Zertifikat Deutsch
Zertifikat Deutsch Lernziele und Testformat. Hg. von Weiterbildungs-Testsysteme GmbH, Goethe-Institut, Österr. Sprachdiplom Institut, Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Frankfurt 1999. 400 S.
Das Werk ist in Reformorthographie gesetzt. Dabei unterlaufen u. a. folgende Fehler:
wußte (S. 90)
sogenannte (S. 268; S. 370)
letztere (S. 272, 274)
wenig-stens (S. 276)
Orthografie (warum diese Nebenvariante?)
kaputt gegangen (S. 178); kaputt machen (S. 290)
wieder gefunden (S. 294)
mit dem ersten (S. 299)
die Deutschlernenden (S. 375; das amtliche Regelwerk führt zu Deutsch Lernende!)
das ist klasse (S. 180)
allgemeinbildend (S. 269)
gleichlautend (S. 351)
zusammen geschrieben (S. 352)
klein geschrieben (S. 352)
fertigmachen (S. 360)
recht haben (S. 362)
fettgedruckt (S. 369)
Kommas sind oft weggelassen, wenn sie nicht mehr stehen müssen (aber durchaus nicht immer); die Folge ist größere Unübersichtlichkeit:
Die Abiturientin entschloss sich sofort einen Job anzunehmen statt an der Universität zu studieren. (S. 330; viele weitere Beispiele)
Das kommapflichtige Korrelat ist nicht verstanden:
... Dimensionen erreicht, die es der einzelnen Lehrkraft fast unmöglich machen den Überblick zu behalten (S. 11; ähnlich öfter)
dazu ermuntern das Zertifikat Deutsch zu erwerben (S. 375)
So auch in Mustersätzen:
Es ist notwendig die Arbeit schnell zu erledigen
Es ist nicht notwendig die Arbeit schnell zu erledigen
Mein Wunsch ist es mir einen Computer anzuschaffen (alle S. 287)
Korrekt, aber zum Teil sprachwidrig:
allgemein begriffliche Aussagen (passim)
Recht haben, Leid tun (mehrmals, entspricht dem amtlichen Regelwerk, ist aber grammatisch falsch)
selbstständig (nur so, auch im Wortschatz des Zertifikats; die Verfasser glauben offenbar, dies habe etwas mit der Rechtschreibreform zu tun; S. 354 gibt es den Ausrutscher selbständig)
Das Beispiel für erlebte Rede ist unzutreffend: Da gehe ich neulich im Park spazieren. Plötzlich läuft ein Hund auf mich zu (S. 289)
Feministisch korrekt, aber kaum noch lesbar:
Der/die Lernende hat die Aufgabe, für eine ausscheidende Arbeitskollegin eine Abschieds-Party zu organisieren. Er/sie bespricht mit einem Kollegen/einer Kollegin, mit dem/der zusammen er/sie das Fest plant, was alles zu tun ist. ...Er/sie kann sich mit ihrem/seinem Gesprächspartner bzw. seiner/ihrer Gesprächspartnerin darüber abstimmen ... Im Verlauf dieses Gesprächs kann er/sie Vorschläge und Gegenvorschläge einbringen, sein(e)/ihre(n) Partner/in nach dessen/deren Meinung fragen und auf dessen/deren Vorschläge reagieren. (S. 49f.)
(Auf der Rechnung der WBT GmbH für dieses Buch steht KundInnennummer. Wahrscheinlich glaubt das Unternehmen, daß in Kundennummer ein maskulines Substantiv steckt; in Wirklichkeit ist es der Stamm mit einem Fugenelement; vgl. Druckerschwärze kann auch von Druckerinnen benutzt werden!)
Die Lernenden bewältigen als sprachlich Handelnde kommunikative Aufgaben ('Tasks') ...
Dazu Fußnote: Der englische Begriff 'Task' findet vermehrt auch in den deutschsprachigen Ländern Verwendung, da deutsche Übersetzungsversuche, wie z.B. 'Auftrag' oder 'Aufgabe' nicht selten missverständlich und eingeengt als Prüfungs- oder Übungsaufgabe gebraucht werden und somit die im handlungs- und kommunikationstheoretischen Sinne umfassendere Dimension des englischen Begriffs nicht voll zum Ausdruck bringen. (S. 19)
Das ist natürlich Unsinn, denn das ganz gewöhnliche englische Wort task bedeutet auch im Englischen nicht das, was eine bestimmte Theorie hineinlegt. Im Deutschen würde der fachliche Kontext genau die gewünschte Bedeutung erzeugen, wenn man sich bloß ein bißchen Mühe gäbe.
Manche Mustersätze sind etwas seltsam:
Heutzutage leben die Menschen und das Sterben ist durch den medizinischen Fortschritt viel leichter als früher. (S. 280)
Thomas Manns Roman heißt nicht Die Buddenbrooks (S. 295)
Die Mustersätze der Grammatik enthälten zahlreiche Wörter, die nicht im Zertifikatswortschatz vorkommen (Früchtetee usw.). Das müßte nicht sein.
Die Grammatik geht durchweg von der Normalstellung Subjekt Verb Objekt aus, was gerade für das Deutsche nicht zutrifft. Daher ist auch die zugehörige Lehre von der Inversion unrichtig (S. 318). Entsprechend falsch ist auch die Einordnung der angeblich hervorhebenden Stellung im Vorfeld:
Wenn er nicht bald kommt, gehe ich
Da ich keine Zeit habe, muss ich mich beeilen
Dass er nie pünktlich sein kann, ärgert mich. (S. 323)
In allen diesen Fällen ist der vorangestellte Nebensatz eher thematisch. Eine betonte Begründung würde so aussehen: Ich muß mich beeilen, weil ich keine Zeit habe usw.
Im folgenden Falle sieht die Grammatik Hervorhebung durch Nachtragsstellung:
Unsere Mannschaft hat wirklich große Erfolge erzielt mit dem neuen Spieler. (S. 323)
Das ist offensichtlich nicht richtig.
Das korrelative es steht keineswegs immer am Satzanfang (S. 358).
Die durchaus konventionellen Testformen stehen im Widerspruch zu den modisch hochtrabenden Verheißungen:
Der Qualifikationsnachweis Zertifikat Deutsch dokumentiert den Sprachlernenden, dass sie Kommunikationssituationen des persönlichen Alltags und der Arbeitswelt bewältigen können.
Die darauf aufbauende Form des Sprachenlernens, die Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen einschließt, ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Zertifikat Deutsch. (S. 8)
Erstens ist die Lernzielbeschreibung und exemplarisch vorgeführte Testform noch ganz losgelöst von den Unterrichtsformen, die zum Bestehen des Tests führen, und zweitens ist nicht einzusehen, warum das Zertifikat die Lernenden auch gleich noch zu besseren Menschen machen sollte. Für die Lösung von Aufgaben wie: Lückentexte ergänzen, Überschriften zuordnen usw. ist keine besondere Toleranz gegenüber anderen Kulturen erforderlich.
Der ganze Test ist unverhältnismäßig kompliziert, umfangreich und dennoch vage und offensichtlich kaum evaluierbar.
Fazit: Man sieht das amtliche Testwesen ungern in den Händen solcher Leute.
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Th. Ickler
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