Wer die Rechtschreibung ändern kann, kann fast alles ändern!
Mir ist es schon vor einigen Jahren aufgefallen, daß in
den Medien vermehrt zusammengesetzte Wörter deutlich auf
dem Grundwort betont werden. Soweit ich weiß, liegt im
Deutschen die Betonung auf dem Bestimmungswort.
Gleichzeitig sank das Niveau -- insbesondere im Fernsehen --
so sehr, daß ich seit etwa dem Jahre 2000 so gut wie kein
Fernsehen mehr schaue. Den Fernseher bezeichne ich auch
manchmal als Verblöder.
Wenn der Staat seine Bürger per Verordnung oder gar mit
polizeilicher Gewalt dazu zwingen wollte, jeden Tag eine
Verblödungspille zu schlucken, dann gäbe es vermutlich
vehementen Protest. Das Fernsehen aber erreicht fast alle
und keiner kann sich ihm vollständig entziehen. Protest
gibt es natürlich auch nicht!
Viele Leute, besonders Kinder, werden diese neue
Sprechweise bewußt oder unbewußt nachahmen. Auf diese
Weise haben die Reformer den von ihnen postulierten
Sprachwandel selbst provoziert. Der Begriff ''Sprachwandel''
ist dabei irreführend, denn er impliziert eine Veränderung
aus sich selbst.
Diese heutzutage vorhandene Möglichkeit, Sprachveränderungen
über die Medien zu provozieren, ist auch ein Grund, warum ich
die von Herrn Ickler vorgeschlagene Feststellung des
''tatsächlichen Sprachgebrauchs'' für äußerst problematisch
halte. Damit setzt man die Bevölkerung geradezu
sprachmanipulatorischen Umtrieben aus. Wenn z.B. jemand, der
die Macht über die Medien hat -- und solche Leute gibt es
leider --, seine Macht gerne in den Wörterbüchern oder der
Grammatik oder der Aussprache verewigt sehen möchte, dann
kann er das Training neuer Nachrichtensprecher, usw. veranlassen,
die dann in seinen Sendungen eingesetzt werden können. Dann
werden die Leute solange mit den neuen Sprechweisen berieselt,
bis sie sie irgendwann einmal angenommen haben. Und das wird
spätestens in der nächsten Generation der Fall sein.
Die zunehmende Sprachlosigkeit zwischen den Generationen tut
dabei ein Übriges. Die Feststellung des tatsächlichen Sprachgebrauch,
als Instrument des demokratischen Umgangs mit der Sprache gedacht,
wird damit zum Instrument zur Dokumentation des Erfolgs undemokratischer
Machenschaften.
Darauf habe ich schon letztes Jahr im Gästebuch des VRS hingewiesen,
aber leider wurde dieses Gästebuch dann abgeschafft. Mich wundert auch,
daß Sie, Herr Kukulies, einer der wenigen sind, die diese so
offensichtliche -- oder wie soll man sagen, wenn es sich aufs Hören
bezieht -- Veränderung überhaupt thematisieren.
Ich habe mir etwa Mitte der 90er Jahre einmal ein einem
Kaufhaus eine Ausgabe des Dudens angeschaut, ich glaube,
es war die 19. Auflage. Darin wurde auch von der geplanten
Reform geschrieben und daß Wörter jetzt anders betont
werden sollen. Es gab zwei Beispiele: Eines davon war das
Wort sexuell. (Ist doch verwunderlich, da man gerade dieses
Wort als Bespiel genommen hat.) Dies ist zwar kein
Kompositum, es zeigt aber, da diese Betonungsverschiebung
nicht nur Komposita betrifft.
Ich hatte danach ein sehr ungutes Gefühl, denn
ein Staat, der so massiv in die Sprache eingreifen kann, ist ein
totalitärer Staat.
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