Neues Synonymwörterbuch: Bemerkungen dazu
Duden Synonymwörterbuch (2004):
„Einzigartig sind die zahlreichen Gebrauchshinweise zu brisanten Wörtern, die eine Hilfestellung geben oder Alternativformulierungen anbieten, wenn die Verwendung eines Stichwortes nicht unüberlegt erfolgen sollte.“ (Vorwort)
„Mit den Gebrauchshinweisen zu brisanten Wörtern wird ein ganz neuer Weg beschritten. Als erstes Synonymwörterbuch erschöpft sich der Dudenband nicht darin, synonyme Ausdrücke, zu Ausgangsstichwörtern zu zeigen, sondern er gibt auch in solchen Fällen Hilfestellung, in denen die Verwendung eines Stichwortes besonders im öffentlichen Sprachgebrauch fragwürdig ist bzw. geworden ist. Die Gebrauchshinweise zeigen dementsprechend Alternativformulierungen für nicht mehr erwünschte Personenbezeichnungen wie Neger, Negerin oder Zigeuner, Zigeunerin; sie nennen Ausweichformen für unerwünschte lange Doppelformen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ (S. 12)
Kritische Hinweise gibt es zu folgenden Wörtern:
abartig, Ausländer, Bahre, Behinderte, Eskimo, Gastarbeiter, Hasenscharte, irre, Jude, Leichenwagen, Mädchen, Mohammedaner, Neger, normal, pervers, Rasse, taubstumm, Trinker, türken, Unkraut, verrückt, Zigeuner
Es sind also insgesamt kaum zwei Dutzend „brisante“ Wörter, die aber für wichtig genug gehalten werden, um schon auf dem Einband als Neuerung angepriesen zu werden. Einige weitere kann man wohl kaum brisant nennen, etwa Friseuse, das aber im vorderen Einbanddeckel gerade als Musterbeispiel eines brisanten Wortes vorgeführt wird:
„Die Bezeichnung Friseuse wird nur noch in der Umgangssprache gebraucht; die offizielle Berufsbezeichnung ist Friseurin.“
„Die Verwendung des Wortes abartig in Bezug auf Menschen oder auf sexuelle Praktiken und Verhaltensweisen ist stark diskriminierend. Die im Folgenden genannten Synonyme sollten allerdings ebenso wenig unkritisch gebraucht werden. abnorm, abseitig, anders, anomal, anormal, krankhaft, normwidrig, pervers, regelwidrig, unnatürlich, unnormal, verkehrt.“
(Ebenso unter pervers.)
„Gelegentlich wird die Bezeichnung Jude, Jüdin wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden. In diesen Fällen werden dann meist Formulierungen wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens gewählt.“
„Die Bezeichnung Zigeuner, Zigeunerin wird vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt. Die gesamte Volksgruppe wird demnach als Sinti und Roma bezeichnet; die Bezeichnungen im Singular lauten Sinto bzw. Sintiza (für im deutschsprachigen Raum lebende) und Rom bzw. Romni (für im europäischen Raum lebende Angehörige der Volksgruppe).“
„Die Bezeichnungen Neger, Negerin sollten im öffentlichen Sprachgebrauch nicht mehr verwendet werden, da sie zunehmend als Diskriminierung empfunden werden. Mögliche Ausweichbezeichnungen sind Schwarzer, Schwarze, Farbiger, Farbige oder Schwarzafrikaner, Schwarzafrikanerin, Schwarzamerikaner, Schwarzamerikanerin. In Deutschland lebende Schwarze haben als Eigenbezeichnung Afrodeutscher, Afrodeutsche vorgeschlagen.“
(Die Formulierung ist wie auch in anderen Fällen etwas seltsam: „als Eigenbezeichnung vorgeschlagen“? Es geht doch nicht darum, wie die Schwarzen sich selber nennen wollen.)
„Hasenscharte: Diese umgangssprachliche Bezeichnung für eine Fehlbildung der Oberlippe wird heute meist als abwertend empfunden. Eine neutrale Ausweichform ist Lippenspalte; der medizinische Fachbegriff lautet Cheiloschisis.“
Krankheitsbezeichnungen haben einen appellativen Charakter, wie schon das Wort Krankheit selbst, d. h. die Bezeichnung schließt ein, daß man etwas gegen das Bezeichnete tun sollte, wenn es möglich ist. Ob die angeborene Mißbildung Hasenscharte oder Lippenspalte genannt wird – operieren wird man sie auf jeden Fall, um dem Betroffenen das Leben zu erleichtern.
Normal: „In seiner älteren Bedeutung 'geistig gesund' sollte das Wort normal im öffentlichen Sprachgebrauch nicht mehr verwendet werden. Das gilt besonders dann, wenn es als Gegensatzwort zu 'geistig behindert' gemeint ist.“
Damit geht das Wörterbuch weit über die deskriptive Angabe des DUW hinaus. Es ist bemerkenswert, daß ausgerechnet das Synonymwörterbuch als Ort eines solchen normativen Vorstoßes gewählt wurde.
Übrigens gibt es keinen Eintrag geisteskrank, behindert (als Adjektiv); man findet geisteskrank auch nicht unter Stichwörtern wie verrückt.
Das Wort Ausländer wird nicht direkt kommentiert, aber in einem nachfolgenden Kasten heißt es:
„Als nicht diskriminierende Synonyme setzen sich, je nach Kontext, die Ausdrücke ausländischer Mitbürger, ausländische Mitbürgerin oder Arbeitsmigrant, Arbeitsmigrantin immer mehr durch.“
(Und die Touristen?)
Fremdarbeiter wurde bekanntlich durch das freundliche Gastarbeiter umgangen, aber auch dieses soll nun, wie DUDEN meint, nicht mehr verwendet, sondern durch ausländischer Arbeitnehmer ersetzt werden.
Das DUDEN Synonymwörterbuch fügt mit beispielloser Konseqenz die movierten Formen zu den maskulinen hinzu: Hosenschisser, Hosenschisserin, Schaumschläger, Schaumschlägerin, Beckmesser, Beckmesserin (!) (unter Nörgler, Kritiker) usw. Das DUW kennt noch gar keine Beckmesserin.
Der Feminismus schafft sich jedoch ein Problem, das er selbst wieder lösen muß, und in einem Dutzend Fällen löst der Duden es durch Hinweise wie diesen:
„Um gehäuftes Auftreten der Doppelform Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vermeiden, können je nach Kontext die Ausweichformen Belegschaft oder Kollegium gewählt werden.“
Die Möglichkeit, einfach das generische Maskulinum zu verwenden, wird natürlich gar nicht erwogen. Sie wäre politisch nicht korrekt.
„Das Wort Bahre ist im Empfinden vieler Menschen eindeutig mit dem Tod assoziiert, sodass als Bezeichnung für ein Gerät zum Transport Verletzter auf die Synonyme Trage oder Traggestell ausgewichen werden sollte.“
DUW definiert:
taub|stumm : aufgrund angeborener Taubheit unfähig, artikuliert zu sprechen.
Das Synonymwörterbuch gibt aber an:
„Die früher übliche Bezeichnung taubstumm sollte nicht mehr verwendet und auf Wunsch der Betroffenen durch gehörlos ersetzt werden. Durch den Wortbestandteil 'stumm' wird die Unfähigkeit zu sprechen unterstellt. Dieses kann jedoch spätestens seit Anerkennung der Gebärdensprache nicht mehr als Bezeichnungskriterium verwendet werden.“
türken: „Dieses Verb wird zunehmend, besonders von türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, als diskriminierend empfunden.“
Hier darf man wohl zweifeln, ob wirklich eine wachsende Zahl von türkischstämmigen Mitbürgerinnen sich über das Verb beschwert hat. Es handelt sich wohl eher um eine Erfindung der Redaktion.
„Das Wort Unkraut wird gelegentlich, bes. aus ökologischer Perspektive, abgelehnt. Mögliche Ausweichformen sind Wildkräuter, wild wachsende Pflanzen.“
Das Wörterbuch hat es unterlassen, für Raubvogel (Greifvogel) einen entsprechenden Vermerk einzutragen, die Lemmate fehlen ganz.
Der Eintrag jedes Mal ist ein Fremdkörper; wer steht dort, wo jedesmal stehen müßte, wäre aber nach der Makrostruktur des Wörterbuchs nur noch unter jeder und Mal zu erwarten.
Merkwürdigerweise bleiben die Wörter Lehrling und Putzfrau unkommentiert.
Für Penis gibt es eine Menge Synonyme, die Hoden fehlen dagegen.
Die einzige synonymische Differenzierung, die vorgenommen wird, findet man unter Angst und Furcht, übrigens in jeweils verschiedener Form und ohne empirische Grundlage, eher philosophisch-normativ.
Die Makrostrukur des Wörterverzeichnisses läßt ein Register vermissen, denn Verweise sind sehr selten. Unter färben findet man also zwar kolorieren, aber der umgekehrte Weg ist versperrt, weil es kein eigenes Stichwort kolorieren gibt. Unter Gebrechen stößt man auf Wehwehchen, Zipperlein, Gebresten und Molesten, aber diese selbst haben keinen Eintrag. Von Getümmel geht es zu Gewusel, aber nicht wieder zurück, usw. Und die 300.000 Synonyme, die der Einband verspricht, sind natürlich nicht lauter verschiedene Wörter, sondern eine wesentlich kleinere Zahl von ständig wiederkehrenden.
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Th. Ickler
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