Steigerungsparanoia
Wenn ich mich recht erinnere – das fällt mir allerdings zunehmend schwer und schwerer – stand dereinst im Rechtschreibreform-Regelwerk :
„ Wenn Adjektive und Partizipien, oder zwei Adjektive miteinander verbunden werden, dann werden sie getrennt geschrieben, wenn der erste Bestandteil gesteigert oder erweitert werden kann.“
Ich weiß allerdings nicht genau, ob das sinngemäß oder im Wortlaut so im Regelwerk stand. Wäre letzteres der Fall, dann wäre z.B. die Zeichensetzung zu beanstanden. Ein paariges Komma, ein paariger Gedankenstrich (oder eine Klammersetzung) wären wünschenswert gewesen zum besseren Verständnis einer ohnehin nicht vorhandenen Logik.
Wobei, und das gilt es vorab zu sagen, es nicht auf Äußerlichkeiten, sondern doch mehr auf den Inhalt ankommt.
Die innere Logik der Aussage ist ja die: Adjektive und auch Partizipien kann man steigern. Deshalb schreibt man sie (falls A und A, oder A und P aufeinandertreffen) auseinander.
Dem „tief traurig“ kann man nämlich ein „tiefer traurig“; dem „weit schauend“ kann man ein „weiter schauend“, und dem „hoch beinig“ kann man ein „höher beinig“ andichten, und damit ist der Fall der
r e c h t s c h r e i b r e f o r m m u t w i l l i g e n Regelung erfüllt, auch wenn die obigen Wortgebilde irgendwie komisch aussehen, was übrigens auch für „aufeinander treffen“ und „auseinander schreiben“ zutrifft.
Noch blöder allerdings sehen generalisierte Auseinanderschreibungen mit den folgenden „Wortgebilden“ aus: „tot, halb, gleich, wahr, hoch, tief, fern, nahe ...“. Diese Adjektive (möglicherweise sind das allesamt lediglich Partikel) kann man zwar auch steigern, aber es gibt keinen rechten Sinn, weil „tot ist tot“ und „wahr bleibt wahr“ und „hoch ist stets höher als tief“.
Da geht langsam wieder die Ironie mit mir durch; doch nach fachmännischer Auskunft sind die obigen Begrifflichkeiten „nicht-skalare Begriffe“, will heißen: daß sie dem allgemeinen Schema nicht ganz anzupassen sind, weshalb sie sich dem r e f o r m m u t w i l l i g e n Zugriff widerspenstig erweisen.
„Nonskalar“ klingt jedenfalls gut. Das ist ein Argument!
Daneben gibt es noch ein weiteres Argument der Rechtschreibreformkommission. Ich glaube, daß es „Verbalphrasensteigerung“ heißt. „Jene“, so meint man am IDS Mannheim, „ist nicht zulässig“.
Es ginge nicht an, daß man statt „weiter schauend“ z.B. „weitschauender“ steigere. Das sei gegen die (m u t w i l l i g e) Regel.
Nun ja, deren Gesabbere ist mir völlig egal. Das kann ich mir sowieso nicht merken, und möglicherweise habe ich auch einiges falsch zitiert (oben habe ich das schon angedeutet, daß mich allmählich mein Gedächtnis verläßt – vermutlich das Alter, der Zahn der Zeit bzw. jene acht Jahre unerträglicher Neuschrieb ...).
Eines weiß ich allerdings genau, weil es festgehalten ist im Duden, 21. Auflage. Mag sich ein jeder selbst ein Bild machen von folgenden Kostproben:
„leicht verständlich, nahe liegend, hochgelehrt, hoch begabt, hochgelehrt, hochbeinig, hoch gewachsen, hoch stehend, halb leer, halblaut, halblang, halb nackt, halb offen, halbtrocken, freischaffend, frei lebend, frei tragend, weit tragend, weitsichtig, weitblickend, weit schauend, gleichbedeutend, gleich bleibend, gleichlaufend, gleich lautend, tief greifend, tiefgründig, tieftraurig, tief schürfend, tiefstschürfend, tief empfunden, tiefstempfunden, tot geboren, totgefahren, wohlbehalten, wohl behütet, wohlverdient, wohl gemeint, wohltuend (alle aus Duden, 21. Auflage – Die deutsche Rechtschreibung – neu).
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