Die RSR als Tabu
(In einem langen Artikel anläßlich des Amtsverzichts von Hans Zehetmair schafft es Reinhard J. Brembeck in der heutigen SZ tatsächlich, die Rechtschreibreform mit keinem Wort zu erwähnen:)
»Der Vielgesichtige
Zwischen Renaissance und Erding: Zum Amtsverzicht von Kunstminister Zehetmair
Wenn Hans Zehetmair nach den kommenden bayerischen Landtagswahlen als Kunstminister abtritt, dann wird er, wie schon jetzt, der dienstälteste Kulturminister sein. Am 12. Oktober 1986 berufen, wird er dann 17 Jahre Minister gewesen sein, immer für Kunst, Wissenschaften und Forschung zuständig, bis vor fünf Jahren auch für Unterricht und Kultus. Schon deshalb ist Hans Zehetmair ungewöhnlich. Dass es in dieser langen Karriere nicht nur so spektakuläre Höhepunkte gab wie die von ihm anfangs massiv betriebene, erst ermöglichte Planung und den dann verzögerten Bau der Münchner Pinakothek der Moderne, dass wichtige Projekte wie die Neuordnung der Bayreuther Festspiele letztlich im Sand verliefen, dass es fragwürdige Entscheidungen, Fehler und auch immer wieder Affronts gab, das macht es erst recht unmöglich, Zehetmair als Kulturpolitiker zu kategorisieren. Zum Vergleich taugt nur sein ähnlich lang als Minister waltender Vorgänger Hans Maier, aber es bringt nichts, diese zwei Unikate gegeneinander auszuspielen.
Zehetmair hat einen auf den ersten Blick seltsamen, für einen CSU- Bayern jedoch gar nicht so absonderlichen Spagat hingelegt. Von der Ausbildung her Humanist hat er zehn Jahre lang Deutsch, Latein und Altgriechisch unterrichtet. Er gehört damit zu einer Minderheit: In Bayern lernen nur mehr 3402 Schüler Altgriechisch. Andrerseits hat Zehetmair die klassische Ochsentour durch die Partei gemacht. Junge Union, CSU-Mitglied, Stadt-, Kreis-, Landrat, Landtagsmitglied und zuletzt Minister. Muss man sich einen obersten Kulturvermittler heute so vorstellen? Als Konservativen, der beruflich über den Kreis Freising/Erding/München nicht hinausgekommen ist, als 1860er-Aufsichtrat, als Katholiken, als einen, der (ganz ministerial natürlich) auch zu Hallodritum und den Derbheiten des bayerischen Kulturraums eine Affinität besitzt, als zähen Verfechter der gewachsenen Hochkultur – für andere Formen von Kultur kann er sich offenbar nicht so recht erwärmen. So ist Zehetmair in vielen Extremen daheim und so omnipräsent wie August Everding, mit dem er die Bayerische Theaterakademie und damit ein weiteres Münchner Theater in Betrieb nahm. All diese Facetten bündeln sich bei Zehetmair in einem Zentrum aus humanistischer Weltanschauung und Treue zu Kirche, CSU sowie Tradition. Ein Mann, der die Mitte von vielen Außenstellen her umkreist und sich ihr über seine sinnlich ausgelebten Widersprüche annähert.
Viele Künstler, die aus Räumen jenseits von Bayern kommen, sind verblüfft, dass sie auf einen Politiker stoßen, dem nicht nur Finanzen und Auslastung wichtig sind, sondern der auch interessiert über Kunst und ihre Inhalte spricht. Das schmeichelt ihnen, da fühlen sie sich wieder zuhause in jener alten, längst verlorenen Einheit von Politik und Kunst, wie sie Orlando di Lasso und seine Herzöge Albrecht V. und Wilhelm V. im München des 16. Jahrhunderts vorlebten.
Zehetmair ist umtriebig. Er ist ein Meister im Geißeln der Rot-Grünen Bundesregierung, erst recht, als diese eine zugesagte Etatsteigerung für die Spitzenforschung wieder zurücknahm. Zehetmair steht für eine Reform der Habilitation, ist aber gegen eine einseitige Konzentration auf die Juniorprofessur, er hält einen Bundeskulturminister nur dann für sinnvoll, wenn er sich um die auswärtige Kulturpolitik kümmert und er kann schon mal heftig für ein CSU-Mitglied als Politologie-Professor auftreten, gegen den Willen des betroffenen Instituts.
Da sind auch andere Grobheiten. So brandmarkte er, der Vorreiter der Aids-Aufklärung an den Schulen, Homosexuelle als „krankhaft“, sprach von „Entartung“. Oder servierte vor einem Jahr Christoph Vitali, Chef im Haus der Kunst, wenig diplomatisch ab, als dessen Bilanzen ins Wackeln gerieten und zumindest ein Mäzen des Hauses den Manager nicht mehr weiter tragen wollte.
Dann argumentierte Zehetmair pro Kruzifixe in Schulzimmern, während er sich unflexibel zeigte in der Schulpolitik. Bayerns Schulen und Hochschulen schnitten 1998 in internationalen Vergleichen nur mit „durchschnittlich“ ab. Das musste ausgerechnet einem Ex-Lehrer passieren. In der CSU regte sich Widerstand, und Stoiber griff zu Disziplinarmaßnahmen. Hatte schon Franz Josef Strauss 1986 das Kultusressort gespalten und somit Zehetmairs Vorgänger Hans Maier aus dem Amt getrieben, so versuchte Stoiber nun ähnliches, hatte aber nicht den gleichen Erfolg. Zehetmair schluckte die Kröte und blieb.
Der Minister kämpft seit der Wiedervereinigung dafür, Bayern als kulturell überlegen vor Berlin zu positionieren Das hat er mit der Münchner Pinakothek der Moderne geschafft, während die stärkere Anbindung des Bayreuther Nobelfestivals an Bayern vorerst auf Eis gelegt ist. Dass sich Zehetmair und Bayreuth-Chef Wolfgang Wagner auf Klaus Schultz als Nachlassverwalter verständigen konnten, ist symptomatisch. Schultz, ein brillanter Dramaturg, leitet seit 1996 eher solide denn strahlend das Münchner Gärtnerplatztheaters, das weder von der Konzeption noch von den Aufführungen her ein Gegengewicht zur Staatsoper bilden kann.
Während die Berufung von Eberhard Witt als Leiter des Staatsschauspiels zu einem Fiasko geriet und Zehetmair mit dessen Nachfolger Dieter Dorn auf eine völlig sichere Nummer setzte, zeigte er zumindest bei zwei Bestallungen innovativen Mut. Da ist einmal Peter Jonas, der seit 1993 die Bayerische Staatsoper leitet. Jonas ist mit Marketing, Auslastung und Einspielung sehr erfolgreich und hat dem Anglo-Pop auf Bayerns Vorzeigebühne etabliert, zum Leidwesen traditioneller Opernfans. Vielleicht hat Zehetmair deshalb mit Jonas-Nachfolger Christoph Albrecht wieder einen Schritt zurück zur Tradition getan. Ein zweiter Glücksgriff war die Verpflichtung Kent Naganos als Musikchef für die Staatsoper, auch wenn das Orchester lieber den konventionelleren Luisi gehabt hätte. Bei der Neubesetzung dieser Posten hat der Minister einen früheren Fehler vermieden: Als Sawallisch abtrat, konnte er mit Jonas zwar einen Intendanten, aber keinen zugkräftigen Dirigenten aufbieten – ein schweres Manko jener Jahre.
Kürzlich hat Zehetmair ein Interview der Nürnberger Zeitung mit den denkwürdigen Worten beschlossen: „Es muss ein Leben nach der Politik geben. Andrerseits höre ich aus Kunst und Wissenschaft immer wieder: es gibt schlimmere Typen als mich.“ Ob er damit seinen möglichen Nachfolger Thomas Goppel gemeint hat, der in Kulturfragen nicht gerade unumstritten ist? Wenn der Vielgesichtige abgetreten ist, werden wir mehr wissen.
REINHARD J.BREMBECK«
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Jörg Metes
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