Deppenleerzeichen
Bindestrich? Voll AfD-mäßig
Eine Kolumne von Jochen Bittner
Das Deppenleerzeichen breitet sich immer weiter aus. Ohne Widerstand wird der Bindestrich bald tot sein. Das zeigt die Verführungskraft irrationaler Moden. Wehrt Euch!
Es tut mir weh, wirklich. Ich spüre die Leerstelle in der Magengrube. Wann immer ich dieses Leiden in Redaktionskonferenzen thematisiere, schauen mich die Kollegen zwar mitleidig, aber auch entgeistert an, ihre Gesichter sagen dann: Der Rechtschreibnazi wieder.
Mir egal. Ich denke, dass ich weder Faschismus noch eine Zwangsstörung habe. Ich glaube einfach, dass der Zusammenbruch von Zivilisationen mit Kleinigkeiten beginnen kann – mit scheinbaren Kleinigkeiten, um genau zu sein. Der schleichende Tod des Bindestrichs ist so eine. Ja, doch.
Vielleicht ist der Kampf gegen seine Auslöschung und – vor allem – gegen die Geisteshaltung, die dahinter steckt, schon verloren. Vielleicht hat sich aber auch einfach noch nicht genug Widerstand gebildet. Gegen Husten und Bronchial Tee [...]
Gibt's keine anderen Probleme?, höre ich Sie fragen, mit ähnlichem gefaltetem Gesichtsausdruck wie meine Kollegen. Doch klar, die gibt es. Die Bedrohung der europäischen Aufklärung durch populistische Bewegungen zum Beispiel. [...]
Mir persönlich ist bloß jeder, der sich unhinterfragt einem Herdentrieb ergibt, schwer unsympathisch, egal ob er nun Kosmopolit oder Nationalist ist, egal ob er Tütensuppen produziert oder Wahlprogramme.
Und, liebe Werbefuzzis: Kommt nicht mit der Rechtschreibreform. Auch nach den neuen Regeln ist das Auslassen von Bindestrichen in Komposita unzulässig. Das hat gute Gründe. Der Hinweis "Wir ändern Frauen, Herren Kinder Bekleidung" heißt beispielsweise etwas fundamental Anderes als "Wir ändern Frauen-, Herren-, Kinder-Bekleidung". [...]
Gerade bei sehr emotionalen Themen gilt: Keine Meinung ohne Recherche. Deshalb habe ich bei DHL nachgefragt, was konkret sie gegen den Bindestrich haben. Das Unternehmen antwortete, es behalte sich vor, die Schreibweise bestimmter Unternehmensbereiche aus Gründen der Lesbarkeit und Klarheit abweichend zu regeln. Grundlage seien die "Corporate Wording-Vorgaben". Sie seien Teil unserer Markenarchitektur, und erlaubten es, als global agierendes Unternehmen gegenüber unseren Kunden mit weltweit einheitlichen Marken- und Produktnamen aufzutreten. Aha.
Die DHL muss also deutsche Begriffe falsch schreiben, damit keine internationale Verwirrung entsteht? Nun ja, antwortet ein DHL-Sprecher, man könnte dies so betrachten, aber tatsächlich handelt es sich nicht um deutsche Begriffe, sondern um Produkt- und Markennamen, die wir weltweit verwenden.
Der DHL-Paketbote muss also DHL Paketbote heißen, damit man ihn weltweit einheitlich falsch schreiben kann.
Es ist to-tal ga-ga.
zeit.de 16.3.2017
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