Niedersachsen
Die Welt, 2. 4. 1997
Die andere Meinung
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Die Rechtschreibreform ist unsinnig und teuer
Von CHRISTIAN WULFF
Der geplanten Reform der deutschen Rechtschreibung bläst seit Wochen ein Proteststurm entgegen, der von Tag zu Tag an Heftigkeit zunimmt, das umstrittene Gedankengebäude der Reformer längst ins Wanken gebracht hat und es, bleibt zu hoffen, letztlich auch zum Einsturz bringen wird.
Eindrucksvoll, wie ich meine, hat die „Frankfurter Erklärung“ von renommierten Wissenschaftlern und Publizisten die Öffentlichkeit auf die Folgen der sogenannten Reform hingewiesen. Die damit verbundene Forderung nach sofortigem Ausstieg aus dieser verfehlten Neuregelung hat zudem breiten Rückhalt in der Bevölkerung gefunden. In Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben sie Bürger gegen die Reformpläne zusammengeschlossen, streben ein Volksbegehren an. Innerhalb nur weniger Tage wurde in München und Kiel das erforderliche Quorum nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten.
Für diese Rechtschreibreform gibt es offensichtlich keinerlei Akzeptanz in der Bevölkerung. Warum auch? Die sogenannte Reform entpuppt sich zunehmend als ein unausgegorenes Konstrukt, das in sich widersprüchlich ist, eine unübersehbare Kostenlawine verursacht und zur Verunsicherung im Verhältnis der Generationen führt.
Sichtbares Zeichen für die durch das umstrittene Reformwerk hervorgerufene Konfusion ist die Tatsache, daß nicht einmal die Verlage der vorliegenden Wörterbücher einwandfrei klären können, welche Regelungen künftig gelten sollen. Es ist nur noch als Bankrotterklärung zu bewerten, wenn die Reformer als Konsequenz der Verwirrung, die sie hervorriefen und –rufen, nun flugs eine Reform der Reform vorschlagen.
Nach Meinung von Experten wird die im Zuge der Reform notwendige Umstellung schulischer und amtlicher Texte, aber auch die aus den Neuregelungen resultierende Umstellung anderer Schriften „hohe volkswirtschaftliche Kosten“ verursachen. So erklärte der Verband deutscher Zeitschriftenverleger – er muß es schließlich wissen – auf seiner Jahreshauptversammlung im November 1996: „Die Reform ist überflüssig, kostet das Verlagsgewerbe Millionen von Mark und wird uns alle über lange Jahre teuer zu stehen kommen.“ Den kritisierten Kosten steht kein entsprechender Nutzen gegenüber. Zu Recht sprach der Präsident des Goethe-Instituts von einer „Verhunzung der Sprache und unseres kulturellen Erbes“. So führt die im Gegensatz zur gewachsenen Zusammenschreibung rigoros verordnete Getrenntschreibung dazu, daß das Verb „wiedersehen“, eines der emotionalsten Wörter der deutschen Sprache, der Reform zum Opfer fällt. Die Verwirrung, die die neuen Rechtschreibregeln hervorrufen, werden nach Einführung der Reform die vielfach beklagte mangelhafte Qualität des Umgangs mit Sprache und Literatur in der jungen Generation nur noch verschlechtern – weil unsere Schriftsprache der Beliebigkeit geopfert wird.
Der Widerstand gegen die unsinnige Neuregelung kommt nicht zu spät. Bereits im September 1995, deutlich vor Unterzeichnung der Gemeinsamen Absichtserklärung, haben mit mir vier CDU-Fraktionschefs anderer Bundesländer den Bundesinnenminister zum Einlenken aufgefordert. Dies geschah auch deshalb, weil vor dem Hintergrund der Kulturhoheit der Länder eine politische Legitimation durch Zustimmung der Länderparlamente erforderlich gewesen wäre. Die CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen hat anschließend dieses Parlamentsrecht mit einem Entschließungsantrag eingefordert. Daß diese Parlamentsvoten von den jeweiligen Landesregierungen nicht eingeholt wurden, hat auch erhebliche Zweifel gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesamten Reform begründet.
Der Widerstand gegen die Rechtschreibreform kommt auch deshalb nicht zu spät, weil ihr Inkrafttreten erst zum 1. August 1998 geplant ist. Wer eine „Absichtserklärung“ abgibt, muß sie nicht zwingend auch vollziehen. Empörend ist vielmehr, daß sie bereits vollzogen und an Schulen umgesetzt wird, ohne die Zustimmung der Parlamente einzuholen. Ich hoffe, daß einsichtige Parlamentarier die Volksinitiative unterstützen, von ihrem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch machen und die verantwortlichen Regierungen zum Ausstieg aus dieser absurden Neuregelung verpflichten. Volk und Volksvertretung können dazu beitragen, daß die Reform dort landet, wo sie hingehört: in die Ablage gescheiterter Reformprojekte.
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