Re: Nicht so einfach
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Theodor Ickler
Für sogenannt zum Beispiel läßt sich nicht im strengen Sinne nachweisen, daß es ein einziges Wort ist. Daher geht sinnfällig nur die Unterscheidungsschreibung verloren.
Wie ist das genau: Woraus besteht der Maßstab, daß etwas im strengen Sinne ein einziges Wort ist? Welche Rolle spielen dabei syntaktische Verknüpfungsmöglichkeiten? Ich phantasiere mal etwas vor mich hin, über Anmerkungen und/oder Berichtigungen würde ich mich freuen. (Für meine chemisch-physikalisch geprägte Ausdrucksweise bitte ich um Nachsicht; sie scheint aber hier sehr gut zu greifen.)
Das Adjektiv sogenannt scheint mir nur genau eine Valenz zu haben: Es kann sich auf das Substantiv beziehen, dessen Eigenschaft es ausdrücken soll mehr nicht. Sobald es auf ein Substantiv bezogen ist, ist es insofern aus dem Verkehr gezogen, als daß es nur noch mit dem Substantiv zusammen näher bestimmt werden kann. (Daß man zur Unterscheidung eines neuen kleinen Autos von einem neuen, kleinen Auto ein Komma setzen muß, geht m. E. nicht darauf zurück, daß klein eine weitere, offengebliebene Bindungsmöglichkeit hat, sondern daß Substantive mehr als nur eine solche haben und man daher unterscheiden muß, ob man die Erweiterung durch neu an der bereits von klein besetzten Stelle vornehmen will, so daß sich neu auf die Wortgruppe Kleinesauto als Ganzes bezieht [deshalb zusammengeschrieben], oder ob man sich direkt auf Auto beziehen will und also durch das Komma quasi eine neue Bindungsstelle anfordert.)
Dagegen hat die Wortgruppe so genannt, aufgefaßt als aus Adverb und Partizip bestehend, m. E. drei Valenzen: zwei vom Partizip (wer hat was/wen genannt?) und eine durch das Adverb (wie?). Beispiel: Unser Hund heißt Peter; wir haben ihn so genannt, weil unsere Tochter es so wollte. Daher sehe ich ein prinzipielles Problem, wenn man das einwertige sogenannt durch das dreiwertige so genannt ersetzt: Ist das wirklich kompatibel? Was passiert mit den zusätzlichen Bindungen?
Eine Möglichkeit ist, daß sich zwei Bindungen auf das gleiche Wort des Umfeldes beziehen: Die von mir mit Bedacht so genannte Scheinlogik hat sich als Trugschluß erwiesen. Sowohl so als auch genannt beziehen sich auf Scheinlogik. Außerdem kann hier das Subjekt entfallen, so daß diese Bindungsstelle gedanklich zu besetzen bleibt: Die mit Bedacht so genannte Scheinlogik hat [...]. Oder diese Bindungsstelle wurde mit Bedacht unbesetzt gelassen, um eine unklare Aussage zu erzeugen oder um zu insinuieren, daß, wer auch immer so handele, dies mit Bedacht tue.
Letzteres kann nun der erste Schritt hin zum Verwendungstypus des Adjektivs sogenannt sein. Solange aber eine Erweiterung der Partizipialgruppe (hier: durch mit Bedacht) vorliegt, ist m. E. eine Ersetzung von so genannt durch sogenannt nicht möglich. Die Frage ist nun, ob das Wegfallen der Erweiterung bereits hinreichend dafür ist, zusammenschreiben zu müssen. Letztlich kommen ja alle drei Valenzen vom Partizip, das so besetzt die wie?-Position. Die Frage ist, ob dieses so in der Lage ist, diese Bindung zu sättigen, d. h. inaktiv zu machen. Dann würde wegen der Weglaßbarkeit des Subjektes nur noch die was/wen?-Bindungsstelle übrigbleiben und dies wäre dann analog zu den Verhältnissen beim Adjektiv.
Fazit: Das ist nicht so einfach, wie ich zunächst dachte...
Zitat: Anders steht es natürlich mit dem Typ aufsehenerregend, wo wir mehrere grammatische Kriterien für vollständige Univerbierung haben.
Man braucht also mindestens zwei Rubriken: verbotene Wörter und verlorene Unterscheidungsschreibungen. Womit ich aber nicht sagen will, daß die zweite Gruppe leichter zu nehmen wäre als die erste, linguistisch interessantere.
Es macht ja nichts, wenn sich erst im Laufe der Diskussion herausstellt, in welche Kategorie das eine oder andere Beispiel fällt schließlich ist dieses Leitthema ein Teil des Rechtschreibforums und nicht der Beispielsammlung. (Deshalb, geehrter margel, gehört Ihr Beitrag eher in die [dortige] GZS-Sammlung.)
Noch eine andere Frage: Prof. Gallman erwähnte kürzlich, daß es zwei Definitionen dafür gibt, was ein Partizip ist. Eine lief darauf hinaus, daß das Partizip eng mit dem zugrundeliegenden Verb zusammenhängt; die andere ist mir entfallen. Ob sie mir wohl jemand nennen bzw. mir einen Hinweis geben kann, wo man dazu am besten bzw. einfachsten etwas nachlesen kann?
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Jan-Martin Wagner
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