Kommasetzung im für Bayern erweiterten amtlichen Regelwerk von 1902
Das alte amtliche Regelwerk, das bekanntlich nichts über die Zeichensetzung enthielt, wurde für Bayern um einen diesen Bereich regelnden Abschnitt ergänzt, der in bezug auf die Kommasetzung sehr interessant ist. Ich werde hier im Forum auch noch das amtliche Wörterverzeichnis von 1901/1902 einstellen. Das Abtippen ist allerdings relativ zeitaufwendig. Trotzdem denke ich, daß dieses Dokument hier auf diese Seite gehört.
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§ 32. Der Beistrich (das Komma).
Der Beistrich (,) wird gesetzt:
I. Innerhalb des Satzes:
1. Um Anreden vom Satze zu trennen, z. B. Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht! – Gegrüßet seid mir, edle Herren!
2. Nach Ausrufen und Empfindungswörtern, wenn sie einem Satze vorangeschickt werden, z. B. Ach, wie schnell vergeht die Jugendzeit! – Fürwahr, es ist ein edler Mann, den sie zu Grabe getragen!
3. Nach solchen Wörtern, die des Nachdrucks wegen aus dem Satze herausgehoben und in diesem durch Fürwörter oder Umstandswörter ersetzt werden, z. B. Dieses Blatt, ich leg’s in eure Hände. – Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich Haus.
4. Bei der nachgestellten Beifügung (Apposition) um sie von den übrigen Satzteilen zu scheiden, in der Regel auch vor als, wie, z. B., nämlich, z. B. München, die Hauptstadt Bayerns, ist im Besitze vieler Kunstsammlungen. – Haustiere, als (wie) Pferde, Rinder, Schafe, gewähren dem Menschen mancherlei Vorteile.
Der Beistrich fällt indes fort, wenn die Apposition mit dem Beziehungsworte einen Begriff bildet, z. B. Ludwig der Bayer. – Wilhelm der Eroberer. – Kurfürst Max der Vielgeliebte.
Auch vor Beifügungen, welche aus Eigenschafts- oder Mittelwörtern bestehen, kann ein Beistrich gesetzt werden, wenn sie ihrem Beziehungsworte nachfolgen und selbständiger hervortreten sollen, z. B. Ein königliches Stirnband, reich an Steinen, durchzogen mit den Lilien von Frankreich. – Er gab Befehl, ausdrücklichen. – Das ist der Sturmwind, der, geweckt von der Hitze der lodernden Flamme, von fern heraufbraust. Dagegen: Wohl blühet jedem Jahr sein Frühling mild und licht.
5. Vor und nach einem Schaltsatze, z. B. Wer nicht hören will, so lautet ein Sprichwort, muß fühlen.
6. Zwischen allen gleichartigen Satzgliedern, ob sie nun ohne oder mit Bindewörtern aneinander gereiht sind.
Nur vor den anreihenden (kopulativen) Bindewörtern und, sowie, sowohl – als auch, nicht nur – sondern auch, teils – teils, bald – bald, ferner bei oder und entweder – oder wird ein Beistrich nicht gesetzt, z. B. Gold, Silber, Eisen, Blei sind Metalle. – Schweden ist reich an Eisen, aber arm an Kohlen. – Nicht Reichtum, sondern Zufriedenheit macht glücklich. – Die Nachtigall, die Amsel, die Lerche und der Stieglitz gehören zu den Singvögeln. – Der April bringt uns bald Regen bald Sonnenschein. – Sowohl die Wissenschaften als auch die Künste hatten an König Ludwig II. einen warmen Gönner.
Mehrere Eigenschaftswörter, welche einem Hauptworte vorausgehen, werden nur dann durch einen Beistrich getrennt, wenn sie einander beigeordnet sind, d. h. wenn man sie durch und verbinden kann, z. B. Schmackhafte, gesunde Kost. Dagegen: die großen asiatischen Flüsse.
II. Zwischen Sätzen:
1. In Satzverbindungen um die einzelnen Sätze derselben zu trennen, z. B. Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glückstand blüht, voll sind die Scheunen.
Sind die Sätze mit und oder oder verbunden, so wird kein Beistrich gesetzt, z. B. Tiefe Stille herrscht im Wasser, ohne Regung ruht das Meer und bekümmert sieht der Schiffer glatte Fläche rings umher. – Du mußt dich völlig ändern oder du gehst zugrunde.
2. In Satzgefügen zur Trennung der Nebensätze von den Hauptsätzen sowie der Nebensätze von anderen Nebensätzen, z. B. Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten. – Kein Mensch kann sich, auch wenn er noch so mächtig und reich ist, vor allen Umständen des Lebens sichern. – Der Schüler verdient gelobt zu werden, der die Pflichten, welche die Schule ihm auferlegt, gewissenhaft erfüllt.
Vor unvollständigen Vergleichungssätzen wird ein Beistrich nicht gesetzt, z. B. Es kann ein Vater eher zehn Kinder ernähren als zehn Kinder einen Vater.
Auch fällt der Beistrich gerne weg, wenn der Nebensatz in so enger Beziehung mit dem Hauptsatz steht, daß dieser ohne den Nebensatz keinen genügenden Sinn ergibt, z. B. Mir ist als ob ich die Hände aufs Haupt dir legen sollt’.
Ebenso ist ein Beistrich überflüssig vor den Nennformen des Zeitwortes (den Infinitiven) mit zu, um zu, ohne zu, statt (anstatt) zu, als zu, soferne nicht die Übersichtlichkeit des Satzganzen einen solchen erfordert.
III. Der Beistrich wird überhaupt in einzelnen Fällen zur Vermeidung von Mißverständnissen gesetzt, z. B. Es war nicht schwer für ihn, zu sterben – es war nicht schwer, für ihn zu sterben.
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Von wenigen Einzelheiten abgesehen (z. B. Kommasetzung bei bald – bald und ähnliches), entspricht diese Regelung doch beinahe dem Reformregelwerk von 1996. (Interessant ist auch aneinander gereiht. Zu den Fügungen mit -einander äußert sich im übrigen auch das alte amtliche Wörterverzeichnis nicht.)
Die Freigabe von Kommas bei Infinitivgruppen und zwischen Hauptsätzen ist also schon mal gescheitert. Vielleicht sollte man darauf mal aufmerksam machen.
– geändert durch Christian Dörner am 09.10.2002, 11.20 –
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Christian Dörner
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