Übersetzungen
Jetzt, vor Weihnachten, ist die Übersetzung des (wirklich unterhaltsamen) Grisham-Romans Skipping Christmas: Das Fest, im Wilhelm Heyne Verlag, bei Amazon auf Platz 59 der Verkaufsstatistik geklettert. Dabei ist es grauenhaft übersetzt, von einer gewissen Michélle Pyka, die nach eigenen Angaben seit 1998 als selbstständige Übersetzerin und Korrektorin in Wuppertal tätig ist die Übersetzung einer Normseite kostet bei ihr mindestens 9 Euro. Ich habe mir Das Fest einmal angesehen:
Skipping Christmas (wörtlich: Weihnachten ausfallen lassen) ist ein so uramerikanischer Roman, daß ich zunächst dachte, er würde vielleicht gar nicht übersetzt werden. Grisham schreibt inzwischen einen flüssigen, angenehm zu lesenden Stil, stellenweise richtiggehend elegant. (Das war bei seinem Erstling A Time to Kill, dt. Die Jury, noch keineswegs der Fall.)
Da kann die Übersetzerin, Michélle Pyka, leider überhaupt nicht mithalten. Pyka ist, wie ihr Vorname andeutet, offensichtlich polnischer Herkunft; und man muß obwohl sie an einer Gesamthochschule in Wuppertal studiert hat schwere Zweifel an ihren Deutsch- und Übersetzungskenntnissen haben. Das setzt schon auf der ersten Seite ein, wo eine magere Anzahl von Plastikstühlen 1000 Reisenden gegenübersteht, die so charakterisiert werden: Nun strahlten sie kollektiv eine gedrückte Stimmung aus. Grisham braucht dafür keinen eigenen Satz; er schreibt am Ende eines (diesen Schluß begründenden) Satzes "... they were subdued, as a whole. Das ist ungleich eleganter. Wo es bei Grisham heißt: The reasons were varied and irrelevant at the moment. Some tried to smile. Some tried to read, ..., macht Pyka daraus: Einige lächelten mit verkrampfter Miene. Andere versuchten zu lesen, ... Den ersten Satz hat sie übersehen oder aus anderen Gründen weggelassen (unglaublich!) der Rest ist sie schreibt es verkrampft.
So und schlimmer geht es immer weiter. Teilweise geht auch die Phantasie mit ihr durch. Aus Cell phones were buzzing all over the deli. [Im ganzen Café surrten {oder klingelten} Handys.] wird: Ringsumher hatte ohnehin jeder zweite ein Mobiltelefon am Ohr. Das ist zwar gut möglich, aber wenn Grisham das gemeint hätte, hätte er es sicher auch geschrieben. Aus gossip would roar through the deli wird dass ein Orkan von Tratsch durch das Café fegen würde. Orkan von Tratsch, das ist schon stark! Aus Belgian conglom [belgischer Konzern] wird dubioser belgischer Konzern, aus A stray kid, ..., and Frohmeyer would have the police poking him in the chest and asking questions. wird: Ein streunender Jugendlicher, ... Frohmeyer rief die Polizei, die den Betreffenden unverzüglich festnagelte und ausfragte. Das ist kaum mehr komisch; Pyka kennt offenbar weder die Bedeutung des englischen Wortes to poke noch die des deutschen Wortes festnageln oder ... es ist ihr grad egal. Auffällig ist die Umrechnung amerikanischer Maßeinheiten. Bei Längen ist Pyka schon fast übergenau; aus seven feet errechnet sie zwei Meter zehn (wo gut zwei Meter es auch und besser getan hätten), während sie Gewichte meist gar nicht und dann plötzlich ganz genau umrechnet, einmal in einem Satz mal so dann so. Unzählige Verstöße gegen die deutsche Grammatik kommen hinzu, und es wird kaum dadurch besser, daß etliche aus der Anwendung der mißglückten neuen Rechtschreibung resultieren: Nein, tut mir Leid. für Afraid not. Hat man Grisham eigentlich gefragt, ob er einverstanden ist, in ein Deutsch zweiter Klasse übersetzt zu werden? Wohl kaum.
Diese Übersetzung reicht aus, um einigermaßen den Inhalt von Skipping Christmas mitzubekommen. Von den schriftstellerischen Fähigkeiten des Autors Grisham verrät sie so gut wie nichts.
Ich habe in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, daß die Übersetzungsleistung von Michélle Pyka typisch ist und das sogar über den reinen Massenmarkt hinaus.
Folgen Übersetzungen der bewährten Rechtschreibung, ist das ein deutlicher Hinweis auf eine bessere Übersetzungsqualität.
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Dr. Wolfgang Scheuermann
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