Kommentar in
Zitat: Ursprünglich eingetragen von Christoph Kukulies
http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/130/26104/
Ich erlaube mir mal, einen großen Teil des Artikels hier zu zitieren:
Zitat: Die grundlegenden Verbesserungen im Vergleich zur alten Regelung werden allgemein anerkannt“, heißt es im vierten Bericht der „Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung“, der jetzt den Amtschefs der Kultusminister übergeben wird.
Dass diese Behauptung eine Lüge ist, weiß jeder Leser: In weiten Bereichen, bei der Getrennt- und Zusammenschreibung, bei der Interpunktion, bei etymologischen Schreibungen ist die deutsche Orthographie de facto freigegeben.
Ein solches Durcheinander hat es seit der ersten Reform zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nicht gegeben.
Warum diese Empörung? Viele erwachsene Schreiber, und erst recht die Gebildeten, haben die alte Rechtschreibung beibehalten, und das gilt auch für die meisten bedeutenden Schriftsteller und ihre Verlage.
Irgendwie scheinen sich die Schüler trotz allem an die neue Orthographie zu gewöhnen – die Zensuren sollten schon dafür sorgen. Ja, wenn es denn so wäre: Wenn aus dem alten „leid tun“ ein „Leid tun“ wird, so als würde man einen anderen nicht bedauern („er tut mir leid“), sondern fügte ihm Schmerzen zu („jemandem ein Leid antun“), wenn aus „alleinstehend“, einer Bezeichnung für eine menschliche Lebensform, ein „allein stehend“ zu werden hat, das nichts dergleichen mehr bedeutet, dann muss diese Reform als schiere Willkür, als herrische Anmaßung und grundlose Zumutung erscheinen.
Man muss sich Mühe geben, etwa in der Affäre um die Maut für Lastwagen Argumente für das Verhalten des Verkehrsministeriums zu finden – aber sie lassen sich aufspüren.
Anders bei der Rechtschreibreform: Sie erscheint als das Überflüssige schlechthin. Die neue Rechtschreibung weckt auch deshalb immer wieder so große Verärgerung, weil hinter ihr die Fratze einer sich im Nutzlosen, ja Schädlichen verschwendenden Obrigkeit, der puren Schikane erscheint.
Die einzig sinnvolle Schlußfolgerung für die Redaktion der Zeitung, in der dieser Beitrag erscheint, kann doch nur sein: die unsinnigen Vorschriften der sogenannten [sic] Neuen Rechtschreibung fallen zu lassen, die verbotenen Wörter auf ihren Seiten wieder zuzulassen, und unsinnige Schreibungen wie aufwändig, wenn nicht auf der Wand sondern mit Aufwand (von aufwenden) gemeint ist, zu vermeiden.
Aber traut sich eine Zeitung, die es sich doch zur Aufgabe gestellt hat, den Feldzug der Reformen gegen das Volk propagandistisch abzusichern, an einer Stelle dieser Reformfront eine Bresche zu öffnen?
Die Redakteure dieser Zeitungen tun mir leid -- sie wissen genau, daß sie Unnsinn schreiben, aber sie zwingen es sich aus politischen Gründen selber auf.
MfG,
L. Willms
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Es gibt eine wahre und eine förmliche Orthographie. -- Georg Christoph Lichtenberg (1742 .. 1799)
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