Bloomsbury / Berlin Verlag
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Freundliche Übernahme: Berlin Verlag zu Bloomsbury
Manchmal müssen jene, die die Zukunft ergründen wollen, sich nur gründlich bei den Nachbarn umsehen. Die Entwicklung, die der deutsche Buchmarkt seit Jahren durchmacht (und vor deren letzter Konsequenz ihn wohl nur noch Buchpreisbindung und Kartellamt bewahren können), ließ sich zuvor bereits am Beispiel der britischen Buchbranche bestens verfolgen. Auch hier dominieren die Konglomerate, sind unabhängige Verlage Exoten, fast schon Dodos des Betriebs.
Einer der angesehensten und reichsten dieser raren Vögel ist nun als Investor beim Berlin Verlag eingestiegen: Bloomsbury Publishing PLC übernimmt den Berlin Verlag, den Arnulf Conradi erst kürzlich aus der Random-House-Gruppe herausgelöst hatte (F.A.Z. vom 29. März). Conradi wird den 1994 von ihm gegründeten Verlag zwar weiterhin leiten, besitzt jedoch keine Anteile mehr daran. Statt dessen wird er Anteilseigner bei Bloomsbury eine Geste, die wohl vor allem symbolisches Gewicht hat. Der Schritt dürfte dem Vollblutverleger außerordentlich schwergefallen sein: Für die Dauer von einigen Wochen war er nochmal alleiniger Inhaber des Verlags, nun muß er die interimistisch wiedererlangte Unabhängigkeit gegen eine neue Abhängigkeit eintauschen vor allem wohl ein Zeichen dafür, wie groß der Druck unter der Ägide von Random House gewesen sein muß.
Der englische Bloomsbury-Verlag, der vor allem mit J. K. Rowlings Harry Potter zu Vermögen und Prominenz gekommen ist und der allein für das vergangene Jahr, in dem nicht einmal ein neuer Potter erschien, gut 68 Millionen Pfund Umsatz meldet, hatte bereits vor einiger Zeit den Sprung nach Deutschland gewagt: Die erfahrene Lektorin Dorothee Grisebach hat seit Beginn 2002 ein deutsches Programm vorbereitet, von dem nun vereinzelte Titel in das Programm des Berlin Verlags integriert werden sollen; der Rest soll gar nicht erst erscheinen.
Nigel Newton, Gründer und Leiter von Bloomsbury, ist ein vor allem ökonomisch denkender Mann (siehe auch unser Porträt auf Seite 42). Für das ehrgeizige literarische Profil verläßt er sich ganz auf die Cheflektorin Liz Calder. Auf die Frage, wie sein Verlag heute ohne Harry Potter dastünde, gibt er zur Antwort: Kleiner, aber durchtrainiert. Bereits vor Harry Potter habe das Haus eine Rendite von 14,9 Prozent erwirtschaftet. Ihm ist es vor allem um den shareholder value zu tun die Bloomsbury-Aktie ist in den letzten Jahren denn auch kontinuierlich gestiegen und steht heute bei 7,375 Pfund. Newton hat ganz offensichtlich Vertrauen in die Entwicklung des deutschen Buchmarkts; so soll er auch das Angebot Conradis, den Taschenbuchverlag BvT zu schließen, um schneller schwarze Zahlen zu schreiben, abgelehnt haben. Conradi sagt unterdessen ein deutliches Wachstum voraus in vier bis fünf Jahren, so schätzt er, ließe sich ein Jahresumsatz von zwanzig bis 25 Millionen Euro erzielen, deutlich mehr als heute.
Die Gemeinsamkeiten sind auffällig. Zum Autorenstamm von Bloomsbury gehören überraschend viele Namen, die in Deutschland mit dem Berlin Verlag assoziiert werden, darunter Margaret Atwood, Nadine Gordimer, Anne Michaels oder David Guterson. Stattlich ist aber auch die Liste derer, die bei anderen Verlagen beheimatet sind: John Berger, Jeffrey Eugenides, David Grossman, John Irving, Jay McInerney, Michael Ondaatje, Will Self, Donna Tartt oder auch Joanna Trollope, deren Bücher sich auf der Insel verkaufen wie warme Semmeln.
Für Unruhe dürfte ebenfalls die Ankündigung sorgen, daß der Berlin Verlag nun ein eigenes Kinderbuchprogramm ins Leben rufen will, das von Elisabeth Ruge betreut werden soll. Bei Carlsen, dem deutschen Verlag von Harry Potter, werden zunächst einmal Durchhalteparolen ausgegeben; Klaus Humann verweist auf Amerika, wo Scholastic die Rechte an den Harry Potter-Büchern erworben habe und nicht etwa Bloomsbury. Die Rechte für den im Sommer erscheinenden fünften Band hat Carlsen jedenfalls bereits in der Tasche.
Bloomsbury, wo man derzeit bemüht ist, auch den gigantischen amerikanischen Buchmarkt mit eher fragwürdigen Titeln wie All my life for sale und Bad Hair zu knacken, setzt bei der Übernahme des Berlin Verlags ganz auf dessen anspruchsvolles Profil und Renommee. Nur so ist auch zu erklären, daß der Verlag seinen Namen behält und nicht in Bloomsbury umgetauft wird: Dieser deutsche Dodo überlebt also wenngleich nicht in freier Wildbahn. FELICITAS VON LOVENBERG«
(FAZ, 24.04.2003, Nr. 95 / Seite 35)
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Jörg Metes
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