Nachahmung
Zitat: Ursprünglich eingetragen von ani
... Wenn ich kritisiere, daß jemand sagt Ich bin vor Ort statt Ich bin da/hier, dann ist das ja keine Kritik an der Wendung selbst, sondern an der Einstellung des Sprechers zur Sprache...
Die Einstellung des Sprechers zur Sprache ist die der Amsel zum Zwitschern. Er hat seinen Wortschatz und garniert ihn ohne viel darüber nachzudenken mit dem, was ihn aus der Umgebung so anfliegt. »Vor Ort« oder »außen vor« hört man so oft, vor allem im von norddeutschen Landsleuten dominierten Fernsehen, daß man es einfach auch so sagt, warum auch nicht.
Den eingefleischten Süddeutschen gehen solche Redewendungen schwerer über die Lippen als manche Fremdsprache, gilt es doch schon als geziert, wenn einer sich im Imperfekt ausdrückt, was im Dialekt ja auch nicht geht, er redet dann ein bastardisiertes Schwäbisch oder eben ein vom Dialekt mehr oder weniger eingefärbtes Hochdeutsch. Im Bayerischen ist es wohl auch so. Nur durch Nachahmung des allgemein Gesprochenen nähern sich die Sprechgewohnheiten der deutschen Landstriche einander an, aus besagtem Grund das Süddeutsche allerdings mehr dem Norddeutschen, und dabei gibt es immer neue Hürden zu überwinden: Außen vor, vor Ort, Butter bei die Fische (was kein Mensch je begriffen hat) usw.
Es geht aber auch umgekehrt, wie das »Ciao« (Vorgerückte: »Ciao Bello«), beweist, das den Weg von der Straße von Messina über die Apenninen und die Alpen bis nach Flensburg hinauf gefunden hat. Italianità bei den Fischköpfen, Spaghetti ahoi! Selbst das Schwyzerdütsch hatte es in den 70er oder 80er Jahren kurzzeitig geschafft, in den Alltag der Deutschen Einzug zu halten, dank eines eingänglichen Schlagerliedchens: »Ja grüeziwol Frau Stirnima« (Gruß an Stefan by the way!). Damals brauchte es keinen Bohlen, da entschied das mit- oder nachsingende Volk. Abstimmung mit den Kehlen war das, wir waren plötzlich alle Schweizer, ja fast Älpler und begrüßten einander mit dem fröhlichen Zuruf, der etwas Archaisches und deswegen wohl so Beglückendes an sich hatte. Daneben hätte Küblböcks von Bohlen in mehreren »Castings« herausgekitzeltes, kindliches Trallala ausgesehen wie ein fahler Harzer Roller neben einem in Apfelbaumrinde ausgereiften Mont d'Or aus dem Jura.
»Außen vor«, »vor Ort«: Unversehens verwendet man genau diese ungeliebten Begriffe selbst und möchte sich dabei jedesmal hinterher die Zunge zerbeißen vor Scham. Die Empörung über die Inflation des Wortes »geil« ist ebenso dem verdutzten Sich-selbst-Ertappen beim Aussprechen dieses in die Jahre gekommenen, einst nicht salonfähigen Backfisch-Adjektivs gewichen, das auf Anraten von McKinsey auch zum Zwecke der Rekrutierung der heranwachsenden, nicht bekehrungswilligen Jugend selbst in Kirchenräume Einzug genommen hat: »Dschießes ist geil, haste das nich gerafft?« (erlebt in einem Fernsehbericht vom Kirchentag 1997, szenische Motive: mit Kruzifixen gepiercte Punks die sich Gottes Wort reinziehen).
Unvergeßlich meine erste Begegnung mit »super!«. Ich hatte Mitte der 80er Jahre von einer jungen Sportredaktion den Auftrag, ein Musterlayout für eine Fußballgeschichte von Borussia Dortmund zu entwickeln, die sie an einen Buchverlag vermarkten wollten. Ich fiel schier in Ohnmacht und war absolut von der totalen Verblödetheit der schönen Redakteuse überzeugt, weil sie immerzu wie eine Besessene losschrie: »super, super, das ist ja absolut super!« Sehr verstört ging ich nach Hause und war mir sicher, daß diese Deppen das Projekt niemals an den Mann bringen würden, was auch stimmte. Aber nicht, weil die alles »super« fanden, sondern ich weiß auch nicht weshalb.
Seither schallt es aus allen Ecken »super, super«, es gibt eine »Super Illu« und ich selbst habe es, zu meiner Schande muß ich es gestehen, auch schon gesagt. Auch »vor Ort« oder »außen vor« habe ich schon gesagt, »Butter bei die Fische« noch nie. Schwer tue ich mich noch mit »am POS«, das kommt in meiner Branche jetzt sehr oft so vor.
__________________
Walter Lachenmann
|