasse
bit-ter bitter
Piz-za Pizza
Für jemanden, der das gerade lernt, ist k-k ganz natürlich, denn es ist von der Aussprache her quasi selbstverständlich, und es fügt sich nahtlos in die Liste ein also ist ck die Ausnahme! Für diese Ausnahme, Wörter, die eigentlich ein doppeltes k haben müßten, mit ck zu schreiben, gibt es m. E. nur eine Begründung: weil man es so macht im positiven Sinn, wörtlich und damit ernst (und nicht arrogant) gemeint.
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Uwe
...ist aber alles beim alten geblieben ... ickler postet tagtäglich seine fundierten Beiträge und alle anderen stimmen ihm zu ... alle freuen sich wie die schneekönige, wenn die post auf ihren briefmarken für Dich schreibt ... suuuuper. wie viele jahre soll das noch so weiter gehen ???
Dazu etwas zum zweiten Grundsatz der neuen Rechtschreibung, wie er im Vorwort steht: »Sie verfolgt eine Neuformulierung der Regeln nach einem einheitlichen Konzept.« Schön aber warum bitte »Neuformulierung«? Reicht denn eine bloße »Formulierung nach einem einheitlichen Konzept« nicht aus? Oder eine »Umformulierung«? Das würde natürlich sofort bedeuten, daß der von den Regeln betroffene Inhalt, d. h. die Orthographie an sich, unverändert geblieben wäre aber das war ja nicht beabsichtigt. Eine Neuformulierung der Regeln ermöglicht auch neue Regeln. Inwieweit das mit der Behutsamkeit aus dem ersten Grundsatz vereinbar ist, muß also sorgfältig geprüft werden. Deshalb wird hier so viel und auch weiterhin diskutiert, nicht als Selbstzweck, sondern um aufzuklären, wie weit die Konsequenzen der Neuregelung reichen und um eine Änderung zu erreichen. Mir geht es auf jeden Fall weiterhin darum. Dazu braucht man aber fundierte Argumente.
Danke, Herr Schäbler, für Ihre wiederholte Bemühung um die Überwindung von Vorurteilen; manches muß sich eben noch weiter herumsprechen. Was zu diesem »manchem« zählt, müßte mal übersichtlich auf den Punkt gebracht werden. Ich bin dafür, zu diesem Zweck ein neues Leitthema einzurichten, aber ich habe bislang keinen wirklich brauchbaren Einstiegsvorschlag.
Möglicherweise verlange ich Änderungen in Bereichen, die Uwe für nebensächlich hält. Umso besser, dann hat er sicher nichts gegen solche Änderungen. Im Gegenteil, wenn er diese Änderungen unterstützen würde, könnte er einen konstruktiven Beitrag leisten. Willst Du, Uwe?
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Jan-Martin Wagner
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