Das Urteil von Frankfurt
Leserbrief zu »Das Urteil von Frankfurt«
von Lothar Müller, SZ 8.10.2003 (Abdruck ungewiß)
Man muß sich vielleicht in die Lage eines SZ-Redakteurs versetzen, dem die Aufgabe zugewiesen wurde, über den Frankfurter Aufruf der internationalen Autoren zu berichten, die für die »alte« Rechtschreibung plädieren und die »neue« als minderwertig bezeichnen, also diejenige, deren die SZ sich eher schlecht als recht mit immer wieder äußerst kuriosen Stilblüten, für die man jeden Amateurschreiberling auslachen würde, meint befleißigen zu müssen. Was soll er denn schon schreiben? Auf die Kritik der weltberühmten Kollegen sachlich eingehen oder gar Verständnis dafür zeigen, kann er nicht gut, denn er müßte ja sein eigenes tagtägliches Tun in Frage stellen. Da probiert er es mit Ironie, so gut es geht. So kommt er zu der pfiffigen, journalistisch hochseriösen Feststellung, daß man gelegentlich »Plädoyers für die alte in neuer Rechtschreibung, umgekehrt seltener« liest. Warum wohl? Die SZ – und viele andere Redaktionen – ändern bekanntlich jeden Text ohne Einverständnis der Autoren in neue Rechtschreibung um, was eigentlich klar gegen den Anstand, den journalistischen Anstand schon gar, verstößt. In »den Schulbüchern und der Kinder- und Jugendliteratur herrscht nahezu unumschränkt die neue Rechtschreibung ... « was Wunder! Die Kultusministerien lassen nur noch die neue Rechtschreibung für Schulbücher zu, und die Kinder- und Jugendbuchverlage, die aus ebendiesem Grunde befürchten, ihre Bücher in »alter« Rechtschreibung nicht mehr verkaufen zu können, verlangen von ihren Autoren die »neue« Rechtschreibung, andernfalls die Bücher nicht mehr gedruckt werden. Keine Rede kann davon sein, daß die Rechtschreibreform, die auch nach sieben Jahren noch nicht einmal von den sonst so hochprofessionellen SZ-Journalisten beherrscht wird, sich aus eigener Kraft oder aufgrund ihrer Qualität durchgesetzt hätte! Für Journalisten, die sich der Tradition der beispielhaften Kollegen aus der guten alten, heroischen Journalistenzeit verpflichtet fühlen, die diese Zeitung in einer Artikelserie feiert, müßten diese Tatsachen ebenso unerträglich sein wie der Zwang, sich von klar inkompetenten Ministerialschranzen das ureigenste Handwerkszeug, die Orthographie und erst noch eine solche , verordnen zu lassen.
Wenn man dummen Buben sagt, sie seien dumme Buben, dann kann es passieren, daß sie einem die Zunge rausstrecken und trotzig sagen: Jawohl, dann bin ich eben ein dummer Bube. Anders ist der seltsame Schlußsatz, wenn die neuen Regeln minderwertig seien und den präzisen sprachlichen Ausdruck erschwerten, dann sei »damit diesem Text« – also doch wohl Herrn Müllers kleiner launigen Glosse »das Urteil gesprochen«, kaum zu verstehen. Er meint es witzig, aber er hat ja völlig recht.
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Walter Lachenmann
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