Bookmarks 7/02
Denk mal! Sechs Jahre ist es mittlerweile her, seit der wackere Deutschlehrer Friedrich Denk aus Weilheim seine große Koalition gegen die neue Rechtschreibbreform mobilisierte: Sie sei inkonsequent und kostspielig, ein Wrack deutschen Regulierungswahns, ein Anschlag auf Tradition und Leselust. Stängel und Gämse, rau und Delfin – welchem kulturbeflissenen Auge wollte man solche Gräuel zumuten?
Wie alle übrigen Verlage, Zeitungen und Zeitschriften stand auch Rowohlt vor der Frage: Was nun – und was tun?
Rechtschreibreform? Neu ist das alles nicht. Schon Klopstock hatte sich 1778 reformerisch heftig ins Zeug gelegt («Di Ortografi, di ich forschlage . . .»), was ihm Herders Spott: «Der alte stolze Narr ist dem delirio nahe.» Auch Lichtenberg hielt mit sarkastischen Kommentaren nicht hinter dem Berg: «Das Buch wird file ferführen, mich ferfürz nicht.» Das liest sich schon fast wie Zé do Rocks «Ultradeutsch», pardon: ultradoitsh: «mit ultradoitsh wer was für di umwelt getan. wenn ma ultradoitsh sraibt, spart ma 10 prozent papir – di regenwelda bedanken sic.»
Im Jahre 1996 fand der erste Sommerloch-Feldzug der deutschen Presse gegen die neue Rechtschreibung statt. Obwohl gekennzeichnet durch profunde Unkenntnis schon bei den simpelsten Sachverhalten, war er ein voller Erfolg: Ein ganzes Land sah eines seiner wichtigsten Kulturgüter in gröblichster Art und Weise verunstaltet. Komischerweise wurden die einschlägigen Wörterbücher zu den neuen Schreibweisen trotz allledem zu Bestsellern – dem Aufschrei folgte mitnichten ein Boykott. Auch nicht bei den Feldherren der Sommerloch-Schlacht: Als die Hauptzulieferer der Zeitungen, die Nachrichtenagentuuren, am 1. August 1999 auf die neue Rechtschreibung umstellten, sahen sich diese genötigt mitzuziehen. Das Resultat war vielfach ein eigenartiges Gemisch von alten und neuen Schreibweisen mit kühn eingestreuten Kreationen, die frühestens bei der übernächsten Rechtschreibreform im Jahre 2054 Eingang finden dürften, wie zum Beispiel wolllüstig.
Klipp? Klar!
Während der Grabenkrieg um Panter und Tunfisch die Republik erschütterte, schlich sich die neue Rechtschreibung im beschaulichen Reinbek eher auf leisen Sohlen in den Rowohlt Verlag ein, genauer in den Rowohlt Taschenbuch Verlag. Die neue Reihe klipp & klar wendete sich an Schüler und musste somit zwingend in der neuen Schreibweise abgefasst werden. Was aber tun, wenn überhaupt noch keine verbindlichen Angaben publiziert sind? Ganz einfach: Man sucht im Verlag nach einem «Kollegen, der die neue deutsche Rechtschreibung perfekt beherrscht» – eine vergebliche Suche, versteht sich. Also werden zwei Korrektoren ausgeguckt, die sich der Sache anzunehmen haben. Vom Rest der Belegschaft wurden die Kollegen mit einer eigenartigen Mischung aus Bedauern (als sollten sie die «Titanic» vor dem Untergang retten) und Bewunderung (als wären sie die Pioniere einer großen und riskanten Landnahme) angeschaut.
Die Interpretationsmöglichkeiten zu den nunmehr allein gültigen, aber eben abstrakt formulierten Regeln sind Legion und die daraus folgenden möglichen Schreib- und Interpunktionsvarianten gar nicht mehr zu überblicken. Was nun im Duden als einzig korrekte Schreibweise angegeben ist, taucht vielleicht im Bertelsmann gar nicht auf, und auch das Aldi-Wörterbuch bringt keine Klärung. Könnte hierin vielleicht der oft gesuchte, aber nie gefundene tiefere Sinn der «Reform» liegen? In der Vergrößerung der Angebotsvielfalt durch Monopolzerschlagung? Ein Hoch auf die freie Marktwirtschaft!
Aus Alt mach Neu
In den Niederungen der alltäglichen Verlagsarbeit entwickelte diese Situation eine unerfreuliche Eigendynamik mit starker Tendenz zur Unübersichtlichkeit. Bis aus einem Manuskript ein gedrucktes Buch wird, verlustieren sich ja allerlei Leute an dem Text: Autor, Übersetzer, Redakteur, Korrektor, Lektor . . .
Und jeder hat so seine eigene Auffassung von Rechtschreibung, ganz besonders von neuer Rechtschreibung. Und das alles manchmal in einem Satz. Nun war des Deutschen Liebstes gefordert – die Sache musste geregelt werden. Mit den «Satz- und Korrekturanweisungen der Rowohlt Verlage» wurde das Problem gelöst. In ihnen ist festgelegt, welche Schreib- und Interpunktionsvarianten jeweils bei Rowohlt verbindlich sind. Leitlinie der Entscheidung zwischen den Varianten war stets die Lesefreundlichkeit. Folgender Satz müsste zum Beispiel rein formal nach neuer Rechtschreibung kein Komma aufweisen: «Gustav liebt Kathrin und Miriam und Felix kann er nicht ausstehen.» Schlägt des armen Gustav Herz nur für Kathrin oder doch für beide Damen? Wir lernen: Nicht nur in Liebesdingen stört ein richtig gesetztes Komma niemanden, ein fehlendes (oder falsch gesetztes) hingegen kann (ver-)störende Folgen nach sich ziehen. Mit einem einfachen Komma bleibt Gustav monogam und seiner Kathrin weiter treu ergeben.
|