Kommentar zum vierten Bericht
Für Ungeduldige hier schon mal eine vorläufige Fassung meines Kommentars:
Kommentar
zum vierten Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung
vom 27. November 2003
von Theodor Ickler
Im Berichtszeitraum hat die Kommission neunmal getagt, meist zweitägig in Mannheim, einmal in Berlin, einmal in Tramin/Südtirol.
Im Anhang zum Bericht findet man die Stellungnahmen des schweizerischen, des deutschen und des österreichischen Beratungsgremiums; die Kommission ihrerseits gibt einen Überblick, welche dieser Anregungen sie aufgenommen hat und welche nicht.
In der Einleitung betont sie die breite Akzeptanz der Rechtschreibreform. Sie beansprucht ferner:
Die Kommission ist die zentrale Anlauf- und Schlichtungsstelle für Probleme der Orthografie im deutschen Sprachraum. (S. 8)
Das ist die zur Zeit größtmögliche Ausdehnung ihres Anspruchs, kaum gestützt durch ihre satzungsgemäße Bestimmung. Die Kommission fordert allerdings (vgl. Beschlußvorlage der KMK vom 14. 1. 2004) eine erhebliche Ausdehnung ihrer Machtfülle. Dafür verlangt sie u. a. die Einrichtung einer wissenschaftlichen Arbeitsstelle für Orthografie mit einem hauptberuflich tätigen Wissenschaftler im Dienste der Kommission, nicht etwas des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), wo solche Forschung bereits betrieben wird. Die Verquickung mit dem IDS soll allerdings fortgesetzt werden, nachdem das Institut schon unter seinem früheren Direktor Gerhard Stickel in großem Umfang in den Dienst der Reformpropaganda gestellt worden war.
Der Bericht ist in allen sechs Bereichen so unterteilt: Regeländerungen, Regelpräzisierungen, Einzelfalländerungen, geänderte Darstellung. Dabei herrscht wie schon seit Jahren das Bestreben, möglichst viele Änderungen als bloße Präzisierungen oder redaktionelle Verbesserungen erscheinen zu lassen, da substantielle Änderungen zu einer geschäftsschädigenden Verunsicherung der betroffenen Öffentlichkeit führen könnten. Diese Rücksichtnahme auf Verlagsinteressen war in den früheren Berichten offener ausgesprochen, kommt aber in der gegenwärtigen Lage schon dadurch zur Geltung, daß im neugeschaffenen Beirat für deutsche Rechtschreibung die Lobby der Verlage stark vertreten ist. Die Kommission selbst kann sich daher in diesem Punkt zurückhalten.
A Laut-Buchstaben-Zuordnung
Keine Änderungen in der Substanz, aber eine geänderte Darstellung ist vorgesehen. Auch und gerade die von Gerhard Augst durchgesetzten etymologisierenden und volksetymologischen Schreibungen (einbläuen, schnäuzen, Tollpatsch usw.) werden weder zurückgenommen noch durch die bisher üblichen Schreibweisen ergänzt. Es ist zwar bekannt, daß einige Kommissionsmitglieder (Nerius, Sitta) die Augstschen Einfälle ablehnen und sich privat darüber lustig machen, aber es scheint Ehrensache der Kommission zu sein, ihren langjährigen Vorsitzenden hier nicht im Stich zu lassen.
Die gezielte Variantenführung bei der Fremdwortschreibung, ein Relikt aus früheren Stadien der Reform, wird aufgegeben. Es wird also in den Wörterbüchern keine Unterscheidung von Haupt- und Nebenvarianten mehr geben, die eingedeutschten Formen sollen aber jeweils an erster Stelle genannt werden. Dies erfordert viele hundert Änderungen in den Wörterbüchern.
B Getrennt- und Zusammenschreibung
Zu § 34 (1): Die Kommission erkennt an, daß die Liste von Partikeln, die mit dem Verb zusammengeschrieben werden müssen (trennbare Verben), unvollständig ist. Früher hatte sie schon einmal vorgeschlagen, diese Liste überhaupt zu öffnen. Im vierten Bericht bleibt sie jedoch bei einer geschlossenen Liste, ergänzt sie aber um 13 weitere Partikeln zuzüglich verkürzter Varianten: dahinter, darauf/drauf, darauflos/drauflos, darin/drin, darüber/drüber, darum/drum, darunter/drunter, davor, draus, hinter, hinterdrein, nebenher, vornüber. Die Liste umfaßt jetzt 103 bzw. 112 Partikeln.
Als verlässliches Kriterium der Identifikation trennbarer Verben gegenüber adverbialen Fügungen wird die Nichtunterbrechbarkeit eingeführt: dabeisitzen vs. dabei (auf dem Stuhl) sitzen. Dies ist jedoch nur eines unter mehreren, von der Kritik ausführlich begründeten Merkmalen und keineswegs so verlässlich, wie die Kommission meint. Besonders die Verbpartikel mit ist bekanntlich erweiterbar, aber auch zurück und einige andere, vgl.:
Schreiber hat Max Strauß oft mit auf Reisen genommen. (SZ 10.1.04)
Hier liegt zweifelsfrei das Partikelverb mitnehmen vor.
Zu § 34 E3 (3): Die willkürliche, völlig unverständliche obligatorische Getrenntschreibung von adjektivischen Verbzusätzen, die auf -ig, -isch oder -lich enden, wird weiterhin mit einer angeblichen Entsprechung zu Adverbialien gerechtfertigt: richtig stellen wie freundlich grüßen. Die beiden Typen von Kombinationen (wie es vage heißt) sind ganz unvergleichbar, gerade nach dem grammatischen Maßstab, den die Kommission sonst überall zur Geltung bringen will. Deshalb kann auch von einer nunmehr geschaffenen Ausnahmslosigkeit der Regel keine Rede sein, denn es gibt überhaupt keine Regel, der derart Unvergleichbares zusammenfaßt.
Zu § 34 (3), § 34 E3 (5), § 55 (4): Hier geht es um die Fälle
Leid tun
Not tun
Pleite gehen
Bankrott gehen
Kopf stehen
Eis laufen
Acht geben
Recht haben
Unrecht haben
Sie werden weiterhin unter dem Titel Substantiv + Verb abgehandelt, obwohl der Fehler der Reform gerade darin besteht, daß es sich teilweise gar nicht um Substantive handelt. Die Kommission behauptet nun, dass die Wortartzugehörigkeit bei einigen Bestandteilen nicht ohne weiteres klar ist. Sie räumt ein, daß neben Leid tun auch leidtun geschrieben werden könne (nicht aber leid tun, wie bisher üblich), versteigt sich aber zu der abenteuerlichen These:
Der Bestandteil Leid bzw. leid in der Verbindung mit dem Verb tun ist hinsichtlich der Wortart grammatisch weder synchron noch diachron zu bestimmen.
Jeder Germanist lernt im ersten Semester, spätestens bei der mittelhochdeutschen Lektüre, was für ein Wort leid ist; man kann es auch in allen besseren Wörterbüchern lesen. Es handelt sich um ein altes Adjektiv, das als solches nur noch in Dialekten gebräuchlich ist, adverbial im Komparativ leider vorliegt und genau parallel zu weh, wohl, gut mit tun verbunden wird. Die Großschreibung Leid tun (so Leid es mir tut) ist und bleibt grammatisch falsch. Die Analogie zu kundtun (ebd.) ist irrig, da kund hier ein Resultativzusatz ist.
In der Stellungnahme der Schweizer EDK wird die Neuschreibung leidtun abgelehnt, unter Hinweis auf wie leid es ihr tut wird für die bisherige Getrenntschreibung plädiert. Auch die Schweizer wagen es nicht, eindeutig auf die grammatikalische Verkehrtheit der Großschreibung hinzuweisen. Ihr Vorschlag wird aber von der Kommission zurückgewiesen, die abschließend noch einmal ihren grammatikalischen Irrtum bekräftigt:
"...würde damit für einen Einzelfall eine Schreibung wiederbelebt, die es für diesen Typ (Substantiv + Verb) in der neuen Regelung nicht mehr gibt: Getrenntschreibung des Substantivs mit Kleinschreibung. (S. 52)
Dieser Satz wird nur verständlich, wenn man sich einer Maxime erinnert, die in der Vorgeschichte der Rechtschreibreform von dem österreichischen Ingenieur Eugen Wüster ersonnen wurde: Entweder groß und getrennt oder klein und zusammen!- Sie liegt der immer weiter getriebenen Großschreibung in der gegenwärtigen Reform zugrunde, obwohl sie gar nicht ausdrücklich in das amtliche Regelwerk eingegangen ist.
Pleite gehen und Bankrott gehen werden mit einer angeblichen Analogie zu Gefahr laufen und Schlange stehen gerechtfertigt. Die richtige Analogie wäre kaputt, verloren, verschütt, entzwei gehen (mit oder ohne Zusammenschreibung, das ist hier unwesentlich). Es handelt sich um einen adjektivischen Resultativzusatz. Mit Substantiven kann gehen nicht verbunden werden.
Das grammatisch falsche Recht bzw. Unrecht haben (wie Recht du doch hast!) soll offenbar beibehalten werden, es wird nicht weiter thenatisiert. Dasselbe gilt für das widersinnige Not tun (Schifffahrt tut Not!) und das archaisierende Acht geben. Hier klafft eine aufällige Lücke, die aber auch in den Stellungnahmen der Beiräte nicht zur Sprache kommt.
Zu § 36 E2:
Es ist als ein Hauptfehler der Neuregelung bezeichnet worden, für Verbindungen mit Partizipien automatisch ausschließlich Getrenntschreibung vorzusehen, wenn eine entsprechende Fügung im Infinitiv vorliegt, z. B. Zeit sparend wegen Zeit sparen, allein stehend wegen allein stehen.
Diesen Hauptfehler räumt die Kommission ein. Sie macht sich einige, wenn auch keineswegs alle Argumente der Kritiker zu eigen, vor allem die gesamthafte Steigerbarkeit. Nach jahrelangem Sträuben gibt sie zu, daß nicht nur die komparierten Formen (zeitsparender), sondern bereits der zugehörige Positiv (zeitsparend) zusammengeschrieben wird (neben dem anders gebauten Syntagma [viel] Zeit sparend). Andere Argumente, wie der Hinweis auf den prädikativen Gebrauch, werden nicht aufgegriffen, neuerdings verbreitete Fehlschreibungen wie Das Verfahren ist Zeit sparend also nicht ausgeschlossen. Hier bleibt weiterer Korrekturbedarf.
Daß die Kommission das Argument bezüglich des prädikativen Gebrauchs bis heute nicht verstanden hat, zeigt sich in einem grammatischen Schnitzer, der ihr an anderer Stelle unterläuft:
"...dass die Umsetzung der Rechtschreibregelung in den Korrekturprogrammen diverser Softwareproduzenten nicht zufrieden stellend (!) sei. (S. 55)
Hier muß es zweifellos zufriedenstellend heißen, das auch in einigen neuen Wörterbüchern (z. B. Duden Universalwörterbuch) entgegen dem amtlichen Regelwerk wiederhergestellt ist.
Die Kommission kommt im weiteren Verlauf zu der Einsicht, daß nicht nur komparierbare Zusammensetzungen, sondern auch andere wie kleingedruckt, alleinstehend, alleinerziehend, ratsuchend wiederhergestellt werden müssen. Die lange Zeit von ihr verfochtene These, Großschreibung trete erst bei Substantivierung (Ratsuchende) ein, wird ausdrücklich widerrufen.
Hier haben sich offenbar die Schweizer Kommissionsmitglieder Gallmann und Sitta gegen die Irrlehre von Gerhard Augst (bzw. seinem Berater Burkhard Schaeder) durchgesetzt.
Bedenkt man, daß diese Korrektur auch die vielkritisierten Neuschreibungen Eisen verarbeitend, Erdöl produzierend, Wasser abweisend usw. erfaßt, so erkennt man einen durchgreifenden Änderungsbedarf in den reformierten Wörterbüchern.
C Schreibung mit Bindestrich
Zu § 40 (3), § 41: Für Formen wie 8fach wird analog zur Neuschreibung 8-mal nun eine Variante mit Bindestrich vorgesehen: 8-fach. Als Grund gibt die Kommission an, daß der Wortbestandteil einer Grauzone zwischen unselbstständigem Grundmorphem und Suffix zuzuordnen sei.
Im amtlichen Regeltext kommt allerdings weder der Begriff Morphem noch gar der des Grundmorphems vor. Die Neuregelung des Bindestrichs war bisher ausschließlich auf den Gegensatz von Zusammensetzung und Ableitung aufgebaut. Solange die neuartige Begrifflichkeit der unselbstständigen Grundmorpheme nicht definiert ist, läßt sich nicht absehen, ob es mit -fach sein Bewenden haben kann.
Zum Bindestrich werden noch eine Reihe weiterer Änderungen vorgeschlagen, die aber mehr redaktioneller Art und linguistisch uninteressant sind. Es bleibt übrigens bei der Umstimmigkeit, daß Erstglieder auf -ig, -isch und -lich mit Bindestrich in Zusammensetzungen eingehen (wissenschaftlich-technisch), im übrigen aber nach § 36 von Zusammensetzungen ausgeschlossen sind.
D Groß- und Kleinschreibung
Wesentliche Neuerung ist die Zulassung groß geschriebener Varianten bei jenen fünfzehn Wendungen, die besonders der Schweizer Reformer Gallmann als störende Ausnahmen empfunden hatte; es wird also vorgeschlagen: bei Weitem, vor Kurzem usw. Damit wird eine Schreibweise wiederhergestellt, die im 19. Jahrhundert als "übertrieben erkannt und allmählich zurückgedrängt worden war. Die Kleinschreibung ist textsemantisch moderner, weil diese Floskeln nicht zum thematischen Material des Textes gehören. Die Auswirkungen dieser rückwärtsgewandten Neuerung sind erheblich, da es sich durchweg um häufig gebrauchte Ausdrücke handelt.
Das gilt noch deutlicher von der Möglichkeit, auch der Eine, der Andere, die Meisten usw. groß zu schreiben, und zwar, wie es seltsamerweise heißt: wenn der Schreibende zum Ausdruck bringen will, dass das Zahladjektiv substantivisch gebraucht ist. Schreibende wollen gewöhnlich einen bestimmten Sinn zum Ausdruck bringen, nicht eine Wortart.
Der österreichische Beirat will die von seinem Landsmann Wüster vorgeschlagene Großschreibung (bei Weitem usw.) sogar als einzige Variante (sic!) festlegen lassen. (S. 65) Die Kommission weist dieses Ansinnen jedoch zurück.
Die Kommission erkennt nunmehr an, daß in der Sprachgemeinschaft eine offensichtliche Tendenz besteht, feste Gruppen aus Adjektiv und Substantiv durch Großschreibung als Begriffseinheiten zu kennzeichnen. Dem wollte die Neuregelung entgegenwirken, indem sie die Kleinschreibung erste Hilfe, schwarzes Brett usw. vorschrieb. Die Nachrichtenagenturen und Zeitungen folgten dem nicht, und auch sonst ist der Widerstand gegen diese sprachwidrige Normierung so stark, daß die Kommission seit geraumer Zeit die Klausel nutzt, Fachsprachen seien von der Rechtschreibreform ohnehin nicht betroffen. Der führende Reformer Augst hatte schon vor Jahren geäußert, die Erste Hilfe könne als Fachausdruck auch groß geschrieben werden. Dieser Ausweg wird nun systematisch ausgebaut, wobei am Ende die unklare Bestimmung erscheint:
Im nichtfachlichen Zusammenhang ist die Kleinschreibung der Adjektive in solchen Wortgruppen der Normalfall.
Die Anerkennung von Begriffseinheiten (Nominationsstereotypen) war der richtige Weg; leider ist die Kommission nicht so konsequent, dieser Einsicht zu folgen und die am Ende doch wieder aufgeweichte Beschränkung auf Fachsprache aufzugeben. Am Schwarzen Brett ist nichts Fachliches, und doch wird es aus Gründen, die der Kommission offenbar bekannt sind, zweckmäßigerweise groß geschrieben.
E Zeichensetzung
Hier werden keine Änderungen ins Auge gefaßt.
Daß die neue Kommasetzung besonders beim Infinitiv nicht gelungen ist, weiß inzwischen jeder. Aber die Kommission schreibt:
Der Vorschlag, bei Infinitivgruppen mit bestimmten Einleitewörtern immer ein Komma zu setzen, kommt denjenigen Schreibenden entgegen, die klare mechanische Regelungen schätzen, da sie ihnen die Entscheidungen abnehmen.
Hier werden Schreibende diffamiert, die genau das wünschen, was die Neuregelung sich an so vielen anderen Stellen zu bieten rühmt: klare Regeln, die sozusagen idiotensicher auch den Wenigschreiber zu korrektem Schreiben befähigen. Eine solche Regel ist zum Beispiel jene, die obligatorisch Getrenntschreibung bei Wörtern auf -ig, -isch und -lich vorschreibt, ohne Rücksicht auf syntaktische Unterschiede, die als allzu feingesponnen dargestellt werden. In der Praxis erleben wir nun, daß Kommata unter genau gleichen Bedingungen mal gesetzt und mal weggelassen werden (übrigens auch im vorliegenden Bericht, wo sogar ganz typische Kommafehler neuer Art unterlaufen, vgl. S. 25, S. 51 und S. 55). Mit der Freiheit der Kommasetzung soll der professionell Schreibende Unterscheidungen ausdrücken können; es wird aber nicht gesagt, welche Unterscheidungen das sein könnten, da es zu diesem Bereich keine näheren Angaben gibt. Die Andeutung, man könne durch Kommas notwendige von weglaßbaren Infinitiven unterscheiden (S. 40), hat keine Grundlage im amtlichen Text. Daher kann der Leser eines so interpungierten Satzes auch nicht ahnen, was der Schreibende damit zum Ausdruck bringen wollte. Der Schweizer Beirat weist diese Zumutungen denn auch zurück.
F Worttrennung am Zeilenende
Bei der Silbentrennung werden keine Änderungen vorgeschlagen.
Um so überraschender wirkt es, daß die Kommission hier eine umfangreiche, mit Fachausdrücken gespickte Abhandlung über Morphem- und Silbengrenzen einschaltet, die offenbar nur der Auseinandersetzung des Reformers Gallmann mit ganz bestimmten Theorien dient, ohne praktische Folgen für die Neuregelung. Eine Kommentierung ist daher überflüssig. Es sei lediglich bemerkt, daß die sinnstörende Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben grundsätzlich beibehalten wird: Sitze-cke. Den Lernenden dürfte damit kein Gefallen getan sein, aber immerhin trennt auch die KMK in ihrer Beschlußvorlage zur Rechtschreibreform vom 14. 1. 2004 zweimal Ü-bergang.
Zu den Stellungnahmen der Beiräte:
Die Stellungnahme der Schweizer EDK ist oben bereits weitgehend berücksichtigt.
Zur Stellungnahme des deutschen Beirates: An dieser knappen Stellungnahme kaum anderthalb Seiten und weitgehend eine Ergebenheitserklärung an die Kommission fällt auf, daß es dem Beirat weniger auf die sachliche Angemessenheit der Reform als auf ihre Durchsetzung anzukommen scheint. Er hat vor allem das Geschäftsinteresse der einschlägigen Verlage im Auge, was bei der Zusammensetzung des Beirates durchaus verständlich ist:
Der Beirat empfiehlt die Änderungen in einem Rahmen zu halten, bei dem die Auswirkungen der Regelmodifizierungen nicht zu einer erneuten öffentlichen Infragestellung der Neuregelung führen können. (S. 63)
In diesem Sinne übernimmt der Beirat auch die verhüllende, die Öffentlichkeit täuschende Sprachregelung, von Präzisierungen zu sprechen, wo Änderungen gemeint sind:
Der Beirat fordert die deutschen Vertreter der Zwischenstaatlichen Kommission auf, sich bei den staatlichen Stellen intensiv dafür zu verwenden, dass die Kultusministerkonferenz frühzeitig im Frühjahr 2004 das Paket der Präzisierungen beschließt, damit genügend Zeit für die Umsetzung in Schulbüchern, Wörterbüchern, Zeitungen, Softwareprogrammen und anderen Publikationen bleibt. (S. 64)
Kann man Präzisierungen umsetzen? Nur wenn es in Wirklichkeit Änderungen sind. Und warum sollten Präzisierungen so gravierende Folgen haben, daß die Verlage usw. rechtzeitig darauf vorbereitet werden müssen?
Man muß dazu noch bedenken, daß die neuen Wörterbücher ja bereits in zahlreichen gemeinsamen Beratungsrunden mit der zwischenstaatlichen Kommission bis ins kleinste Detail abgestimmt worden sind, so daß die Kommission feststellen konnte:
„Auf Betreiben und unter Mithilfe der Zwischenstaatlichen Kommission einigten sich die großen Wörterbuchverlage seither auf eine einheitliche Auslegung der amtlichen Regeln. Sie haben dies in den jeweils neuesten Auflagen ihrer Rechtschreibwörterbücher umgesetzt: Bertelsmann im März 1999, Duden im August 2000. Beide Nachschlagewerke sind damit zuverlässige Ratgeber in orthografischen Fragen.“ (Pressemitteilung der Kommission vom 17. 8. 2000)
Die Wörterbücher enthalten also bereits alles, was den Ansichten und Einsichten der Kommission entspricht. Was sollen dann weitere Präzisierungen?
Worum es wirklich geht, verrät der Beirat nochmals mit der Forderung:
Der Wortlaut des § 58 E4 sollte aus der mehrheitlichen Sicht des Beirats keine Präzisierung erfahren.
Wie kann man etwas gegen Präzisierungen haben (die zudem von den Urhebern selbst für notwendig gehalten werden) außer wenn es in Wirklichkeit geschäftsschädigende Änderungen sind?
Um nicht nur den Eindruck bedingungsloser Jasagerei zu erwecken, schaltet der deutsche Beirat eine scheinbar kritische Bemerkung ein: die erweiterte Partikelliste solle auf ihre Kompatibilität mit § 34 überprüft werden. Die Kommission hat diese Überprüfung unternommen (die der Beirat natürlich innerhalb von zwei Minuten selbst hätte erledigen können) und kommt zu dem voraussehbaren Ergebnis, daß sich keine Inkompatibilität feststellen lasse. (S. 52) Ob die Kultusminister diese Farce durchschauen?
Im Anhang des Berichts findet sich ein Abdruck der Buchstabenstrecke D aus dem Österreichischen Wörterbuch (ÖWB) mit den z. T. handschriftlich eingetragenen Änderungen, die sich laut 4. Bericht ergeben würden. Obwohl eine Auszählung hier schwer ist, weil einerseits ganze Wortnester, andererseits nur einzelne Verweise geändert werden, ergeben sich weit über 100 Änderungen, was hochgerechnet rund 3.000 Änderungen im ganzen ÖWB bedeutet. Im Rechtschreibduden mit seinem größeren Stichwortbestand wären es etwa 4.000 Änderungen, im Großen Wörterbuch von Duden nochmals das Doppelte. Jedenfalls die Größenordnung dieser Schätzung dürfte stimmen. Daraus geht hervor, daß nach Billigung des vierten Berichts alle Wörterbücher usw. sofort neu bearbeitet werden müßten, wie es ja auch vom deutschen Beirat angedeutet wird.
Der Bericht soll nach dem Wunsch der Kommission der letzte seiner Art sein. In Zukunft will die Kommission Regeländerungen nicht mehr nur vorschlagen, sondern aus eigener Machtvollkommenheit einführen und durchsetzen und der KMK nur noch im Fünfjahresrhythmus darüber berichten.
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Th. Ickler
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