Bayern 2 Radio
Bayer. Rundfunk, Programm Bayern 2 Radio
28.1.2004, „Kulturwelt“, 8.30 bis 9.00 Uhr
Interview mit Hans Krieger zur Rechtschreibreform
Interviewer: Ulrich Chaussy
UC Während wir uns immer noch nicht an das Reformwerk gewöhnt haben, gibt es schon wieder Änderungen daran und Nachrichten darüber, wem künftig die Regelungskompetenz in Sachen Rechtschreibung überantwortet werden soll.
Bei mir zu Gast im „Kulturwelt“-Studio ist der Lyriker und Publizist Hans Krieger, Autor des Buches „Der ‚Rechtschreib-Schwindel“. Herr Krieger, schreibt man heutzutage eigentlich Rechtschreibung noch so groß und in einem Wort, wie es hier auf meinem Duden zu lesen ist?
HK Die Rechtschreibung wird viel zu groß geschrieben als Machtinstrument für profilsüchtige Reformbastler, und sie wird nicht mehr zusammen geschrieben, denn wir haben keine Einheitlichkeit der Schreibung mehr.
Vielleicht muß vorausgeschickt werden: Es geht nicht um die Gämse mit „ä“ und nicht um die Schiffahrt mit drei „f“, das sind Lappalien, über die man nicht jahrelang streiten muß. Es geht darum, daß die Reform nicht nur Schreibweisen geändert hat, sondern die deutsche Wortbildung umkrempelt, Wortbildungsprozesse rückgängig gemacht hat, Wörter, zusammengesetzte Wörter in großem Stil beseitigt hat, Bedeutungsunterscheidungen beseitigt hat, Kreativitätspotentiale blockiert, also die Freiheit des schriftsprachlichen Ausdrucks massiv beschneidet und obendrein viele Schreibungen fordert, die eklatant gegen die Grammatik verstoßen.
UC Es tut mir leid, das müssen Sie mir erklären.
HK „Es tut mir Leid“ – das kann man eigentlich niemandem erklären. Man soll das seit der Reform mit großem „L“ schreiben, obwohl jedes Kind sehen kann, daß „leid“ in diesem Fall kein Substantiv ist. Sonst könnte man ja nicht sagen „so leid es mir tut“; man sagt ja auch nicht „so Glück du gehabt hast“. Das ist eines der Beispiele für Grammatikverstoß in der Reform, und es gehört zu den Dingen, die jetzt nur halbherzig geändert werden in dem vierten und abschließenden Bericht der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung, die für einige Nachbesserungen zu sorgen hatte. Sie bleibt darin weit hinter den Erwartungen zurück, sie bringt nur lachhaft minimale Nachbesserungen, die in sich widersprüchlich, völlig willkürlich sind und an den fundamentalen Mängeln der Reform überhaupt nichts ändern. Wie etwa an dem Beispiel „es tut mir leid“ zu sehen ist: Da wird zwar jetzt ein halbes Entgegenkommen gezeigt; es wird aber nicht die grammatikwidrige Schreibung aufgegeben, sondern lediglich die grammatikalisch richtige Schreibung mit einem kleinen „l“ als geduldete Variante zur Wahl gestellt – dazu aber auch noch nicht in der bisher üblichen Form, nämlich getrennt geschrieben, sondern zusammen geschrieben, obwohl doch sonst in der Reform überall das zwanghafte Prinzip vorherrscht, so viel wie irgend möglich getrennt zu schreiben.
UC Und es ist nicht nichtssagend, daß diese Kommission einen Machtzuwachs bekommen soll?
HK Es ist nicht nichtssagend, und vielleicht darf ich dazu kurz etwas sagen, bevor ich zum Machtzuwachs komme. „Nichtssagend“ gehört zu den Hunderten von Wörtern, an die wir uns gewöhnt hatten, die wir eigentlich brauchen, und die beseitigt worden sind. Das bleibt weiterhin beseitigt. Ein paar wenige Ausnahmen werden jetzt wieder in der zusammengeschriebenen Form zugelassen, beispielsweise „ratsuchend“ oder „alleinstehend“, und auch diese nur als Variante; ein Kriterium dafür ist überhaupt nicht zu erkennen. Es sind willkürliche Einzelfallentscheidungen nach dem Prinzip „zwei mal zwei ist manchmal vier, muß es aber nicht immer sein“. Trotzdem soll aber der Anspruch aufrechterhalten werden, daß die Reform widerspruchsfrei logisch gewesen sei und mit den vielen Ausnahmen aufgeräumt habe.
Jetzt zum Machtzuwachs. Diese Kommission – man muß dazu sagen: die Kommission ist ausschließlich mit Urhebern und Verfechtern der Reform besetzt – diese Kommission, die weder durch Sachkompetenz noch durch Redlichkeit aufgefallen ist, beansprucht nun, zur Regelungsinstanz auf Dauer erhoben zu werden, eine Generalvollmacht zu erhalten, um Regeln und Schreibweisen zu ändern. Sie würde also das frühere „Duden-Privileg“ erben, und das ist nun auch in der Beschlußvorlage der Kultusministerkonferenz eins zu eins übernommen worden. Das heißt: Der Bock, den man zum Gärtner gemacht hat, soll jetzt zum Chef der Gartenbaudirektion erhoben werden. Das ist ein ungeheurer Skandal.
UC Kritiker wie Sie haben da keine Stimme?
HK Nein, Kritiker haben absolut keine, auch nicht in den Beiräten, die die Kommission beraten. Die Kommission könnte nun jederzeit dekretieren, daß wir die Pizza mit „tz“, die Aubergine mit „O“ und den Philosophen mit „F“ zu schreiben haben – und das sind Dinge, die standen schon mal auf der Reformagenda. Und lediglich bei Änderungen von „grundsätzlicher Bedeutung“ wäre sie an die Zustimmung politischer Instanzen gebunden.
UC Eine „Académie allemande“ ist das natürlich nicht, in Entsprechung zur französischen Akademie. Aber neun Akademien der Schönen Künste in Deutschland haben nun appelliert an die Kultusministerkonferenz, man solle zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Welches Gewicht, welche Stimme haben die eigentlich?
HK Die werden offenbar als quantité negligeable betrachtet. Es hat nicht die geringsten Spuren hinterlassen, weder im Bericht der Kommission noch in der Beschlußvorlage der Kultusministerkonferenz. Man muß daran erinnern, daß schon vor zwei Jahren der damalige Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Christian Meier, wehmütig gesagt hat: Waren das noch Zeiten, als man Intellektuelle und Schriftsteller wenigstens noch als Pinscher bezeichnet hat!
UC Schließen wir mit der alten Form der Literatur, dem Märchen.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten – nein, einen Wunsch in Sachen Rechtschreibung: Was wünschten Sie, sollten die Kultusminister jetzt beschließen?
HK Die Kultusminister sollten die Kommission, die schlechte Arbeit geleistet hat und deren Auftrag erfüllt ist, sofort in den Orkus schicken. Sie sollten zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Das ist mit ganz wenig Aufwand zu leisten; es ist ein Märchen, daß das teuer wäre. Und als allerdringlichste Nahforderung wäre zu stellen: Die Übergangsfrist, die ja am 31. Juli 2005 endet, muß unbedingt verlängert werden. Sonst kommt es dazu …
UC … sonst machen wir einen Fehler, wenn wir jetzt nicht aufhören, und kriegen Ärger mit den Kollegen. Das Drama um die Rechtschreibreform geht weiter. Informationen dazu gab uns reichlich Hans Krieger. Vielen Dank.
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Dominik Schumacher
übrigens heiße ich wirklich Norbert Lindenthal
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